[IMI-List] [0459] Ausdruck (April 2016) / Geopolitik und Migration / Ostermärsche / Podcast

IMI-JW imi at imi-online.de
Di Apr 12 11:05:45 CEST 2016


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0459 .......... 19. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Thomas Mickan/ Jürgen Wagner / Christoph Marischka
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich

1.) die Ostermarschreden verschiedener IMIs;

2.) die Ausgabe 5 des antimilitaristischen Podcasts;

3.) die neue April-Ausgabe des IMI-Magazins AUSDRUCK;

4.) eine aktuelle IMI-Studie zum Thema Migrationsbekämpfung.


1.) IMI-Ostermarschreden

Die IMI war dieses Jahr bei den Ostermärschen mit Beiträgen u.a. in 
München, Mannheim, Nürnberg, Haldensleben und Saarbrücken beteiligt. Die 
einzelnen Beiträge können hier nachgelesen bzw. nachgehört werden: in 
München, Mannheim, Nürnberg, Haldensleben und Saarbrücken: 
http://www.imi-online.de/2016/03/30/ostermaersche-2016/


2.) Antimilitaristischer Podcast (Ausgabe 5)

Eine neue Ausgabe des Antimilitaristischen Podcasts ist erschienen. Auf 
vielfachen Wunsch hin gibt es nun die Beiträge auch einzeln:

Antimilitaristischer Podcast Ausgabe 5
– Rückblick auf Münchner Sicherheitskonferenz und Ausblick auf erhöhten 
Rüstungsetat
(Interview mit Jürgen Wagner): 
https://www.freie-radios.net/mp3/20160406-antimilitari-76142.mp3
– Banale Militarisierung: privilegierter Zugriff der Bundeswehr auf Kitas
(Interview mit Thomas Mickan): 
https://www.freie-radios.net/mp3/20160406-antimilitari-76144.mp3
– Waffenlieferungen, Außenpolitik und Migration
(Interview mit Christoph Marischka): 
https://www.freie-radios.net/mp3/20160406-antimilitari-76145.mp3

Vollständiger Podcast (Dauer: 43:54)
Link(ogg): 
https://archive.org/download/antimilitaristischer-podcast-05/PODCAST-05.ogg
Link(mp3): 
https://archive.org/download/antimilitaristischer-podcast-05/PODCAST-05.mp3


3.) AUSDRUCK (April 2016)

Wie immer finden sich sowohl die komplette soeben erschienene 
April-Ausgabe des IMI-Magazins AUSDRUCK als auch die darin enthaltenen 
einzelnen Texte gratis auf der IMI-Internetseite. Wer den AUSDRUCK in 
Print erhalten und/oder die IMI in ihrer Arbeit unterstützen möchte, 
kann dies gerne über eine Mitgliedschaft tun: 
http://www.imi-online.de/mitglied-werden/

Hier nun der Link zur April-Ausgabe:
http://www.imi-online.de/download/AusdruckApril2016-Web.pdf

MIGRATION
-- Nach dem Ende der Geschichte: Geopolitik, Migration und die Krise der 
Demokratie(Christoph Marischka)
http://www.imi-online.de/download/AusdruckApril2016-CM-Migration.pdf

NORDAFRIKA UND DIE ARABISCHE HALBINSEL
-- Operation Restoring Hope im Jemen (Jacqueline Andres)
http://www.imi-online.de/download/AusdruckApril2016-JA-Jemen.pdf
-- Die Clinton Emails und der Libyen-Krieg (Jürgen Wagner)
http://www.imi-online.de/download/AusdruckApril2016-JW-Libyen.pdf
-- Militäreinsatz in Libyen mit deutscher Beteiligung? (Marius Hager)
http://www.imi-online.de/download/AusdruckApril2016-MH-Libyen.pdf

DEUTSCHLAND UND DIE BUNDESWEHR
-- Mehr als nur „Lazarett-Zwerge (Thomas Mickan)
http://www.imi-online.de/download/AusdruckApril2016-TM-Kita.pdf
-- Schulfrei für die Bundeswehr – Lernen für den Frieden! (Benno Malte 
Fuchs)
http://www.imi-online.de/download/AusdruckApril2016-BF-Schule.pdf
-- „Karten klar auf den Tisch“ Von der Leyens Rüstungsoffensive 
zugunsten deutscher Weltmachtambitionen (Jürgen Wagner)
http://www.imi-online.de/download/AusdruckApril2016-JW-Ruestungsoffensive.pdf 


EU-MILITARISIERUNG
-- Innereuropäischer (Waffen-)Handel und die Euro-Krise. Eine Fallstudie 
von Deutschland und Griechenland (Anne Löscher)
http://www.imi-online.de/download/AusdruckApril2016-AL-Waffenhandel.pdf
-- Kreative Kriegsfinanzierung. Rüstungsforschung, Ertüchtigung und das 
Ende des zivilen EU-Haushalts (Sabine Lösing und Jürgen Wagner)
http://www.imi-online.de/download/AusdruckApril2016-SL-JW-Finanzierung.pdf

NATO KRIEGSPOLITIK
-- Münchner Sicherheitskonferenz. Rüstung statt Dialoge! (Jürgen Wagner)
http://www.imi-online.de/download/AusdruckApril2016-JW-SiKo.pdf


4.) IMI-Studie: Geopolitik, Migration und die Krise der Demokratie


IMI-Studie 2016/04 - in: AUSDRUCK (April 2016)
Nach dem Ende der Geschichte: Geopolitik, Migration und die Krise der 
Demokratie
http://www.imi-online.de/2016/04/11/nach-dem-ende-der-geschichte-geopolitik-migration-und-die-krise-der-demokratie/ 

