[IMI-List] [0472] KSK-Artikel / Ausdruck Oktober 2016
IMI-JW
imi at imi-online.de
Mo Okt 17 14:19:56 CEST 2016
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0472 .......... 19. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Thomas Mickan/ Jürgen Wagner / Christoph Marischka
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Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich
1.) Die Oktober-Ausgabe des IMI-Magazins Ausdruck;
2.) Eine neue IMI-Analyse zum Kommando Spezialkräfte.
1.) AUSDRUCK (Oktober 2016)
Wie immer kann auch die aktuelle Ausgabe des IMI-Magazins Ausdruck
kostenlos heruntergeladen werden:
http://www.imi-online.de/download/Ausdruck-Oktober2016-web.pdf
INHALTSVERZEICHNIS
US-KRIEGSPOLITIK
-- Die Hochzeit der Kriegstreiber: Hillary Clinton und der
überparteiliche Plan zur Ausweitung der Amerikanischen Macht (Keegan Farley)
http://www.imi-online.de/download/KF-Clinton-AusdruckOktober2016.pdf
EU-MILITARISIERUNG
-- Bratislava-Agenda: EU-Rüstungsschub nach dem Brexit (Jürgen Wagner)
http://www.imi-online.de/download/JW-EU-Bratislava-AusdruckOktober2016.pdf
DEUTSCHLAND UND DIE BUNDESWEHR
-- Bundeswehr in den Straßen? (Martin Kirsch)
http://www.imi-online.de/download/MK-BW-Innen-AusdruckOktober2016.pdf
-- Unkontrollierte Gewalt. Die unerträgliche Demokratiefeindschaft des
Kommando Spezialkräfte (Thomas Mickan)
http://www.imi-online.de/download/TM-KSK-Ausdruck-Oktober2016.pdf
-- „Mit Mozart gegen Kampfdrohnen“. Lebenslaute-Konzert vor dem AFRICOM
(Paul Russmann)
http://www.imi-online.de/download/PR-Lebenslaute-Ausdruck-Oktober2016.pdf
-- Rüstungshaushalt. Bald 40 Milliarden für das Militär (Claudia Haydt)
http://www.imi-online.de/download/CH-Ruestungshaushalt-Ausdruck-Oktober2016.pdf
ÄGYPTEN
-- Ägyptens Diktatur: Deutschlands Partner im Kampf gegen Terrorismus
und Migration (Jacqueline Andres)
http://www.imi-online.de/download/JA-Aegypten-Ausdruck-Oktober2016.pdf
NEUE KRIEGSFÜHRUNG
-- Strategien im Cyberkrieg. Verschiedene Perspektiven auf das fünfte
Schlachtfeld (Thomas Gruber)
http://www.imi-online.de/download/TG-Cyberkrieg-Ausdruck-Oktober2016.pdf
2.) IMI-Analyse zum KSK
IMI-Analyse 2016/36 - in: AUSDRUCK (Oktober 2016)
Unkontrollierte Gewalt
Die unerträgliche Demokratiefeindschaft des Kommando Spezialkräfte
http://www.imi-online.de/2016/10/17/unkontrollierte-gewalt/
http://www.imi-online.de/download/TM-KSK-Ausdruck-Oktober2016.pdf
Thomas Mickan (17. Oktober 2016)
Mit verdeckten Gesichtern werden sie losgelassen, um tabula rasa zu
machen. Sie gehen bis zum Ende, töten, verletzen und fühlen sich dabei
noch als selbstlose Kämpfer für Freiheit, Demokratie und das deutsche
Grundgesetz.[1] Dessen Boden haben sie jedoch mit jedem ihrer Einsätze
hinter sich gelassen: die Rede ist vom Kommando Spezialkräfte (KSK) der
Bundeswehr.
