[IMI-List] [0458] Facebook / Rüstungshaushalt / Libyen-Krieg
IMI
imi at imi-online.de
Mo Mär 21 17:11:48 CET 2016
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0458 .......... 19. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Thomas Mickan/ Jürgen Wagner / Christoph Marischka
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Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich
1.) der Hinweis auf den Facebook-Auftritt der IMI;
2.) Hintergründe zur deutschen Rüstungsoffensive und der anstehenden
Erhöhung des Militärhaushaltes;
3.) eine IMI-Analyse zum Libyen-Krieg und den westlichen Interessen.
1.) IMI auf Facebook
Viele haben es wahrscheinlich längst gemerkt. Schon seit einiger Zeit
ist IMI auf Facebook zu finden: https://www.facebook.com/IMI.FB/
Wir sind uns bewusst, dass Facebook eine riesige Datenkrake ist, dennoch
mussten wir feststellen, dass neben allen herkömmlichen
Kommunikationskanälen die sozialen Medien auch helfen können, politische
Inhalte zu verbreiten und vor allem relativ einfach Debatten darüber zu
führen oder Nachfragen zu beantworten. Aus diesem Grund haben wir uns
entschlossen, das Medium stärker als bisher zu nutzen. Und deswegen
würden wir uns freuen, auch Feedback (bei allem gebotenen Schutz von
persönlichen Daten) zu erhalten. Natürlich freuen wir uns über likes
oder über die Aufforderung an andere Facebook-Nutzer*innen unsere Seite
zu besuchen. Es motiviert uns, wenn Informationen weiter geteilt werden
und hilft uns, wenn kritische Nachfragen gestellt werden.
2.) Deutsche Rüstungsoffensive und die Erhöhung des Rüstungshaushaltes
Berichten zufolge geht das Verteidigungsministerium bei den am Mittwoch
stattfindenden Verhandlungen über den Haushalt 2017 und die
mittelfristige Finanzplanung bis 2020 in die Vollen. Obwohl der
Rüstungshaushalt in den letzten Jahren bereits rasant angestiegen ist,
will es nun noch einmal jährlich im Schnitt 3,5 Mrd. Euro mehr erhalten.
Dies ist mehr oder weniger das direkte Resultat der Rüstungsoffensive
von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, bei der sie Ende
Januar 2016 Neuanschaffungen im Umfang von 130 Mrd. Euro bis 2030 (50
Mrd. mehr als ursprünglich geplant) angekündigt hatte. Die nochmalige
Erhöhung des Rüstungsetats ist vor diesem Hintergrund zwingend und hat
leider auch gute Chancen durchzukommen. Siehe zu den Hintergründen
dieser Rüstungsoffensive auch:
IMI-Analyse 2016/02
„Karten klar auf den Tisch“
Von der Leyens Rüstungsoffensive zugunsten deutscher Weltmachtambitionen
http://www.imi-online.de/2016/01/29/karten-klar-auf-den-tisch/
http://www.imi-online.de/download/IMI-Analyse2016-02-Ruestungsoffensive.pdf
Jürgen Wagner (29. Januar 2016)
3.) Analyse: Libyen-Krieg und westliche Interessen
Am 19. März 2016 jährte sich der Beginn des westlichen Angriffskrieges
gegen Libyen zum fünften Mal. Inzwischen zugängliche Mails der damaligen
US-Außenministerin Hillary Clinton eröffnen dabei neue Einblicke in die
Hintergründe der Intervention, wie der folgende Artikel zeigt:
IMI-Analyse 2016/10
Die Clinton-Mails und der Libyen-Krieg
Dreiste Menschenrechtslügen und tatsächliche Interessen
http://www.imi-online.de/2016/03/18/die-clinton-mails-und-der-libyen-krieg/
Jürgen Wagner (18. März 2016)
Der Krieg gegen Libyen wurde am 19. März 2011 von einer Ad-hoc-Koalition
unter Führung von Frankreich, Großbritannien und den USA begonnen. Am
31. März 2011 ging die gesamte Kriegsführung dann auf die „Operation
Unified Protector“ (OUP) und damit auf die NATO über. Nach 26.500
Lufteinsätzen, bei 9.700 davon erfolgten Bombardierungen, endete die
Operation am 30. Oktober 2011, acht Tage zuvor war der libysche
Machthaber Muammar al-Gaddafi auf grausame Weise ermordet worden.
