[IMI-List] [0487] Broschüre: EU-Militarisierung / Analyse: Saudi Arabien
IMI-JW
imi at imi-online.de
Do Mai 4 16:48:14 CEST 2017
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0487 .......... 20. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jürgen Wagner / Christoph Marischka
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Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich
1.) der Hinweis auf eine eben erschienene Broschüre zur Militarisierung
der Europäischen Union;
2) eine IMI-Analyse über Saudi Arabien und den Besuch von Kanzlerin Merkel;
1.) Broschüre: „Kein Frieden mit der Europäischen Union“
Die IMI-Broschüre „Kein Frieden mit der Europäischen Union“ beschäftigt
sich sowohl mit der inneren wie auch äußeren Militarisierungsdynamik,
stellt aber auch die Frage nach linken Perspektiven angesichts der vor
allem seit dem Brexit und der Wahl Donald Trumps immer aggressiver
agierenden EU-Politik.
Die Broschüre (64S A4) kann zum Preis von 3,50 Euro (zzgl. Porto) bzw. 3
Euro (ab 10 Ex. zzgl. Porto) bestellt werden. Bestellungen bitte an
imi at imi-online.de
Wie immer kann die Broschüre auch gratis heruntergeladen werden:
http://www.imi-online.de/download/EU-Broschuere-Endversion-web.pdf
INHALTSVERZEICHNIS
I. EUROPA UND DIE NEUSORTIERUNG DER WELT
-- Nach Brexit & Trump: EUropas Neuer Weltmachtanlauf (Jürgen Wagner)
http://www.imi-online.de/download/EU-Broschuere-JW-Brexit.pdf
-- Wer sind die Kriegstreiber? Die US-Wahl und deutsche Begehrlichkeiten
(Erhard Crome)
http://www.imi-online.de/download/EU-Broschuere-EC-Trump.pdf
II. CHAOS IM „NACHBARSCHAFTSRAUM“
-- Der Krieg in Mali als Folge der Formierung EUropäischer Außenpolitik
(Christoph Marischka)
http://www.imi-online.de/download/EU-Broschuere-CM-Mali.pdf
-- Republik Moldau: Spielball zwischen Ost und West (Claudia Haydt)
http://www.imi-online.de/download/EU-Broschuere-CH-Mold.pdf
III. STRUKTUREN UND AKTEURE DES KRIEGES
-- Die politisch-rechtlichen Voraussetzungen der Militärmacht Europa
(Tobias Pflüger)
http://www.imi-online.de/download/EU-Broschuere-TP-Recht.pdf
-- Komponenten des EU-Militärapparates (Lühr Henken)
http://www.imi-online.de/download/EU-Broschuere-LH-Komponenten.pdf
-- Auf dem Weg zu einer EU-Rüstungsindustrie? Triebfedern und
Hindernisse (Andreas Seifert)
http://www.imi-online.de/download/EU-Broschuere-AS-MIK.pdf
-- Eine EU-Drohne für EUropas Kriege (Marius Pletsch)
http://www.imi-online.de/download/EU-Broschuere-MP-Drohne.pdf
-- Kreative Kriegsfinanzierung: Schattenhaushalte, Kriegskassen und
Verteidigungsfonds (Jürgen Wagner)
http://www.imi-online.de/download/EU-Broschuere-JW-Geld.pdf
IV. VERGRENZUNG UND INNERE MILITARISIERUNG
-- EUropas Migrationsabwehr Hoch Drei. Die fortschreitende
Militarisierung entlang Europas äußeren, vorverlagerten und inneren
Grenzen (Jacqueline Andres)
http://www.imi-online.de/download/EU-Broschuere-JA-Vergrenzung.pdf
-- Militarisierung der Polizei – Deutschlands Beitrag zu einem
europaweiten Trend (Martin Kirsch)
http://www.imi-online.de/download/EU-Broschuere-MK-Polizei.pdf
-- Die EU im Cyberspace. Zwischen Aufrüstungszwang und
Wirtschaftsförderung (Thomas Gruber)
http://www.imi-online.de/download/EU-Broschuere-TG-Cyber.pdf
-- Strategische Kommunikation – Die Aufrechterhaltung europäischer
Deutungshoheit (Christopher Schwitanski)