1996 gegründet, sollte es zuvorderst eingesetzt werden, um deutsche
Geiseln aus Kriegsgebieten zu befreien. Es galt die deutsche Flagge in
den Boden der internationalen Spezialkräfte zu stecken, um für den Fall,
dass Deutsche befreit werden müssen, nicht auf ausländische
Spezialkräfte angewiesen zu sein. Wie viele Menschen jedoch mit Hilfe
des KSK tatsächlich befreit wurden und nicht etwa durch
Lösegeldzahlungen oder Verhandlungen ist unbekannt. Ob dafür die
Millionen für das KSK tatsächlich sinnvoll waren, und nicht lieber das
gleiche Geld in gute Diplomat_innen und Lösegelder investiert worden
wäre, bleibt also ein Geheimnis. Erst 2015 zeigte das Beispiel einer
entführten Entwicklungshelferin in Afghanistan, dass trotz großen
Aufgebots vom KSK und dem Hackerkommando der Bundeswehr, die gleich
Teile des ganzen afghanischen Mobilfunknetzes angriff, zum Schluss die
Rettung der Person über eine Lösegeldzahlung erfolgte – vermutlich mit
einem Bruchteil dessen, was der ganze Einsatz des Militärs gekostet hat.[2]
Wenn der Staat die Kontrolle scheut, muss er es geheim halten
Militär ohne Geheimhaltung ist unvorstellbar. Jedes Militär, auch die
Bundeswehr, ist auf diese angewiesen. Militär konstituiert sich immer
mit Blick auf abzuwehrende feindliche Gruppen oder Bedrohungen. Diese
gilt es – des eigenen Vorteils oder Schutzes wegen – möglichst
uninformiert zu lassen. Auch gibt es für das Militär und dessen
politisch Verantwortliche einen Binnenanreiz zur Geheimhaltung gegenüber
der eigenen Bevölkerung, da die hohen finanziellen Aufwendungen und
menschlichen Verluste gerade in einer Demokratie gleichzeitig hohe
politische Kosten bedeuten.
Geheimhaltung und Demokratie, ideal verstanden als freie und gleiche
Möglichkeit der Willensbildung, -artikulation und -durchsetzung, stehen
damit jedoch in einem Spannungsverhältnis. Das Primat von informierten
Bürger_innen wird erheblich verletzt. Auch die an Abgeordnete delegierte
Kontrolle des Militärs ist einerseits kaum effektiv, andererseits nicht
sachangemessen bei Fragen mit erheblicher ethischer Tragweite wie Krieg
und Frieden, die neben politischen Expert_innengremien ein
gesamtgesellschaftliches Meinungsbild für ihre Legitimation in einer
Demokratie benötigen. Es stellt sich so das Problem, dass die
Geheimhaltung die Bürger_innen daran hindert, sich angemessen zu
informieren und zu urteilen. Auch eine umfassende Information der
Öffentlichkeit durch die Medien ist gerade im Bereich der militärischen
Angelegenheiten durch die Geheimhaltung stark eingeschränkt.[3]
Stellt sich dieses Problem für das Militär im Allgemeinen, so ist dies
für das KSK im Speziellen ebenso ein Problem, verschärft sich allerdings
durch die spezifische Tätigkeit und die Ideologie des Vorborgenen.
Tätigkeitsfeld: Unkontrollierte Gewalt
„Wie viele Menschen hat die Bundeswehr in Afghanistan getötet?“, diese
Frage stellte ich mir vor einiger Zeit.[4] Diese Frage ist relevant,
weil sie beim deutschen Einsatz in Afghanistan hilft, dessen Folgen
möglichst realistisch einzuschätzen und aufzuarbeiten. Bei den 288
Tötungsfällen, die ich ermitteln konnte, weil sie medial aufgegriffen
wurden, zeigte sich, dass diese Zahl nur das konservative Minimum und
kaum mehr als ein erster Anfang zur Beantwortung meiner Frage sein kann.
