[IMI-List] [0465] IMI-Geburtstag / Podcast / EU-Globalstrategie

IMI-JW imi at imi-online.de
Mi Jul 6 15:45:09 CEST 2016


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Online-Zeitschrift "IMI-List"

Nummer 0465 .......... 19. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563

Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

Red.: IMI / Thomas Mickan/ Jürgen Wagner / Christoph Marischka

Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list

Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3

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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich

1.) die Einladung zum 20jährigen Geburtstag der IMI, zu dem es am 16. 
Juli eine kleine Feier geben soll;

2.) Die 7. Ausgabe des Antimilitaristischen Podcasts;

3.) Eine IMI-Analyse zur neuen EU-Globalstrategie.

1.) Einladung zum 20. Geburtstag der IMI

Ort: Sudhaus (Peripherie), Hechingerstr. 203, 72072 Tübingen

Datum: Samstag, 16. Juli 2016

Beginn der Jubiläumsfeier: 19 Uhr (Kuchenanschnitt)

Die Aufstellung des Kommando Spezialkräfte in Calw im Jahr 1996 war der 
letzte Anstoß für verschiedene Antimilitaristinnen und Antimilitaristen, 
im selben Jahr die Informationsstelle Militarisierung (IMI) ins Leben zu 
rufen. Bis heute steht seitdem die Aufarbeitung und Kritik von 
Militarismus und Krieg – insbesondere seitens der deutschen Regierung – 
im Zentrum der Vereinsarbeit.

Wir freuen uns sehr, dass viele Unterstützerinnen und Unterstützer diese 
antimilitaristische Arbeit nun über so viele Jahre möglich gemacht 
haben. Aus diesem Grund möchten wir herzlich zu unserem 20jährigen 
Jubiläum einladen, das wir mit einer kleinen Feier begehen wollen.

Um 19:00 Uhr wollen wir mit einem Kuchenanschnitt im Sudhaus offiziell 
beginnen (wer noch nie unser Büro gesehen hat, kann gleich die 
Gelegenheit nutzen und einen Blick hineinwerfen). Wir haben uns ein 
unterhaltsames Programm ausgedacht, das auch noch genügend Raum für 
persönlichen Austausch bietet. Wir können auch einige 
Übernachtungsplätze bieten und Tipps zur An- und Abreise geben, wenn Ihr 
uns rechtzeitig kontaktiert. Wir freuen uns auf Euer Kommen!

2.) Antimilitaristischer Podcast

Die 7. Ausgabe des Antimilitaristischen Podcasts ist erschienen. Dieses 
Mal mit einem Interview zum Tag der Bundeswehr und einem zum anstehenden 
NATO-Gipfel in Warschau: 
http://www.imi-online.de/2016/07/05/antimilitaristischer-podcast-ausgabe-7/

3.) IMI-Analyse zur EU-Globalstrategie

IMI-Analyse 2016/27

EU-Globalstrategie und deutsch-französische Militarisierungsoffensive

http://www.imi-online.de/2016/07/06/eu-globalstrategie-und-deutsch-franzoesische-militarisierungsoffensive/ 


Sabine Lösing und Jürgen Wagner (6. Juli 2016)

Eine gekürzte Fassung dieses Artikels erschien unter dem Titel 
„Europäische Militarisierungsoffensive“ in der jungen Welt vom 06.07.2016.

Überschattet von der Brexit-Abstimmung verabschiedeten die europäischen 
Staats- und Regierungschefs beim Gipfeltreffen in Brüssel Ende Juni 2016 
nahezu unbemerkt eine neue EU-Globalstrategie (EUGS). Das seit über 
einem Jahr unter der Ägide der EU-Außenbeauftragten Federica Morgherini 
ausgearbeitete Papier namens "Gemeinsame Vision, gemeinsame Aktion – ein 
stärkeres Europa"[1] ersetzt die bisher gültige „Europäische 
Sicherheitsstrategie“ (ESS) aus dem Jahr 2003. Die EUGS steckt als 
Grundlagendokument die allgemeinen Ziele ab, die die Europäische Union 
mit ihrer Außen- und Sicherheitspolitik verfolgen möchte und liefert 
damit die Grundlage, um nun – wahrscheinlich in einem späteren Weißbuch 
– eine konkrete Militarisierungsagenda zur Umsetzung dieser Ambitionen 
auszuarbeiten. Paradoxerweise könnte sich hier der – mögliche – Brexit 
als regelrechter „Segen“ für die Propagandisten einer „Militärmacht 
EUropa“ erweisen, da Großbritannien bislang Initiativen in diese 
Richtung stets ablehnend gegenüberstand. Jedenfalls gingen die 
Außenminister Deutschlands und Frankreichs unmittelbar nach dem 
britischen Referendum mit einem gemeinsamen Papier in die Offensive, in 
dem sie eine Reihe von Vorschlägen unterbreiten, um die EUGS mit 
militärischer Substanz anzureichern.