http://www.imi-online.de/download/EU-Broschuere-CS-StraKom.pdf
V. (K)EINE PERSPEKTIVE?
-- Ein Mosaik linker Europakonzeptionen? (Malte Lühmann)
http://www.imi-online.de/download/EU-Broschuere-ML-Mosaik.pdf
-- Europa, die EU und die Militarisierung der EU (Tobias Pflüger)
http://www.imi-online.de/download/EU-Broschuere-TP-EU-Mil.pdf
2.) IMI-Analyse: Deutschland und Saudi Arabien
IMI-Analyse 2017/12
Kriegsverbrechen Saudi Arabiens in Jemen
Die Bundesregierung macht sich mitverantwortlich
http://www.imi-online.de/2017/05/03/kriegsverbrechen-saudi-arabiens-in-jemen/
http://www.imi-online.de/download/IMI-Analyse2017-12-Saudi-web.pdf
Jacqueline Andres (3. Mai 2017)
Bundeskanzlerin Merkel besuchte am 30. April 2017 das Königreich Saudi
Arabien, das eine Militärkoalition im Krieg um die Vorherrschaft in
Jemen anführt und dabei von den USA, Großbritannien, Frankreich und
indirekt auch Deutschland unterstützt wird. Auf der Website der
Tagesschau wird die drohende humanitäre Katastrophe in Jemen eher
beiläufig erwähnt, während sie freudig über den Profit verheißenden Plan
„Vision 2030“ berichtet, der das Königreich modernisieren und
wirtschaftlich weiter öffnen soll. Gleichzeitig veröffentlicht die
Tagesschau einen Fortschritt versprechenden Artikel zur King Abdullah
Economic City – der „fortschrittlichen Wüstenstadt vom Reißbrett“, als
Sinnbild für die Entwicklung in Saudi Arabien. Ein dritter Artikel zu
Saudi Arabien widmet sich allein der Frage, ob Kanzlerin Merkel nun ein
Kopftuch auf ihrem Staatsbesuch tragen müsse. Die Auseinandersetzung mit
dieser banalen Frage lenkt von der tatsächlich wichtigen Konsequenz des
Besuchs ab: Die Bundeskanzlerin erklärt das für
Menschenrechtsverletzungen berüchtigte Saudi Arabien zum Partner im
Kampf gegen den Terror – wodurch der Staat auf der politischen Weltbühne
aufgewertet wird – und vereinbart eine Ausweitung der militärischen,
polizeilichen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Staat, der für
offensichtliche Kriegsverbrechen in Jemen und vermutlich Terror in
Syrien verantwortlich ist. Dafür soll die Bundeswehr künftig saudische
Militärangehörige in Deutschland ausbilden und das
Bundesinnenministerium soll verstärkt Grenzschützer_innen und
Polizist_innen schulen.[1] Obwohl die Bundesregierung sich damit erneut
an der humanitären Katastrophe im Jemen mitverantwortlich macht,
veröffentliche die Tagesschau am ersten Mai 2017, einen Tag nach dem
Staatsbesuch, zusätzlich den ausführlichen Kommentar von Carsten
Kühntopp „Saudi Arabien – viel besser als sein Ruf“, in dem er nochmal
erklärt, weshalb die Reise der Kanzlerin richtig gewesen sei.