Ferner verdeutlicht die Zahl eben nur sehr abstrakt, welche
Kriegsverantwortung Deutschland trägt, bleiben doch die individuellen
Schicksale und die ganzer betroffener Familien wahrscheinlich lange noch
unbekannt. Was allerdings in meinem ersten Versuch einer Erhebung bis
auf einen einzigen Fall fast völlig unberücksichtigt blieb, war das
Ausmaß der Tötung durch das KSK. Sie werden schlichtweg geheim gehalten
und vor der Öffentlichkeit verborgen.
Für eine Parlamentsarmee, wo gerade die Legislative durch das
Parlamentsbeteiligungsgesetz und eine parlamentarische Kontrolle
wenigsten den dünnen Schein von Legitimität und Legalität gewähren soll,
ist die Praxis des KSK gerade in Fragen von Tötungen untragbar. Sie
entbehrt sich jeglicher rechtlichen Grundlagen und damit irgendeiner
Legitimität. Auch das Argument einer vermeintlichen Notwendigkeit zur
Geheimhaltung greift hier nicht mehr, da auch nachträglich weder über
die eigenen Verluste, die Tötung Anderer noch über die Einsatzländer
öffentlich berichtet wird. Die Gefahr, dass mögliche Strategien des KSK
entlarvt werden, bestünde zumindest in dieser rudimentären Form nicht.
Aber Aufrichtigkeit und Demokratie zählen für die Männer in Uniform
anscheinend nicht, der Boden des Grundgesetzes ist bei den KSK-Tötungen
noch nicht einmal mehr zu sehen. Wo allerdings nicht mehr die Aussicht
auf eine Strafverfolgung bei besonders exzessivem Einsatz von Gewalt
oder möglichen Kriegsverbrechen besteht – auch wenn bisher noch keine
Bundeswehrsoldat_in dafür verurteilt wurden – sinkt die Tötungsschwelle.
Die im Strafrecht vorzufindende Idee von Abschreckung, verliert sich
hier vollends, weil keine sinnvolle Ermittlung oder Verfolgung aufgrund
der Geheimhaltung möglich ist.
Selbst die von CDU/CSU und SPD im Jahr 2014 eingesetzte Rühe-Kommission,
welche die parlamentarischen Grundlagen von Bundeswehreinsätzen
begutachten sollte und mitnichten ein friedenspolitisches
Expert_innengremium war, kommt zum Schluss, „die bisherige
Unterrichtungspraxis zu geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen der
Spezialkräfte in das Parlamentsbeteiligungsgesetz zu übernehmen.
Ergänzend sollen zum anderen der Auswärtige Ausschuss und der
Verteidigungsausschuss des Bundestages nach Abschluss des Einsatzes über
die wesentlichen Ziele und Ergebnisse mündlich unterrichtet werden.“[5]
Die Forderung eines „mündlichen“ Berichtes ist völlig unzureichend und
die lange Aufzählung von Ausnahmen, die nach wie vor nicht berichtet
werden sollen, verspricht nur wenig Besserung – dennoch zeigt selbst
dieser konservative Bericht den eklatanten Mangel an Kontrolle auf. Ein
unzureichender Vorschlag zudem, der selbst nach einem Jahr noch nicht
einmal in dieser Form umgesetzt wurde.
Ideologie des Verborgenen
Als das KSK am 13. September 2016 seinen Geburtstag im Schloss
Ludwigsburg feierte, folgten mehrere Zeitungen der Nachricht, dass
dieser Geburtstag mit über 1.000 Beteiligten(!) selbst eine geheime
Veranstaltung sei.[6] Dass vorab auf eine breite Berichterstattung
verzichtet wurde, hatte wohl eher mit dem Angst vor Protesten und der
Pflege des Geheim-Images zu tun. Von der zum Geburtstag eingeladenen
Presse darauf angesprochen, wie der Kommandeur Dag Baehr die bisherige
Geheimhaltungspraxis fände, entgegnete er, es gebe keinen Grund, die
derzeitige Praxis aufzugeben, allerdings dürfe nach Baehr Geheimhaltung
auch nicht zum Evangelium werden.[7] Baehr möchte viel mehr das KSK
sogar zu einem „Battle-Lab“[8] umrüsten – einem Kriegslabor, indem bei
Übungen, aber auch im Einsatzgefecht, neue Waffen erprobt werden, um sie
später in der ganzen Bundeswehr zu nutzen. Wer dabei die eigentlichen
Versuchsopfer sind, lässt er offen. 2015 hatte der „Generalinspekteur
der Bundeswehr General Volker Wieker, […] eine heer-interne Untersuchung
in Auftrag gegeben, wie man dem KSK mehr Autarkie innerhalb der
Befehlsketten verschaffen könne.“[9] Dass dies zu noch mehr
Geheimhaltung im Kriegslabor KSK führen wird, ist anzunehmen, auch wenn
Ergebnisse der Untersuchung nicht öffentlich bekannt sind.
