[IMI-List] [0534] Münchner Sicherheitskonferenz: Rede und Auswertung
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Di Feb 19 17:06:09 CET 2019
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0534 .......... 22. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Martin Kirsch
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich zur Münchner Sicherheitskonferenz am
vergangenen Wochenende
1.) die Rede von IMI-Vorständin Claudia Haydt auf der Gegendemonstration;
2.) eine Auswertung zur Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen
Wochenende.
1.) Rede auf der Demonstration gegen die Münchner Sicherheitskonferenz
IMI-Standpunkt 2019/009
Nein zu Krieg und Atomarer Aufrüstung
Rede bei den Protesten gegen die Münchner Sicherheitskonferenz 2019
https://www.imi-online.de/2019/02/19/nein-zu-krieg-und-atomarer-aufruestung/
Claudia Haydt (19. Februar 2019)
2.) Auswertung der Konferenzbeiträge
IMI-Analyse 2019/08
„Selbstbehauptung oder Fremdbestimmung“
Münchner Sicherheitskonferenz – Alternativlose Aufrüstung als Gebot der
Stunde
https://www.imi-online.de/2019/02/19/selbstbehauptung-oder-fremdbestimmung/
https://www.imi-online.de/download/IMI-Analyse2019-8-SiKo.pdf
Jürgen Wagner (19. Februar 2019)
Betrachtet man sich Titel und Inhalt der letzten beiden „Munich Security
Reports“ (MSR), die seit einiger Zeit als Aufgalopp unmittelbar vor
Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz (SiKo) veröffentlicht werden,
fühlt man sich unweigerlich an den alten Spruch erinnert: „Gestern stand
die Regierung am Abgrund – heute ist sie einen Schritt weiter!“ So
lautete der letztjährige MSR-Titel „Am Abgrund? Und wieder zurück?“,
während in der aktuellen Überschrift überdeutlich zum Ausdruck gebracht
wird, dass das Kind bereits in den sicherheitspolitischen Brunnen
gefallen ist und es jetzt darum geht, die Scherben aufzusammeln: „Das
große Puzzle: Wer sammelt die Teile ein?“[1]
Allerdings ist es ja nicht gerade neu, dass sich die Konflikte mit
Russland und China seit Jahren kontinuierlich und gefährlich
verschärfen. Neu ist allerdings, wie deutlich in jüngster Zeit die Risse
– ja Gräben – innerhalb des Westens zu Tage treten. Dies zeigte vor
allem die Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel und die direkt daran
anschließenden Ausführungen von US-Vizepräsident Mike Pence. Die taz
brachte die diesbezüglich in München dominierende Grundstimmung griffig
auf den Punkt: „Die transatlantischen Beziehungen – im Eimer.
Multilateralismus – am Ende. Wie weit der Westen auf den Hund gekommen
ist, zeigt sich jetzt.“
Aus welchem Grund die Rede der Kanzlerin allerdings allenthalben
hochgelobt wurde, bleibt etwas fraglich. Konflikte benennen ist die eine
Sache, konstruktive Lösungen, die über sinnlose Appelle hinausreichen,
vorzulegen, die andere – und gerade hieran herrschte in München absolute
Mangelware. Und wenn einem nicht viel einfällt (oder einfallen will),
wie man aus dem Schlammassel – den man in Teilen ja auch selbst mit zu
verschulden hat – wieder herauskommt, dann greift man auf scheinbar
Altbewährtes zurück: Aufrüstung!
Schon im Vorfeld gab die MSC die Marschroute vor, indem sie den
Teilnehmern und der Öffentlichkeit ins Stammbuch schrieb, man schlittere
in eine „neue Ära des Großmächtewettbewerbs“, in der es primär um die
„Selbstbehauptung Europas“ gehe. Fünf Themen beherrschten
dementsprechend die Konferenz: Erstens die zunehmenden Konflikte mit
Russland (China spielte eher eine geringere Rolle); zweitens die eng
damit zusammenhängende Frage, wie auf die absehbare Aufkündigung des
INF-Vertrages reagiert werden soll; drittens der weitere Ausbau der
militärischen EU-Strukturen, der sowohl als Reaktion auf die Konflikte
mit Russland als auch mit Blick auf viertens das zunehmend angespannte
Verhältnis zu den USA für erforderlich gehalten wird; und schließlich
fünftens, wie eigentlich immer in den letzten Jahren: Das Geld!