1. Unter Beschuss – nur zusammen sind wir stark!

Eines fällt gleich beim ersten Blick in das Mogherini-Papier auf: Der 
triumphal-optimistische Ton, der sich noch wie ein roter Faden durch den 
Vorgänger zog, wurde von einer deutlich düstereren Lageeinschätzung 
verdrängt. Die ESS 2003 wurde beispielsweise noch mit folgendem Satz 
eingeleitet: „Nie zuvor ist Europa so wohlhabend, so sicher und so frei 
gewesen. Die Gewalt der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist einer in 
der europäischen Geschichte beispiellosen Periode des Friedens und der 
Stabilität gewichen.“[2]

Ganz offensichtlich hat sich an dieser nach Eigeneinschätzung überaus 
komfortablen Lageeinschätzung seitdem grundlegend etwas verändert. So 
wurde bereits in einem vom EU-Parlament im April 2016 verabschiedeten 
Entschließungsantrag zur Globalstrategie gefordert, „dass sich die 
Europäische Union des gesamten Ausmaßes der Verschlechterung ihres 
unmittelbaren strategischen Umfelds und der sich daraus ergebenden 
langfristigen Folgen bewusst werden muss“.[3] In der EUGS werden nicht 
minder pessimistische Töne angeschlagen: „Wir erleben gegenwärtig eine 
existenzielle Krise, innerhalb und außerhalb der Europäischen Union. 
Unsere Union ist bedroht. Unser europäisches Projekt, das uns in 
beispielloser Weise Frieden, Wohlstand und Demokratie gebracht hat, ist 
in Frage gestellt.“

Tenor des Ganzen ist dann aber, dass es durchaus möglich sei, sich aus 
dieser misslichen Lage zu befreien – und quasi als Anleitung dafür, wie 
dies geschehen soll, dient die EUGS. Schon unmittelbar, nachdem sie vom 
Europäischen Rat im Juni 2015 den Auftrag zur Ausarbeitung der 
Globalstrategie erhalten hatte, veröffentlichte Mogherini als eine erste 
Standortbestimmung einen „Strategischen Überprüfungsbericht“ („Strategic 
Review“), in dem der Sinn, Zweck und Anspruch des Unterfangens 
folgendermaßen umrissen wurde: „Die EU verfügt über alle Mittel, um in 
der Zukunft ein einflussreicher globaler Akteur zu sein – wenn sie 
gemeinsam handelt. […] In einer verflochtenen, umkämpften und komplexen 
Welt benötigen wir eine klare Vorstellung über die richtige Richtung. 
Wir müssen uns über unsere Prioritäten und Ziele und über die Mittel, 
wie wir sie erreichen wollen, verständigen. […] Wir benötigen eine 
gemeinsame, umfassende und schlüssige EU-Globalstrategie.“[4]

Die Interessen der Mitgliedsländer ließen sich, so der alles 
durchziehende Befund, nicht mehr nationalstaatlich durchsetzen, nur im 
EU-Verbund könne die für notwendig erachtete machtpolitische Schlagkraft 
generiert werden, um auch in Zukunft Einfluss im globalen Maßstab 
ausüben zu können. Auch in der EUGS selbst wird diese Überlegung 
aufgegriffen: „Wir brauchen ein stärkeres Europa. […] In einer 
komplexeren Welt der globalen Machtverschiebungen und breiteren 
Machtverteilung muss die EU zusammenhalten. Dass wir als Europäer – über 
Institutionen, Staaten und Völker hinweg – vereint zusammenstehen, ist 
jetzt wichtiger und dringender denn je. Noch nie wurde unsere Einheit 
dermaßen auf die Probe gestellt. Gemeinsam können wir mehr erreichen, 
als wenn jeder Mitgliedstaat allein und ohne Abstimmung mit den anderen 
handelt.“