Seither versinkt das Land im Chaos und die Auseinandersetzungen nehmen
kein Ende. Inzwischen sind erneut – oder vielleicht auch immer noch –
westliche Spezialeinheiten im Land aktiv und es wird sogar wieder laut
über eine großangelegte Intervention nachgedacht, diesmal womöglich auch
mit deutscher Beteiligung.
Schätzungen zufolge, sollen allein bei den NATO-Bombardierungen zwischen
30.000 und 50.000 Menschen ums Leben gekommen sein.[1] Als
Rechtfertigung wurden vom Westen stets massive
Menschenrechtsverletzungen ins Feld geführt. Die kürzlich über den
Freedom of Information Act veröffentlichten Mails der damaligen
US-Außenministerin Hillary Clinton legen jedoch nahe, dass vieles, wenn
nicht sogar alles davon erstunken und erlogen war.[2] Die Mails bringen
darüber hinaus auch noch etwas Licht in die Frage, was die eigentlichen
Interessen hinter diesem Krieg waren. Vor allem aber legen sie den
Schluss nahe, dass Clinton, die wohl wichtigste treibende Kraft hinter
der westlichen Intervention[3], sogar bewusst Falschmeldungen gestreut
und der Kriegsagenda widersprechende Informationen gezielt unterdrückt
hat. Ihr diesbezüglicher Umgang mit der Wahrheit ist so schockierend,
dass einem angesichts der Tatsache, dass sie derzeit als
aussichtsreichste Kandidatin für das US-Präsidentenamt gilt, angst und
bange werden kann.
Vermeintliche Menschenrechtsverletzungen…
Ganz sicher war das System unter Muammar al-Gaddafi repressiv, dies gilt
aber in mindestens demselben Ausmaß für eine ganze Reihe „befreundeter“
Staaten, die vom Westen in Ruhe gelassen werden. Anfang 2011 begannen
die Proteste gegen die libysche Regierung, was schließlich zur
Verabschiedung der UN-Resolution 1973 führte, die zwar u.a. die
Einrichtung einer Flugverbotszone vorsah, allerdings keineswegs einen
Blankoscheck für den Sturz Gaddafis ausstellte, auch wenn sie vom Westen
völlig haltlos so zurechtinterpretiert wurde.[4] Die Regierung sei
aufgrund der Androhung von Massakern in Bengasi ihrer in der
UN-Resolution betonten „Verantwortung zum Schutz“ der Bevölkerung nicht
nachgekommen, was ihren Sturz legitimiere, so die damalige Begründung
der Angriffe. Schon damals gab es allerdings viele Hinweise, dass es
sich hierbei um bestenfalls fragwürdige, meist sogar falsche
Behauptungen handelte.