1. Großkonkurrenz mit Russland
Den Auftakt der vom 15. bis 17. Februar 2019 stattfindenden Konferenz
bestritten Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihr
britischer Amtskollege Gavin Williamson. Der hat sich seit einiger Zeit
unter dem Schlagwort „Global Britain“ die „Verteidigung“ der
„Regelbasierten Internationalen Ordnung“ auf die Fahnen geschrieben. In
diesem Zusammenhang kündigte er in einer Grundsatzrede am 11. Februar
2019 einen erheblichen Ausbau der militärischen Präsenz seines Landes
u.a. in der indo-pazifischen Region an. Mit Blick auf Russland machte er
in seiner SiKo-Rede keinen Hehl daraus, dass er das Land als einen
Widersacher des Westens sieht: „30 Jahre nach dem Fall der Berliner
Mauer“, so Williamson, sei der „alte Feind wieder zurück im Spiel.“ Es
sei erforderlich, „ihren Provokationen zu begegnen [….]. Das russische
Abenteurertum muss einen Preis haben.“ Moskau müsse „sich von diesem
Pfad abkehren“ und wieder „beginnen, innerhalb der Regelbasierten
Internationalen Ordnung zu agieren.“ Im Gegensatz zu solch aggressiver
Dampfplauderei mussten sich von der Leyens Ausführungen vergleichsweise
vernünftig anhören. Doch auch sie beklagte die „Wiederkehr der
Konkurrenz großer Mächte“, um im nächsten Atemzug klarzustellen: „Ob wir
wollen oder nicht, Deutschland und Europa sind Teil dieses
Konkurrenzkampfs. Wir sind nicht neutral.“
Den Gegenpart übernahm einmal mehr der russische Außenminister Sergei
Lawrow, der auf die unzähligen Konflikte verwies, in denen Russland aus
seiner Sicht – und absolut nicht zu Unrecht – mit feindseligen Aktionen
der NATO konfrontiert wurde. Er spannte dabei den altbekannten Bogen vom
Bruch des Anfang der 1990er gegebenen Versprechens keine
NATO-Osterweiterung vorzunehmen, über die völkerrechtswidrige
NATO-Bombardierung Jugoslawiens Ende der 1990er und die seit Jahren im
Aufbau befindliche US-Raketenabwehr bis hin zum Machtwechsel in der
Ukraine, den Lawrow – erneut durchaus nachvollziehbar – als „Putsch“
bezeichnete. Auf den eigentlichen Kern dieser Auseinandersetzungen kam
Lawrow gleich zu Beginn seiner Rede recht unverblümt zu sprechen: „[D]ie
Internationalen Beziehungen befinden sich in einer Phase radikalen
Wandels, der mit der These von einem ‚Ende der Geschichte‘ aufräumt.“
Der russische Außenminister spielte hier auf Francis Fukuyamas Anfang
der 1990er aufgestellte These vom ultimativen Sieg der westlich
dominierten neoliberalen „Regelbasierten Internationalen Ordnung” an.
Die Tatsache, dass diverse Staaten diesen Sieg nicht bedingungslos
anerkannt und sich untergeordnet in diese Ordnung integriert haben,
stellt den Hintergrund für die wachsenden Konflikte zwischen dem Westen
und Russland (sowie China) dar. Und einer der wohl wichtigsten
Schauplätze, auf dem dieser Konflikt aktuell ausgetragen wird, ist die
atomare Rüstungskontrolle – bzw. ihr absehbares Ende.
