[IMI-List] [0473] IMI-Kongress / Mali / Podcast / Mittelmeereinsätze
IMI-JW
imi at imi-online.de
Do Nov 10 14:57:28 CET 2016
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0473 .......... 19. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Thomas Mickan/ Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich
1.) Neue Informationen zum IMI-Kongress am 19./20. November;
2.) Die Bestellmöglichkeit zum Fact Sheet „Aufrüstung und Krieg in Mali“;
3.) Die 8. Ausgabe des Antimilitaristischen Podcasts;
4.) Eine IMI-Analyse zu den Bundeswehreinsätzen im Mittelmeer.
1.) IMI-Kongress: „Kein Frieden mit der Europäischen Union“
Datum: 19./20. November (Auftaktveranstaltung am Freitag)
Ort: Tübingen Schlatterhaus (Österbergstr. 2)
Es zeichnet sich bereits jetzt ab, dass die Wahl Donald Trumps als
Katalysator für die intensivierte Militarisierung der Europäischen Union
genutzt werden soll. So gab Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen
noch am Wahlabend an, die wichtigste Konsequenz sei nun, „dass wir
stärker in eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion
investieren müssen.“
Allein schon aus diesem Grund werden uns die Auswirkungen der Wahl auf
die EU auch auf unserem Kongress am übernächsten Wochenende beschäftigen
(siehe dazu auch die Pressemitteilung weiter unten).
Wer noch Übernachtungsmöglichkeiten (mit Schlafsack) von Samstag auf
Sonntag benötigt, einfach im IMI-Büro melden: imi at imi-online.de
(07071-49154)
Alle weiteren Infos:
http://www.imi-online.de/2016/11/07/imi-kongress-2016-kein-frieden-mit-der-europaeischen-union/
IMI-Pressemitteilung
IMI-Kongress: Kritische Bilanz der EU-Außenpolitik
Nach der Wahl Trumps umso nötiger
http://www.imi-online.de/2016/11/10/imi-kongress-kritische-bilanz-der-eu-aussenpolitik/
IMI (10. November 2016)
Der 20. Kongress der Informationsstelle Militarisierung e.V. am 18.-20.
November 2016 in Tübingen will eine kritische Bilanz der EU-Außenpolitik
ziehen. Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass der rasante Aufstieg
der EU zu einem auch militärisch agierenden Akteur auf der Weltbühne
innenpolitisch von sozialer und politischer Desintegration und im sog.
Nachbarschaftsraum von der militärischen Eskalation von Konflikten
begleitet war. Auch auf das überraschende Ergebnis der
US-Präsidentschaftswahl wird nun – wieder einmal – mit der Forderung
einer verstärkten militärischen Integration (Kern-)EUropas und erhöhter
Rüstungsausgaben reagiert.
Deshalb wird nun am Anfang des Kongresses am Samstag ab 12:00 Uhr im
Schlatterhaus eine Diskussion der Folgen des „Brexit“ und der Wahl
Trumps zum US-Präsidenten stehen, um die geopolitischen Positionierung
der Europäischen Union innerhalb einer sich wandelnden globalen
Blockbildung zu analysieren. Anschließend sollen die wichtigsten
Rüstungsprojekte und Komponenten des EU-Militärapparates sowie die
bisherigen Folgen der EU-Integration für Afrika und Osteuropa
dargestellt werden. Am Sonntag widmet sich der Kongress der zunehmenden
Abschottung und Vergrenzung der Europäischen Union sowie weiteren Formen
der „inneren Militarisierung“, wie der Cyberkriegführung und der sog.
„Strategischen Kommunikation“.
„Einerseits scheint Europa von Krisen – 'Eurokrise', 'Flüchtlingskrise',
'Brexit', … – gebeutelt, zugleich wird die Agenda der Aufrüstung
unbeirrt, seit dem drohenden Austritt Großbritanniens sogar beschleunigt
fortgesetzt“, so begründet Jürgen Wagner, geschäftsführender Vorstand
der Informationsstelle Militarisierung, die Themensetzung. „Wir möchten
zeigen, dass, während im Inneren Grenzen verstärkt werden und soziale
Konflikte zunehmen, der militärische Überbau des 'Gemeinsamen Marktes'
unbeirrt weiter vorangetrieben wird“, so Wagner weiter.