So schrieb etwa Alan Kuperman, Professor für öffentliche Angelegenheiten
an der Universität von Texas: „Gaddafi hat niemals mit einem Massaker an
der Zivilbevölkerung in Bengasi gedroht, wie Obama behauptete. Die
Warnung ‚es werde kein Pardon gegeben‘ vom 17. März richtete sich
ausschließlich gegen die Aufständischen, wie die New York Times
berichtete. Zudem habe der libysche Machthaber denjenigen eine Amnestie
versprochen, die ‚ihre Waffen wegwerfen‘, Gaddafi bot den Rebellen sogar
einen Fluchtweg und offene Grenzübergänge in Richtung Ägypten an, um
einen ‚Kampf bis zum bitteren Ende‘ zu vermeiden.“[5] Auch andere
Vorwürfe haben sich als weitgehend haltlos herausgestellt: „[N]ach
Studien der UN und von Amnesty International [hat sich] die Begründung
der damaligen Militärintervention als falsch erwiesen. Zwar kam es im
Bürgerkrieg zu Verbrechen und schweren Menschenrechtsverletzungen auf
beiden Seiten. Systematische Massaker, Luftangriffe gegen Demonstranten,
organisierte Massenvergewaltigungen und weitere schwere Vorwürfe, die
Gaddafis Regime angelastet wurden, sollen jedoch nie verübt worden sein.“[6]
Ein erster Hinweis, dass Hillary Clinton Kenntnis davon gehabt haben
muss, dass die Vorwürfe gegen Gaddafi und seine Truppen auf sehr
wackeligen Beinen standen, fand sich in einem Bericht der Washington
Times vom Januar 2015. Unter Verweis auf jüngst erhaltene
Gesprächsmitschnitte aus Tripolis sowie auf Aussagen hochrangiger
damaliger Regierungsbeamter wurde darin berichtet: „Mehrere von der
Times interviewte US-Offizielle bestätigten, dass Frau Clinton und nicht
Herr Obama führend in der Forderung war, NATO-Militärkräfte einzusetzen,
um Gaddafi als Anführer Libyens des Amtes zu entheben und dass sie
wiederholt die Warnungen von Beamten aus dem Verteidigungs- wie auch dem
Militärapparat in den Wind geschlagen hat. […] Frau Clintons Argument
bestand darin, dass Gaddafi kurz davor stand, einen Völkermord gegen
Zivilisten in Bengasi zu begehen, wo die Rebellen ihr Machtzentrum
hatten. Aber Geheimdienstbeamte aus dem Verteidigungsministerium konnten
diese Bedenken nicht bestätigen und kamen in der Tat zu der
Einschätzung, dass es Gaddafi wohl kaum riskieren würde, sich aufgrund
der Tötung zahlreicher Menschen den Zorn der Welt auf sich zu ziehen.
[…] Im Ergebnis wandten sich Verteidigungsminister Robert M. Gates und
Generalstabschef Mike Mullen entschieden gegen Frau Clintons Forderung
nach dem Einsatz von Gewalt.“[7]
Nun ließe sich argumentieren, bei diesen Meldungen handele es sich um
ein Komplott der den Republikanern nahestehenden Washington Times, um
die damals wie heute aussichtsreichste demokratische
Präsidentschaftskandidatin zu sabotieren. Allerdings bestätigen nun eine
Reihe ihrer eigenen Mails, dass Clinton einen geradezu skandalösen
Umgang mit der Frage der Verletzung von Menschenrechten in Libyen an den
Tag legte.
… und was die Clinton-Mails dazu sagen
Auch wenn sich die Kriegsbefürworter primär auf das vermeintlich
bevorstehende Massaker in Bengazi stützten, wurde auch immer wieder
argumentiert, seit Ausbruch der Proteste seien im großen Stil
Menschenrechte massiv mit Füßen getreten worden. In einer Mail vom 21.
Februar 2011 berichtete jedoch der damalige Mitarbeiter Clintons, Human
Abedin (Doc No. C05778494), bereits kurz nach Ausbruch der Proteste über
die vergleichsweise ruhige Lage in Bengasi: “Auf Grundlage zahlreicher
Augenzeugen-Berichte kommt die Botschaft zu dem Ergebnis, dass die
Regierung Bengasi nicht mehr länger unter Kontrolle hat. […] Die
Stimmung in Bengasi und Ajdabiyah ist dem Vernhemen nach ‘feierlich’ und
alle Poster von Gaddafi wurden abgehängt.“ Am 2. März 2011 lieferte
Harriet Spanos von USAID in einer weiteren Mail (Doc No. C05778340)
einen Situationsbericht ab, der ebenfalls nicht nach großangelegten