2. INF-Vertrag: Alle (nuklearen) Optionen offen?
Völlig einig waren sich sämtliche westlichen Vertreter, dass allein
Russland für die Suspendierung (und in sechs Monaten wohl Kündigung) des
INF-Vertrags zum Verbot subatomarer landgestützter Mittelstreckenraketen
(Reichweite 500 bis 5.500km) seitens der USA verantwortlich zu machen
sei. So betonte Angela Merkel in ihrer Rede, nach „jahrelangen
Verletzungen der Vertragsbedingungen durch Russland“ sei „diese
Kündigung unabwendbar gewesen.“
Es blieb aber vor allem NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg
vorbehalten, Russland auf der Sicherheitskonferenz ins Stammbuch zu
schreiben, was es – zumindest aus Sicht des Militärbündnisses – nun zu
tun habe: „Russland hat immer noch die Möglichkeit zur Einhaltung [des
INF-Vertrags] zurückzukehren. Wir fordern Russland auf, diese
Gelegenheit zu ergreifen und verifizierbar seine Mittelstreckenraketen
zu zerstören. Die Uhr tickt. Wir wollen, dass Russland zur Einhaltung
zurückkehrt, aber wir bereiten uns auch auf eine Welt ohne INF-Vertrag
vor. Und auf eine Welt mit mehr russischen Raketen in Europa. Die NATO
hat bereits mit der Arbeit daran begonnen. Und ich werde nicht
vorhersagen, was dabei herauskommt.“
Im Gegensatz dazu argumentiert Russland das beanstandete System (SSC-8)
hätte eine Reichweite von 480km und würde demzufolge keine Verletzung
des Vertrages darstellen. Angebote für Vor-Ort-Inspektionen, um den
Sachverhalt zu prüfen, wurden von den USA abgelehnt und dennoch stellt
sich die NATO nun also hin und verlangt von Russland, diese Systeme
zerstören zu müssen – wäre irgendjemandem ernsthaft am Erhalt des
INF-Vertrages gelegen, so sähe eine erfolgversprechende
Verhandlungsstrategie sicher anders aus.
Angela Merkel warnte in ihrer Rede zwar immerhin vor „blindem
Aufrüsten“, liefert aber keinerlei aussichtsreichen Vorschlag, wie der
Vertrag doch noch zu retten wäre. Die von ihr geforderte Einbeziehung
Chinas wäre zwar tatsächlich wünschenswert, aufgrund der Tatsache, dass
Mittelstreckenraketen im chinesischen Arsenal eine große Rolle spielen,
ist sie allerdings etwas illusorisch. Ansonsten war in Sachen
INF-Vertrag kein sinnvoller Rettungsversuch zu erkennen, sodass davon
auszugehen ist, dass er in knapp sechs Monaten Geschichte sein dürfte.
Wie aus Stoltenbergs Ausführungen klar hervorgeht, ist die NATO in
diesem Fall offensichtlich gewillt, kräftig weiter an der militärischen
Eskalationsschaube zu drehen. Allerdings drängt sich hier natürlich
unmittelbar die Frage auf, wie die im Augenblick laut Stoltenberg in
Planung befindlichen NATO-Reaktionen dann aussehen könnten. Hier kam es
im unmittelbaren Vorfeld der Konferenz zu einem interessanten
Schlagabtausch zwischen Ursula von der Leyen und Rose Gottemoeller, der
Vize-Generalsekretärin der NATO. Noch am 13. Februar 2019 erklärte die
deutsche Verteidigungsministerin, sie beabsichtige keinesfalls, eine
Aufrüstung mit atomaren Mittelstreckenraketen „voreilig“ auszuschließen:
„Gerade weil wir am Anfang der Diskussion stehen, ist es eben wichtig,
dass wir jetzt nicht anfangen zu hierarchisieren oder einzelne Punkte
rausnehmen, sondern wirklich die ganze Palette mit auf dem Tisch liegen
lassen.“
Genau in die entgegengesetzte Richtung äußerte sich dagegen
Gottemoeller, indem sie klarstellte, die Nato habe „nicht die Absicht,
neue landgestützte nukleare Waffensysteme in Europa zu stationieren.“
Fast genauso äußerte sich auch NATO-Generalsekretär Stoltenberg sowohl
in seiner SiKo-Rede selbst als auch noch einmal explizit in der
anschließenden Fragerunde: „Die NATO beabsichtig nicht, neue
