[IMI-List] [0512] Ausdruck April 2018 / Rezension: Gewerkschaften und Militär
imi
imi at imi-online.de
Fr Apr 13 14:38:35 CEST 2018
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0512 .......... 21. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich
1.) der Hinweis auf die soeben erschienene April-Ausgabe des
IMI-Magazins AUSDRUCK;
2.) eine Rezension des Buches „Lieber tot als rot: Gewerkschaften und
Militär in Deutschland seit 1914“.
Zuvor aber nochmal der Hinweis in eigener Sache: Wer sie noch nicht hat,
die neue IMI-Broschüre „Krieg im Informationsraum“ kann weiter hier
heruntergeladen oder bestellt (72S A4) werden:
http://www.imi-online.de/2018/03/23/broschuere-krieg-im-informationsraum/
Und noch ein zweiter Hinweis: Auch wenn aktuell noch völlig unklar ist,
ob die USA (und einige Verbündete) sich zu Luftschlägen gegen Syrien
entscheiden werden, vom Tisch ist die Kriegsgefahr noch lange nicht. Am
Wochenende wird es deshalb in verschiedenen Städten Kundgebungen gegen
diese mögliche Eskalation und den Krieg in Syrien insgesamt geben, z.B.
in Tübingen mit IMI-Beteiligung.
Nicht zuletzt der Umgang mit Russland nimmt dabei teils das Ausmaß einer
bizarren, aber leider auch brandgefährlichen Realsatire an, wie ein
neuer IMI-Text anhand einer „Analyse“ der regierungsberatenden Stiftung
Wissenschaft und Politik (SWP) herausarbeitet:
IMI-Standpunkt 2017/015
Wissenschaft und Politik: Wurde die Türkei von Russland in den syrischen
Bürgerkrieg gelockt?
http://www.imi-online.de/2018/04/12/wissenschaft-und-politik-wurde-die-tuerkei-von-russland-in-den-syrischen-buergerkrieg-gelockt/
Bernhard Klaus (12. April 2018)
1.) Ausdruck (April 2018)
Gesamte Ausgabe zum download:
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-April2018-Web.pdf
INHALTSVERZEICHNIS
DEUTSCHLAND UND DIE BUNDESWEHR
-- Die GroKo auf Kriegskurs: Mehr Geld, mehr Einsätze, mehr Krieg!
(Jürgen Wagner)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-April2018-JW-GrKo.pdf
-- Die AfD im Verteidigungsausschuss: Einige kritische Portraits (Lucius
Teidelbaum)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-April2018-LT.pdf
-- Rüstung ohne Schwermetall: Die ITEC und der
militärisch-forschungsindustrielle Komplex im „Ländle“ (Christoph Marischka)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-April2018-CM.pdf
-- Vertragsunterzeichnung für die Heron TP Drohne: Abschluss vor dem
31. Mai 2018? (Marius Pletsch)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-April2018-MP.pdf
-- Konversion rückwärts: Die Reaktivierung und Aneignung militärischer
Flächen (Alexander Kleiß)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-April2018-AK.pdf
-- „Kein Ruhmesblatt“: Gewerkschaften und Bundeswehr – eine Rezension
(Jürgen Wagner)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-April2018-JW-Gew.pdf
-- Krieg spielen im Einkaufszentrum: Polizeiliche Anti-Terror-Übungen
für den Ausnahmezustand (Martin Kirsch)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-April2018-MK.pdf
EU-MILITARISIERUNG
-- Münchner Sicherheitskonferenz: Harte Geopolitik und die militärische
Selbstbehauptung Europas (Jürgen Wagner)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-April2018-JW-SiKo.pdf