2. Unsere Regeln – unsere Profite!

Fragt man nach den Interessen, für die EUropa sein gemeinsames Gewicht 
in die Waagschale werfen soll, stolpert man schnell über die inzwischen 
in mehr oder weniger jedem westlichen Strategiedokument obligatorische 
Forderung nach einer (militärischen) Sicherung von Rohstoff- und 
Handelswegen: „Verbunden mit dem EU-Interesse an einem offenen und 
fairen Wirtschaftssystem ist der Bedarf nach einem Wachstum der globalen 
Schifffahrt und nach ihrer Sicherheit, offene und geschützte 
Schifffahrtsrouten zu garantieren, die wesentlich für den Handel und den 
Zugang zu natürlichen Rohstoffen sind.“ Generell wird kaum ein Hehl 
daraus gemacht, welch großes Interesse daran besteht, den Regeln der 
neoliberalen Weltwirtschaftsordnung, von denen nicht zuletzt Deutschland 
als Spitzenexporteur massiv profitiert, Nachdruck zu verleihen: 
„Voraussetzung für eine prosperierende Union ist ein starker Binnenmarkt 
und ein offenes internationales Wirtschaftssystem. Wir haben ein 
Interesse an fairen und offenen Märkten, an der Festlegung globaler 
Wirtschafts- und Umweltregeln und an einem dauerhaften Zugang zu den 
globalen Gemeingütern über offene See-, Land-, Luft- und Weltraumwege.“

Auffällig ist in diesem Zusammenhang das flammende Bekenntnis zur TTIP, 
der trotz des massiven Widerstands in der Bevölkerung eine zentrale 
Bedeutung zugeschrieben wird: „Die EU wird eine transatlantische 
Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) mit den Vereinigten 
Staaten anstreben. Ebenso wie das umfassende Wirtschafts- und 
Handelsabkommen (CETA) mit Kanada bezeugt TTIP das transatlantische 
Bekenntnis zu gemeinsamen Werten und zeigt unsere Bereitschaft, eine 
ehrgeizige und geregelte Handelsagenda zu verfolgen.“ Bei TTIP geht es 
in letzter Konsequenz vor allem darum, die Position des schwächelnden 
neoliberalen Westens gegenüber einer stärker staatskapitalistisch 
ausgerichteten Konkurrenz – vor allem China, aber auch Russland und 
andere – wieder zu stärken.[5]

Wie entscheidend TTIP und die mit ihm verbundene Fähigkeit, „die Regeln 
zu setzen“, sind, bringt der rüstungsnahe Informationsdienst „griphan 
Briefe“ mit beeindruckender Klarheit auf den Punkt: „Wir haben auf 
diesen Seiten grundsätzlich Position bezogen. Im Telegrammstil: Das 
Projekt einer gemeinsamen Währung ist mehr als die Möglichkeit, in 
Amsterdam den Kaffee in gleicher Münze zahlen zu können. Der Euro ist 
strategischer Partner des Dollar beim amerikanischen Bestreben, den 
Aufstieg Chinas einzuhegen. Europa ist Partner beim Setzen international 
verbindlicher Standards in Form von Good governance, anti-corruption, 
and the rule of law. Darum geht es beim Transatlantischen Handels- und 
Investitionsabkommen (TTIP): Wer die Standards setzt, schafft Märkte! 
Und damit sind die Globalisierung und Geoeconomics das eigentliche 
Narrativ; und dieser Erzählfaden hat ein – nicht unwesentliches – 
militärisches Kapitel.“[6]

3. Russland: Vom Partner zum Gegner

Während China in der EUGS nur am Rande erwähnt wird, widmet sich die 
EUGS Russland sehr intensiv – und auch in diesem Zusammenhang werden 
gänzlich neue Töne angeschlagen. So hieß es in der Europäischen 
Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2003 noch: „Wir müssen uns weiter um 
engere Beziehungen zu Russland bemühen, das einen wichtigen Faktor für 
unsere Sicherheit und unseren Wohlstand bildet. Die Verfolgung 
gemeinsamer Werte wird die Fortschritte auf dem Weg zu einer 
strategischen Partnerschaft bestärken.“ Demgegenüber äußert sich nun die 
EUGS: „Wesentliche Veränderungen in den Beziehungen zwischen der EU und 
Russland hängen ab von der uneingeschränkten Achtung des Völkerrechts 
und der Grundsätze, auf denen die europäische Sicherheitsordnung 
aufgebaut ist, einschließlich der Schlussakte von Helsinki und der 
Charta von Paris. Wir werden weder die illegale Annexion der Krim durch 
Russland anerkennen noch die Destabilisierung der östlichen Ukraine 
hinnehmen. Wir werden die EU stärken, die Widerstandsfähigkeit unserer 
östlichen Nachbarn erhöhen und ihr Recht, frei über ihre Haltung 
gegenüber der EU zu bestimmen, verteidigen.“

Diese reichlich ignoranten Aussagen klammern bewusst einige unbequeme 
Tatsachen aus: So etwa, dass es die NATO unter Beteiligung zahlreicher 
EU-Staaten war, die beim Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999 das 
Völkerrecht eklatant verletzt hatten. Auch mit der „freien Entscheidung“ 
der Nachbarländer ist es nicht so weit her, wie die EU Glauben machen 
möchte. Beispielsweise war man nicht gewillt, die Entscheidung des – in 
freien und fairen Wahlen an die Macht gekommenen – damaligen 
ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch zu akzeptieren, im November 
2013 die Unterzeichnung des strategisch wichtigen Assoziationsabkommens 
mit der EU auf Eis zu legen. Stattdessen wurden Proteste unterstützt, 
die schlussendlich zu einem Putsch und der Einsetzung einer 
pro-westlichen Regierung führten und die Vorgeschichte dessen abbilden, 
was hier als „illegale Annexion der Krim durch Russland“ bezeichnet wird.