landgestützte atomare Mittelstreckenraketen in Europa zu stationieren.“
Allerdings versäumten es weder Stoltenberg noch Gottemoeller sofort
daran anschließend die Forderung nach anderen „entschlossenen“
Reaktionen des Westens zu platzieren. Gottemoeller forderte etwa: „Es
braucht mehr Verteidigung und Abschreckung angesichts eines
aggressiveren Russlands, das mit militärischer Gewalt Grenzen in Europa
verändert.“
Denkbar ist dabei entweder, dass die Truppenpräsenz an der
NATO-Ostflanke noch weiter aufgestockt wird[2], mit Sicherheit wird aber
gleichzeitig auch ernsthaft über die Stationierung neuer Raketensysteme
nachgedacht. Das könnte zum Beispiel neue luft- und seegestützte atomare
Mittelstreckenraketen einschließen, die sowieso nie vom INF-Vertrag
verboten wurden. Oder – und die Äußerungen von Stoltenberg und
Gottemoeller deuten ein wenig in diese Richtung – die NATO entscheidet
sich für eine Stationierung konventioneller Mittelstreckenraketen, um so
der durchaus verbreiteten Sorge unter den europäische
Entscheidungsträgern vor Protesten der Bevölkerung ein wenig den Wind
aus den Segeln zu nehmen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang spielte leider kaum
eine Rolle, nämlich dass auch der andere wichtige
Rüstungskontrollvertrag – „New Start“ zur Limitierung strategischer
Atomwaffen (Reichweite über 5.500km) – vor dem Aus zu stehen droht. Der
Vertrag läuft 2021 aus und auf die Frage, wie es denn weitergehe,
antwortete Lawrow, Russland habe versucht, in Verhandlungen darüber zu
treten, bislang aber keine Antwort aus den USA erhalten. Es ist also
durchaus im Bereich des Möglichen, dass die Welt, Europa und auch
Deutschland in etwa zwei Jahren ohne jegliche Form von Rüstungskontrolle
zur Begrenzung atomarer Rüstungsspiralen dastehen könnte.
3. Rüstungsexporte zur Selbstbehauptung Europas?
Angesichts aktueller EU-Zentrifugaltendenzen versuchte die
EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini in ihrer Rede vor allem
Zweckoptimismus zu verbreiten. Nachdem mit der „Europäischen
Verteidigungsgemeinschaft“ im Jahr 1954 der erste und bis heute
wichtigste Versuch zum Aufbau umfassender EU-Militärstrukturen
scheiterte, sei heute das „Europa der Verteidigung nicht mehr länger der
unerreichbare Traum unserer Gründer.“ Es seien gerade in der jüngsten
Zeit substanzielle „Fortschritte“ erzielt worden: Zum „ersten Mal
überhaupt haben wir damit begonnen, ernsthaft in unsere gemeinsame ‚hard
power‘ zu investieren – in das Europa der Verteidigung.“ Aus diesem
Grund stehe die EU – ungeachtet einiger Widrigkeiten – gar nicht so
schlecht da, wenn es ihr gelinge, den eingeschlagenen Weg in Richtung
Verteidigungsunion konsequent weiter zu beschreiten: „Die Europäische
Union ist eine der wichtigsten globalen Mächte in der Welt – der größte
Weltmarkt und die zweitgrößte Weltwirtschaft […]. Und wir haben – und
dies ist eine Zahl, die wir manchmal zu vergessen scheinen – zusammen
als Europäische Union das zweitgrößte Verteidigungsbudget in der Welt.“
Den Vogel in Sachen „Hauruck-Identitätsbildung“ schoss allerdings
Konferenzleiter Wolfgang Ischinger ab, der die Tagung in einem
schlechtgemachten Hoodie mit EU-Flagge eröffnete, um so die
Notwendigkeit zu unterstreichen, angesichts zunehmender
Großmachtkonflikte die europäischen Reihen zu schließen. Dass einige der
Probleme, denen sich die EU derzeit gegenübersieht, damit
zusammenhängen, dass sich Deutschland und Frankreich rigoros daran
gemacht haben, ihre Vorstellung vom „Europa der Verteidigung“ im Sinne
ihrer Interessen dem Rest der Union aufzunötigen, blieb dabei auf der
gesamten Konferenz selbstredend unerwähnt (siehe IMI-Standpunkt 2019/003).