Menschenrechtsverletzungen klang: „Verfügbare Berichte legen den Schluss
nahe, dass bestimmte Formen ökonomischer Tätigkeiten in Bengasi
stattfinden, wenn auch etwas langsamer als gewöhnlich. Grundbedürfnisse
wie Nahrung sind verfügbar, werden aber täglich knapper. Läden und
Banken sind Berichten zufolge geöffnet. Mobil- und Festnetztelefone
funktionieren und das Internet ist auch wieder verfügbar.“
Wie wenig sich Clinton um die Menschenrechte scherte, geht aus einer
Mail von Sidney Blumenthal, einem der engsten Mitarbeiter der damaligen
Außenministerin, vom 27. März 2011 hervor (Doc No. C05782401). Darin
wird ihr mitgeteilt, die vom Westen unterstützten Rebellen würden alle
Söldner im Dienste Gaddafis erschießen: „Unter strikter Wahrung seiner
Anonymität gab ein Rebellenkommandeur an, dass seine Truppen weiter
summarische Hinrichtungen aller ausländischen Söldner durchführen, die
bei den Kämpfen gefangen genommen werden.“
Nach Recherchen der Huffington Post dürfte es sich dabei aber eher um
Massenexekutionen schwarzafrikanischer Gastarbeiter gehandelt haben, was
Clinton wohl bewusst gewesen sein dürfte: „Die Mails zeigen einen
vollständigen Mangel, was die Sorge um Menschenrechtsverletzungen durch
pro-NATO-Rebellen anbelangt. […] Summarische Hinrichtungen selbst von
bewaffneten Kombattanten sind klare Verstöße gegen die Genfer
Konventionen. Aber weder Blumenthal noch Hillary zeigen sich über derlei
Bagatellen allzu besorgt. Noch Besorgnis erregender ist, dass sich im
Laufe der NATO-Invasion herausstellte, dass die Vorwürfe, ausländische
Söldner würden in den Reihen Gaddafis kämpfen, falsch waren. Tatsächlich
handelte es sich bei den fraglichen Söldnern um afrikanische
Gastarbeiter. Was wirklich passiert ist war, dass die Rebellen in großer
Zahl Menschen summarisch inhaftierten und ermordeten, nur auf der Basis,
dass sie schwarz waren. Mit anderen Worten, es waren die Rebellenfreunde
der USA, die faktisch einen Genozid in Libyen verübten, und die NATO,
die ein UN-Mandat zum Schutz von Zivilisten hatte, half ihnen dabei.“[8]
In einer weiteren Mail von Sidney Blumenthal (Doc No. C05789307)
berichtet dieser ebenfalls am 27. März 2011 von der umfassenden
Verabreichung von Viagra, zur Unterstützung systematischer
Massenvergewaltigungen. Allerdings handele es sich dabei um ein Gerücht,
das von den Rebellen stamme und nicht unabhängig bestätigt sei: „Quellen
sagen nun, erneut ein Gerücht (das heißt, diese Information kommt von
Rebellenseite und wurde nicht unabhängig von westlichen
Nachrichtendiensten bestätigt), dass Gaddafi eine Vergewaltigungspolitik
verfolgt und sogar Viagra an seine Truppen verteilt hat.“ Obwohl der
Wahrheitsgehalt dieser Meldung nie erhärtet wurde, wurde sie später
prominent aufgegriffen: „Die bizarre Viagra-Vergewaltigungsgeschichte
wurde Teil einer Präsentation vor den Vereinten Nationen durch die
damalige UN-Botschafterin der USA, Susan Rice, die die
Viagra-Anschuldigung in einer Diskussion über die Übeltaten von Gaddafis
Regime aufbrachte. Ein UN-Diplomat, der an einer geschlossenen Sitzung
am 28. April 2011 teilnahm, sagte dem Guardian: ‚Es ereignete sich
während einer Diskussion darüber, ob die Truppen Gaddafis und der
Rebellen moralisch äquivalent seien. Rice listete
Menschenrechtsverletzungen durch Gaddafis Truppen auf, einschließlich
von Scharfschützen, die Kinder ermorden und der Viagra-Geschichte.‘“[9]
Obwohl eine Untersuchung von Amnesty International keine Hinweise für
systematische Vergewaltigungen durch Gaddafi-Anhänger finden konnte[10],
äußerte sich Clinton noch im Juni 2011, sie sei “tief besorgt”, weil sie
ihnen genau dies vorwarf.[11]
Diese Episoden zeigen Clintons geradezu gemeingefährlichen Umgang mit
der Wahrheit: Meldungen werden gefälscht oder unterschlagen, ganz nach
dem, was der Unterstützung ihrer Kriegsagenda dienlich ist.
