[IMI-List] [0457] SiKo-Auswertung / Ägäis-Einsatz

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Mi Feb 17 17:54:30 CET 2016


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Online-Zeitschrift "IMI-List"

Nummer 0457 .......... 19. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563

Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

Red.: IMI / Thomas Mickan/ Jürgen Wagner / Christoph Marischka

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Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3

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Liebe Freundinnen und Freunde,



mittlerweile ist bereits die vierte Ausgabe unseres antimilitaristischen
Podcast online:
http://www.imi-online.de/2016/02/15/antimilitaristischer-podcast-ausgabe-4/


In dieser IMI-List findet sich
 außerdem


1.) der Hinweis auf eine Analyse zum gerade beschlossenen NATO-Einsatz
in der Ägäis;


2.) eine Auswertung der Inhalte und Reden auf der diesjährigen Münchner
Sicherheitskonferenz.





1.) Analyse zum NATO-Einsatz in der Ägäis

Zweifellos stellt die Entsendung des NATO-Mittelmeerverbandes in die
Ägäais einen weiteren Schritt zur Militarisierung der Migrationsabwehr
dar. Doch der Einsatz ist zugleich auch ein Signal gegen Russland und
kann nur als Rückendeckung für die Türkei verstanden werden, so
zumindest Christoph Marischka, in:

IMI-Standpunkt 2016/005
NATO steigt in Syrienkrieg ein
Marineaufmarsch im östlichen Mittelmeer
http://www.imi-online.de/2016/02/12/nato-steigt-in-syrienkrieg-ein/
von: Christoph Marischka (12. Februar 2016)




2.) Auswertung der Inhalte und Reden auf der diesjährigen Münchner
Sicherheitskonferenz


IMI-Analyse 2016/06
Münchner Sicherheitskonferenz: Rüstung statt Dialog!
http://www.imi-online.de/2016/02/16/muenchner-sicherheitskonferenz-ruestung-statt-dialog/
Jürgen Wagner (16. Februar 2016)

Die Relevanz der Münchner Sicherheitskonferenz lässt sich unter anderem
daran ersehen, dass sie im aktuellen Ranking der wichtigsten
Denkfabrik-Tagungen der Welt ihren Spitzenplatz aus dem Vorjahr
behauptet hat.[1] Auch 2016 versammelten sich zwischen dem 12. und 14.
Februar erneut „etwa 600 hochrangige Führungspersönlichkeiten der
internationalen Politik“. Damit ist das Treffen in der bayerischen
Hauptstadt nicht nur nach Selbsteinschätzung die zentrale „Bühne für die
wichtigsten sicherheitspolitischen Entscheidungsträger.“[2] Eine der
wohl wichtigsten Funktionen der Konferenz besteht traditionell darin,
der breiten Öffentlichkeit die wesentlichen sicherheits- bzw.
militärpolitischen Kernfragen – und häufig auch gleich die Antworten –
für das anstehende Jahr zu präsentieren. Schon im Vorfeld wurde der Ton
vorgegeben: Eine „Ära der Instabilität“ sei angebrochen, für die sich
der Westen auch und gerade militärisch wappnen müsse, fasste die FAZ den
„Munich Security Report“, die im Vorfeld erschienene Begleitpublikation
der Sicherheitskonferenz, zusammen.[3]

In diesem Jahr standen die Auseinandersetzungen in Syrien und in der
Ukraine, vor allem aber das damit eng zusammenhängende und völlig
zerrüttete westlich–russische Verhältnis im Zentrum. Zwar wurde vom
Westen dabei allenthalben Gesprächsbereitschaft signalisiert,
gleichzeitig aber so heftig an der Eskalationsschraube gedreht, dass an
eine Lösung der mannigfaltigen Konflikte in absehbarer Zeit wohl nicht
zu denken sein wird. Neben der parallel erfolgten Eskalation des
Syrien-Kriegs durch die Türkei war deshalb auch fast folgerichtig der
Auftritt des russischen Ministerpräsidenten Dmitri Medwedew der traurige
„Höhepunkt“ der Konferenz. In seiner Rede warnte er nicht vor einem
Neuen Kalten Krieg, sondern er betonte in aller Deutlichkeit, dass
dieser schon begonnen habe.