Doch auch das selbsternannte deutsch-französischen Führungsduo scheint
keineswegs so stabil, wie dies teils suggeriert wird. Als Zeichen
hierfür wurde etwa gewertet, dass der französische Präsident Emmanuel
Macron seine ursprünglich zugesagte Teilnahme an der
Sicherheitskonferenz wieder zurückzog und Merkel, so zumindest die
Deutung, damit ziemlich im Regen stehen ließ. Schon seit einiger Zeit
heißt es, Paris sei vor allem über die vermeintlich allzu restriktiven
deutschen Rüstungsexportrichtlinien erbost, die den „Erfolg“ der
geplanten deutsch-französischen Rüstungsgroßprojekte, insbesondere des
Kampfflugzeugs, gefährdeten.
Aller Wahrscheinlichkeit nach, um hier die Wogen zu glätten und die
Realisierung der – strategisch ungemein bedeutsamen – Rüstungsprojekte
nicht zu gefährden, ergriff Angela Merkel in ihrer SiKo-Rede vor allem
im Bereich Waffenexporte die Initiative: „Wir wollen jetzt gemeinsame
Waffensysteme entwickeln, und im Zusammenhang mit dem Aachener Vertrag,
den wir jetzt mit Frankreich unterzeichnet haben, hat das Thema der
Rüstungsexporte natürlich eine Rolle gespielt. Wenn wir in Europa
nämlich keine gemeinsame Kultur der Rüstungsexporte haben, dann ist die
Entwicklung von gemeinsamen Waffensystemen natürlich auch gefährdet. Das
heißt, man kann nicht von einer europäischen Armee und von einer
gemeinsamen Rüstungspolitik oder Rüstungsentwicklung sprechen, wenn man
nicht gleichzeitig auch bereit ist, eine gemeinsame
Rüstungsexportpolitik zu machen.“
Im Kern geht es dabei darum, die Rüstungsexportrichtlinien in Richtung
des kleinsten gemeinsamen Nenners hin zu verwässern – zumindest aber
soll sichergestellt werden, dass französische Exporte bei gemeinsamen
Projekten nicht durch die, tatsächlich im Verhältnis etwas strengeren
deutschen Richtlinien behindert werden. Genau hierauf scheinen sich
beide Länder in einem Zusatzabkommen zum deutsch-französischen Aachener
Vertrag vom 22. Januar 2019 bereits verständigt zu haben. Aus dem auf
den 14. Januar 2019 datierten Dokument mit dem Titel
„Deutsch-französische Industriekooperation im Verteidigungsbereich –
gemeinsames Verständnis und Prinzipien über Verkäufe“ zitiert u.a. die
FAZ: „Die Parteien werden sich nicht gegen einen Transfer oder Export in
Drittländer stellen.“ In eigenen Worten erklärt das Blatt dann weiter:
„Die Partner könnten nur Bedenken anmelden, wenn direkte Interessen
berührt würden oder die nationale Sicherheit gefährdet sei.“
Hierbei handelt es sich in der Tat um eine Frage von immenser Tragweite:
Ohne Rüstungsexporte lassen sich die anvisierten Großprojekte aufgrund
einer zu niedrigen heimischen Auftragslage nicht realisieren. Gerade das
deutsch-französische Kampfflugzeug und der Kampfpanzer sind aber die
Grundlage für den Aufbau eines starken rüstungsindustriellen Komplexes,
der die Union in die Lage versetzen könnte, „strategische Autonomie“ zu
erlangen. Gemeint ist damit die Möglichkeit, militärisch auch ohne die
USA handlungsfähig zu sein, was inzwischen als wesentliche Priorität in
nahezu jedem EU-Dokument auftaucht. Zwar sei niemandem an einem Ende des
Bündnisses mit den Vereinigten Staaten gelegen, so eine kürzliche
Einordnung des EU-eigenen „Institute for Security Studies“ zur Frage,
was mit „strategischer Autonomie“ eigentlich genau bezweckt werde. Aber
angesichts aktueller Dynamiken könne niemand wissen, ob das Bündnis
bestand habe, weshalb die Europäische Union sich „zur Rückversicherung“
darauf vorbereitet müsse, notfalls militärisch auf eigenen Füßen stehen
zu können. Und da dies eben ohne Rüstungsexporte nicht möglich ist, wird
an den deutschen Richtlinien nun direkt oder indirekt die Axt angesetzt!