Die IMI rechnet wie in den vergangenen Jahren mit im Schnitt knapp 100
Besucher_innen, von denen etwa ein Drittel aus anderen Bundesländern und
tw. dem Ausland anreisen wird. „Der Kongress ist wie immer kostenlos und
auch für Menschen offen, die nur einzelne Vorträge besuchen möchten“, so
Wagner weiter. Er beginnt am Freitagabend ab 19:00 Uhr mit einer „Küche
für Alle“ und einem satirischen Einstieg ins Thema „Ideologie EUropa“ im
Keller des Wohnprojektes Schellingstraße 6 nahe dem Tübinger Hauptbahnhof.
Programm und weitere Informationen unter:
http://www.imi-online.de/2016/10/24/imi-kongress-2016-kein-frieden-mit-der-europaeischen-union/
Für Rückfragen und Interviews stehen wir gerne zur Verfügung:
Informationsstelle Militarisierung
Mail: imi at imi-online.de
Telefon: 07071 49154
2.) Fact Sheet „Aufrüstung und Krieg in Mali“
Online gibt es das neue Fact Sheet „Aufrüstung und Krieg in Mali“ schon
einige Zeit:
http://www.imi-online.de/2016/10/11/aufruestung-und-krieg-in-mali/
Nun kann es auch (gerne auch in größeren Stückzahlen) kostenlos hier
bestellt werden:
https://2007.dfg-vk.de/shop/faltblaetter/339/fact_sheet_mali:_aufruestung_und_krieg
Über Unterstützung, unsere Materialien weiter kostenlos (oder maximal
zum Selbstkostenpreis) abgeben zu können, freuen wir uns immer:
http://www.imi-online.de/mitglied-werden/
3.) Antimilitaristischer Podcast Nummer 8: Flüchtlingsbekämpfung -
IMI-Kongress
Der antimilitaristische Podcast Nr. 8 beginnt mit einem Interview mit
Jürgen Wagner zum Kongress der Informationsstelle Militarismus vom 18.
bis 20. November in Tübingen und Jackie Andreas informiert über die
Militäreinsätze im Mittelmeer, den geräumten Jungle in Calais und die
vorverlagerte Fluchtabwehr.
Vollständige Ausgabe:
https://archive.org/download/201611ANTIMILITARISTISCHERPODCAST/2016-11-ANTIMILITARISTISCHER%20PODCAST.MP3
Migrationsabwehr I: Calais
https://archive.org/download/201611ANTIMILITARISTISCHERPODCAST/calais.mp3
Migrationsabwehr II: Fluchtabwehr
https://archive.org/download/201611ANTIMILITARISTISCHERPODCAST/mittelmeer.mp3
Migrationsabwehr III: Bundeswehr-Mittelmeereinsätze
https://archive.org/download/201611ANTIMILITARISTISCHERPODCAST/mittelmeer.mp3
IMI-Kongress
https://archive.org/download/201611ANTIMILITARISTISCHERPODCAST/imi-kongress.mp3
4.) IMI-Analyse Bundeswehr-Mittelmeereinsätze
IMI-Analyse 2016/39b
Die Bundeswehr im Mittelmeer
Von Migrationsbekämpfung zur permanenten Militärpräsenz?
http://www.imi-online.de/2016/11/10/die-bundeswehr-im-mittelmeer/
http://www.imi-online.de/download/IMI-Analyse2016-39b-BW-Mittelmeer.pdf
Jacqueline Andres (10. November 2016)
In den bedeutenden Militärhafenstädten des Mittelmeers bekommt man die
Dichte der laufenden Missionen in der Region hautnah mit. Ein Beispiel
dafür ist Chania, eine mittelgroße Stadt im Westen der griechischen
Insel Kreta, in der die Soldat_innen unterschiedlicher Einsätze ihre
freien Stunden verbringen. Auf der an die Stadt angrenzenden Halbinsel
Akrotiri befinden sich zahlreiche Militärstrukturen der griechischen
Streitkräfte, des US Militärs und der NATO. Von dem zivil-militärischen
Flughafen „Ioannis Daskalogiannis“ heben neben den Charterflügen nach
Deutschland fast täglich auch Kampfjets ab.