Syrien: Verhandeln und schießen

Mittlerweile tobt in Syrien seit fast fünf Jahren ein unerbittlicher
(Bürger-)Krieg, in den mehrere dutzend Staaten sowie unzählige lokale
Gruppen involviert sind, die aus dem Land eine „geopolitische Hölle“[4]
gemacht haben. Laut dem „Syrian Center for Policy Research” hätten durch
den Krieg 470.000 Menschen ihr Leben verloren und fast 2 Millionen seien
verletzt worden, was 11,5% der Bevölkerung entspräche.[5]
Konferenzleiter Wolfgang Ischinger macht seit Jahren die zu „laxe“
westliche Interventionspolitik für die Lage verantwortlich. Wäre nur
frühzeitig „beherzt‘“ militärisch in den Konflikt eingegriffen und der
syrische Machthaber Baschar al-Assad gestürzt worden, hätte sich alles
zum Besten entwickelt, so die Auffassung des Tübinger Honorarprofessors:
„Wir haben vor vier Jahren fälschlicherweise weggeschaut. […] Jetzt
lernen wir mühselig und etwas spät, dass Wegschauen von Verantwortung
nicht befreit. Und dass Nichtstun auch Folgen hat. Und dass der
Konflikt, von dem wir glaubten, er spiele sich in Syrien ab, jetzt
krachend vor unserer Haustür landet. […] Unsere Strategie in der
Syrien-Krise ist nur dann glaubwürdig, wenn sie mit glaubwürdigen
militärischen Handlungsoptionen unterlegt ist. […] Die EU muss imstande
sein, über Fragen wie Schutzzonen in Syrien für die Millionen von
Flüchtlingen ernsthaft zu reden. Wir müssen imstande sein, mit den USA
und anderen Nationen über mögliche Flugverbote in und um Syrien zu
sprechen.“[6]

Wovon Ischinger hier redet, bleibt allerdings sein ganz persönliches
Geheimnis: Denn die USA arbeiteten mit Unterstützung der EU spätestens
seit 2006 gezielt auf die Schwächung Assads hin, wie aus Depeschen der
US-Botschaft in Damaskus hervorgeht. Aus ebenfalls bei Wikileaks
veröffentlichten Dokumenten geht gleichzeitig hervor, dass
Spezialeinheiten der USA und anderer Länder mindestens seit Dezember
2011 in Syrien operierten, um die Rebellen zu unterstützen.[7] Allein
über die CIA wurden dabei nach Angaben der den US-Demokraten
nahestehenden „Brookings Institution“ eine Milliarde Dollar in die
Aufrüstung der Aufstandsbewegung gesteckt und dabei 10.000 Kämpfer
ausgebildet.[8] Dies alles geschah in vollem Wissen, dass
radikalislamistische Gruppen innerhalb der Rebellen komplett tonangebend
waren, wie aus einer Lageeinschätzung des Geheimdienstes des US-Militärs
aus dem Jahr 2012 hervorgeht, die sogar die später erfolgte Ausrufung
des „Islamischen Staates“ prognostizierte. Darüber hinaus taten sich
einige „Verbündete“, allen voran Saudi Arabiens und die Türkei, ganz
besonders damit hervor, mit westlichem Einverständnis oder zumindest mit
der stillschweigenden Duldung, den Islamischen Staat und andere
radikalislamistische Kräfte in Syrien massiv zu unterstützen.[9]

Von „Wegschauen“ und „Nichtstun“ kann hier also ganz offensichtlich
keine Rede sein – im Gegenteil. Nachdem der „Islamische Staat“, den man
anfangs unterstützte oder zumindest gewähren ließ, dann immer stärker an
Boden gewann, begann eine Koalition unter Führung der USA im September
2014 mit „Operation Inherent Resolve“, also vor allem mit Luftschlägen,
denen Berichten zufolge bislang fast 1000 Zivilisten zum Opfer gefallen
sind.[10] Gleichzeitig hielten die USA an ihrem Ziel fest, Assad aus dem
Weg zu räumen, was schließlich Russland dazu bewog, im September 2015 –
wiederum vor allem mit Luftangriffen, denen wohl ebenfalls viele
Zivilisten zum Opfer fallen – auf Seiten seines Verbündeten in den Krieg
einzugreifen.[11] Nicht erst der Abschuss eines russischen Kampfjets
durch die Türkei verdeutlichte, dass in Syrien inzwischen eine Situation
entstanden ist, in der sich feindlich gegenüberstehende Groß- und
Regionalmächte – darunter seit dem offiziellen Kriegseintritt im
Dezember 2015 auch Deutschland – gegenüberstehen und die das Potenzial
hat, jederzeit noch drastischer zu eskalieren.