Christoph Marischka (11. April 2016)

„Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten“ ist nur ein Beispiel von 
vielen, mit denen auch linke Bewegungen die sog. „Flüchtlingskrise“ 
aufgreifen und mit ihren Anliegen verknüpfen. Tatsächlich fliehen gerade 
mehr Menschen als je zuvor vor Kriegen und bewaffneten Konflikten. Die 
Unterscheidung zwischen „Kriegsflüchtlingen“, anderen Ursachen und 
Formen der Migration sind jedoch unscharf und oft primär politisch 
bestimmt, wie zunächst anhand von Beispielen verdeutlicht werden soll. 
Im Folgenden wird dem Zusammenhang zwischen Geopolitik und Migration 
grundsätzlicher nachgegangen werden. Zum besseren Verständnis der 
Migrationsbewegungen weltweit soll deshalb eine Theorie aus den 1970er 
Jahren ins Gedächtnis gerufen werden, welche jenseits 
politisch-juristischer Definitionen und Unterscheidungen zwischen 
freiwilliger Migration, Flucht vor physischer und Flucht vor 
struktureller Gewalt die individuellen Migrationsentscheidungen erklären 
und mit der aktuellen Geopolitik nach dem „Ende der Geschichte“ auch 
deren Zunahme begründen kann.

Bürgerkrieg und Asyl in Deutschland...

Die aktuelle „Flüchtlingsdebatte“, die nun seit knapp einem Jahr die 
Nachrichten und wesentliche Teile des öffentlichen bzw. politischen 
Diskurses dominiert, „Überfremdungsängste“ provoziert und aus 
verschiedenen politischen Richtungen instrumentalisiert wird, gründet 
sich auf der wachsenden Zahl von Asylbewerber_innen, die in Deutschland 
ankommen. „Anlass zur Sorge“ sei, so Innenminister de Maizière bei der 
Vorstellung des Migrationsberichts 2015 im Januar 2016, dass im 
vergangenen Jahr mehr als eine Million Flüchtlinge in Deutschland 
angekommen seien – mehr als je zuvor.[1] Zugleich relativierte der 
Innenminister diese Zahl der Erstregistrierungen nach dem 
EASY-Verfahren, da es auch einzelne Menschen mehrfach erfasst haben 
könnte und viele, die bereits in ein anderes Land weitergezogen sind. 
Letztlich bildet diese Zahl also vielmehr ein administratives Verfahren 
der elektronischen Datenverarbeitung ab, das sich in Abhängigkeit vom 
tatsächlichen Migrationsgeschehen noch dazu ändert. Transitreisende, die 
Deutschland passieren, um in einem anderen Land Asyl zu beantragen, 
werden etwa mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit erfasst, wenn sie 
mit Sonderzügen fahren, als wenn sie reguläre innereuropäische Zügen 
nutzen, die lange nur stichprobenartig kontrolliert wurden.

Die tatsächliche Zahl der Asylerstanträge lag 2015 bei 441.899 und damit 
deutlich höher als in den Vorjahren 2014 (173.072) und 2013 (109.580). 
Die Staaten, die am häufigsten als Herkunftsländer angegeben wurden, 
waren Syrien (35,9%), Albanien (12,9%), Kosovo (7,6%), Afghanistan 
(7,1%) und der Irak (6,7%).[2] Dadurch liegt es nahe, die steigenden 
Flüchtlingszahlen mit der Eskalation der Konflikte in Afghanistan, 
Syrien und dem Irak zu erklären. In Wirklichkeit liegt der rasante 
Anstieg jedoch in den letzten Jahren vielmehr im Zusammenbruch der v.a. 
von Deutschland vorangetriebenen „Vorverlagerung des Grenzschutzes“ und 
des Dublin-Systems begründet, durch die Grenz- und Anrainerstaaten des 
Schengenraumes dazu gezwungen wurden, die Weiterreise von Flüchtlingen 
zu unterbinden. Italien und Griechenland waren bereits seit Jahren mit 
der Situation konfrontiert, dass jährlich hunderttausende Menschen – 
meist mit Zielen in anderen europäischen Staaten – versorgt werden 
mussten, ohne dass dies in Deutschland als Krise wahrgenommen wurde. 
Bereits 2014 ging das UNHCR von 7,6 Menschen aus, die innerhalb Syriens 
auf der Flucht wären; 2,2 Mio. weitere seien in Länder des Mittleren 
Ostens und Nordafrikas (insbes. Ägypten, Irak, Jordanien und Libanon) 
sowie alleine 1 Mio. innerhalb eines Jahres in die Türkei geflohen.[3] 
Nicht zuletzt aus dem Kalkül heraus, in Europa Rückendeckung für den 
eigenen Kurs in Syrien und gegenüber den Kurden zu erhalten, lockerte 
die Türkei dann 2015 die Überwachung der Grenze, woraufhin auch 
Griechenland und die weiteren Staaten der sog. „Balkan-Route“ ihre 
Grenzen zunehmend öffneten und eine Weiterreise nach Westeuropa 
ermöglichten.

Knapp 160.000 Menschen aus Syrien und je etwa 30.000 aus dem Irak und 
Afghanistan kamen so 2015 nach Deutschland und stellten einen 
Asylantrag. Das taten auch Menschen aus dem Kosovo (ca. 33.000) und 
Albanien (ca. 53.000). Während den Menschen aus Syrien und anderen 
Kriegsgebieten, die im Fokus westlicher Medien standen, etwa in 
Deutschland anfangs noch recht viel Verständnis und Aufnahmebereitschaft 
entgegengebracht wurde, wurden jene aus den Balkanstaaten schnell als 
„Armutsflüchtlinge“ gebrandmarkt und ihnen selbst von Seiten der 
tendenziell migrationsbejahenden grünen Partei signalisiert, dass sie 
keine Chance auf Asyl und damit keine Bleiberechtsperspektive hätten.