-- „Wir wollen keine Sklaven des 21. Jahrhunderts sein“:
Neoliberalismus, Protest und Repression in Bosnien-Herzegowina (Sven
Wachowiak)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-April2018-SV.pdf
ARABISCHER OSTEN
-- Jemen auf dem Weg ins Desaster? Ein Blick auf die aktuellen
Entwicklungen (Jacqueline Andres)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-April2018-JA.pdf
-- Türkei: Auf dem Weg zur neo-osmanischen Militärmacht? Umgestaltung
der kurdischen Gebiete unter Beihilfe Deutschlands (Luca Heyer)
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-April2018-LH.pdf
2.) Rezension: Gewerkschaften und Militär
IMI-Standpunkt 2018/014 - in: AUSDRUCK (April 2018)
„Kein Ruhmesblatt“
Gewerkschaften und Bundeswehr – eine Rezension
http://www.imi-online.de/2018/04/12/kein-ruhmesblatt/
Jürgen Wagner (12. April 2018)
Viele Friedensbewegte fielen aus allen Wolken, als der damalige
DGB-Vorsitzende Michael Sommer im Februar 2013 auf Kuschelkurs mit der
Bundeswehr ging. Dass sich der in Reaktion auf teils heftige Proteste
angekündigte „offene Dialog“ mit der Friedensbewegung schnell als ein
interner Austausch entpuppte, zu dem manch gestandener Militarist, nicht
aber Vertreter besagter Friedensbewegung geladen wurden, machte die
Sache auch nicht besser. So ganz aus heiterem Himmel kamen die
Verbrüderungsszenen aber nicht – und wer einen Blick in das neue Buch
„Lieber tot als rot: Gewerkschaften und Militär in Deutschland seit
1914“ wirft, erhält eine Fülle an Informationen über historische und
aktuelle Hintergründe des Verhältnisses beider Organisationen.
Autor Malte Meyer geht darin zwei Thesen nach: Einmal, dass die
Gewerkschaften – und damit meint er stets ihre Funktionseliten –
spätestens seit 1914 in Konfliktfällen stets „das Bündnis mit Staat,
Militär und Rüstungsindustrie ebenso regelmäßig wie wenig zufällig der
Treue zu ihren sozialistischen Programmen vorzogen“ (S. 9f.) Dies wird
von Meyer in seinem Buch überzeugend und materialreich belegt und zwar
anhand von elf Kapiteln, die sich mit dem Verhältnis zwischen
Gewerkschaft, Staat und Militär in ausgewählten Fragen der
(west-)deutschen Geschichte beschäftigen (es gibt zwar auch ein Kapitel,
das sich um die DDR dreht, das ist aber – wie der Autor selbst einräumt
– notgedrungen etwas kursorisch).
Darauf aufbauend entwickelt Meyer eine zweite spannende These, nämlich
dass die Gewerkschaften nicht nur kein Teil der Friedensbewegung seien,
sondern eine ihrer wesentlichen Funktionen in der Demobilisierung
antimilitaristischen Protestes bestünde. Obwohl der Autor auch hierfür
eine Reihe von Belegen liefert, scheint er in diesem Punkt zumindest aus
Sicht des Rezensenten ein klein wenig – um im Bild zu bleiben – über das
Ziel hinauszuschießen, was aber der Qualität des Buches und der
uneingeschränkten Leseempfehlung keinerlei Abbruch tut.
Im Zweifel für das Militär
Die von Meyer in seinem Buch untersuchten Stationen setzen bei den
Ereignissen um den Burgfrieden 1914 ein, bei dem die Gewerkschaften
seiner Auswertung nach den Kurs der „SPD vorweggenommen hatten.“ (S. 26)
Weiter geht es in mehreren Kapiteln zu diversen Aspekten der
Zwischenkriegsjahre und der Nazizeit, um dann zu den Debatten um die
deutsche Wiederbewaffnung zu gelangen.