Vor diesem Hintergrund werden die Bemühungen um die Wiederaufnahme von
Friedensverhandlungen zumeist als Versuch interpretiert, die brisante
Lage zu entschärfen. In diesem Zusammenhang wurde der Öffentlichkeit
unmittelbar vor Beginn der Sicherheitskonferenz die „Münchner
Vereinbarung“ präsentiert. Bei einer Pressekonferenz von
US-Außenminister John Kerry und seinem russischen Amtskollegen Sergej
Lawrow in der bayerischen Hauptstadt wurden die drei Kernpunkte
erläutert: Eine „Feuerpause“ innerhalb einer Woche, die Lieferung
humanitärer Hilfe sowie die Aufnahme eines politischen Prozesses zur
langfristigen Deeskalation der Lage. Allerdings könnten die
Auffassungen, wie dies zu bewerkstelligen ist, kaum unterschiedlicher
sein, da der zentrale Knackpunkt ungelöst bleibt: „Über das Ziel dieses
Prozesses besteht aber weiterhin keine Einigkeit. Der Westen will Assad
loswerden, Russland steht ihm weiter zur Seite.“[12]

Auch die Signale, die auf und während der Konferenz gesendet wurden,
tragen leider kein Stück zu irgendwelchem Optimismus bei. Recht
unversöhnlich schoben sich US-Außenminister Kerry und sein Pendant
Lawrow dort die Schuld für die Lage in Syrien gegenseitig in die Schuhe.
Es war aber wie fast schon traditionell US-Senator John McCain, der in
seiner Rede bei der Sicherheitskonferenz den aggressivsten
anti-russischen Wadenbeißer abgab: „Herr Putin ist nicht daran
interessiert, unser Partner zu sein. Er will das Assad-Regime stützen.
Er will Russland als Großmacht wieder etablieren. Er will Syrien für
eine Livedemonstration für Russlands modernisiertes Militär benutzen. Er
will die Provinz Latakia zu einem militärischen Vorposten machen, von
dem aus die russische Einflusssphäre gefestigt und ausgeweitet werden
soll – ein neues Kaliningrad oder eine neue Krim. Und er will die
Flüchtlingskrise eskalieren und sie als Waffe benutzen, um das
transatlantische Bündnis zu untergraben und das europäische Projekt zu
torpedieren. Die einzige Sache, die sich bei Herrn Putins Ambitionen
verändert hat, ist, dass sein Appetit mit dem essen wächst.“[13]