Da die allgemeine Einschätzung darin besteht, dass die erst kürzlich 
wegen der ungelösten Krimfrage verlängerten Sanktionen gegen Russland 
dort zu keiner Kursänderung führen werden, ist ein baldiges Ende des 
EU-Wirtschaftskrieges aufgrund dieser Passagen in der EUGS in weite 
Ferne gerückt. Womöglich wird dies auch überhaupt nicht gewünscht, wie 
eine Besorgnis erregende Studie des „European Council on Foreign 
Relations“ nahelegt. Die Sanktionen würden wohl zu keiner 
Wiederannäherung an den Westen, sondern eher zu einem unkontrollierten 
„Kollaps“ Russlands führen, so die Einschätzung. Während die Studie vor 
einem solchen Ergebnis warnt, scheint dies aufgrund des Ziels, Russland 
maximal zu schwächen, von der EU zumindest billigend in Kauf genommen zu 
werden.[7]

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die in der EUGS häufig 
wiederkehrende Formulierung, man wolle die „Widerstandsfähigkeit der 
östlichen Nachbarn“ erhöhen. Zwar wird die aktuell gegen Russland 
gerichtete Aufrüstung der Ostflanke primär über die NATO organisiert, 
sie ist aber in eine „Strategische Kommunikationsoffensive“ eingebettet. 
Dabei geht es darum, gegenüber der eigenen Bevölkerung, vor allem aber 
in Ländern, in denen Russland und der Westen heftig um Einfluss ringen, 
der russischen „Propaganda“ eigene „Fakten“ – also Propaganda – 
entgegenzustellen, um Unterstützung für das eigene Handeln zu 
erhalten.[8] Dieser als „Strategische Kommunikation“ bezeichnete Bereich 
nimmt in den letzten Jahren an Bedeutung zu, weshalb ihm auch in der 
EUGS Platz eingeräumt wird: „Die EU wird ihre strategische Kommunikation 
verbessern, indem sie in Öffentlichkeits-Diplomatie in verschiedenen 
Bereichen investiert und diese Bereiche zusammenführt, um den Bürgern 
das auswärtige Handeln der Union nahe zu bringen und es unseren 
Partnerländern besser zu vermitteln. Wir werden unsere Grundsätze und 
unsere Maßnahmen kohärenter und rascher kommunizieren. Außerdem werden 
wir rasch faktenbasierte Gegendarstellungen zu Desinformation 
veröffentlichen.“ Einen Vorgeschmack, wie solche „faktenbasierten 
Gegendarstellungen“ aussehen, lieferte zum Beispiel das Auswärtige Amt, 
das ein Papier mit „Richtigstellungen“ veröffentlichte, mit denen 
russische „Behauptungen“, wie etwa in der Ukraine habe ein Putsch 
stattgefunden, entkräftet werden sollten. In der Realität des 
Auswärtigen Amts hat sich der – unter Androhung massiver Gewalt aus dem 
Amt gejagte – Präsident Janukowitsch „in verfassungswidriger Weise 
seinen Amtspflichten entzogen.“[9]

4. Nachbarschaft: Vom Freundeskreis zum Feuerring

Ein weiteres Feld, auf dem sich die Lage aus Sicht der EU ebenfalls 
nicht eben positiv entwickelt hat, ist der Nachbarschaftsraum. In der 
ESS wurde 2003 noch das Ziel ausgegeben, man wolle einen „Ring 
verantwortungsvoll regierter Staaten“ um die EU herum schaffen. Hierfür 
wurde ein Jahr später die „Europäische Nachbarschaftspolitik“ (ENP) ins 
Leben gerufen, die, in den Worten der damaligen EU-Außenkommissarin 
Benita Ferrero-Waldner, „einen ‚Ring von Freunden’ entlang der Grenzen 
der erweiterten EU“, eine „Zone der Stabilität und des Wohlstandes“ 
hervorbringen sollte, „von Osteuropa über den Kaukasus und den Nahen 
Osten quer durch den gesamten Mittelmeerraum.“[10]