Die drohende Hungerkatastrophe
Der Krieg in Jemen hat nach UN-Angaben mehr als 10.000 Zivilist_innen
das Leben gekostet, mehr als 40.000 verletzt und mehr als 3.3 Millionen
vertrieben. Mehr als 18 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe
angewiesen und mittlerweile sind mit 7 Millionen Menschen ein Viertel
der Bevölkerung vom Hungertod bedroht. Das Königreich Saudi Arabien ist
verantwortlich für die drohende menschengemachte Hungerkatastrophe.
Einerseits bombardierte die von Saudi Arabien geführte Militärkoalition
nicht nur wiederholt Hochzeiten, Trauerfeiern und Krankenhäuser, sondern
zerstörte laut Human Rights Watch durch Luftschläge allein im Zeitraum
von März 2015 bis Februar 2016 mindestens dreizehn zivile
Wirtschaftsstrukturen, zu denen u.a. zahlreiche Fabriken, Warenhäuser,
ein Landwirtschaftsbetrieb sowie zwei Elektrizitätswerke gehören. Damit
wurden nicht nur für die medizinische Versorgung und die
Nahrungsmittelproduktion wichtige Einrichtungen zerstört, sondern auch
der Lebensunterhalt von 2.500 Arbeiter_innen und ihrer Familien.[2]
Jemen stellte bereits vor dem Krieg das ärmste der arabischen Länder dar
und importierte vor dem Krieg 90% seiner Grundnahrungsmittel. Die
absichtliche Zerstörung dieser bereits zu Beginn des Krieges knappen
Lebensmittelindustrie ist ein Kriegsverbrechen. Abgesehen davon
erschwert die See- und Landblockade Saudi Arabiens die Lieferung von
dringend benötigten Wirtschafts- und Hilfsgütern nach Jemen. So
berichtet der Direktor der Organisation Save the Children in Jemen,
Grant Pritchard, von mehrfachen Hinderungen der saudischen Regierungen,
Hilfsgüter für mehr als 400.000 Menschen in den Häfen ausladen zu
lassen. Nach seiner Einschätzung nutze die von Saudi Arabien geleitete
Militärkoalition die Versorgung mit Hilfs- und Wirtschaftsgütern als
Kriegswaffe.[3] Seit dem Jahr 2015 warnen verschiedene NGOs, die von
Saudi Arabien auferlegte See-, Land- und Luftblockade würde langfristig
zu einer Hungersnot führen. Zudem beschädigte u.a. die bisherige
Bombardierung im Rahmen der Operation Golden Spear mehrere Bereiche des
Hafens der von Houthi-Kräften kontrollierten Stadt Hudeida, welche nun
für die Lieferung von Hilfsgütern unbenutzbar sind. Obwohl die
humanitäre Situation in Jemen desaströs ist, werden den Menschen in
Jemen die Fluchtmöglichkeiten zunehmend verbaut. Das Nachbarland Oman
hat einen Grenzzaun errichtet, Saudi Arabien ebenfalls und laut
Deutschlandfunk sicherte die Bundeskanzlerin dem Königreich während
ihres Staatsbesuchs zudem Unterstützung beim Schutz der Grenze zum Jemen
zu.[4] Damit hilft die Bundeskanzlerin Saudi Arabien nicht nur,
vermeintlichen Terrorist_innen den Grenzübertritt zu erschweren, sondern
auch Flüchtlingen. Bereits seit 2009 betreibt die Bundespolizei zur
Koordinierung der Grenzschutzmaßnahmen ein Projektbüro in der Hauptstadt
Riad, in dem fünf Polizeivollzugsbeamte eingesetzt sind. Es bleibt
Flüchtlingen die Überfahrt in einem hochmilitarisierten Seegebiet nach
Djibouti oder in den Sudan. Doch wie gefährlich diese Überfahrt sein
kann, zeigte sich erst im März 2017, als ein Flüchtlingsboot nach
Augenzeugenberichten von einem Apache-Kampfhubschrauber angegriffen
wurde und mindestens 42 Menschen starben.[5]
Partner im Kampf gegen den Terror?