Entgegen der Vorstellung, das KSK würde von Geheimhaltung ummantelt, ist
das KSK medial, aber auch in der PR-Strategie der Bundeswehr, weit
verbreitet. Oft die einzige Information, die dabei zum KSK kolportiert
wird, ist, dass es sich um geheime Elitekämpfer handelt, die ein solch
hartes Einstellungsverfahren durchlaufen müssen, dass es nur wenige zu
den rund 400 Kommandosoldaten (bisher keine einzige Frau) schaffen. Beim
Tag der Bundeswehr, etwa 2016 beim Luftwaffenstützpunkt in Hohn, fernab
vom Standort Calw, wurde eine Show inszeniert, die die Ideologie des
Verborgenen in Reinkultur verbreitete: Aus einem Hubschrauber seilten
sich die Soldaten vermummt ab, befreiten mit viel Feuerwerk eine Geisel
und entfernten sich lautlos vor den Augen von Hunderten wieder.[10]
Auch bei Rekrutierungsveranstaltungen wie „Marine Live!“[11] ist das KSK
immer wieder Referenzrahmen, um das Besondere, das Geheime, die Elite
herauszuheben, um potenzielle Rekrut_innen mit dem Traum von
gesellschaftlichem Aufstieg und dem Dazugehören in quasi einer elitären
Geheimloge zu blenden. Selbst die Y, das Magazin der Bundeswehr, hat vor
einigen Jahren dem KSK ein ganzes Heft (Spezial 09/2013) gewidmet.
Besondere Highlights waren dabei das herausnehmbare Poster, das die
vermummte Kommandotruppe waffenstrotzend zeigte; sowie ein Artikel über
„das tapfere Leben einer Soldatenfrau“. Mit Blick auf das weite Meer
wartet dabei die Ehefrau auf ihren Kommandosoldaten, der im Unbekannten
Heldentaten verbringt, und noch nicht einmal ihr sagen darf, wann er
wiederkommt.[12] Auch der Journalist Christian Thiels lässt sich in
diesem Heft zu einer Ode über die geheimen Helden hinreißen, deren Taten
die Öffentlichkeit leider nie erfahren wird.[13]
Statt einer unvollständigen Auflistung der Einsätze
Was bleibt, ist die unerträgliche Demokratiefeindschaft des Kommandos
Spezialkräfte (KSK). Selbst als Taliban 2013 einen KSK-Soldaten töteten,
versuchte die Bundeswehr, die trauernden Eltern im Unklaren zu lassen,
drängten sie sogar dazu, keine Todesanzeige in der lokalen Presse
aufzugeben und wollten die Sache vertuschen.[14] Wenn die Bundeswehr ihr
Banner einer Parlamentsarmee ernst nehmen würde, würde sie auf das KSK
verzichten (müssen). Es ist jedoch auch aufgrund umfassender
Baumaßnahmen in Calw und einem internationalen Trend zu mehr Einsätzen
von Einheiten wie dem KSK sogar noch von einer Ausweitung auszugehen.