4. Schlagabtausch mit den USA
In den beiden vorherigen Jahren wurden auf der Sicherheitskonferenz eher
versöhnliche Töne in Richtung USA angeschlagen – davon konnte in diesem
Jahr nur noch bedingt die Rede sein. Vermutlich waren die europäischen
Entscheidungsträger lange noch optimistisch, den „Trump-Drachen“ reiten
zu können, indem einfach über befreundete Regierungsmitglieder agiert
würde. Die wurden aber einer nach dem anderen aus der US-Regierung
entfernt, zuletzt hatte die Ablösung des dezidiert proatlantischen
Verteidigungsministers James Mattis regelrechte Schockwellen ausgelöst.
So bestehen inzwischen wohl ernsthafte Sorgen, dass es zu einem
dauerhaften Bruch im amerikanisch-europäischen Verhältnis kommen könnte
– zumal eine Wiederwahl von US-Präsident Donald Trump, dem Epizentrum
der aktuellen transatlantischen Konflikte, derzeit keineswegs
ausgeschlossen erscheint.
Schon beim Konferenzauftakt begegnete Ursula von der Leyen der
absehbaren US-Kritik, dass die Verbündeten zu wenig Geld in die Hand
nehmen würden, mit dem Konter, auch Washington weise an entscheidenden
Punkten Defizite auf: „Natürlich geht es in der NATO um cash,
capabilities and contributions. Aber genauso umdignity, decency and
dependability. Nur wenn uns das zu einen gelingt, wahrt die NATO ihren
Zusammenhalt und ihre innere Stärke.“ Ganz konkret und deutlich wurden
die Konflikte aber in den nacheinander folgenden Reden von Angela Merkel
und Mike Pence. Ohne dies hier in epischer Breite ausführen zu müssen,
verdeutlichten sie in nahezu jeder Sachfrage Dissens: Vom Umgang mit dem
Iran über die umstrittene Pipeline „North-Stream 2“ bis hin zu den schon
länger andauernden Auseinandersetzungen über die Höhe der Rüstungsausgaben.
Besonders erbost zeigte sich die Kanzlerin in ihrer SiKo-Rede ob der von
den USA geplanten Einführung von Schutzzöllen auf Automobile, die vor
allem Deutschland finanziell erheblich treffen würde: „Wenn es uns mit
der transatlantischen Partnerschaft ernst ist, dann ist es für mich als
deutsche Bundeskanzlerin zumindest nicht ganz einfach, jetzt zu lesen,
dass offensichtlich ich habe es noch nicht schriftlich vor Augen gehabt
das amerikanische Handelsministerium sagt, europäische Autos seien eine
Bedrohung der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika.
Schauen Sie: Wir sind stolz auf unsere Autos; und das dürfen wir ja auch
sein. […] Wenn diese Autos […] plötzlich eine Bedrohung der nationalen
Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika sind, dann erschreckt uns
das."