Vergessen scheinen die im Jahr 2016 von Wikileaks veröffentlichten
E-Mails von Hillary Clinton, aus denen hervorgeht, dass die US-Regierung
sich dessen bewusst war, was lange vermutet wurde: Saudi Arabien und
Katar bewaffneten den ISIS.[6] Auch in Jemen weiten sich der IS und AQAP
(Al Qaida in the Arab Peninsula) nicht zuletzt auf Grund der
kontinuierlichen Luftschläge unter Führung Saudi Arabiens aus. Durch die
Aufrüstung von Milizen in Jemen sei laut dem Journalisten Nafeez Ahmed
nicht auszuschließen, dass diese Waffen an den IS und Al Qaida gerieten,
welche ebenfalls gegen die Houthis kämpfen. Spätestens im Juni 2015
wurde eine Zusammenarbeit zwischen Saudi Arabien und Al Qaida sichtbar,
nachdem der von Saudi Arabien gestützte Präsident Hadi den bekannten
Anwerber und Finanzier der AQAP, Abdulwahab Hamayqani, zu den
UN-Gesprächen in Genf sandte.[7] Offensichtlich besteht kein politischer
Wille – weder in Saudi Arabien, noch in der Bundesregierung –, die
Ursachen des Terrorismus zu bekämpfen. Ihre politischen und
militärischen Entscheidungen wirken schlichtweg als Brandbeschleuniger
in der Region.
Keine Rüstungsgüter dieses Mal?
In einem Interview mit dem Spiegel betonte der saudische
Vize-Wirtschaftsminister Mohammed el Tawaijri bezüglich der Frage nach
Rüstungsexporten aus Deutschland: „Wir akzeptieren die deutsche
Zurückhaltung, was Exporte nach Saudi-Arabien angeht, wir kennen die
politischen Hintergründe. Wir werden also bei Waffen-Deals nicht
starrsinnig sein, wir werden nicht gegen die deutschen Vorbehalte
anrennen. Kurz gesagt, wir werden der deutschen Regierung keine Probleme
mehr bereiten mit immer neuen Wünschen nach Waffen.“[8] Dies bedeutet
jedoch nicht, dass Deutschland keine Rüstungsgüter mehr an das
Königreich liefert. Zunächst werden wie geplant die 48 Patrouillenboote
der Lürssen Werft exportiert, die eventuell auch bei der Seeblockade
gegen Jemen eingesetzt werden könnten. Abgesehen davon hieße es in
Regierungskreisen laut der Zeitung Die Zeit: „Es gibt kein Moratorium,
keine Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien zu liefern.“[9] Innerhalb der
letzten Jahre wurden zwar wiederholt die Entscheidung über
Exportlizenzen, wie für die Schlüsselkomponenten der von Heckler & Koch
gekauften G36-Sturmgewehr-Fabrik in Saudi Arabien über Jahre verschoben
oder im Fall der 200 angefragten Leopard-Panzer der Firma Rheinmetall
wurde im Jahr 2014 explizit keine Ausfuhrgenehmigung erteilt. Doch trotz
des im Februar 2016 vom EU-Parlament geforderten Waffenembargos gegen
Saudi Arabien, exportiert die BRD eifrig weiter Kriegsgeräte. Allein
innerhalb der Kriegsjahre 2015 und 2016 stellte die Bundesregierung
Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgeräte inklusive Kriegswaffen in Höhe
von 621 Millionen € an Saudi Arabien aus – und in Höhe von 230 Millionen
€ an die VAE und von 1.7 Milliarden € an Katar; beide Staaten beteiligen
sich an der unter Saudi Arabien geführten Militärkoalition.[10] In
mehreren Fällen handelt es sich dabei um Zulieferungen von
Teilkomponenten im Rahmen von Rüstungskooperationen mit EU-Staaten wie
Frankreich oder Spanien, wo diese in die Endprodukte integriert werden.