Die Öffentlichkeit wird dabei im Unklaren gelassen, dem Parlament
praktisch jede Möglichkeit einer Kontrolle untersagt. Derweil trainiert
das KSK in anderen Ländern wie in Tunesien deren Spezialkräfte, um
selbst auf ihre spezielle Weise zu einer unkontrollierten Gewalt im
Staat zu werden.[15]
Interview mit einer Calwerin: „Der Rückhalt scheint mir nicht ausgeprägt“
IMI: Als Anwohnerin in Calw darfst du ja dieses Jahr das 20. „Jubiläum“
des KSK miterleben? Weißt du, ob die Bevölkerung zum Geburtstag zu einem
Tag der offenen Tür oder Ähnlichem eingeladen sein wird?
Martina Bühler: Es herrscht ja immer die große Vermutung, dass wir
Anwohner*innen fast schon als eine Art „Insider vor Ort“ mehr
Informationen über das Kommando Spezialkräfte haben, als diejenigen, die
weiter weg wohnen. Aber auch für uns lüftet sich der Schleier der
Geheimhaltung nicht oder nur spärlich. Natürlich hören wir Hubschrauber
fliegen und sehen manchmal Fallschirmspringer der Bundeswehr. Auch gab
es vor drei Jahren Übungen an der leerstehenden ehemaligen
Lehrerakademie in der Calwer Innenstadt. Die Bevölkerung war nicht
informiert und so haben die nächtlichen Schüsse und Explosionen gewaltig
für Diskussionen gesorgt.
Vom Galgenberg kann man einen Blick auf das Kasernengelände werfen. Man
sieht, dass viel gebaut wird. Unlängst erfuhren wir aus der Zeitung,
dass ein neues multifunktionales Trainingszentrum gebaut wird, z.B. ein
großes Hallenbad mit Wellenanlage.
Der Bund investiert außerdem in neue Unterkünfte. Die Ausrüstung der
Elite-Soldaten sei so umfangreich, dass „fünf Schränke“ nicht mehr
ausreichen. Wie harmlos das klingt!
Auch die innere Struktur werde verändert. Details dürften aber nicht
verraten werden. (Schwarzwälder Bote Ausgabe 03.09.2016)
In diesem Zeitungsartikel wurde nebenbei darauf hingewiesen, dass das
Kommando Spezialkräfte in diesem Jahr sein 20. Jubiläum begeht. Ob die
Bevölkerung daran teilhaben „darf“, war bis dahin noch ungewiss. Wenige
Tage später war es dann raus: Das KSK feierte sein 20-jähriges Jubiläum
unter strenger Geheimhaltung am 13.09.2016 im Schloss Ludwigsburg. Außer
der Pressemitteilung war in Calw davon nichts zu merken.
Wie reden eigentlich „die Leute“ in Calw über das KSK? Gibt es da enge
Verflechtungen wie beispielsweise in der Garnisonsstadt Stetten am
kalten Markt, welches ja nicht allzu weit weg von Calw ist?
Wie ich schon erläuterte, erfährt die Bevölkerung sehr wenig über die
Graf Zeppelin Kaserne und ihre Aktivitäten. Der Standort ist im
Gegensatz zu Stetten am kalten Markt eigentlich gar nicht mit der
Bevölkerung verwoben. Geheimhaltung hat oberste Priorität.
So beteiligte sich das KSK mit Schauübungen zwar am Tag der Bundeswehr,
jedoch nicht in Calw, sondern im schleswig-holsteinischen Standort Hohn.
Die Kommandosoldaten, die hier am Ort – teilweise mit ihren Familien –
leben, gehen mit ihrer Tätigkeit sehr diskret um.
Das macht es auch schwer, vor Ort Friedensaktivitäten auf die Beine zu
stellen. Ich denke, an dieser Stelle geht das Kalkül der Bundeswehr gut
auf. Allerdings kann man wohl auch sagen, dass im Gegenzug in der
Bevölkerung auch kein besonderer Stolz auf die Eliteeinheit aufkommt.
Der Rückhalt scheint mir nicht ausgeprägt.
20 Jahre KSK bedeuten auch 20 Jahre Widerstand dagegen. Gab es Proteste
vor Ort, kannst du da einige Zusammenstellen?