Als Kontrapunkt zu Pence wurde dann auch Joe Biden – u.a.
Irak-Kriegsbefürworter und Vizepräsident unter Obama – als Vertreter der
„guten US-Kriegspolitik“ präsentiert und ausführlich Platz auf der
Sicherheitskonferenz eingeräumt. So nachvollziehbar sie also ist:
Angesichts der offensichtlich bevorzugten Alternative sollte man
gegenüber der herrschaftlich an den Tag gelegten Trump-Kritik Vorsicht
walten lassen: Schließlich wurden hier nicht Bernie Sanders, Alexandria
Ocasio-Cortez oder vielleicht auch Michael Moore eingeladen, um das
„gute Amerika“ zu repräsentieren. Nein, ein expliziter Exponent der
früheren US-Kriegspolitik musste es sein und das war eben kein Zufall –
und ob die auch nur einen Jota besser war, als das Chaos, das Trump und
seine Truppe derzeit anrichten, kann zumindest bezweifelt werden.
In jedem Fall stieß der von Mike Pence recht nassforsch formulierte
Führungsanspruch der USA recht gründlich auf Kritik, wenn etwa Volker
Perthes, Chef der Regierungsberater von der „Stiftung Wissenschaft und
Politik“ (SWP), kommetierte: „Es ist interessant, wie der
US-Vizepräsident bei der Münchner Sicherheitskonferenz sein Verständnis
von Führung offenbart. Es besagt im Wesentlichen, anderen Nationen zu
sagen, was sie zu tun haben.“
Es geht also vor allem darum, dass die EU ihren – scheinbar –
angestammten Platz am Tisch der Weltmächte für sich reklamiert: Mit den
USA wenn möglich – ohne sie, wenn nötig!
„Wir bleiben Teamspieler – und das ist unser Angebot“, so Außenminister
Maas bei der Sicherheitskonferenz generös nicht zuletzt mit Blick auf
die USA. Sollten die aber nicht mitspielen wollen, so die
unausgesprochene Drohung im Hintergrund, werde man auch für diesen Fall
gewappnet sein. Der Wille, sich macht- und militärpolitisch unabhängiger
von den USA zu machen, ist offensichtlich gewachsen und drückt sich auch
in Kommentaren zur Sicherheitskonferenz, wie dem im Handelsblatt aus:
„Im multipolaren Wettkampf um Wohlstand und Einflusszonen ist Europa auf
sich allein gestellt. Unter US-Präsident Donald Trump verstehen sich die
USA nicht als Bündnispartner der EU. Sie begreifen sich als Gegner. […]