Wiederbewaffnung: Zunächst habe es noch im Münchner Grundsatzprogramm
des DGB vom Oktober 1949 geheißen, die „Bekämpfung von nationalistischen
und militärischen Einflüssen“ sei eine zentrale Aufgabe der
Gewerkschaften. Auch im Januar 1950 habe der DGB-Bundesvorstand
einstimmig „jedwede Remilitarisierung Deutschlands“ abgelehnt (S. 114)
Während antimilitaristische Positionen in der Basis stark vertreten
gewesen seien, habe dies für die Führungsebene nicht gegolten. Es sei
auffällig gewesen, dass „die Gruppe der gewerkschaftlichen
Remilitarisierungsbefürworter Anfang der 1950er-Jahre fast
ausschließlich dem Führungszirkel des DGB angehörte.“ (S. 121)
Generell lasse sich die „gewerkschaftsoffizielle Taktik in Bezug auf den
Remilitarisierungskomplex“ grob in drei Phasen unterteilen: Eine
„verklausulierte Zustimmung“ (ab 1950) sei in eine „abwartende
Stillhaltepolitik“ (ab 1952) übergegangen, die wiederum von
„symbolischem Protest“ (1954) abgelöst worden sei. Wichtig erscheint
Meyers Feststellung, dass diese – ohnehin vorsichtigen –
Positionsveränderungen primär auf Druck von der Basis zurückzuführen
gewesen seien: „Die sich verändernde Tonlage war […] vor allem den
Aktivitäten inner- wie außergewerkschaftlicher Oppositionsbewegungen
geschuldet.“ (S. 123)
Auf der anderen Seite wurde eben vonseiten der Gewerkschaftsführungen
auch nicht mehr als unbedingt notwendig getan, teils sei sogar aktiv
versucht worden, antimilitaristische Aktionen zu behindern oder
wenigstens deren Energien zu absorbieren: „Die DGB-Gewerkschaften haben
diese und ähnliche Arbeiterproteste gegen die Remilitarisierung weder
initiiert noch unterstützt. Sie haben vielmehr alles getan, um
derartigen Widerstand zu schwächen, abzubremsen und ins Leere laufen zu
lassen.“ (S. 131) Es sei zwar falsch, die „Niederlage alleine den
Machenschaften der Gewerkschaften zuzuschreiben.“ (S. 132) Allerdings
„haben die Gewerkschaften im gesellschaftlichen Konflikt um die
Wiederbewaffnung einen zwar nicht exakt quantifizierbaren, aber dennoch
effektiven Beitrag zur Neutralisierung großer Mengen
antimilitaristischer Energie geleistet. ‚Anstatt selbst gegen die
Remilitarisierung aktiv zu werden, verpulverten die
Gewerkschaftsmitglieder ihre Zeit mit Anträgen an ihre
Gewerkschaftsorgane, die im Weg der Instanzen versandeten.‘“ (S. 132,
Zitat von Markus Gunkel)
Nachrüstung: Mit diesem durchaus auch für die anderen Kapitel typischen
Fazit fährt das Buch dann mit besagtem Kapitel zur DDR fort. Es folgen
Ausführungen zu den Notstandsgesetzen, der gewerkschaftlichen Vertretung
von Soldaten sowie dem Rüstungslobbyismus der IG Metall und der
Nachrüstungsdebatte. Hier beleuchtet Meyer das gewerkschaftliche
Verhalten rund um drei zentrale Aspekte in den damaligen Debatten und
Protesten um die Stationierung atomarer Pershing-II-Raketen in
Deutschland. Das war zunächst der Krefelder Appell von 1980, ein Aufruf
an die Bundesregierung, der sich gegen die Nachrüstung richtete. Der
Aufruf stieß bei den Gewerkschaftseliten aufgrund ihrer Nähe zur
damaligen SPD-Regierung nicht unbedingt auf große Begeisterung,