Bleiben wir kurz beim Beispiel Kosovo. Die Menschen dort lebten noch in 
den 1990ern vor der gewaltsamen und v.a. von Deutschland unterstützten 
Zerschlagung Jugoslawiens noch in einem gemeinsamen Staat mit ihren 
Nachbarn. Heute gelten Slowenen und Kroaten als EU-Bürger_innen, erstere 
genießen volle „Arbeitnehmerfreizügigkeit“, letztere können visafrei 
einreisen und grundsätzlich auch eine Beschäftigung aufnehmen. Menschen 
aus anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens können zwar visafrei 
einreisen, sofern sie einen biometrischen Pass besitzen, jedoch nur für 
begrenzte Zeit und ohne einer Beschäftigung nachzugehen. Wer aus dem 
ehemaligen Jugoslawien also heute als Arbeitnehmer_in, Tourist_in oder 
„Armutsflüchtling“ kommt und folglich Asyl beantragen muss, wird 
entschieden durch die bilateralen Beziehungen dieser neuen Staaten zur 
EU (die wesentlich auch von der Bereitschaft zur Mitgliedschaft in der 
NATO abhängen). Um die Asylanträge aus dem Kosovo schneller ablehnen zu 
können und Abschiebungen zu erleichtern, wurde dieser nun zum „sicheren 
Drittstaat“ erklärt – obwohl völkerrechtlich durchaus umstritten ist, ob 
es sich beim Kosovo überhaupt um einen Staat handelt und dort nach wie 
vor Bundeswehr (KFOR) und Europäische Polizeieinheiten (EUJUST LEX) 
stationiert sind, um „den Aufbau eines friedlichen, multiethnischen und 
demokratisch-rechtsstaatlichen Umfeldes zu unterstützen und militärisch 
abzusichern“.

Fließende, administrative Grenzen

Bereits Mitte 2015 schlug das UN-Kommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) 
Alarm. 2014 hätten sich weltweit 59,5 Mio. Menschen auf der Flucht 
befunden – so viele wie nie zuvor.[4] Die Tendenz ist eindeutig, die 
Zahlen sind es weniger. Der Anteil der von den einzelnen Staaten 
anerkannten Flüchtlinge basiert auf Schätzungen und ist von den 
jeweiligen nationalen Definitionen, der jeweiligen Interessenlage und 
Außenpolitik abhängig. Denn die Genfer Konvention sieht ein Recht auf 
Asyl im Wortlaut nur für Personen vor, die etwa aufgrund ihrer 
Zugehörigkeit zu einer sozialen oder religiösen Gruppe oder wegen ihrer 
politischen Überzeugung individuell „begründete Furcht vor Verfolgung“ 
haben müssen. Das deutsche Asylgesetz folgt dieser Definition, ergänzt 
um die Verfolgung aufgrund des Geschlechts. Damit ist nur ein kleiner 
Teil der Bürgerkriegsflüchtlinge oder Menschen, die vor Klimaereignissen 
oder Hunger fliehen, formal asylberechtigt. Der Anteil der nach der 
Flüchtlingskonvention „Anerkannten“ schwankt erheblich und offenbart 
große juristisch-administrative Spielräume – natürlich in Abhängigkeit 
von jeweils etablierten Migrationsrouten und den geografischen, 
politischen und militärischen Möglichkeiten, diese zu blockieren. 
Gegenwärtig werden Menschen aus Syrien (77%) und dem Irak (74%) in 
Deutschland überwiegend als Flüchtlinge im Sinne der Genfer 
Flüchtlingskonvention anerkannt – die „Schutzquote“ lag 2014 (mit 
subsidiärem Schutz oder bei festgestelltem Abschiebehindernis) insgesamt 
bei 89,7% bzw. 74%. Afghanische Staatsangehörige wurden nur zu 27% als 
Flüchtlinge anerkannt, wobei die Schutzquote bei 46,7% lag. Selbst diese 
lag bei Menschen aus Somalia (24,96) und der Demokratischen Republik 
Kongo (23,53) bereits unter einem Viertel, aus Asylanträgen von 
sudanesischen oder nigerianischen Staatsbürgern ging nur bei jedem 
zehnten irgendeine Form des Schutzstatus hervor.[5] Nachdem zuvor die 
größten Teile Malis zum Einsatzgebiet einer französisch geführten 
UN-Truppe erklärt wurden, an der sich mittlerweile auch die Bundeswehr 
mit Bodentruppen beteiligt, weil dort angeblich islamistische 
Terrormilizen die Kontrolle ausübten, erhielten nur 1,61% der 
Asylantragstellenden aus Mali in Deutschland 2014 irgendeine Form von 
„Schutz“.