Europa steht vor Entscheidungen von historischer Dimension. Entweder es
findet die Kraft, zum machtpolitischen Akteur zu werden. Oder es wird
zum Spielball der Interessen anderer. Selbstbehauptung oder
Fremdbestimmung – darum geht es.“
5. Rüstungshaushalte: Anstieg um 350 Mrd.!
Mit Ansage kam erneut der Rüffel aus den USA angesichts von – aus Sicht
Washingtons – unzureichender Rüstungsbemühungen seitens der Alliierten
und insbesondere Deutschlands. Im Zentrum steht dabei seit einigen
Jahren die US-Forderung, alle NATO-Verbündeten sollten mindestens zwei
Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für das Militär ausgeben. Näher
betrachtet mutet das US-Getöse allerdings doch mehr als seltsam an:
Schließlich stiegen die NATO-Militärausgaben nach Eigenangaben von 895
Mrd. Dollar (2015) auf geschätzte 1013 Mrd. Dollar (2018) in den letzten
Jahren steil an. Auch der Anteil der europäischen Staaten kletterte im
selben Zeitraum deutlich, wie NATO-Generalsekretär Stoltenberg auf der
SiKo stolz verkündete: „Seit 2016 haben die Verbündeten in Europa und
Kanada zusätzlich 41 Mrd. Dollar für Verteidigung ausgegeben.“ Bis 2024
sollen die Ausgaben sogar noch einmal deutlich drastischer ansteigen
berichtete Stoltenberg laut Zeit Online Ende Januar 2019: „Der Etat der
Nato-Partner der Vereinigten Staaten werde sich im Jahr 2020 um rund 100
Milliarden US-Dollar erhöhen. Das gab Nato-Generalsekretär Jens
Stoltenberg auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos in der Schweiz
bekannt. Bis Ende 2024 soll das Budget sogar um 350 Milliarden US-Dollar
steigen.“
Deutschland ist hier einer der wesentlichsten Faktoren für diesen
dramatischen Anstieg, wie u.a. Verteidigungsministerin Ursula von der
Leyen in ihrer Rede zufrieden unterstrich: „Der deutsche
Verteidigungshaushalt ist seit 2014 um 36% nach NATO-Kriterien
gestiegen. Und wir haben einen klaren Plan: Weißbuch und
Fähigkeitsprofil zeigen im Detail, wie wir unsere Bundeswehr bis 2024
modern ausstatten werden. Damit wird unser Budget zehn Jahre nach Wales
[2014] um 80% gewachsen sein.“
In Zahlen ausgedrückt hat die Bundesregierung in ihrem letzten
Ausgabenplan an die NATO zugesichert, den Militärhaushalt von 43,2 Mrd.
Euro 2019 auf ca. 60 Mrd. Euro 2024 noch einmal extrem anzuheben – und
ihn danach auch noch weiter zu erhöhen! Hierzu berichtete Spiegel Online
Anfang Februar 2019: „[D]er deutsche Botschafter [übergab] bei der
Allianz dem Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ein Dokument, in dem
sich die deutsche Regierung verbindlich dazu bekennt, die Wehrausgaben
bis 2024 auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. ‚Dieser
Anstieg soll nach 2024 fortgesetzt werden‘, heißt es nach Informationen
des SPIEGEL in dem Schreiben. […] Die verbindliche Festlegung überrascht
trotzdem, da es innerhalb der Koalition in den vergangenen Monaten
heftige Spannungen über die Verteilung des Haushalts gab.“
Tatsächlich hatte Reuters noch Anfang Februar 2019 von Widerständen
innerhalb des sozialdemokratischen Finanzministeriums gegenüber solch
drastischen Ausgabensteigerungen berichtet. Davon ist nun
augenscheinlich keine Rede mehr, schließlich waren sich gerade die
deutschen Vertreter auf der Sicherheitskonferenz zumindest über eine
Sache völlig einig: Aufrüstung ist das Gebot der Stunde!
Anmerkungen
[1] Auch Außenminister Heiko Maas griff den Bericht gleich zu Anfang
seiner Rede auf: „Im diesjährigen Bericht zur Sicherheitskonferenz wird
eine Welt beschrieben, die in ihre Teile zerfällt. Und seien wir
ehrlich: Mit dem Aufheben dieser Teile ist es längst nicht getan. Um die
Teile zusammenzufügen, braucht es eine neue Übersicht. Den Blick dafür,
wie sich die Dinge neu fügen oder auch verkanten können, bei alldem, was
sich um uns herum verändert.“
[2] So forderte etwa Joachim Krause vom Kieler Institut für
Sicherheitspolitik (ISPK) nicht lange vor Beginn der
Sicherheitskonferenz im Deutschlandfunk eine massive Aufstockung der
Truppenpräsenz an der NATO-Ostfront: „Es ist also eine derzeit
symbolische Präsenz, und die muss durch eine reale Präsenz erhöht
werden. […] Da müsste man schon in einer Größenordnung von mindestens
einer Division pro baltischem Staat und wahrscheinlich auch noch in
Polen reden. Das ist sozusagen das Mindeste, was sie brauchen, um dort
überhaupt eine Verteidigungsfähigkeit herzustellen. […] Ungefähr 30-,
40.000 Soldaten aus anderen Ländern der NATO, sei es aus Deutschland,
aus Frankreich, aus Großbritannien, USA, Holland oder was weiß ich nicht
wo, müssten dort stationiert sein.“
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