Es gab zwei große Ostermärsche 1997 und 2007. Dazu noch kleinere
Demonstrationen und Aktionen, z.B. im Dezember 2001 gegen den „Krieg
gegen den Terror“. Immer wieder haben wir versucht, darauf aufmerksam zu
machen, wie der Umbau der Bundeswehr zu mehr Beteiligung Deutschlands an
den Kriegen weltweit führt und welche Rolle das KSK dabei spielt. Dazu
haben auch viele Informationsveranstaltungen durch die IMI beigetragen.
Wie waren die Reaktionen auf diese Proteste?
Aus der Bevölkerung gab es die ganze Bandbreite an Reaktionen von
Unterstützung bis zu Beschimpfungen. Von der Bundeswehr selbst gibt es
kaum Reaktionen. Insgesamt herrscht schnell wieder Schweigen.
Welche Rolle sollte deiner Meinung nach lokaler Widerstand spielen und
wo sind dessen Grenzen?
Mein persönliches Empfinden ist, dass es sehr viel schwerer geworden
ist, Menschen für den Widerstand zu gewinnen. Das ist auch in Calw nicht
anders. Es gibt leider seit langem keine Friedensinitiative mehr in
Calw. Von daher sind wir vor Ort auf die Initiative von überregionalen
Gruppen angewiesen.
Worin siehst du die besondere Gefahr des KSK?
Aus der zunehmenden Beteiligung an kriegerischen Handlungen resultiert
auch eine höhere Terrorgefahr, die durchaus auch den Standort Calw mit
seiner Elitetruppe treffen kann.
Die eigentliche Gefahr sehe ich jedoch in der politischen Entwicklung.
Es hat ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel stattgefunden. Der Einsatz
der Bundeswehr im Ausland und nun auch im Inland wird salonfähig. In der
Außenwahrnehmung befreit das KSK Geiseln und beschafft Informationen.
Den meisten Menschen ist nicht wirklich klar, dass die Kommandosoldaten
zum gezielten Töten ausgebildet werden. Aus Berichten ehemaliger
Soldaten wissen wir, dass etliche die psychische Belastung nicht
aushalten, nicht mehr einsatzfähig sind und auch kein normales
Privatleben mehr führen können.
Wie schätzt du die weitere Entwicklung des KSK ein, auch vor dem
Hintergrund, dass du am Standort täglich vielleicht daran vorbeifährst?
Nach den oben genannten Informationen sieht es wohl so aus, als wäre der
Standort des KSK auf lange Zeit in Calw festgelegt. Der Standort wächst
und wird auch technisch ausgebaut. Etwas befremdet hat mich ein
Presseartikel im Schwarzwälder Boten vom 21.09.2016. In diesem wird
berichtet, dass Brigadegeneral Dag Knut Baehr seine Truppe gerne als
„Battle-Lab“ organisieren möchte. Das KSK soll neue Ausrüstung in
Übungs- und Gefechtssituationen erproben. Dadurch soll der Prozess der
Neuausrüstung der Bundeswehr von innen heraus beschleunigt werden.
Interview mit einem Aktivisten: „Das KSK muss aufgelöst werden!“
IMI: Du beschäftigst dich sogar schon vor der KSK Gründung mit diesem,
also schon seit über 20 Jahren. Warum ist dir dies so wichtig und warum
ist das KSK besonders problematisch?
Tobias Pflüger: Das Kommando Spezialkräfte (KSK) ist eine
Elitekampftruppe der Bundeswehr, die sich ständig in konkreten
Kriegseinsätzen befindet. Dort wird in Kommandoeinheiten getötet und
gestorben. Insofern nenne ich das KSK auch die Bundeswehr-Killertruppe.
Das KSK ist zugleich ein Symbol dafür, wohin sich die Bundeswehr
entwickelt. Es ist die Speerspitze der neuen Bundeswehr, die auf
Auslandseinsätze ausgerichtet ist. Und das KSK ist nicht parlamentarisch
oder gar öffentlich kontrollierbar. Über die meisten der KSK-Einsätze
weiß weder der Bundestag noch die Öffentlichkeit Bescheid.