Auch hiervon ist wenig mehr übrig geblieben, wenn es schon in Mogherinis 
„Strategic Review“ hieß: „Seit der Sicherheitsstrategie 2003 hat sich 
das strategische Umfeld der EU radikal verändert. […] Heute umgibt die 
EU ein Krisenbogen der Instabilität.“ Wiederum ganz ähnlich äußert sich 
auch die EUGS: „Im Osten wird gegen die europäische Sicherheitsordnung 
verstoßen, und Terrorismus und Gewalt suchen Nordafrika und den Nahen 
Osten und auch Europa selbst heim.“ Auch hier glänzt jede Form von 
Selbstkritik mit Abwesenheit, waren es doch die im Rahmen der ENP 
vorangetriebenen neoliberalen Assoziierungsabkommen, die in vielen 
Ländern mit ihrer Freihandelsagenda einen wesentlichen Beitrag zur 
Verarmung und Destabilisierung beigetragen haben.[11] Dennoch propagiert 
die EUGS die Fortsetzung genau dieser Politik: „Viele Menschen im Osten 
und im Süden würden im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik 
(ENP) gerne engerer Beziehungen mit der Europäischen Union aufbauen. […] 
Die ENP hat sich erneut zur Östlichen Partnerschaft und zu den Ländern 
des südlichen Mittelmeerraums bekannt, die engere Beziehungen zu uns 
aufbauen möchten. Wir werden diese Länder dabei unterstützen, 
Assoziierungsabkommen einschließlich vertiefter und umfassender 
Freihandelszonen (DCFTA) umzusetzen.“

Die Einbeziehung möglichst vieler Länder in eine großeuropäische 
Wirtschaftszone – ohne ihnen ein Stimmrecht auf deren Ausgestaltung 
einzuräumen – stellt seit Jahren ein wichtiges Ziel der Union dar. Sie 
werden dadurch Teil der europäischen Einflusszone, weshalb dann auch der 
(militärischen) „Stabilisierung“ des Nachbarschaftsraums in der EUGS 
große Bedeutung zugemessen wird: „Um unserer Sicherheit im Inneren 
willen haben wir auch ein Interesse daran, dass in den Regionen in 
unserer Nachbarschaft und der weiteren Umgebung Frieden herrscht.“

5. Autonom Krieg führen

Ebenfalls verändert hat sich die Haltung der USA gegenüber 
Rüstungsanstregungen der Europäischen Union, die auf eine eigenständige 
– autonome – Kriegsführungsfähigkeit abzielen. Während Bemühungen in 
eine solche Richtung früher scharf abgelehnt wurden, wird dies heute von 
Washington als eine Möglichkeit begrüßt, Kosten auf die Verbündeten zu 
verlagern („Burden sharing“). Auch aus EU-Sicht hat dies seinen Reiz, 
vergrößert doch die Option, unabhängig von der NATO – und damit einem 
Veto der USA – militärisch einsatzfähig zu sein, die machtpolitische 
Beinfreiheit in nicht unbeträchtlichem Maße. So verwundert es nicht 
weiter, dass der Anspruch auf eine „autonome militärische 
Handlungsfähigkeit“ in der EUGS an zahlreichen Stellen auftaucht: „Die 
europäischen Anstrengungen auf dem Gebiet der Sicherheit und der 
Verteidigung sollten die EU in die Lage versetzen, autonom zu handeln 
und gleichzeitig zu Maßnahmen der NATO beizutragen und gemeinsam mit ihr 
Maßnahmen durchzuführen. Eine glaubwürdigere europäische Verteidigung 
ist auch für eine gesunde transatlantische Partnerschaft mit den 
Vereinigten Staaten von wesentlicher Bedeutung.“

In sich konsequent ist dann auch die daraus abgeleitete Forderung, sich 
die „notwendigen“ Kapazitäten zur autonomen Kriegsführung auch 
zuzulegen: „Die Mitgliedstaaten [benötigen] bei den militärischen 
Spitzenfähigkeiten alle wichtigen Ausrüstungen, um auf externe Krisen 
reagieren und die Sicherheit Europas aufrechterhalten zu können. Dies 
bedeutet, dass das gesamte Spektrum an land-, luft-, weltraum- und 
seeseitigen Fähigkeiten, einschließlich der strategischen 
Grundvoraussetzungen, zur Verfügung stehen muss. […] Eine tragfähige, 
innovative und wettbewerbsfähige europäische Verteidigungsindustrie ist 
von wesentlicher Bedeutung für die strategische Autonomie Europas und 
eine glaubwürdige GSVP.“