verbreitete sich aber dennoch in Windeseile: „Der überaus überraschende
Erfolg der Unterschrifteninitiative wurde innerhalb der
Gewerkschaftsapparate mit großem Argwohn beobachtet.“ (S. 248)
Da der Appell aber bei der Basis und besonders der Gewerkschaftsjugend
dennoch sehr gut ankam, „zog der DGB-Bundesvorstand Ende April 1981 die
Konsequenz, Funktionär*innen fortan zu verbieten, ihre schwerlich zu
verhindernde Unterschrift noch durch eine gewerkschaftliche
Funktionsbezeichnung zu ergänzen.“ (S. 249) Sogar ein „Gegenprodukt“
wurde vom DGB auf den Markt geworfen: „Um der Krefelder Initiative den
Wind aus den Segeln zu nehmen, beschloss der DGB im Juli 1981 außerdem
eine eigene Unterschriftensammlung für seinen Appell Frieden durch
Abrüstung durchzuführen.“ (S. 249) Als zweiten Punkt nennt Meyer in
diesem Zusammenhang die große Bonner Friedensdemo im Oktober 1981, bei
der der DGB-Vorstand es seiner Jugendorganisation untersagt habe, als
Mitveranstalterin aufzutreten. Dies habe zu heftigen
Auseinandersetzungen geführt, insgesamt hätten Gewerkschafter, wie Meyer
zustimmend Volkmar Deile zitiert, „damals schon ein bisschen das Gefühl
gehabt, sie könnten nicht mit dem Rückhalt der Gewerkschaften rechnen,
wenn sie in der Friedensbewegung aktiv sind“. (S. 251)
Als letzten Aspekt in diesem Zusammenhang greift das Buch schließlich
die Debatte um eine Generalstreikoption gegen die Nachrüstung auf, die
im Mai 1983 vom damaligen saarländischen SPD-Vorsitzenden Oskar
Lafontaine zwar nicht erfunden, aber prominent angestoßen worden war.
Einige Gewerkschaften, Meyer nennt etwa den Westberliner Landesverband
der HBV oder die IG DruPa-Landesverbände Hessen, Bayern und NRW sowie
die GEW NRW hätten sich für diese Position ausgesprochen, seien damit
bei der Führung aber gegen eine Wand gelaufen: „Einhellige Ablehnung kam
von der DGB-Spitze.“ (S. 252) Eine solche Option erschien ihr
offensichtlich als deutlich zu radikal, stattdessen beschloss der
DGB-Bundesvorstand am 5. Oktober 1983 zwischen 11.55 und 12.00 zu
„Fünf-Mahn-Minuten für den Frieden“ aufzurufen. Anstatt zur Bildung
breiter antimilitaristischer Proteste beizutragen, sei ganz typisch für
eine „Verlängerung der Mittagspause“ optiert worden, die niemandem außer
denen, die an effektiven Massenprotesten interessiert waren, wirklich
wehgetan hätte (S. 253).
Rüstungslobbyist IG Metall: Wie bereits angedeutet, widmet sich das Buch
in einem weiteren Kapitel auch der Lobbyarbeit der IG Metall, wo sich
bereits 1978 ein der direkt dem IG Metall Vorstand unterstellter
„Arbeitskreis Wehrtechnik und Arbeitsplätze“ (AWuA) gegründet hatte.
Dabei habe die IG Metall „Elemente einer Sprachregelung“ ausgearbeitet,
die einerseits „mittelfristige Arbeitssicherung“ mit einer
„langfristigen Konversionsperspektive zu verquicken suchte.“
Gleichzeitig sei so auch sichergestellt worden, „dass eine radikale
Opposition zur Rüstungsproduktion für den AWuA nicht infrage kam.“ (S.
216) Generell sei über den AWuA recht wenig bekannt, dem Gremium
gehörten „neben einigen Gewerkschaftssekretären rund zwanzig
Rüstungsbetriebsräte“ an, die sich ein- bis zweimal jährlich treffen
würden (S. 217).