Kreta liegt nördlich von Libyen und Ägypten und damit unweit des
wirtschaftlich fundamentalen Nadelöhrs Suezkanal, von Israel, Libanon,
Syrien, Irak und dem Schwarzen Meer, kurz: die Insel liegt an einem
geostrategisch bedeutsamen Punkt. Sie ist einer der Knotenpunkte für
alle Aktivitäten der NATO- und EU-Mitgliedstaaten im östlichen
Mittelmeer und das Sprungbrett für Manöver im Schwarzen Meer. Die
Operationsräume, Infrastruktur und Logistik der
Migrationsbekämpfungsmissionen und weiterer Militäroperationen
überschneiden sich, teilen sich zunehmend die Aufgaben und lassen
gemeinsame unausgesprochene geopolitische Interessen durchscheinen.
Diese erklären ansatzweise auch, weshalb heute noch immer Geflüchtete
und Migrant_innen im Mittelmeer ertrinken müssen, obwohl es mittlerweile
durch seine starke Militarisierung zu den am intensivsten überwachten
Gebieten weltweit gehören dürfte.
Zu den Überwachungsbausteinen zählen neben der Grenzschutzagentur
FRONTEX, die im Oktober 2016 zur Europäischen Agentur für die Grenz- und
Küstenwache umgebaut und umbenannt wurde, auch das Europäische
Grenzüberwachungssystem EUROSUR, bei dem Drohnen, Aufklärungsgeräte,
Sensoren, hochauflösende Kameras und Satellitensuchsysteme eingesetzt
werden.
Im Jahr 2015 beschloss die Bundeswehr mit Marineschiffen offiziell zur
Seenotrettung und Bekämpfung der Schleuserstrukturen beizutragen.
Seither beteiligt sich die Bundesmarine neben der UNFIL-Mission vor der
Küste Libanons und der offiziell gegen den IS gerichteten Operation
Inherent Resolve an ganzen drei zivil-militärischen Operationen zur
Migrationseindämmung im Mittelmeer: Operation Sophia, dem NATO-Ägäis
Einsatz und Sea Guardian.
Damit beansprucht die Bundeswehr gemeinsam mit Militärverbänden weiterer
Staaten das Recht, den kompletten See- und Luftraum des Mittelmeers zu
patrouillieren und zu kontrollieren. Die Migrationskontrolle scheint als
Spielball in der Durchsetzung wirtschaftlicher und geopolitischer
Interessen der deklarierten Großmacht Deutschland zu fungieren – auf
Kosten Tausender Menschenleben.
EUNAVFOR MED aka Operation Sophia
Nachdem sich im April 2015 erneut große Schiffbrüche mit hohen
Opferzahlen ereigneten, schickte die Bundesregierung im darauf folgenden
Monat die Fregatte „Hessen“ und den Einsatzgruppenversorger „Berlin“ ins
Mittelmeer. Die Schiffe der deutschen Marine wurden Ende Juni 2015 in
die schnell konzipierte EU-Mission European Union Naval Force
Mediterranean (EUNAVFOR MED) eingegliedert. Seither beteiligt sich
Deutschland mit zwei Marineschiffen und bis zu 950 Soldat_innen an der
italienisch geführten EU-Mission, die die Botschafter im Politischen und
Sicherheitspolitischen Komitee der Europäischen Union im September 2015
nach einem an Bord der Fregatte „Schleswig-Holstein“ zur Welt gekommen
somalischen Mädchen in „Operation Sophia“ umbenannten.[1] Auch wenn
diese Namensgebung sowie zahlreiche Äußerungen verschiedener
Regierungsvertreter_innen versuchen, dem Einsatz nach außen hin einen
primär humanitären Anstrich zu verleihen, täuscht dies nicht darüber
hinweg, dass die Kernaufgabe eine andere ist.[2]Die eingesetzten
Schiffe, Flugzeuge und Hubschrauber sollen in drei Phasen zur Bekämpfung
der Schleusernetzwerke bzw. der irregulären Migration im zentralen
Mittelmeer zwischen Libyen und Italien beitragen.