So durfte die württembergische Firma Junghans Microtec 41.644 sogenannte
Artilleriemultifunktionszünder an Frankreich liefern, die dort in
Artillerieendprodukte eingebaut und von dort aus mit französischer
Ausfuhrgenehmigung nach Saudi Arabien exportiert wurden.[11] Mit dem
Hinweis darauf, „bei den Gemeinschaftsprogrammen habe Deutschland seit
vielen Jahren Verpflichtungen aus internationalen
Regierungsvereinbarungen“,[12] versucht sich die Bundesregierung elegant
der Verantwortung zu entziehen.
Der Vize-Wirtschaftaminister el Tarajri wies in dem besagten Interview
zudem darauf hin, dass Saudi Arabien bald keine Waffen mehr aus der BRD
bräuchte: „Wir versuchen, hier eine eigene Rüstungsindustrie aufzubauen,
natürlich mit dem Know-how ausländischer Firmen. Daran kann sich jeder
beteiligen, auch Deutschland, aber wir werden niemanden zwingen.“[13]
Deutschland beteiligt sich bereits an diesem Transfer von
Waffen-Know-How. Abgesehen von der G36-Fabrik errichtete Saudi Arabien
erst 2016 gemeinsam mit dem südafrikanischen Unternehmen Rheinmetall
Denel Munition, welches zu 51% dem Düsseldorfer Konzern Rheinmetall
gehört, eine Munitionsfabrik im Wert von 240 Millionen US$. Dort können
seither täglich bis zu 300 Artilleriegranaten oder 600 Mörsergranaten
hergestellt werden – ohne in die deutsche Rüstungsexportstatistik
einzufließen.[14]
Hinter der Aussage el Taraijris, Saudi Arabien wolle der Bundesregierung
„keine Probleme mehr bereiten mit immer neuen Wünschen nach Waffen“,
steckt wohl vielmehr das Kalkül, Wirtschaftsdeals mit der BRD zu
vereinfachen. Dies verwundert nicht, denn milliardenschwere Aufträge
warten in Saudi Arabien auf die deutsche Industrie, so erklärte el
Taraijri: „Wir wollen Deutschland zu einem unserer wichtigsten
Wirtschaftspartner überhaupt machen. In den letzten Jahren wurde eine
große Analyse unserer möglichen Partner für die Zukunft durchgeführt.
Sieben Länder wurden als zentrale Partner identifiziert, Deutschland ist
eines dieser Länder.“[15]
Profiteure des Desasters
Begleitet wurde die Bundeskanzlerin auf ihrer Reise nach Saudi Arabien
von einer Wirtschaftsdelegation bestehend aus den Vorstandschefs von
Bilfinger, Siemens, Herrenknecht, der Deutschen Bahn und Lufthansa. Die
württembergische Firma Herrenknecht erhielt bereits millionenschwere
Aufträge bei der Ausweitung des Suezkanals von der Militärdiktatur in
Ägypten und Siemens konnte dort den Auftrag seiner Konzerngeschichte in
Höhe von 8 Milliarden € sichern. Für den Vertragsabschluss wurde dem
Präsidenten Abdel Fattah al Sisi der rote Teppich in Berlin ausgerollt,
obwohl die Liste von Menschenrechtsverletzungen des Diktators zusehends
anwächst. Nun erwartet Siemens in Saudi Arabien neue Aufträge. Das
Unternehmen scheint gute Aussichten zu haben, sich im September 2017
einen 1.6 Milliarden US$ schweren Auftrag für ein Projekt einer 450km
langen Elektrizitätsübertragunsverbindung zwischen Ägypten und Saudi
Arabien an Land zu ziehen.[16] Auch Bilfinger, SAP, Lufthansa und die
Deutsche Bahn hoffen darauf, ein großes Stück vom Modernisierungs- und
Öffnungsplan „Vision 2030“ sicherstellen zu können. Mehr als eine
Billionen Euro will das saudische Königreich in den kommenden Jahren für
Digitalisierungs- und weitere Modernisierungsprozesse ihrer Wirtschaft
und Infrastruktur ausgeben. Die Deutsche Bahn soll bis März 2018 die
„Haramain High Speed Railway“ zwischen den als heilig geltenden
saudischen Städten Mekka und Medina bauen. Die Deutsche Bahn wird das 9
Milliarden € teure Projekt leiten und weitere deutsche Unternehmen, wie
Siemens, werden als Zulieferer fungieren.[17]
Friedensprozess durch die UN?