Am 30. März 2011 gab erneut Clinton-Berater Sidney Blumenthal dann an
(Doc No. C05789481), es sei nicht weiter zielführend, "humanitäre
Motive" als Begründung des Krieges anzuführen: „Das humanitäre Argument
ist limitiert, kontextabhängig und bezieht sich auf eine bestimmte, in
der Vergangenheit liegende Situation. Ein Massaker in Bengasi verhindert
zu haben und hierfür ständig Kredit zu verlangen (sowohl von der
libyschen als auch der amerikanischen öffentlichen Meinung), wird sich
in Bälde als kontraproduktiv erweisen.“ Wohlgemerkt, er thematisiert in
diesem Absatz nicht die hochumstrittene Frage, ob in Bengasi tatsächlich
ein Massaker gedroht hat, sondern nur die, ob diese Behauptung als
Begründung weiter taugt, um noch monatelang weiterzubombardieren. Statt
sich auf die Menschenrechtsfrage zu versteifen, schlägt Blumenthal vor,
andere Interessen hervorzuheben, die er auch klar benennt.
Klartext: Westliche Interessen
Es dürfte selten sein, dass ein Krieg aus einer einzigen Motivationslage
heraus vom Zaun gebrochen wird – für eine solch weitreichende
Entscheidung braucht es zumeist eine kritische Masse verschiedener
Interessen. Im Falle des Libyen-Krieges wurden zahlreiche solcher Motive
angeführt, die eine Rolle gespielt haben dürften: Darunter etwa die
Absicht, mit der „Verantwortung zum Schutz“ eine neue
Interventionsdoktrin zu etablieren, das libysche Öl unter Kontrolle zu
bringen, sich eines unsicheren Kantonisten zu entledigen und
gleichzeitig zu versuchen, die soeben begonnenen Arabischen Revolutionen
in „genehme“ Bahnen zu kanalisieren.[12]
Auch Sidney Blumenthal ist in seiner bereits angesprochenen Mail vom 30.
März 2011 (Doc No. C05789481), in der er vorschlägt, nicht mehr
humanitäre Motive buchstäblich ins Feld zu führen, der Auffassung, dass
eine ganze Reihe konkreter Interessen den Sturz Gaddafis („Q“)
nahelegen: „Die positiven Argumente, aus nationalen Interessen den Sturz
von Q zu befürworten, liegen auf der Hand: die Stabilisierung
Nordafrikas, die Sicherung von Demokratie in Ägypten und Tunesien,
wirtschaftliche Entwicklung, die Auswirkungen auf die ganze arabische
Welt und auf Afrika, die Ausweitung des amerikanischen Einflusses, ein
Gegengewicht zum Iran, etc.“
Doch Blumenthal liefert noch weitere, weit brisantere Einblicke in das
Interessensgeflecht. Eine schon früh vertretene These war auch, dass der
Angriff auch im Zusammenhang mit der libyschen Afrika-Politik und den
diesbezüglichen Versuchen zu sehen sei, den Kontinent vom Westen zu
emanzipieren. Hierzu schrieb Lühr Henken in IMI-Analyse 2011/25: „Wenige
Monate vor dem NATO-Angriff auf sein Land forderte er [Gaddafi] die
arabischen und afrikanischen Staaten auf, eine neue gemeinsame Währung
einzuführen, um sich der Macht des Dollars und des Euros zu entziehen.
Grundlage sollte der Gold-Dinar sein, der auf dem 144 Tonnen schweren
libyschen Goldschatz beruht, der in der staatlichen Zentralbank lagert.