In der ersten Phase, welche seit Ende Juni 2015 aktiv ist und
durchgehend Bestandteil der Mission bleibt, erstellen die eingesetzten
Militäreinheiten ein umfassendes Lagebild für die
Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedsstaaten. Seit Beginn des ersten
Teils der zweiten Phase im Oktober 2015 halten sie verdächtige Schiffe
auf Hoher See an, welche sie durchsuchen, beschlagnahmen und
gegebenenfalls zerstören. In der zweiten Stufe der zweiten Phase ist ein
Einsatz in libyschen Gewässern und in der dritten Phase auf libyschem
Territorium vorgesehen, um die Schleuserorganisationen in den
Küstenstädten selbst zu bekämpfen.
Die Operation übergab seit Einsatzbeginn 84 vermeintliche Schmuggler an
die zuständigen italienischen Behörden, beschlagnahmte oder zerstörte
255 Boote und rettete in Zusammenarbeit mit weiteren zivilen und
militärischen Schiffen im libyschen Meer mehr als 21.958 Menschen[3] -
die Bundesmarine behauptet seit Mai 2015 allein mehr als 17.972 Menschen
aus Seenot gerettet zu haben.[4] Dennoch stellt Operation Sophia alles
andere als einen humanitären Erfolg dar. In den ersten neun Monaten des
Jahres 2016 starben mehr als 3.364 Menschen beim Versuch, das Mittelmeer
zu überqueren[5] - das sind mehr als zur gleichen Zeit 2015. Wie aus dem
von Wikileaks veröffentlichten ersten Halbjahresbericht des
Missionskommandanten Enrico Credendino hervorgeht, passten die
Schmuggler ihre Geschäftsmethoden schlicht an und die Migrationswege
verlagerten sich. Mittlerweile setzen diese günstigere und unsicherere
Boote ein, die sie mit weniger Benzin betanken, denn schließlich müssen
die Migrant_innen theoretisch nur in internationale Gewässer kommen, um
von dort an Bord der Militärschiffe bis nach Italien zu gelangen. Diese
vorhersehbare Reaktion auf die Militärpräsenz vor der libyschen Küste
erhöht das Risiko der gefährlichen Überfahrt. Das gilt allgemein für die
erhöhte Überwachung und Militarisierung der EU-Außengrenzen.
Der Rat der Europäischen Union beschloss im Juni 2016 der Mission zwei
weitere Unterstützungsaufgaben aufzutragen. Die eingesetzten
Streitkräfte sollen in drei Phasen libysche Grenzschützer und die Marine
ausbilden: anfangs auf Hoher See an Bord der EU-Schiffe, später an Land
in einem EU-Mitgliedstaat oder in Libyen und zuletzt bei der libyschen
Küstenwache.[6] Die zweite Unterstützungsaufgabe sieht eine vom
UN-Sicherheitsrat autorisierte Durchsetzung des Waffenembargos gegen
Libyen vor. Es ist wahrscheinlich, dass diese zwei weiteren Aufgaben den
Fokus der Mission noch weiter weg von der unzureichenden Seenotrettung
auf andere Tätigkeiten richten. Abgesehen davon sind diese zwei neuen
Unterstützungsaufgaben in sich widersprüchlich. Einerseits sollen
Streitkräfte ausgebildet und ausgestattet werden, andererseits soll das
UN-Waffenembargo durchgesetzt werden. Die Ausbildung einer Küstenwache
und einer Marine ist ein heikles Unterfangen in Libyen, da viele
bewaffneten Fraktionen und Milizengruppen die international anerkannte
Einheitsregierung ablehnen.[7] Im Rahmen der im Jahr 2013 initiierten
European Border Assistance Mission (EUBAM) Libyen wurden mindestens
hundert Milizen zu Grenzschützern ausgebildet, die nicht nur die
Grenzen, sondern auch sensible Infrastrukturen wie westliche
Ölförderungsanlagen im Land sichern sollten. Im Jahr 2014 schlossen sie
sich zum Teil dem Militärgeneral Chalifa Haftar an,[8] der die
Einheitsregierung ablehnt. Die EUBAM Libyen musste 2014 von Tripolis