Du warst auch selbst einmal als Abgeordneter in Calw zu Besuch beim KSK,
war das nicht alles geheim und wie war damals dein Eindruck?
Damals wurden uns (ich war mit einem Mitarbeiter und einem Mitglied der
damals noch bestehenden örtlichen Friedensgruppe dort) die
„Fähigkeiten“, wie es hieß, vorgeführt, in extra Übungen und durch das
Zeigen von Material, Gebäuden und Gelände, sowie durch Briefings (davon
eines nur für den Abgeordneten, also intern und geheim). Der Aufbau des
KSK in Kommandotrupps a vier Kampfsoldaten, mit den verschiedenen
Spezialisierungen (Wüste, Dschungel, Straßenkampf etc.) und den
Unterstützungssoldaten wurde erläutert. Gespräche mit einzelnen Soldaten
waren ebenfalls möglich. Den Besuch haben wir in einer Broschüre
dokumentiert, auch mit einigen „erlaubten“ Fotos. Mein Eindruck: Eine
professionelle Truppe, mit neuesten Gerätschaften und Waffen, die
deutsche Killertruppe eben.
Interessant war auch, dass ich später mal in das BMVg vorgeladen wurde:
Ich würde zu viele Truppenbesuche machen und den Übungs- und
Arbeitsbetrieb der Bundeswehr – und da wurde besonders das KSK
angesprochen – immer wieder lahmlegen. Dann hatten die Besuche ja noch
einen zweiten Sinn.
Was hat sich zu heute gerade in Bezug auf die Frage von Geheimhaltung
und parlamentarischer Kontrolle geändert? Wie sieht eigentlich die
Unterrichtungspraxis der „Parlamentsarmee“ in Bezug auf das KSK aus?
Früher waren der Einsatz des KSK, bzw. ähnliche Truppen explizit
ausgewiesen in den Einsatzanträgen der Bundesregierung. Inzwischen kann
das KSK nach Rechtsauffassung der Bundesregierung durch die weiten
Formulierungen innerhalb nahezu jeden Bundeswehreinsatzes eingesetzt
werden. Die Informationen über die konkreten Einsätze fließen nur
mündlich in nicht-öffentlicher Sitzung und nur nach Nachfrage und
insbesondere im Nachhinein. Und es geht nicht um das „Wie“ eines
Einsatzes sondern um die nackte Information. Das alles macht eine
parlamentarische und öffentliche Kontrolle nahezu unmöglich. Das KSK ist
die Truppe der Bundeswehr, die rein administrativ geleitet wird. Hier
ist die „Parlamentsarmee“ explizit nicht gegeben.
Auch die sonst zweifelhafte Rühe-Kommission hatte Kritik an der
Unterrichtungspraxis des Parlaments ausgesprochen. Der KSK-Kommandeur
versprach beim der 20-jährigen Feier des KSK sogar Besserung, was die
Geheimhaltung angeht. Wie wird dies in der Praxis umgesetzt werden?
Mehr KSK-Shows nach außen wahrscheinlich. Und vielleicht mehr
quantitative Infos im internen Bereich des Parlamentes. Den Kernbereich
der KSK-Einsätze wird doch die Bundeswehr und die Bundesregierung
niemals öffentlich machen wollen. Also: warum, wie, als Übung oder als
Kriegseinsatz, gegen wen, wie viele Verletzte und Tote, etc.
Es gab über die Jahre auch zahlreichen Widerstand gegen das KSK, an dem
du auch beteiligt warst. Was waren dabei die Höhepunkte und worin siehst
du für die Zukunft Möglichkeiten des Widerstandes gegen das KSK?