Dieser Initiative waren bereits geheime diesbezügliche Konferenzen 1996
und 2000 vorausgegangen. Die meisten afrikanischen Länder unterstützten
dieses Vorhaben. Sollte dies gelingen, wäre Frankreich der größte
Verlierer, denn das bedeutete das Ende des CFA-Franc in den 14
frankophonen Ländern Afrikas, und damit auch das Ende der postkolonialen
Kontrolle Frankreichs über diese. Drei Schlüsselprojekte hatte Gaddafi
in Planung, die den Grundstein für eine afrikanische Föderation bilden
sollten: Die Afrikanische Investmentbank im libyschen Sirte, die
Afrikanische Zentralbank mit Sitz in Abuja, der Hauptstadt Nigerias,
sowie die für 2011 geplante Einrichtung des Afrikanischen Währungsfonds
in Jaunde (Kamerun), der über einen Kapitalstock von 42 Milliarden
Dollar verfügen soll.“[13]
Dass derlei Überlegungen zumindest mit eine Rolle für die
Kriegsentscheidung Frankreichs gespielt haben, wird nun in einer
weiteren Mail Blumenthals vom 2. April 2011 (Doc No. C05779612) unter
dem Betreff „France's client & Q's gold“ spektakulär bestätigt: „Am 2.
April 2011 gaben Quellen mit Zugang zu Beratern von Salt al-Islam
Qaddafi[14] unter strengster Vertraulichkeit an, dass das Einfrieren der
Bankkonten Gaddafi zwar ernsthafte Schwierigkeiten bereite, seine
Fähigkeit zur Ausrüstung und Aufrechterhaltung der bewaffneten Truppen
und des Geheimdienstes dadurch aber intakt bleiben. Gemäß sensibler
Informationen, die diesen Personen zugänglich sind, verfügt die
Gaddafi-Regierung über 143 Tonne Gold und eine ähnliche Zahl an Silber.
Ende März wurden diese Vermögenswerte nach SABHA (südwestlich in
Richtung der libyschen Grenze mit dem Niger und Tschad) verfrachtet;
entnommen wurden sie den Tresoren der libyschen Zentralbank in Tripolis.
Dieses Gold wurde vor Ausbruch der aktuellen Rebellion angesammelt und
war dafür gedacht, eine pan-arabische Währung auf Basis des libyschen
Gold-Dinar ins Leben zu rufen. Dieser Plan wurde mit dem Ziel entworfen,
den frankophonen Ländern eine Alternative zum CFA-Franc zur Verfügung zu
stellen. […] Gemäß kenntnisreicher Individuen, beläuft sich der Wert
diese Menge an Gold und Silber auf 7 Mrd. Dollar. Französische
Geheimdienstoffiziere entdeckten den Plan kurz nachdem die aktuelle
Rebellion begann und hierbei handelte es sich um einen der Faktoren, die
die Entscheidung des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy
beeinflussten, Frankreich auf einen militärischen Angriff festzulegen.
Nach Angaben dieser Individuen, werden Sarkozys Pläne von folgenden
Faktoren beeinflusst:
1.Den Wunsch einen größeren Anteil an der libyschen Ölproduktion zu
erhalten,
2.Den französischen Einfluss in Nordafrika auszuweiten,
3.Die innere politische Lage in Frankreich zu verbessern,
4.Dem französischen Militär die Möglichkeit zu bieten, seiner Position
in der Welt wieder Geltung zu verschaffen,
5.Die Sorgen seiner Berater über Gaddafis langfristige Pläne, Frankreich
als dominierende Macht im frankophonen Afrika abzulösen zu adressieren.“
Aus diesem Interessensbündel dürfte sich die exponierte Rolle
Frankreichs erklären, dass bei der Kriegsführung von Anfang an ganz
vorne mit dabei war. Sicher handelt es sich bei dieser Mail nicht um
einen abschließenden Beweis, was die tatsächlichen Gründe für die
Intervention waren. Viel näher an die Überlegungen, die in solchen
Fragen im US-Außenministerium angestellt werden, dürfte man aber selten
kommen.
Bravo Hillary!