nach Tunesien verlegt werden, da die Sicherheit der europäischen
Expert_innen nicht weiter gewährleistet werden konnte. Weder
Einheitsregierung noch NATO und EU vermögen es momentan, die
ausgebildeten Kräfte zu kontrollieren. Die Milizen erhalten
Unterstützung von unterschiedlichen Staaten und das Land droht in einem
Stellvertreterkrieg zu versinken. Eine EU-Ausbildungs- und
Ausstattungshilfe könnte einen solchen nur stärken. In der Erklärung des
NATO-Gipfeltreffens in Warschau vergangenen Juli, bot auch die
Militärallianz der libyschen Einheitsregierung eine Ausbildungsmission
an.[9] Durch EUNAVFOR MED hat die EU ein Instrument an der Hand, um die
Waffenlieferungen nach Libyen zu kontrollieren. Das Mandat gilt vorerst
bis zum 30. Juni 2017 und wird wie alle vorangegangenen Missionen
ähnlichen Charakters höchstwahrscheinlich verlängert werden. Eine solche
Mission mit unerfüllbaren Aufgaben wird sich in die Länge ziehen und
womöglich liegt in der zeitlich unbegrenzten Militärpräsenz vor Libyen
und seinem Ölreichtum auch der wahre „Erfolg“ der Mission.
Ägäis-Einsatz der NATO
Seit Februar 2016 erstellen NATO-Partner für die griechische und
türkische Küstenwache sowie für die Europäische Agentur für die Grenz-
und Küstenwache (zuvor FRONTEX) ein umfassendes Lagebild der Ägäis.
Offiziell sollen diese durch die zusätzliche Informationsgewinnung
effektiver gegen Schleuser vorgehen können. Deutschland gewann die
Türkei und Griechenland für die Antragsstellung dieser NATO-Operation,
deren eingesetzte Schiffe des ständigen NATO-Marineeinsatzverbands SNMG2
(Standing NATO Maritime Group 2) auch unter Führung eines deutschen
Admirals stehen.
Aus der Türkei kommende gerettete Migrant_innen sollen grundsätzlich den
türkischen Behörden übergeben werden – nur falls diese türkische
Staatsangehörige sein sollten, werde eine Einzelfallprüfung gemacht.[10]
De facto kann ein solches Vorgehen als völkerrechtswidrige
Zurückweisungen – auch Push-Back-Operationen genannt – eingestuft werden.
Die in die Mission eingebundenen griechischen Häfen sind Souda Bay,
Piräus, Volos und Thessaloniki, während die türkischen Häfen in der
nördlichen an den Dardanellen gelegenen Stadt Canakkale, in Izmir und im
südlichen Aksaz liegen.[11] Damit umschließt das kontrollierte Seegebiet
auch das wichtigste Zugangstor Russlands zum Mittelmeer. Vom Schwarzen
Meer kann die russische Marine durch die Meerenge am Bosporus und an den
Dardanellen seinen letzten Mittelmeerhafen in der syrischen Stadt Tartus
erreichen.[12] Diese geopolitische Analyse ist auch in einer von
hochrangigen NATO-Strategen – wie u.a. Karl-Heinz Kamp, dem Präsidenten
der Bundesakademie für Sicherheitspolitik – erstellten und vom German
Marshall Fund im März 2016 veröffentlichten Studie zu erkennen:
„Russland wird seine Rückkehr als Sicherheitsakteur am Mittelmeer
konsolidieren, in Syrien und, weniger sichtbar, aber dennoch in
wichtiger Form in Ägypten und Algerien. Ein Resultat dessen wird das
Ausgreifen von militärischen Risiken zwischen der NATO und Russland nach
Süden sein, zum Schwarzen Meer und dem östlichen Mittelmeer.“[13]
Deshalb, aber auch generell wegen den wachsenden Konflikten in der
Region, müsse die NATO laut dieser Studie eine „robustere Rolle im Süden
entwickeln“.[14] Ein solcher Ansatz erklärt vielleicht auch die
US-Beteiligung an der Mission, die seit Juni 2016 mit dem Schiff USNS
Grapple der Safeguard-Klasse präsent sind, obwohl sie sich recht wenig
für die Sicherung der europäischen Außengrenzen interessieren dürften.