Das aktuelle militärische Planziel („Headline Goal“) – die Fähigkeit 
zwei Korps (60.000 Soldaten) mit entsprechender Bewaffnung ein Jahr 
durchaltefähig stationieren zu können – soll hierfür angepasst werden: 
„Geeignete Zielvorgaben und strategische Autonomie sind wichtig, damit 
Europa fähig ist, innerhalb wie außerhalb der eigenen Grenzen den 
Frieden zu fördern und Sicherheit zu gewährleisten.“ Dass nicht explizit 
gesagt wird, worum es geht, nämlich das militärische Planziel nach oben 
zu „korrigieren“, dürfte wohl der parallel zur EUGS-Abfassung laufenden 
Brexit-Debatte geschuldet gewesen sein. Deutlicher wurde Mogherini zum 
Beispiel in ihrem „Strategic Review“: „Die EU kann es sich nicht 
leisten, das ‚V‘ aus seiner Gemeinsamen Sicherheits- und 
Verteidigungspolitik zu ignorieren. […] Das aktuelle Anforderungslevel 
und die militärischen Kapazitätsziele sind nicht an das sich ändernde 
Umfeld angepasst.“[12]

Erklärtermaßen war es nicht die Aufgabe der EUGS, zu definieren, welche 
militärischen Fähigkeiten konkret zur Durchsetzung der formulierten 
Ziele erforderlich sind und wie diese beschafft werden sollen. Das 
dürfte die Aufgabe eines künftigen Weißbuches sein, für dessen 
Erstellung der ehemalige EU-Außenbeauftragte Javier Solana in einer 
Studie im Auftrag der „Ratsdirektion Externe Politik“ schon im April 
2016 einen detaillierten Fahrplan vorlegte: „Die Union wird den 
Mitgliedstaaten darlegen müssen, welche Fähigkeiten sie von ihnen 
insgesamt für die Umsetzung dieser Strategie benötigt, wo Bedarfslücken 
geschlossen werden müssen und wie die EU-Mitgliedstaaten zu diesen 
gemeinsamen Prioritäten beitragen können. […] Das Weißbuch gilt daher 
als notwendiger Baustein zur Ergänzung, Präzisierung und Umsetzung der 
Globalen Strategie für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik 
(GASP).“[13] Auch wenn mit Blick auf die Brexit-Debatte der Begriff 
„Weißbuch“ selbst vermieden wurde, wird diese Forderung – umschrieben 
als „sektorale Strategie“ – auch in der EUGS faktisch unterstützt, wenn 
es heißt, es müssten „im Rahmen einer sektoralen Strategie, die vom Rat 
zu vereinbaren ist, die zivil-militärischen Zielvorgaben, Aufgaben, 
Anforderungen und vorrangigen Fähigkeiten, die sich aus dieser Strategie 
ergeben, näher festgelegt werden.“

6. Deutsch-französische Offensive

Wie bereits angedeutet, scheiterten bislang fast alle Schritte zur 
massiven Stärkung der EU-Militärpolitik am Widerstand Großbritanniens. 
Mit dem – wahrscheinlichen – Austritt Großbritanniens werden die Karten 
nun grundlegend neu gemischt und der Weg für eine forcierte 
EU-Militarisierung frei: „Einige britische EU-Ausstiegs-Befürworter 
hatten vor dem Referendum noch behauptet, Brüssel halte das Papier 
bewusst unter Verschluss, weil es einer künftigen EU-Armee den Weg 
bereite. Aber auch die Cameron-Regierung setzte, was das Militärische 
angeht, stets voll auf die NATO und hielt nie viel von den zaghaften 
EU-Versuchen, parallel dazu auch mit militärischen Strukturen zu 
experimentieren. Wenn sich das Königreich von der EU abnabelt, könnte 
sich die Ausgangslage hier ändern, meint der Direktor des Programms 
‚Europas Zukunft’ bei der Bertelsmann-Stiftung, Joachim Fritz-Vannahme: 
‚Ich glaube, dass dort Fortschritte ohne die Briten auf diesem Gebiet 
wahrscheinlich leichter möglich sind.‘"[14]