Wir konnten kurz nach der Gründung einen für heutige Verhältnisse
riesigen Ostermarsch – unter Beteiligung (und inhaltlicher „Fütterung“)
des DGB – organisieren: 5.000 Demonstrant*inn*en 1997 in Calw, das war
eindrucksvoll! Auch der Ostermarsch in Nagold, der ehemaligen
Eisbergkaserne, in der das KSK damals übte, war gut. Bei den späteren
Aktionen hatten wir zum Teil erhebliches Medieninteresse, zum Teil nur
wenige Menschen und wenige Medienvertreter*innen. Wir müssen den Protest
und den Widerstand gegen das KSK mit den konkreten Bundeswehr-Einsätzen
verbinden. Und wir brauchen wieder regelmäßige Analysen und
Informationen bei IMI und anderen über das KSK. Wer weiß denn, dass das
KSK im Oman oder in Französisch-Guyana war?
Wie siehst du die Zukunft des KSK und was werden zukünftige
Einsatzszenarien sein? Das KSK ist ja unter anderem im Gespräch für die
gemeinsamen Übungen im Inland mit der Polizei, ist dies realistisch?
Das KSK wird im Häuserkampf speziell ausgebildet, einem zentralen
Einsatzszenario der Zukunft für die Bundeswehr, siehe die Übungen im
Gefechtsübungszentrum in der Colbitz-Letzlinger Heide und den Bau der
Übungsstadt Schnöggersburg dort. Das KSK ist die Speerspitze dieser Form
von Einsätzen, insofern passen die Pläne der offiziellen gemeinsamen
Übungen mit der Polizei, die ja auch schon stattfanden, „gut“ ins Bild.
Leider ist die konkrete KSK-Realität die einer permanenten Kriegstruppe,
deshalb bleiben wir dabei: Das KSK muss aufgelöst werden!
Anmerkungen
[1] Siebold, Sabine (Die Welt, 16.12.2015): So laufen die geheimen
Einsätze der deutschen Elitetruppe.
[2] Gebauer, Matthias (SPON, 23.9.2016): Bundeswehr-Hacker knackten
afghanisches Mobilfunknetz.
[3] Mickan, Thomas (2014): Die Sache mit der Verschlusssache.
IMI-Analyse 2014/010 in: AUSDRUCK April 2/2014, S. 16-21.
[4] Mickan, Thomas (2015): Wie viele Menschen hat die Bundeswehr in
Afghanistan getötet? IMI-Analyse 2015/005, update 26.8.2016.
[5] Unterrichtung durch die Kommission zur Überprüfung und Sicherung der
Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der
Bundeswehr. Abschlussbericht der Kommission. Bundestagsdrucksache
18/5000, 16.6.2015, S. 6.
[6] U.a. Kunert, Axel H. (Schwarzwälder Bote, 14.9.2016): Ganz geheim 20
Jahre KSK gefeiert.
[7] Fischer, Michael (Badische Neueste Nachrichten, 14.9.2016): Die
härtesten Männer der Bundeswehr.
[8] Kunert, Alex H. (Schwarzwälder Bote, 20.9.2016): KSK als
„Battle-Lab“ der Bundeswehr.
[9] Kunert, Alex H. (Schwarzwälder Bote, 12.11.2015): KSK: Ist
Einsatzfähigkeit in Gefahr?
[10] Bundeswehr (11.6.2016): KSK und Luftwaffe überzeugen.
[11] Mickan, Thomas (2013): „Marine Live!“, IMI-Analyse 2013/030., in
AUSDRUCK Oktober 5/2013, S. 13-15.
[12] Jüttner, Björn (Y, 09/2013): Liebe ist stärker als Angst, S. 104-107.
[13] Thiels, Christian (Y, 09/2013): Die Öffentlichkeit wird es nie
erfahren, S. 110.
[14] Hufelschulte, Josef (Focus, 27.5.2016): Eltern klagen an:
Bundeswehr versuchte Tod von KSK-Soldat zu vertuschen.
[15] Sandfuchs-Hartwig, Thorsten (Bundeswehr, 4.3.2016): Flintlock 16:
KSK übte mit tunesischen Spezialkräften.
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