Neben diesem Verbalradikalismus lassen vor allem zwei Entwicklungen, die
unmittelbar vor bzw. während der Sicherheitskonferenz einsetzten, große
Zweifel an Ernsthaftigkeit des Westens aufkommen, tatsächlich eine
Verhandlungslösung in Syrien anzustreben. So brachte
US-Verteidigungsminister Ashton Carter beim NATO-Treffen am 10./11.
Februar 2016, einen Tag vor Beginn der Sicherheitskonferenz, einen
offiziellen Syrien-Kriegseintritt des Bündnisses ins Spiel: „Wir prüfen
die Möglichkeit, dass die Nato selbst der Koalition beitritt.“[14] In
diesem Zusammenhang spricht einiges dafür, dass es sich bei der auf
demselben Treffen beschlossenen Entsendung des ständigen maritimen
NATO-Einsatzverbandes in die Ägäis genau hierum handelt. Offiziell
richtet sich der Einsatz zwar „nur“ gegen „Schlepper“, was an sich schon
problematisch genug wäre, zwingt dies doch flüchtende Menschen, auf
immer riskantere Routen auszuweichen. Doch plausibler ist es, den
Einsatz auch und vor allem im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen
in Syrien zu sehen: „So empörend diese weitere Militarisierung der
Flüchtlingsabwehr ist, so dürfte sie jedoch kaum das tatsächliche
Hauptziel des nun beschlossenen Einsatzes sein. Der NATO-Marineverband
ist hierfür schlicht ein zu großes Kaliber. […] Nach übereinstimmender
Einschätzung aus geopolitisch ganz unterschiedlichen Lagern sind die
syrischen Regierungstruppen mit Unterstützung aus dem Iran und Russland
gerade dabei, gegen die vom Westen unterstützten Rebellen in Aleppo
einen entscheidenden Sieg davonzutragen. Zugleich droht Saudi Arabien
offen mit der Entsendung von Bodentruppen nach Syrien und verweist dabei
auf die Türkei als möglichen Partner. […] Dass die NATO in diesem
Kontext zugleich mit der Einsatzbereitschaft ihrer AWACS auf deutschen
und türkischen Antrag die Entsendung ihres Marineverbandes beschließt,
kann nur als Rückendeckung für eine solche Offensive gewertet werden.“[15]

Und genau diese Botschaft scheint auch angekommen zu sein, wie aus einem
Interview hervorgeht, das der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu
direkt nach seinem Auftritt bei der Sicherheitskonferenz am 13. Februar
2015 noch im Tagungshotel gab: „Wie Saudi-Arabien erwäge auch das
NATO-Mitglied Türkei die Entsendung von Bodentruppen nach Syrien zur
Bekämpfung des IS. Ein solcher Einsatz könne an der Seite Saudi-Arabiens
stattfinden, so Cavusoglu. Bald darauf machte beim Publikum in München
dann noch die Meldung die Runde, türkische Kampfflugzeuge griffen im
Norden Syriens kurdische Verbände an.“[16] Fast gleichzeitig wurde dann
noch der Einsatz von türkischen Panzerhaubitzen gemeldet, die im Norden
syrische Regierungstruppen und kurdische Einheiten beschossen haben
sollen.[17] Am 14. Februar 2015, dem Tag, an dem die
Sicherheitskonferenz endete, hieß es dann schließlich: „Die Türkei hatte
es angekündigt, nun hat Saudi-Arabien es bestätigt: Riad hat Kampfjets
nach Incirlik verlegt. Dort sollen sie die Anti-IS-Koalition
unterstützen. Zudem erklärte Riad, es gebe ‚einen Konsens‘ über den
Einsatz von Bodentruppen in Syrien.“[18]

Während also über eine Lösung des Syrien-Konfliktes verhandelt wurde,
setzten die engen westlichen Verbündeten Türkei und Saudi Arabien voll
auf Eskalation. Und auch wenn es Berichte gibt, die USA hätten die
Türkei zum Stopp der Angriffe aufgefordert[19], kann von ernsthaften
Versuchen, den außer Rand und Band geratenen NATO-Verbündeten an die
Leine zu nehmen, keine Rede sein.

Damit wird noch weiter Öl in ein Feuer gegossen, das ohnehin schon hoch
genug brennt. Welches Eskalationspotenzial der Situation innewohnt, wird
auch aus einem Interview ersichtlich, das der russische
Ministerpräsident Medwedew kurz vor Beginn der Sicherheitskonferenz gab:
„Die Amerikaner und unsere arabischen Partner müssen es sich gut
überlegen: Wollen sie einen permanenten Krieg? […] Alle Seiten müssen
gezwungen werden, am Verhandlungstisch Platz zu nehmen, anstatt einen
neuen Weltkrieg auszulösen.“[20]


NATO: Si vis pacem, para bellum!

Nicht nur was Syrien anbelangte standen sich die Positionen des Westens
und Russlands unversöhnlich gegenüber. Auch bezüglich der Ukraine
beschuldigten sich beide Seiten gegenseitig, an der völlig verfahrenen
Situation Schuld zu sein. Wer dabei gehofft hatte, Jens Stoltenberg, der
das Amt des NATO-Generalsekretärs am 1. Oktober 2015 von
Russland-Hardliner Anders Fogh Rasmussen übernommen hatte, würde
gegenüber Moskau wenigstens etwas moderatere Töne anschlagen, wurde in
München umgehend eines besseren belehrt.