Eine verstärkte Präsenz in dieser relevanten Region ist im Kontext der
wachsenden Spannungen mit Russland als klare Machtdemonstration zu
werten.[15] Zudem stellt die ausgeweitete Militärpräsenz ein mögliches
materielles Rückgriffpolster für NATO-Operationen im arabischen Osten dar.
Operation Sea Guardian
Im Oktober 2016 löst die maritime Sicherheitsoperation der NATO „Sea
Guardian“ (OSG) die seit 2001 andauernde Antiterror-Operation „Active
Endeavour“ (OAE) ab. Das auf dem NATO-Gipfel in Warschau im Juli 2016
beschlossene neue Aufgabenfeld umfasst neben der Terror- jetzt auch die
Schleuserbekämpfung im gesamten See- und Luftraum von der Straße
Gibraltars im äußersten Westen bis ans östliche Ende des Mittelmeers.
OSG soll als Scharnier zwischen dem NATO-Einsatz in der Ägäis und der
Operation Sophia fungieren. Die Bundeswehr unterstützt die Mission mit
bis zu 650 bewaffneten Soldat_innen und trägt dafür Personal- und
Beschaffungskosten von 2,6 Millionen Euro für das Jahr 2016 und von 10,5
Millionen Euro für 2017. In Kooperation mit den erwähnten Missionen soll
eine umfassende See- und Luftraumüberwachung erfolgen, jedoch in diesem
Fall auch durch die Nutzung multinationaler, netzwerkgestützter
Informationssysteme der NATO-Bündnispartner – einschließlich der
AWACS-Aufklärungsflugzeuge, die die Bundesregierung auch im Syrienkrieg
u.a. zur Luftbetankung von Kampfjets anderer Bündnispartner einsetzt.
Marineschiffe, die sich im Operationsraum im Transit befinden, sollen
dem NATO-Kommando unterstellt werden. Diese sollen gegen den IS
eingesetzt werden sowie gegen Schleusernetzwerke in Kooperation mit der
NATO-Operation in der Ägäis und der Operation Sophia im libyschen Meer.
Zudem sollen sie helfen, das Waffenembargo gegen Libyen durchzusetzen.
Kurz: eine weitere eierlegende Wollmilchsau à la NATO.
Die NATO verzahnt sich zusehends mit der EU und rückt damit immer weiter
als fester Baustein der EU-Migrationsbekämpfung vor. Unter dem Vorwand
der Zerschlagung von Schleusernetzwerken legitimiert die NATO
militärische Bewegungen, die generell zur Stärkung der Südflanke Europas
beitragen.[16] Einen weiteren Beitrag für diese Verzahnung wird das im
kommenden Jahr in Betrieb gehende Alliance Ground Surveillance System
der NATO leisten, welches u.a. in der Überwachung der EU-Außengrenzen
Verwendung finden soll. Es besteht aus mobilen Bodenstationen und fünf
Global Hawk Drohnen, die gemeinsam mit ihrer Hauptsteuerungszentrale in
der NATO-Militärbasis Sigonella auf Sizilien stationiert sind.
Von Migrationskontrolle zur permanenten Militärpräsenz?