Entsprechend schwanken auch die Zahlen der durchschnittlichen 
Anerkennungsquoten und auch derer einzelner Herkunftsstaaten innerhalb 
der EU erheblich, ebenfalls abhängig von den jeweiligen politischen 
Interessen, der administrativen Praxis und dem tatsächlichen 
Migrationsgeschehen. So erkannte Italien zwar 2014 insgesamt nur 10% 
aller Antragssteller_innen als Flüchtlinge an (Deutschland: 34%), seine 
„Schutzquote“ lag jedoch zugleich mit 58% (Deutschland: 42%) EU-weit mit 
am höchsten. Noch höher war diese in Schweden mit 67%, in Großbritannien 
(39%) und Frankreich (22%) jedoch deutlich niedriger, wobei hier – 
anders als in Schweden (26%) fast alle Betroffenen als Flüchtlinge 
anerkannt wurden.[6]

Zugleich ist aber die Zahl der von den UN erfassten Zuwanderern auch im 
Vereinigten Königreich (UK) und Frankreich in den letzten fünf Jahren 
deutlich gestiegen: Im UK von 4,7 Mio. auf 8,5 Mio. und in Frankreich 
von 6,2 Mio. auf 7,8 Mio.[7] Nennenswerte Teile der Zuwanderung in 
Frankreich (ca. ein Drittel) erfolgen vom afrikanischen Kontinent und im 
UK aus Indien und Pakistan und damit aus Ländern, die in anderen 
europäischen Staaten v.a. als Herkunftsländer von Flüchtlingen 
wahrgenommen werden. Ähnliche Effekte wie gegenüber den ehemaligen 
Kolonien Frankreichs und des UK zeigen sich in Deutschland gegenüber 
Menschen aus der Türkei. Sie spielen in der aktuellen Asylstatistik 
keine nennenswerte Rolle, da auch hier viele, die durchaus Asylgründe 
geltend machen könnten, stattdessen den Weg der Familien- oder 
Arbeitsmigration gehen und damit Wohnsitzauflagen und Arbeitsverbote 
vermeiden. Auch Menschen aus Zentral- und Lateinamerika werden innerhalb 
des Schengenraumes so gut wie nie als Flüchtlinge wahrgenommen, weil sie 
visafrei einreisen können.

Auch die Zahl der vom UNHCR geschätzten Flüchtlinge aus der 
Zentralafrikanischen Republik dürfte mit 412.000 noch zu niedrig 
angesetzt sein, nachdem dort große Teile der muslimischen Bevölkerung 
seit 2013 vertrieben wurden. Viele von diesen kamen jedoch in den 
Nachbarstaaten Tschad und Kamerun unter, wo sie Familienangehörige 
hatten oder deren Staatsangehörigkeit sie bereits besaßen. Obwohl selbst 
nach den Zahlen des UNHCR die Zentralafrikanische Republik auf Platz 
acht der Herkunftsstaaten rangiert, aus denen die meisten Flüchtlinge 
stammen, spielen diese etwa in Europa kaum eine Rolle. Selbst der Krieg 
in der Ukraine tangiert die EU-Staaten wenig, weil der Großteil der 
Flüchtlinge von hier (über eine Viertel Million im Jahr 2014) in die 
russische Föderation auswandert. Dort waren 2012 gerade mal 3.400 
Menschen als Flüchtlinge registriert,[8] während hunderttausende aus den 
autoritär regierten Staaten Zentralasiens als Arbeitsmigrant_innen in 
Russland leben. Ähnliches zeigt sich für Menschen aus den 
gewaltgeprägten Provinzen Pakistans in den Golfmonarchien. Menschen aus 
Sri Lanka, das bereits seit über zehn Jahren ebenfalls als eines der 
Hauptherkunftsländer anerkannter Flüchtlinge gilt und wo die Zahl der 
Binnenvertriebenen aktuell auf 30.000 geschätzt wird, arbeiten häufig 
etwa in Italien in der Altenpflege oder im Libanon als Haushaltshilfen 
(für die sich dort mittlerweile insgesamt der Begriff der „Srilankiye“ 
als Bezeichnung etabliert hat).

Obwohl also bereits die 60 Mio. vom UNHCR geschätzten Flüchtlinge 
weltweit die aktuelle „Flüchtlingskrise“ in Europa zur Randerscheinung 
machen, erfassen sie bei weitem nicht alle, die vor physischer Gewalt 
und v.a. nicht jene, die vor struktureller Gewalt, Hunger, Armut und 
Perspektivlosigkeit fliehen. Durch zahlreiche Beispiele wurde gezeigt, 
dass nicht nur die einzelstaatlichen Statistiken zum Asyl, sondern auch 
diejenigen des UNHCR unvollständig sind und v.a. von regionalen 
Grenzregimen und nationalen Definitionen und Rechtsprechungen verzerrt 
werden. Deshalb ist es womöglich sinnvoller, anstatt der Flüchtlinge als 
politisch definierte Teilmenge der Migrationsbewegungen die 
internationale Migration insgesamt in den Blick zu nehmen. Nach Angaben 
der UN ist die Zahl jener, die dauerhaft in einem Land leben, in dem sie 
nicht geboren sind oder dessen Staatsbürgerschaft sie nicht besitzen, in 
den letzten fünf Jahren von 222 Mio. (2010) auf 244 Mio. (2015) und seit 
dem Jahr 2000 um 41% gestiegen.[9]

Exit, Voice and Loyality

Bereits in den 1970er Jahren entstand eine Theorie der Migration, welche 
ohne Unterscheidung der Migrationsentscheidungen und Fluchtursachen nach 
physischer und struktureller Gewalt auskommt. Durch kleinere 
Modifikationen ermöglicht sie auch, Migrationen in ihrer Vielfältigkeit 
nicht nur mit Waffenexporten und direkten militärischen Interventionen, 
sondern mit der Geopolitik als Ganzes in ein Verhältnis zu setzten. Das 
Modell stammt von Alfred O. Hirschmann und wurde zunächst entwickelt, um 
die Bindung von Kunden an Unternehmen zu beschreiben. Seine zentralen 
Begriffe sind: Loyality, Exit und Voice.[10]