Schon Mitte der 1980er habe dabei Chrisitan Wellmann zufolge, den Meyer
zustimmend zitiert, „das Streben nach Beschäftigungssicherung in
einzelnen Rüstungsbetrieben ‚auf übergeordneter Ebene zu einem aus
vielfältigen Quellen gespeisten Druck zur Erhöhung der
Rüstungsaufwendungen und zur Genehmigung von Rüstungsexporten‘“ geführt
(S. 220). Insofern ist es nachvollziehbar, dass der AWuA immer direkter
Lobbyarbeit für die Rüstungsindustrie macht. In jüngster Zeit hat es ihm
vor allem die „Konsolidierung“ der europäischen Rüstungsindustrie durch
Fusionen und Übernahmen angetan, aus denen vor allem die deutsche
Branche für den internationalen Rüstungsexportwettbewerb gestärkt
hervorgehen soll. Diese Forderung ist Kern der Emdener Erklärung von
2005 (Marine), der Ottobrunner Erklärung von 2006 (Luftfahrt) sowie der
Kasseler Erklärung desselben Jahres (Landsysteme) des AWuA (S. 219).
Diese Entwicklung sei aber innerhalb der IG Metall nicht ohne
Widerspruch hingenommen worden: Aus „Empörung über das Verhalten einiger
IG Metall Betriebsräte“ seien in den 1980ern Konversionsgruppen
entstanden, die sich eine „Umstellung der Rüstungsbetriebe auf
alternative Produktionen zum Ziel setzen.“ (S. 222) Bis 1985 hätten sich
15 solcher gewerkschaftlicher Arbeitskreise gebildet, das Ganze nahm
damit den „Charakter einer (wenn auch kleinen) Sozialbewegung an.“ (S.
223) Andererseits hatten die seitens der Gewerkschaft gebilligten
Maßnahmen auch durchaus ihre Grenzen: „Mittel des Arbeitskampfes wurden
zur Durchsetzung der alternativen Produktionspläne allerdings nicht in
Betracht gezogen.“ (S. 225)
Diese Beobachtung lässt sich für den gesamten Zeitraum verallgemeinern:
Obwohl es damals noch eine vergleichsweise starke Friedensbewegung
inner- wie außerhalb der Gewerkschaften gab, „reichte der Einfluss
antimilitaristischer Strömungen in den 1980ern nicht annähernd aus, um
die Gewerkschaften insgesamt oder auch nur Teile von ihnen zu einer
Infragestellung der Bundeswehr zu bewegen.“ (S. 256) Schlimmer noch:
Seither hätten antimilitaristische Positionen innerhalb der
Gewerkschaften noch einmal deutlich an Boden verloren. Dies lasse sich,
so Meyer, exemplarisch anhand der IG Metall zeigen, gelte aber für alle
Gewerkschaften. Er führt dies einmal darauf zurück, dass die
Konversionsbewegung innerhalb der Gewerkschaften in eine „tiefe Krise
geraten“ sei (S. 229). Zweitens sei in der „(gewerkschafts-)öffentlichen
Diskussion die Tendenz zu beobachten, die Grundsatzkritik an
Rüstungsproduktion zugunsten einer Kritik an Rüstungsexporten in den
Hintergrund zu drängen.“ (S. 230) Drittens habe sich die IG Metall die
Forderung nach „Diversifikation“ zu Eigen gemacht, die auf eine bloße
Ergänzung der Rüstungssparten um zivile Produktionszweige setze (S.
231). Und schließlich viertens und am grundsätzlichsten „ist sich die IG
Metall mit Staat und Rüstungsunternehmen im Ziel einig, den
Rüstungsstandort Deutschland und mit ihm die militärisch verwertbaren
Kernfähigkeiten langfristig zu sichern.“ (S. 232)
Demobilisierung des Antimilitarismus?
Meyers Kritik an den Gewerkschaften fällt ebenso fundiert wie scharf
aus: Auch wenn sie sich nicht unbedingt als Scharfmacher verdingt
hätten, hätten die Gewerkschaften (und immer noch sind bei dieser
Bezeichnung stets die Führungsfunktionäre gemeint) antimilitaristische
Positionen auch nie konsequent unterstützt.