In dem Faltblatt „Unsere Marine hilft Menschen in Not“ betont die
Bundeswehr, Deutschland habe im April 2015 unverzüglich Schiffe der
Marine geschickt, um die ertrinkenden Flüchtlinge zu retten. Auf der
Rückseite des Faltblatts schlägt das Presse- und Informationszentrum des
Marinekommandos ehrlichere Töne an: „Unser Wohlstand hängt wesentlich
vom Handel über die Weltmeere ab. Der Handel über die Weltmeere
erfordert sichere Seewege. Eine starke Marine schützt diese Seewege.“
Durch die öffentlichkeitswirksam als Seenotrettungsmissionen
stilisierten Einsätze vertritt die Bundeswehr gemeinsam mit den anderen
Instrumenten der deutschen Außenpolitik geopolitische und
wirtschaftliche Interessen, denen eine permanente Präsenz im Mittelmeer
zu Gute kommt. Selbst wenn die Bundeswehr in den vergangenen Monaten
mehr als 17.972 Menschen aus Seenot gerettet haben sollte, geht das
Sterben im Mittelmeer und auf dem Weg der Herkunftsländer an die
EU-Außengrenzen weiter und es wird auch durch die weiteren
Militärmissionen nicht gestoppt werden, da der politische Wille dazu
fehlt. Im Gegenteil, ihre Präsenz im Mittelmeer verklärt die
Bundeswehrrolle in der Migrationseindämmung und lenkt ab von der durch
erpresserische Entwicklungshilfe und kostspieligen Ausstattungshilfe
erzielten Grenzvorverlagerung. Es sind nicht primär die
Schmuggler_innen, die Migrant_innen auf die unsicheren Schlauchboote
locken, sondern es sind u.a. die durch Freihandelsabkommen,
Waffenexporte und Kriegseinsätze geschaffene Fluchtursachen, die die
Menschen zu dieser riskanten Überfahrt bewegen. Die Kosten dieser
Politik tragen wie immer die Schutzsuchenden. Die radikale Forderung
gegen die tödliche EU-Migrationspolitik muss weiterhin das Recht auf
Bewegungsfreiheit aller beinhalten – Fähren statt FRONTEX, Fähren statt
Kriegsschiffe.
Anmerkungen
[1] Es ist eine makabre Namensgebung angesichts der Tatsache, dass im
Rahmen des Karthum-Prozesses versucht wird, durch Ausbildungs- und
Ausstattungshilfen der EU, die Sicherheitskräfte der Länder am Horn von
Afrika zu befähigen und zu verpflichten, keine Flüchtlinge an die EU
Außengrenzen vordringen zu lassen.
[2] Plenarprotokoll 18/124, dipbt.bundestag.de, 24.09.2015
[3] Operation SOPHIA: signed the agreement on Libyan Coast Guard and
Navy Training, eeas.europa.eu, 23.08.2016
[4] Gegen Schleusernetzwerke - Der Einsatz im Mittelmeer,
einsatz.bundeswehr.de, 29.09.2016
[5] Mixed Migration Flows in the Mediterranean and Beyond,
migration.iom.int, 21.09.2016
[6] EU im Einsatz gegen Menschenschmuggel: Abkommen über Ausbildung der
libyschen Küstenwache und Marine unterzeichnet,
https://ec.europa.eu/germany/news/eu-im-einsatz-gegen-menschenschmuggel-abkommen-%C3%BCber-ausbildung-der-libyschen-k%C3%BCstenwache-und_en
[7] Christoph Marischka: Mission Creep im Mittelmeer, IMI-Analyse
2016/030, imi-online.de, 27.07.2016
[8] Matthias Monroy: Von der EU aufgebaute "Grenzschutztruppen" in
Libyen verselbständigen sich, heise.de, 29.05.2014
[9] Jürgen Wagner: NATO-Gipfeltreffen in Warschau: Das 360-Grad-Bündnis
geht in die Offensive, IMI-Analyse 2016/029, imi-online.de, 11.06.2016
[10] Bundestagsdrucksache 18/8654
[11] Ebd.
[12] Die letzte weit kompliziertere Möglichkeit Russlands
Marineeinheiten ins Mittelmeer zu verlegen, ist vom Westen über die
Straße Gibraltars. Doch die wird seit 2001 durch die NATO Operation
Active Endeavour und seit Oktober 2016 durch die Nachfolgeoperation Sea
Guardian patrouilliert.
[13] Baranowski, Michal und Lete, Bruno: NATO in a World of Disorder:
Making the Alliance Ready for Warsaw, German Marshall Fund, März 2016 ,
S. 16
[14] Ebd., S. 2.
[15] Christoph Marischka: NATO steigt in Syrienkrieg ein, IMI-Standpunkt
2016/005, imi-online.de, 12.02.106
[16] Sicherheitsoperation im Mittelmeer. Bundeswehr nimmt an Sea
Guardian teil, bundesregierung.de, 29.09.2016
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