Als „Loyality“ sind unter den Bedingungen eines theoretisch 
vorausgesetzten freien Marktes jene Faktoren zu verstehen, die dazu 
führen, dass ein_e Konsument_in einem Produkt oder einer Firma „treu“ 
bleibt – also etwa die Sympathie gegenüber dem Unternehmen, positive 
Erfahrungswerte und Vertrautheit mit den Produkten. Wenn diese Loyalität 
abnimmt, etwa weil die Produkte in ihrer Qualität sinken oder sich 
verteuern, bleiben den Konsument_innen zwei Alternativen. Unter „Exit“ 
wird sozusagen die Auflösung der Kundenbindung verstanden, es werden 
Produkte eines anderen Herstellers gekauft und eine neue Kundenbindung 
aufgebaut. Unter „Voice“ sind Bemühungen zu verstehen, dem Missstand – 
in diesem Falle die sinkende Qualität der Produkte – durch individuelle 
Beschwerde oder kollektiven Protest entgegenzuwirken. Modifiziert man 
jedoch die Begriffe ein wenig und ergänzt man sie um das Konzept der 
öffentlichen Güter, ergibt sich eine Theorie, die womöglich für 
Migrationsbewegungen als Ganzes anwendbar ist und deren Zunahme vor dem 
Hintergrund aktueller Weltpolitik recht plausibel erklären kann.

Angewandt auf Staaten muss natürlich insbesondere der Begriff „Loyality“ 
deutlich weiter verstanden werden. Darunter sollen im Folgenden nicht 
nur Sympathie und Zugehörigkeit zu einer Nation oder einem Staatswesen 
verstanden werden, sondern auch eine weitergehende, rein praktische 
Bindung an ein Gebiet über die Sprache, die Anerkennung von 
Bildungsabschlüssen und Berufsqualifikationen, die Nähe zu Freunden und 
Verwandten usw. Eine zentrale Rolle hinsichtlich der Ausprägung von 
„Loyality“ spielen jedoch auch hier die bereitgestellten Güter, in 
diesem Falle die öffentlichen Güter. Hierzu gehören u.a. Schulbildung, 
Gesundheitsversorgung, soziale Absicherung, Berufs- und 
Lebensperspektiven sowie Sicherheit in einem umfassenden Sinne, die 
Menschen auch vor Übergriffen aufgrund von Religion, Geschlecht und 
Meinungsäußerungen schützt. Offensichtlich steht es um die 
Bereitstellung dieser öffentlichen Güter in weiten Teilen der Welt 
gegenwärtig sehr schlecht. Den betroffenen Menschen bleiben nun nach der 
ökonomistischen Theorie Hirschmanns zwei Optionen: Unter „Voice“ wären 
in diesem Fall individuelle und kollektive Versuche zu verstehen, die 
Politik der jeweiligen Länder und damit auch die bereitgestellten 
öffentlichen Güter zu verändern bzw. sich dafür zu engagieren, dass 
solche Güter überhaupt wieder bereitgestellt werden. Unter „Voice“ ist 
somit in einem umfassenden Sinne Partizipation zu verstehen. Die zweite 
Option, „Exit“, besteht in diesem Fall nicht aus dem Wechsel zu einem 
anderen Unternehmen, sondern in der Emigration in einen anderen Staat.

Anwendungsbeispiel Arabischer/Afrikanischer Frühling

Um die Konsequenzen dieser Perspektive zu veranschaulichen, ließe sich 
etwa spekulieren, ob die aktuelle Zunahme von Migration nicht mehr mit 
den Erfahrungen des sog. „Arabischen Frühlings“ zusammenhängen, als mit 
den konkreten, aber nur teilweise aus diesem hervorgegangenen 
Konflikten. Der „Arabische Frühling“ steht für eine Kette von 
Ereignissen 2011, in denen in mehreren, despotisch regierten arabisch 
geprägten Staaten Massenproteste stattfanden. Weniger blutig und mit 
weniger internationaler Aufmerksamkeit schlossen sich hieran weitere 
Proteste in anderen afrikanischen Staaten an: Nachdem der senegalesische 
Präsident Abdoulaye Wade Mitte 2011 seine Kandidatur für eine dritte 
Amtszeit ankündigte, formte sich eine Protestbewegung unter dem Namen 
Mouvement du 23 Juin, die wesentlich zu seiner Niederlage in der 
Stichwahl beitrug. Die Parole „Y'en a marre“ (es reicht) hallte in 
vielen frankophonen Staaten nach und inspirierte auch in Mali die 
Zivilgesellschaft, die sich größtenteils hinter einen Putsch junger 
Offiziere gegen den Langzeitpräsidenten Amadou Toumani Touré stellte und 
umfangreiche Konsultationen über Reformen einforderte. Zuletzt führten 
Massenproteste im Oktober 2014 in Burkina Faso zu einem Putsch des 
Militärs gegen Blaise Compaoré, der ebenfalls eine weitere Amtszeit 
anstrebte.

Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass sich in den vergangenen Jahren 
in mehreren arabischen und afrikanischen Staaten Massenproteste formiert 
haben, in denen sich v.a. auch viele jüngere Menschen organisierten und 
auf die Straße gingen, sich also kollektiv für die Option „Voice“ 
entschieden haben. Die Ergebnisse jedoch sind ernüchternd: In Bahrain 
und Djibouti wurden die Proteste von nackter Repression bereits im Keim 
erstickt, in Syrien wurden sie zu einem Bürgerkrieg eskaliert, in 
Ägypten führten sie in eine Militärdiktatur mit tausenden zum Tode 
verurteilten Oppositionellen. Als einziger Lichtblick galt zunächst 
Tunesien, wo in weitgehend demokratischen Wahlen eine neue Regierung 
gewählt wurde, die vieles anders machen wollte, aber nicht konnte. 
Weiterhin tief verschuldet und an internationale Abkommen gebunden, 
konnte sie nichts an der sozialen Misere ändern, die weite Teile der 
Bevölkerung gefangen hält. Während in den Provinzen auch deshalb immer 
wieder Unruhen und Proteste ausbrachen, rückten zunehmend wieder 
Mitglieder des alten Regimes in Spitzenpositionen. Am 1. März 2015 
einigte sich der tunesische Premierminister, Habib Essid, der selbst in 
den USA studieren konnte, mit dem deutschen Innenminister De Maizière 
auf eine bessere Zusammenarbeit bei der Abschiebung mutmaßlicher 
tunesischer Staatsbürger. Diese Zusage, die den Interessen der eigenen 
Bevölkerung diametral widerspricht, ließ er sich durch die Lieferung von 
Geländewagen und der Zusage deutscher Unterstützung beim Aufbau einer 
biometrischen Polizeidatenbank belohnen. Auch in Algerien und Tunesien 
versprach der deutsche Innenminister eine verbesserte Zusammenarbeit in 
der Kriminalitätsbekämpfung.[11]

Wie Rücknahmeabkommen widersprechen auch die mit der EU vereinbarten 
Fischereiabkommen westafrikanischer Staaten völlig offensichtlich den 
Interessen der jeweiligen Bevölkerung, indem den mit EU-Subventionen 
aufgebauten Fangflotten europäischer Staaten zugebilligt wird, auf 
Kosten der ansässigen Bevölkerung in den jeweiligen Küstengewässern zu 
fischen. Macky Sall, der – obwohl mit dem vorangegangenen Regime eng 
verwoben – mit der Rückendeckung der Protestbewegung „Y'en a marre“ im 
März 2013 zum Präsidenten gewählt wurde, zögerte jedoch nicht, bereits 
2014 wieder ein solches Abkommen mit der EU zu unterzeichnen. Bereits 
zuvor hatte er den USA, Frankreich und Deutschland Stützpunkte in der 
Hauptstadt Dakar für ihre Militäroperationen im Sahel zur Verfügung 
gestellt. Tatsächlich überraschen sollte das nicht, denn zumindest 
Frankreich und die USA hatten bereits im Wahlkampf Sympathie für Sall 
und die hinter ihm stehende Bewegung signalisiert. Zwei Jahre zuvor, 
während des „Arabischen Frühlings“ 2011, waren Frankreich und die USA 
federführend daran beteiligt, zwei Regime auf dem afrikanischen 
Kontinent mit militärischer Gewalt zu ersetzen: Der libysche Machthaber 
Gaddafi, der dafür gesorgt hatte, dass große Teile der Öleinnahmen der 
Bevölkerung zugutekamen und der eine Afrikanische Entwicklungsbank 
aufbauen wollte, um die Hegemonie von IWF und Weltbank zu brechen, wurde 
durch einen fünfmonatigen Luftkrieg der NATO der Macht enthoben und 
abschließend ermordet. Der Präsident der Côte d'Ivoire, Laurent Gbagbo, 
der die Gesellschaft für den Handel mit dem wichtigsten Exportgut Kakao 
nationalisiert und monopolisiert hatte, um höhere Preise auf dem 
Weltmarkt zu ermöglichen, war nach einer umstrittenen Wahl von Milizen 
aus dem Norden des Landes, unterstützt von französischen Spezialkräften, 
UN-Truppen aus Liberia und einem EU-Embargo festgenommen, misshandelt 
und nach Den Haag ausgeliefert worden. Noch ein drittes Regime wurde im 
selben Jahr auf dem afrikanischen Kontinent mit massiver Unterstützung 
der internationalen Gemeinschaft und unter militärischen Drohungen 
zumindest der USA neu installiert: Im Juli 2011 erklärte der ölreiche 
Südsudan seine Unabhängigkeit und die Rebellengruppe SPLM/A wurde unter 
internationalem Beifall zur neuen Regierung und zur offiziellen Armee 
des Landes. Wenig später kamen die bereits zuvor aus den USA gelieferten 
Waffen zum Einsatz, nachdem Regierung wie Armee auseinanderbrachen und 
sich gegenseitig bekämpften.