Seine Hauptkritik geht aber noch deutlich hierüber hinaus, nämlich in
die Richtung einer bewussten Sabotage antimilitaristischen Widerstands:
„Die deutschen Gewerkschaften präsentieren sich zwar immer wieder als
Teil der Friedensbewegung, leisteten de facto aber stets einen wichtigen
Beitrag zu ihrer Demobilisierung, um die Mobilmachungsfähigkeit des
Staates nicht zu untergraben.“ (S. 285) Für Meyer ist es diese
„Qualität“, die die Gewerkschaften aus Sicht der Politik so attraktiv
gemacht hat, schließlich bestand ihre „politische Hauptaufgabe in der
Ausschaltung oder zumindest Schwächung antimilitaristischen Widerstands.
[…] Die Gewerkschaftsbürokratie ist demnach ‚unentbehrlich wenn die
Arbeiterklasse in Bewegung kommt, um wie eine Feuerwehr den Brand
möglichst schon im Keime zu ersticken. Sie hat dann die Aufgabe die
Bewegung in Kanäle zu leiten, die den Bestand der
bürgerlich-kapitalistischen Ordnung nicht gefährdet.“ (S. 297, Zitat der
Gruppe Arbeiterpolitik)
Seit 1914 sei zwar immer wieder ebenso „heftig wie prominent“ gestritten
worden, die Gewerkschaftsspitzen hätten aber jedesmal ebenso
„zuverlässig für die herrschende Ordnung […] Partei ergriffen.“ Aus
diesem Grund warnt Meyer vor „Illusionen über die antimilitaristische
Beeinflussbarkeit der Führungsapparate durch die Gewerkschaftslinke.“
(S. 293) Für Meyer trage die „Annahme, die Gewerkschaften seien ihrem
Wesen oder wenigstens ihrem Grundsatzprogramm nach trotzdem immer auch
Friedensbewegung […] immer stärker Züge von Wunschdenken.“ (S. 258)
Etwaige gegenteilige Bekenntnisse aus den Gewerkschaften hätten hier
wiederum eine spezielle Funktion: „So gesehen verleihen Maireden für
Frieden und Abrüstung dem Alltagsgeschäft von gewerkschaftlichem
Rüstungslobbyismus erst die moralischen Weihen, die zur Beruhigung
unvermeidlicher Debatten und Gewissenskonflikte notwendig sind.“ (S. 229)
Es ist an dieser Stelle, an der eine der wenigen Schwächen des Buches zu
Tage tritt: Denn man mag ja Meyers Kritik an den Führungsspitzen des
Apparates teilen – und tatsächlich gibt es hierfür ja reichlich gute
Gründe, die der Autor auch schlüssig benennt. Die Antwort aber, was
daraus folgt, bleibt der Autor – zumindest explizit – schuldig. Zwischen
den Zeilen lässt sich ein Plädoyer für eine gewerkschaftsunabhängige
radikal-antimilitaristische Bewegung erahnen. Doch so sympathisch diese
Vorstellung auch sein mag, aktuell geht sie ein wenig an den
Kräfteverhältnissen vorbei. Auch liefert Meyer selber Beispiele, die
seine These von der Unbeeinflussbarkeit der Gewerkschaftsspitzen
zumindest abschwächt; so benennt er etwa mehrere Situationen, in denen
sich die Chefetage aufgrund starken außer-, aber eben auch
innergewerkschaftlichen Drucks zu Positionsveränderungen gezwungen sah.
Dass dieser Druck niemals stark genug war, die Gewerkschaftsspitzen zu
einem grundlegenden Schwenk weg von ihrer staats- und militärtragenden
Grundposition zu drängen, kann als Ausdruck einer immerwährenden
Verkrustung interpretiert werden, ebenso plausibel aber handelt es sich
hier schlicht um einen Ausdruck der Machtverhältnisse.
Mit Blick auf die Frage, wie sich diese Machtverhältnisse ändern lassen
könnten, stellt der Autor selbst ja unablässig klar, dass „die
Gewerkschaften“ eben nicht nur aus Führungsfunktionären, sondern auch
aus Aktiven auf diversen anderen Ebenen bestehen, von denen viele
engagierte Antimilitaristen sind. Ohne diese innergewerkschaftlichen
Kräfte hätte die Friedensbewegung in entscheidenden Auseinandersetzungen
deutlich schlechter dagestanden. Auch hierfür liefert Meyer selbst
Belege, wenn er etwa schreibt, trotz aller Obstruktionsversuche seitens
der Führung hätten viele „gewerkschaftliche Untergliederungen“ mit etwa
2.000 gecharterten Reisebussen etwa ein Drittel zur Mobilisierung für
die Friedensdemo in Bonn beigetragen (S. 251).