Die Folgen des Libyen Krieges waren und sind fatal: Nicht nur das Land
selbst versinkt in Chaos und Krieg, auch die ganze Region wurde
destabilisiert. Ein Kollateralschaden ist etwa die Eskalation in Mali,
die nicht unwesentlich mit dem Libyen-Krieg zusammenhängt.[15] Und eine,
wenn nicht die Hauptverantwortliche ist die potenzielle demokratische
Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton. Dies geht auch aus einer
weiteren Mail hervor, die von der humanitären Interventionistin
Anne-Marie Slaughter verfasst wurde. Als zwischenzeitliche Leiterin der
wichtigen Politikplanungsabteilung bekleidete sie eines der höchsten
Ämter in Clintons Außenministerium: “In einer Mail mit dem Betreff
‘bravo!’, die am 19. März 2011 gesendet wurde – dem Tag, an dem die USA
und ihre Verbündeten mit der Bombardierung Libyens begannen – schien die
Cliton-Vertraute und ehemalige Angestellte Anne-Marie Slaughter die
damalige Außenministerin dafür zu bejubeln, einen widerstrebenden
Präsidenten Obama überzeugt zu haben, Militäraktionen in Libyen
durchzuführen. ‚Ich kann mir nicht vorstellen, wie erschöpft Du nach
dieser Woche sei musst. Aber ich war NIE stolzer mit Dir gearbeitet zu
haben‘, schreibt Slaughter […]. ‚POTUS [Obama] in dieser Frage umgedreht
zu haben, ist ein großartiger Erfolg für alles, wofür wir gearbeitet
haben.‘“[16]
Neue Interventionspläne
Ende Februar 2016 berichtete Le Monde, französische Spezialeinheiten
seien in Libyen aktiv, Präsident Holland habe “inoffizielle
Militäraktionen” autorisiert.[17] Auch amerikanische Spezialeinheiten
sollen in Libyen operieren, dem vernehmen nach aber weniger in direkten
Kampfeinsätzen, sondern zur Ausbildung lokaler Milizen. Unterstützt
werden sie schon seit einiger Zeit durch punktuelle Luftschläge,
erstmals griffen die USA im November 2015 Ziele des Islamischen Staates
an und seit Mitte Februar 2016 können von Sizilien aus Drohnenangriffe
gestartet werden.[18] Auch Pläne für umfassende Luftschläge sollen in
den USA bereits fertiggestellt worden sein.[19]
Und auch Deutschland will dieses Mal mit dabei sein. Im Jahr 2011 hatte
sich die Regierung noch geweigert, sich an der Bombardierung zu
beteiligen, was innerhalb des sicherheitspolitischen Establishments
regelrechte Schockwellen ausgelöst hatte. Diese Weigerung war u.a.
Anstoß für das Projekt „Neue Macht – Neue Verantwortung“, das die
späteren Auftritte von Bundespräsident Joachim Gauck,
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Außenminister
Frank-Walter Steinmeier bei der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang
2014 vorbereitet hatte. Seither lautet die lauthals verkündete
Botschaft: Kein Krieg ohne uns!
Und das dürfte auch für Libyen gelten. Zumindest will sich Deutschland
an der Ausbildung libyschen Militärs beteiligen – allerdings fehlen
hierfür bisher sowohl ein UN-Mandat als auch eine funktionsfähige
Regierung.[20] Doch augenscheinlich werden auch weit umfassendere
Überlegungen angestellt. So berichtet der Journalist Björn Müller über
einen Vortrag des Leiters der Abteilung Politik im
Verteidigungsministerium, Géza Andreas von Geyr, in dem es u.a. um
Libyen ging: „‘Greif nicht in ein Wespennest, doch wenn du greifst, dann
greife fest – und wir wollen fest zugreifen‘, so der gelernte Diplomat.
In der Folge nannte der Politikchef des BMVgs vier Punkte, die aus
seiner Sicht bei einer Intervention zur Stabilisierung Libyens
essenziell seien:
1.Die Errichtung einer ‚Grünen Zone‘ in der Hauptstadt der angestrebten
Einheitsregierung Libyens.
2.Die Milizen in eine einheitliche Sicherheitsstruktur überführen (Hier
käme dann wohl ein Ausbildungskontingent der Bundeswehr zum Tragen. […]).
3.Den Islamischen Staat in den Regionen Libyens direkt bekämpfen, in
denen er sich ausgebreitet hat.