Krieg gegen den Terror und Migration

Die häufig als „Sahel“ bezeichnete Region zwischen diesen drei genannten 
Staaten wird bereits seit Jahren umfangreich militarisiert. Seit 2002 
bilden US-Spezialkräfte – teilweise unterstützt vom KSK der Bundeswehr – 
hier verschiedene bewaffnete Gruppen in der „Terrorismusbekämpfung“ 
aus.[12] Die Europäische Union investierte Millionen in den Aufbau neuer 
Datenbanken und geheimdienstlicher Lagezentren.[13] Nach der 
französischen Intervention in Mali – mit der auch hier flux ein neues 
Regime installiert wurde – hat Frankreich 2014 die dortige Mission zur 
Bekämpfung des Terrorismus auf die gesamte Region – Mauretanien, Mali, 
Burkina Faso, Niger und den Tschad – ausgeweitet. Mittlerweile haben 
sowohl Frankreich als auch die USA in mehreren dieser Staaten 
Stützpunkte für Drohnen installiert. Zwar werden diese Maßnahmen meist 
mit einem diffusen Set von Bedrohungen begründet, die vom Schmuggel über 
illegale Migration bis hin zum Terrorismus reichen; tatsächlich haben 
die westlichen Staaten jedoch massive Interessen im Sahel und 
Westafrika, die auch weit über den Fischfang hinaus reichen. Zu nennen 
wäre diesbezüglich etwa die Versorgung der französischen Kernkraftwerke 
mit Uran, das ganz überwiegend aus dem Niger stammt. Zu den vielen 
Rohstoffen, die in der Region abgebaut werden, gehört neben Gold auch 
Phosphat, das für die globale industrielle Landwirtschaft gegenwärtig 
unverzichtbar ist. Überlegungen der NATO zur Energiesicherheit bzw. 
Diversifikation der Energiequellen führten in den frühen 2000er Jahren 
außerdem zu Plänen, in der Region großflächige Anlagen zur Gewinnung von 
Strom aus Wind- und Sonnenenergie zu errichten und über ein 
Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsnetz hiermit auch Europa zu 
versorgen. Für diese Pläne wurde noch 2011 unter der Bezeichnung 
„Desertec“ von einer gleichnamigen Industrieinitiative unter Beteiligung 
der Deutschen Bank und RWE kräftig geworben, während Wissenschaft und 
Zivilgesellschaft insbesondere Armut und Bevölkerungswachstum zu 
Ursachen von Instabilität erklärten. 2011 etwa luden das GIGA-Institut 
und die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit gemeinsam zu einer 
Veranstaltung unter dem Titel: „Westafrika – Fragile Demokratien und 
westliche Sicherheitsinteressen“. In der Einladung hieß es: „In dieser 
politisch instabilen Region leben derzeit eine Viertelmilliarde 
Menschen. Bis 2050 werden es eine halbe Milliarde sein, die anhaltender 
Armut und Perspektivlosigkeit ausgesetzt sind. Vor allem bei der schnell 
wachsenden jungen Bevölkerung führt dies zunehmend zu Unzufriedenheit 
und häufig auch zu Radikalisierung. Die Flucht über das Mittelmeer nach 
Europa oder illegaler Drogenhandel erscheinen vielen als Auswege aus 
ihrer desolaten Situation. Was bedeutet das für Deutschland und Europa?“.

Bemerkenswert ist hieran nicht nur, dass die oben genannten 
strategischen „Sicherheitsinteressen“ gänzlich unerwähnt bleiben, 
sondern auch, dass offensichtlich nicht damit gerechnet wird, dass sich  
„Armut und Perspektivlosigkeit“ irgendwie reduzieren ließe. Damit bleibt 
gegen die identifizierten Bedrohungen letztlich nur ein stärkeres 
„sicherheitspolitisches Engagement“.

Militarisierung und Entdemokratisierung

Mittlerweile zeigt sich jedoch zunehmend, dass diese Militarisierung 
selbst die genannten Symptome verstärkt. Die International Crisis Group 
beschrieb dies in einem Bericht vom Juni 2015 eindrücklich am Beispiel 
Niger. Auch hier wurde 2011 unter internationalem Beifall ein neuer 
Präsident gewählt, der eine Renaissance ankündigte. Bereits 2012 jedoch 
habe er „regionale Unsicherheit und eine einsetzende Ernährungskrise als 
Rechtfertigung dazu angeführt, dass er das Gesamtbudget um 52% anhob, 
wobei der Verteidigungshaushalt verdoppelt und in den Bereichen Bildung, 
Gesundheit und Ernährungssicherheit gekürzt wurde.“ Kurz darauf wurden 
nicht nur französische Soldaten im Land stationiert, sondern auch eine 
EU-Mission in der Hauptstadt, welche die Gendarmerie für die Bekämpfung 
der Organisierten Kriminalität, des Terrorismus und der Migration 
ausbilden soll und sich zumindest nachrichtendienstlich auch selbst 
entsprechend betätigt. 2014 habe die Regierung nur knapp über die Hälfte 
der erhaltenen Gelder aus der Entwicklungszusammenarbeit verausgabt, was 
sie kaum rechtfertigen habe müssen, „da die innenpolitische und 
internationale Aufmerksamkeit auf die Terrorismusbekämpfung gerichtet 
wurde“. Dadurch habe sich die Situation insbesondere der jungen 
Bevölkerung weiter verschlechtert und sich ihre Bindung an den Staat 
weiter aufgelöst. In diese Kerbe schlagen auch die Islamisten, welche 
die Regierungen als „korrupt, sekulär und verwestlicht“ beschimpfen und 
stattdessen eine „moralisch reinere, islamistische“ Regierungsform in 
Aussicht stellen.[14] Sehr klar beschrieb schon zuvor die Oxford 
Research Group v.a. die Folgen der Errichtung von Drohnenbasen für die 
Perspektiven von Protest und politischer Opposition: „Operationen zur 
Bekämpfung des Terrorismus, Militärbasen oder logistische Infrastruktur 
in der Sahel-Sahara-Region erfordert [gute] Beziehungen und 
Stationierungsabkommen mit den nationalen Regierungen: den lokalen 
Partnern. Dies hat eine Anzahl undemokratischer Regime gestärkt, da ihre 
Wahrnehmung als verlässlicher Partner im 'Krieg gegen den Terror' eng 
mit den Investitionen autoritärer Regime in ihren Sicherheitsapparat zu 
korrelieren scheint. Der algerische Machtapparat, das 
quasi-Militärregime in Mauretanien und insbesondere das Regime Déby im 
Tschad wurden so zu Pfeilern externer Strategien zur 
Terrorismusbekämpfung und weitgehend immun gegenüber Druck, den 
repressiven Umgang mit ihrer Bevölkerung und politischen Gegnern zu 
verbessern“.[15]