Bundeskanzlerin Merkel sagte während ihres Staatsbesuchs, eine
militärische Lösung des Konflikts in Jemen sei nicht möglich – sie
setzte hingegen „auf den UN-geführten Prozess einer diplomatischen
Lösung“.[18] Dies klingt zunächst logisch, doch die bisherigen
Friedensverhandlungen der UN sind nicht gut gelaufen. Einer der Gründe
dafür ist vermutlich die sowohl militärische als auch politische
Rückendeckung, die Saudi Arabien von wichtigen Akteuren wie den USA,
Großbritannien und Frankreich im Krieg in Jemen erhält. Solange Saudi
Arabien sich trotz seiner wiederholten Kriegsverbrechen in Jemen dieser
stabilen Unterstützung bewusst ist, wird das Königreich sich nicht zu
einer Kompromissbereitschaft gezwungen sehen – doch eben diese ist für
eine erfolgreiche Friedensverhandlung erforderlich. So setzte Saudi
Arabien für die UN-Friedensgespräche in Genf am 15. Juni 2015 einen
Rückzug der Houthis aus allen von ihnen unter Kontrolle gebrachten
Gebieten voraus – dies ist die Forderung einer Kapitulation und keine
simple Gesprächsbedingung. In der Resolution 2216 (2015) des
‚UN-Sicherheitsrats ist diese Forderung neben der geforderten
Entwaffnung der Houthis seither festgeschrieben. Ein Waffenembargo gegen
Saudi Arabien wird in der Resolution nicht verlangt. Zudem betonte der
UN-Sonderbeauftragte für den Jemen, Ismail Ould Cheikh Ahmed wiederholt,
dass jeder Friedensvorschlag die „Legitimität“ von Hadi anerkennen
muss.[19] Doch insgesamt erkennen nicht nur die Houthis und der
ehemalige Präsident Saleh, dem sich weite Teile der jemenitischen Armee
und Verwaltungsstruktur anschlossen, den offiziellen Präsidenten Hadi
nicht an, sondern auch Teile des Southern Movement, die sich zunehmend
für die Unabhängigkeit des Südjemens stark machen, lehnen ihn ab. Der
von Saudi Arabien gestützte Hadi kann kein Schlüssel zu einer Lösung sein.
Inmitten des Krieges in Jemen – im Dezember 2016 – wurde das Königreich
von der UN-Vollversammlung wiederholt für drei Jahre in den
UN-Menschenrechtsrat gewählt, obwohl zahlreiche Kriegsverbrechen auf
Saudi Arabien lasten und die Liste der Menschenrechtsverletzungen im
Königreich selbst lang ist. Die Niederlande versuchten eine unabhängige
Untersuchung der Verbrechen in Jemen vom UN-Menschenrechtsrat anfordern
zu lassen, doch ihnen fehlte die Unterstützung anderer Mitgliedsstaaten,
wie zum Beispiel Großbritannien. Schlussendlich rief der
Menschenrechtsrat zu einer Untersuchung der staatlichen und von Hadi
erst im Jahr 2015 geschaffenen Yemeni National Commission of Inquiry
auf.[20] Dies zeigt auch, dass nur wenige Staaten ein echtes Interesse
an einer Kritik aller involvierten Kriegsparteien haben, denn der Krieg
in Jemen setzt auch ihre eigenen geostrategischen und wirtschaftlichen
Interessen aufs Spiel.