4.Die ‚Schleuserstrukturen‘ konsequent bekämpfen. Laut Geyr sei es wohl
notwendig, hierbei auch in den Territorialgewässern Libyens aktiv zu
werden und ‚an Land zu gehen‘. […]
Die forschen Ausführungen von Geyrs können als Indiz gewertet werden,
dass das Verteidigungsministerium bzw. die Bundesregierung mit ihren
Planungen für eine Beteiligung der Bundeswehr in dem Krisenstaat schon
sehr weit sind und vor allem, dass das deutsche Engagement sehr
umfassend ausgelegt ist“.[21]
Anmerkungen
[1] Chivers, C.J. und Schmitt, Eric: In Strikes on Libya by NATO, an
Unspoken Civilian Toll, New York Times, 18.12.2011.
[2] Alle Mails finden sich über die Suchfunktion des „Virtual Rading
Room”, auch diejengen, für die sich in diesem Artikel kein Link finden
lassen konnte, auf folgender Seite:
https://foia.state.gov/search/results.aspx
[3] Die zentrale Rolle Clintons als regelrechte Kriegstreiberin wird
u.a. anhand eines jüngst erschienen ausführlichen Artikels ersichtlich,
der sich umfassender Primärquellen, insbesondere von Präsident Obama
selbst bedient. Demnach soll aus dem inneren Kreis neben Obama noch
Viezepräsident Joe Biden gegen den Angriff gewesnen sein. Dafür waren
aber Susan Rice, Ben Rhodes, Samantha Power und eben Clinton. Siehe
Goldberg, Jeffrey: The Obama Doctrine, The Atlantic, 10.03.2016.
[4] Siehe zur völkerrechtlichen Einordnung von Resolution 1973 Paech,
Norman: Libyen und das Völkerrecht, in: Becker, Johannes (Hg.): Der
Libyen-Krieg : das Öl und die "Verantwortung zu schützen", Münster2012,
S. 61-76.
[5] Kuperman, Alan J.: False pretense for war in Libya?, The Boston
Globe, 14.04.2011.
[6] Hager, Marius: Der endlose Bürgerkrieg Libyens, in: AUSDRUCK
(Dezember 2015), S. 5-6, S. 6.
[7] Secret tapes undermine Hillary Clinton on Libyan war, Washington
Times, 28.01.2015.
[8] Clinton Emails on Libya Expose The Lie of 'Humanitarian
Intervention', Huffington Post, 22.01.2016.
[9] Parry, Robert, What Hillary Knew about Libya, Consortiumnews,
12.01.2016.
[10] Cockburn, Pattrick: Amnesty questions Libyan mass rape, nzherald,
25.06.2011.
[11] Libya: Clinton condemns rape as weapon of war, BBC, 17.06.2011.
[12] Siehe Wagner, Jürgen: Der Libyenkrieg und die Interessen der NATO,
in: Becker 2012, S. 109-130.
[13] Henken, Lühr: Krieg gegen Libyen – Ursachen, Motive und Folgen,
IMI-Analyse 2011/025.
[14] Der zweitälteste Sohn Muammar al-Gaddafis.
[15] Marischka, Christoph: Sahara, der Libyenkrieg und die kommende
Aufstandsbekämpfung, in: AUSDRUCK (Februar 2012), S. 28-32.
[16] ‘Bravo!’ Email Appears To Show Clinton’s Friend Congratulating Her
on Bombing of Libya, Antiwar.com, 27.02.2016.
[17] La guerre secrète de la France en Libye, Le Monde, 24.02.2016.
[18] "Islamischer Staat" in Libyen: Amerikas nächster Krieg, Spiegel
Online, 17.02.2016.
[19] Pentagon Has Plan to Cripple ISIS in Libya With Air Barrage, New
York Times, 08.03.2016.
[20] Ausbildungsmission für Libyen: Jetzt auch die Kanzlerin,
Augengeradeaus, 29.01.2016.
[21] Müller, Björn: „Wir wollen fest zugreifen“ – Leiter
Politik-Abteilung BMVg zu Libyen, Pivot Area, 26.01.2016.
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