Wenige Tage nach Abschluss des britischen Referendums nutzten Frankreich 
und Deutschland die Gunst der Stunde und holten ein offensichtlich schon 
länger ausgearbeitetes Papier namens „Ein starkes Europa in einer 
unsicheren Welt“ hervor.[15] Darin kündigten der deutsche Außenminister 
Frank-Walter Steinmeier und sein französischer Amtskollege Jean-Marc 
Ayrault an, „weitere Schritte in Richtung einer Politischen Union in 
Europa unternehmen“ zu wollen. Neben weitreichenden Ankündigungen zur 
Migrations- und Wirtschaftspolitik wird darin auch „Eine europäische 
Sicherheitsagenda“ vorgestellt. Sie enthält die Forderung, die EUGS als 
Sprungbrett für eine weitere Militarisierung der Union zu nutzen: 
„Deutschland und Frankreich [schlagen] eine europäische 
Sicherheitsagenda vor, die alle Sicherheits- und Verteidigungsaspekte 
umfasst, die auf europäischer Ebene eine Rolle spielen. […] Die Globale 
Strategie der Europäischen Union, das neue außenpolitische 
GrundsatzdokumentderEU, […]isteinwichtigerSchrittindieseRichtung. Doch 
wir müssen noch weiter gehen: In einem stärker von 
divergierendenMachtinteressengeprägteninternationalen 
UmfeldsolltenDeutschlandund Frankreich gemeinsam dafür eintreten, die EU 
Schritt für Schritt zu einem 
unabhängigenundglobalenAkteurzuentwickeln.DasZielist,unsereErkenntnisse 
undunsereInstrumenteimzivilenundmilitärischenBereichnochwirksamerin 
realePolitikumzusetzen.DeutschlandundFrankreichwerdendahereineintegrierte 
EU-Außen- und Sicherheitspolitik unterstützen, die alle politischen 
Instrumente der EU zusammenführt.“

Darauf folgt eine Reihe von Vorschlägen, die zwar fast alle schon 
geraume Zeit durch die Brüsseler Korridore geistern, jedoch stets an der 
britischen Position, jede Stärkung der EU-Militärkomponente bedeute eine 
unerwünschte Schwächung der NATO, abprallten. Mit dem bevorstehenden 
Brexit haben die von Steinmeier und Ayrault geforderten Schritte nun 
deutlich größere Realisierungschancen: „Die EU wird in Zukunft verstärkt 
beim Krisenmanagement aktiv werden, denn viele Krisen betreffen unsere 
Sicherheit direkt. […] Die EU sollte in der Lage sein, zivile und 
militärische Operationen wirksamer zu planen und durchzuführen, auch mit 
Hilfe einer ständigen zivil-militärischen Planungs- und 
Führungsfähigkeit. Die EU sollte sich auf einsatzfähige Streitkräfte mit 
hohem Bereitschaftsgrad verlassen können und gemeinsame Finanzierungen 
ihrer Operationen erleichtern. Gruppen von Mitgliedstaaten sollten so 
flexibel wie möglich eine dauerhafte strukturierte Zusammenarbeit im 
Verteidigungsbereich einrichten können oder mit einzelnen Operationen 
vorangehen. Die EU-Mitgliedstaaten sollten die Einrichtung ständiger 
maritimer Einsatzverbände in die Planungen aufnehmen sowie EU-eigene 
Fähigkeiten in anderen Schlüsselbereichen schaffen.“

Mit einem britischen Austritt aus der EU würde zudem die ohnehin schon 
dominierende Position Deutschlands weiter gestärkt.[16] Nicht völlig zu 
Unrecht werden die deutsch-französischen Vorschläge deshalb mancherorts 
als beunruhigende Vorboten für das Bestreben gewertet, künftig noch 
stärker als bislang schon, einfach „durchzuregieren“. So machte der 
polnische Kommentator Jacek Dziedzina seinem Ärger mit folgenden Worten 
Luft: „Die Emotionen sind nach dem Ergebnis des Referendums in 
Großbritannien noch nicht abgekühlt und schon stellen Deutschland und 
Frankreich den anderen Staaten ein Ultimatum: Entweder schaffen wir nun 
einen Superstaat mit einer Regierung, einer Armee, einheitlichen 
Geheimdiensten und einer gemeinsamen Visapolitik oder Auf Wiedersehen 
und Au revoir. Es hat sich nun auch gezeigt, dass dieses Dokument, in 
dem diese Vision vom vereinigten Europa dargestellt wird, bereits lange 
vor dem Referendum auf der Insel entstanden sein muss. […] Es ist nur 
schwer zu begreifen, dass die EU-Eliten aus dem britischen Votum nichts 
gelernt haben. Es sieht so aus, als hätten die Amtsträger aus Brüssel, 
Deutschland und Frankreich nur auf den Brexit gewartet, um einen 
Mitgliedsstaat loszuwerden, der gegen die weitere Integration ist.“[17]