Krise der Demokratie

Die Erfahrung, dass Revolutionen, Massenproteste und auch die Wahl von 
Hoffnungsträgern wenig Aussicht auf Verbesserung bringen, mussten in den 
vergangenen Jahren nicht nur Menschen in Afrika machen. Ähnlich 
frustrierende Ergebnisse zeigten sich auch nach den Protesten gegen den 
türkischen Präsidenten Erdogan sowie der Wahl von Syriza in Griechenland 
und dem dortigen Referendum gegen die Sparauflagen der Troika. Diese 
Ereignisse haben verdeutlicht, dass Regierungen viel mehr global 
formulierten und durchgesetzten Interessen folgen müssen, als denjenigen 
ihrer eigenen Bevölkerung. Eine Folge ist die massive Verschlechterung 
der bereitgestellten öffentlichen Güter, die zunächst bei 
Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen anfängt und mit der 
zunehmenden Erosion des Gemeinwesens auch Leib und Leben der Betroffenen 
gefährdet. Um sich abzusichern, machen die Regierungen keine 
Zugeständnisse an die Bevölkerung, sondern suchen das Bündnis mit 
mächtigen Partnern, was wiederum mit Liberalisierung und erhöhten 
Ausgaben für den Sicherheitsapparat verbunden ist, wodurch die 
sozialpolitischen Spielräume weiter schwinden. Da Protest unter diesen 
Bedingungen aussichtslos erscheint, sollte es kaum verwundern, dass 
religiös-fanatische Bewegungen unter diesen Umständen Zulauf erhalten, 
was den Regierungen, die sich lieber über internationale Bündnisse 
militärisch als innenpolitisch durch Sozialpolitik absichern, sogar 
entgegenkommt. Andererseits führt die Politik des Regime Change – oft 
auch durch Mobilisierung der jeweiligen Zivilgesellschaft von außen – 
dazu, dass selbst im hypothetischen Fall, dass eine Regierung einen 
anderen Weg gehen wollte – etwa durch Landreformen, Renationalisierungen 
von Schlüsselindustrien oder Schuldenschnitte – mit gezielter 
Destabilisierung rechnen, die Freiheiten einschränken und aufrüsten muss.

Was hier beschrieben wird, ist eine handfeste und globale Krise der 
Demokratie, die durch geopolitische Rahmenbedingungen zumindest 
befördert, wenn nicht gar ausgelöst wird. Zu diesen Bedingungen gehört 
der Krieg gegen den Terror ebenso, wie die Politik des Regime Change. 
Gemeinsam stehen sie für die Erosion des Völkerrechts und des 
Souveränitätsprinzips gepaart mit dem globalen Siegeszug des 
Liberalismus, der jeden Ansatz nichtkapitalistischer Entwicklung – wenn 
nötig militärisch – im Keim erstickt und so tatsächlich das Ende 
zumindest der säkularen „großen Erzählungen“ herbeigeführt hat. Dass 
sich unter diesen Umständen, wo „Voice“ keine Option mehr ist, immer 
mehr Menschen für „Exit“ entscheiden, sich auf den Weg machen, sollte 
niemanden verwundern. Die Konsequenz liegt auf der Hand: Die, die schon 
auf dem Weg sind, müssen woanders die öffentlichen Güter finden, die sie 
brauchen und denjenigen, die noch nicht aufgebrochen sind, muss eine 
Stimme, eine Option auf Veränderung „gegeben“ werden. Erste Schritte 
hierzu wären u.a. ein Schuldenschnitt und eine radikale Abkehr von der 
vorherrschenden Interventionspolitik, sei sie ziviler oder militärischer 
Natur. Auf die Dauer werden jedoch auch neue „Große Erzählungen“ und 
Perspektiven nichtkapitalistischer Entwicklung vonnöten sein, sonst 
führt die nächste große Erzählung: ins Jenseits.


Anmerkungen
[1] „Migrationsbericht: De Maizière besorgt über Zuzug aus Nordafrika“, 
spiegel.de vom 06.01.2006.
[2] Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF): Aktuelle Zahlen zu 
Asyl (Dezember 2015).
[3] UNHCR: Global Trends – Forced Displacement in 2014.
[4] „UN warns of ‘record high’ 60 million displaced amid expanding 
global conflicts“, un.org vom 16.06.2015.
[5] BAMF: Migrationsbericht 2014.
[6] Europäische Kommission/Eurostat: Data in Focus 3/2015.
[7] United Nations Department of Economic and Social Affairs: 
International Migration 2015 („Wallchart“, siehe: unmigration.org).
[8] Alle Zahlen bisher in diesem Absatz: UNHCR: Global Trends – Forced 
Displacement in 2014.
[9] „Trends in International Migrant Stock: The 2015 Revision“, 
reliefweb.int vom 12.01.2016.
[10] Hirschman, Albert O.: Exit, Voice, and Loyality – Responses to the 
Decline in Firms, Organizations and States, Harvard University Press 
1970, sowie: Exit, Voice, and the State, in: Jeremy Adelman (Hrsg.): The 
Essential Hirschman, Princeton University Press 2013.
[11] „De Maizière: Mission-Maghreb erfüllt“, dw.com vom 01.03.2016, 
sowie: „De Maizière will 'effizienter und schneller' abschieben“, 
welt.de vom 27.02.2016.
[12] Christoph Marischka: US-AfriCom und KSK seit Jahren in Mali aktiv, 
Telepolis vom 01.07.2013.
[13] Christoph Marischka: Sahara, der Libyenkrieg und die kommende 
Aufstandsbekämpfung, IMI-Analyse 2012/02, in: AUSDRUCK (Februar 2012).
[14] International Crisis Group: The Central Sahel - A Perfect 
Sandstorm, Africa Report N°227 (25.6.2015).
[15] Richard Reeve, Zoë Pelter: From New Frontier to New Normal – 
Counter-terrorism operations in the Sahel-Sahara, Oxford Research Group 
(August 2014).




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