Fest steht: Zur Sicherung der eigenen wirtschaftlichen und
geostrategischen Interessen wertet die Bundesregierung den für
Kriegsverbrechen in Jemen verantwortlichen Staat Saudi Arabien auf und
beteiligt sich weiterhin am Desaster auf der Arabischen Halbinsel.
Sollte die Bundesregierung ein Interesse an einer erfolgreichen
Friedensverhandlung im Jemen haben, so würde sie die militärische
Zusammenarbeit mit Saudi Arabien nicht ausweiten, die ausstehenden
Rüstungslieferungen stoppen und das Königreich dazu drängen, die See-,
Luft-und Landblockade unverzüglich aufzuheben und UN-Untersuchungen zu
den von beiden Seiden begangenen Kriegsverbrechen zuzulassen. Der Besuch
von Bundeskanzlerin Merkel nimmt die BRD mehr denn je in
Mitverantwortung für das humanitäre Desaster in Jemen, das jetzt noch
gestoppt werden kann und gestoppt werden muss.
Anmerkungen
[1] Tagesschau: Merkel in Dschidda Bundeswehr schult saudische Soldaten,
tagesschau.de, 30.04.2017
[2] Human Rights Watch: Bombing Businesses. Saudi Coalition Airstrikes
on Yemen’s Civilian Economic Structures, hrw.org, 10.07.2016
[3] Samuel Osborne: Saudi Arabia delaying aid to Yemen is ‚killing
children‘, warns Save the Children, independent.co.uk, 01.03.2017
[4] Deutschlandfunk: Merkel in Saudi-Arabien, „Große Defizite bei den
Menschenrechten“, deutschlandfunk.de, 30.04.2017
[5] Zeit: Kampfhubschrauber soll Flüchtlingsboot attackiert haben,
zeit.de, 17.03.2017
[6] Wikileaks: Congrats!, E-Mail von John Podesta an Hillary Clinton,
wikileaks.org, 27.09.2014
[7] Jacqueline Andres: Operation Restoring Hope im Jemen. Die
geostrategischen und machtpolitischen Interessen Saudi Arabiens,
IMI-Analyse 2016/09, imi-online.de, 15.03.2016
[8] Matthias Gebauer: Saudischer Vizewirtschaftsminister „Merkel ist ein
Vorbild für alle saudischen Frauen“, spiegel.de, 30.04.2017
[9] Zeit: Saudi Arabien will keine deutschen Waffen mehr kaufen,
zeit.de, 30.04.2017
[10] Drucksache 18/11516, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine
Anfrage der Abgeordneten Jan van Aken, Christine Buchholz, Annette
Groth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Rüstungsexporte
nach Saudi-Arabien 2015 und 2016, dipbt.bundestag.de, 14.03.2017
[11] Gerald Traufetter: Deutsche Artilleriezünder für Saudi-Arabien,
spiegel.de, 01.12.2016
[12] Gerhard Hegmann: Über Umwege kommt Saudi-Arabien weiter an deutsche
Waffen, welt.de, 01.05.2017
[13] Gebauer, 30.04.2017
[14] Hegmann, 01.05.2017
[15] Gebauer, 30.04.2017
[16] Trade Arabia: Top firms eye $1.6bn Saudi-Egypt power project,
tradearabia.com, 24.04.2017
[17] Dieter Fockenbrock: Deutsche Bahn’s Desert Rose,
global.handelsblatt.com, 02.05.2017
[18] Tagesschau, 30.04.2017
[19] Zakaria al-Kamaali: UN Yemen envoy heads to Aden bearing new peace
plan, aa.com.tr, 16.01.2017
[20] Stephanie Nebehay: Activists cry foul as U.N. decides against Yemen
rights probe, reuters.com, 29.09.2016
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