So weit, nun gleich eine deutsch-französische Verschwörung zu vermuten, 
muss man nicht gehen. Der Verdacht aber, dass nun wenigstens als eine 
Art Kollateralnutzen der Brexit-Abstimmung die EU-Militarisierungsagenda 
vorangebracht werden soll, liegt auf der Hand und wird durch den 
Steinmeier-Ayrault-Vorstoß erhärtet. Selbst wenn Großbritannien in 
irgendeiner Form den EU-Austritt nicht durchziehen sollte, die 
diesbezügliche Debatte dürfte sich einige Zeit hinziehen und das Land 
wird in dieser Phase sicher nicht in der Position sein, 
deutsch-französische Initiativen zu blockieren. Da es ebenso zweifelhaft 
ist, dass dies kleinen und mittleren Mitgliedsländern, die dem aus 
welchen Gründen auch immer skeptisch gegenüberstehen, gelingen wird, ist 
davon auszugehen, dass mit der EUGS nun der Startschuss für einen 
neuerlichen Militarisierungsschub abgefeuert wurde.

Anmerkungen

[1] Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln: Ein stärkeres Europa. Eine 
Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen 
Union, Brüssel, 28.06.2016.

[2] Europäische Sicherheitsstrategie: Ein sicheres Europa in einer 
besseren Welt, Brüssel, 12.12.2003.

[3] Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13. April2016 über das 
Thema: „Die EU in einem sich wandelnden globalen Umfeld – eine stärker 
vernetzte, konfliktreichere und komplexere Welt“ (2015/2272(INI)).

[4] Mogerhini, Federica: The European Union in a changing global 
environment. A more connected, contested and complex world, Strategic 
Review, Brüssel, Juni 2015.

[5] Schumacher, Tim: Geopolitischer Sprengstoff: Die 
militärisch-machtpolitischen Hintergründe des TTIP, IMI-Studie 2014/05.

[6] Griphan Briefe, 27. Juni 2016, S. 1.

[7] Petrov, Nikolay: Putin’s Downfall. The Coming Crisis of the Russian 
Regime, ECFR/166, April 2016.

[8] Schwitanski, Christopher: Die Militarisierung von Informationen. 
NATO-Propaganda heißt jetzt Strategische Kommunikation, in: DFG-VK/IMI 
(Hg.): Die 360°-NATO: Mobilmachung an allen Fronten, Tübingen 2016, S. 
59-62.

[9] Auswärtiges Amt: Realitätscheck: Russische Behauptungen - unsere 
Antworten, Stand, 18.02.2015.

[10] Ferrero-Waldner, Benita: Europa als globaler Akteur, Rede in 
Berlin, 24.01.2005.

[11] Wagner, Jürgen: Expansion – Assoziation – Konfrontation. EUropas 
Nachbarschaftspolitik, die Ukraine und der Neue Kalte Krieg gegen 
Russland, IMI-Studie 2015/06.

[12] Auch in einer Studie, die auf der offiziellen EUGS-Seite als 
Begleitmaterial während Erstellungsprozesses veröffentlicht worden war, 
wurde eine Anpasung des Planziels gefordert: : „Das Militärische 
Planziel beschränkt das Anforderungsprofil darauf, bis zu zwei Korps 
(60.000 Soldaten) für mindestens ein Jahr durchhaltefähig machen zu 
können. […] Die Globalstrategie ist eine exzellente Gelegenheit, über 
die Beschränkungen des militärischen Planzieles hinauszugehen und ein 
EU-Militärweißbuch einzuführen. […] Das leitende Element wäre, […] dass 
die EU zumindest in seiner erweiterten Nachbarschaft dazu 
[Militärinterventionen] in der Lage ist, ohne dabei auf US-Kapazitäten 
zurückgreifen zu müssen“. Sven Biscop u.a.: European Strategy, European 
Defence, and the CSDP, Clingendael Report, November 2015.

[13] Solana, Javier u.a.: Auf dem Weg zu einer Europäischen 
Verteidigungsunion – ein Weißbuch als erster Schritt, 
EP/EXPO/B/SEDE/2015/03 DE, April 2016, S. 4f.

[14] EU will die gemeinsame Verteidigung stärken, Tagesschau Online, 
28.06.2016.

[15] Ayrault, Jean-Marc/Steinmeier, Frank-Walter:Ein starkes Europa in 
einer unsicheren Welt, Stand 27.06.2016.

[16] Berechnungen zufolge steigt der deutsche Stimmanteil im EU-Rat nach 
einem Brexit von aktuell 16% auf 18,3% und von Frankreich von 13,1% auf 
15%. Siehe Mitrenga, Daniel: Statt Brexit, Die jungenUnternehmer, Mai 
2016, S. 36.

[17] Dziedzina, Jacek: Kto powstrzyma szaleńców? Kommentar in der Gość 
Niedzielny, übersetzt durch die Bundeszentrale für politische Bildung:

https://www.eurotopics.net/de/161497/eu-sortiert-sich-nach-brexit-votum-neu

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