Besonders aufgrund der aktuellen Schwäche der Friedensbewegung stellt
sich somit die Frage, ob sie es sich „leisten“ kann, auf
gewerkschaftliche Ressourcen zu verzichten. Fruchtbarer erscheint es dem
Rezensenten demgegenüber, mit den antimilitaristisch eingestellten
gewerkschaftlichen Akteuren eng zusammenzuarbeiten und die ihnen zur
Verfügung stehenden Ressourcen gewinnbringend zu nutzen, ohne – und hier
ist dem Autor natürlich wieder Recht zu geben – sich dabei Illusionen
über die Positionen der oberen Etagen zu machen.
Diskussionsbedarf
Die Darstellung des Verhältnisses zwischen Gewerkschaften und Militär
reicht auch bis in die jüngsten „Szenen einer Nähe“ hinein. Beschrieben
wird die stillschweigende Billigung, teils aktive Unterstützung, des
Umbaus der Bundeswehr zur Interventionsarmee und ihrer Einsätze: Eine
breite Opposition gegen Kriegseinsätze, die bis in gewerkschaftliche
Führungsspitzen reicht, sei dabei nur dann zu verzeichnen gewesen, wenn
auch die Bundesregierung sich gegen einen Einsatz positioniert habe
(Bsp. Irak). In der Debatte um den neuen deutschen
Militärinterventionismus hätten sich die Gewerkschaften in „aller Regel
nicht als Scharfmacher“, aber „eben auch nicht als oppositionelle
Kräfte“ hervorgetan, „antimilitaristische Proteste innerhalb der
Gewerkschaften“ seien „nicht existent“ gewesen. „Mehr noch:
Spitzenvertreter deutscher Gewerkschaften billigten den Kriegskurs.“ (S.
279)
Sich über diese Realität im Klaren zu werden ist das wertvollste
Verdienst dieses Buches, es versucht aber auch wenigstens am Rande die
Frage anzugehen, weshalb die Führungsspitze so eng mit Staat und
Militarismus verbandelt ist. Benannt werden hier etwa die
„sozialpartnerschaftlichen Beziehungen wichtiger DGB-Gewerkschaften zu
Rüstungsindustrie und Repressionsapparaten“, die einen „nicht zu
unterschätzenden Einfluss auf die Formulierung außen- und
sicherheitspolitischer Positionen“ ausüben würden (S. 277). „Das
ökonomische Interesse am Arbeitsplatzerhalt verband sich auf diese Weise
eng mit dem politischen Interesse an einem rüstungsindustriell gut
ausgestatteten Militär und sorgte für die Kooptation der Gewerkschaften
in den militärisch-industriellen Komplex, der ihrer Ansprechbarkeit für
antimilitaristische Kritik strukturelle Grenzen setzte.“ (S. 277)
Ob Meyer mit jeder seiner These seines insgesamt hervorragenden Buches
exakt den Nagel auf den Kopf trifft oder nicht – er wirft zentrale
Fragen auf, die es wert sind, intensiv diskutiert zu werden. Gerade
deshalb ist es dem Buch und dem Thema zu wünschen, dass vor allem Aktive
in den Gewerkschaften sich nicht angesichts der teils scharfen Kritik in
ihren organisatorischen Schützengräben verschanzen. Der Autor jedenfalls
steht für Diskussionen zur Verfügung: info at edition-assemblage.de
Malte Meyer: Lieber tot als rot. Gewerkschaften und Militär in
Deutschland seit 1914, 336 S., 19.80 EUR (November 2017)
Mehr Informationen über die Mailingliste IMI-List