„Si vis pacem, para bellum!” (“Wenn Du Frieden willst, rüste Dich für
den Krieg!”), diesen Spruch muss Stoltenberg im Kopf gehabt haben, als
er seine Rede für München konzipierte. Es sei beides erforderlich,
Rüstung und Dialog, um mit Russland wieder zu einem konstruktiven
Verhältnis zu gelangen: „Wir haben ein aggressiveres Russland erlebt.
Ein Russland, das die europäische Sicherheitsordnung destabilisiert“, so
Stoltenberg in seiner Rede bei der Sicherheitskonferenz. „Ich bin der
festen Auffassung, dass die Antwort in beidem liegt, mehr Verteidigung
und mehr Dialog.“ Doch was als zweigleisiger Ansatz verkauft wird,
entpuppt sich letztlich als Rechtfertigung, die massive Aufrüstung der
NATO-Ostflanke weiter zu intensivieren: „Die NATO unternimmt die größte
Stärkung ihrer kollektiven Verteidigung seit Jahrzehnten. Das Ziel ist
es, ein machtvolles Signal auszusenden, um jedwede Aggressionen und
Einschüchterungsversuche abzuschrecken. Dies geschieht nicht, um Krieg
zu führen, sondern um Krieg zu verhindern. […] Diese Woche haben die
NATO-Verteidigungsminister wichtige Schritte in diese Richtung
beschlossen. Wir haben uns darauf geeinigt, unsere Vorwärtspräsenz im
östlichen Teil des Bündnisgebietes auszubauen.“[21]

Bereits einige Tage vor Konferenzbeginn hatten die USA eine
beträchtliche Aufstockung ihrer Mittel für die „European Reassurance
Initiative“ angekündigt, mit der die Aufrüstung Osteuropas
vorangetrieben wird. Sie sollen von gegenwärtig knapp 790 Mio. Dollar
auf 3,4 Mrd. Dollar im Jahr 2017 angehoben werden. Diese Gelder würden
die „US-Unterstützung“ für Osteuropa „sichtbarer und greifbarer“ machen,
so US-Außenminister John Kerry bei der Sicherheitskonferenz.[22] Zur
Tragweite der Maßnahme äußerte sich unter anderem Evelyn N. Farkas, bis
Oktober 2015 die Zuständige im Pentagon für Russland und die Ukraine,
folgendermaßen: „Hierbei handelt es sich wirklich um eine große Sache
und die Russen werden sich Sorgen machen. […] Es ist ein großes Zeichen
unserer Entschlossenheit, Russland abzuschrecken und unser Bündnis
ebenso zu stärken wie unsere Partnerschaft mit Ländern wie der Ukraine,
Moldawien und Georgien.“[23]

Die NATO selbst hat schon seit einiger Zeit umfassende gegen Russland
gerichtete Aufrüstungsmaßnahmen eingeleitet. Dazu gehört unter anderem
die Aufstellung einer „Ultraschnellen Eingreiftruppe“ („Very High
Readiness Joint Task Force“) für Einsätze im unmittelbaren Umfeld
Russlands, die massive Ausweitung der Manövertätigkeit und die
Einrichtung neuer Militärbasen in Osteuropa, wohin auch zusätzliche
Truppen und Material verlegt wurden.[24] Dieser Prozess soll nun weiter
intensiviert werden, obwohl es die NATO-Russland-Akte aus dem Jahr 1997
eigentlich untersagt, dass das westliche Militärbündnis in Osteuropa
„zusätzlich substantielle Kampftruppen dauerhaft stationiert.“ [25] Aus
diesem Grund war bislang zumeist von rotierenden Einheiten und relativ
geringen Kontingenten die Rede, was sich allerdings nach den Beschlüssen
des bereits erwähnten Treffens der NATO-Verteidigungsminister am 10./11.
Februar 2016 mittlerweile anscheinend erledigt hat: „Die Nato plant die
größte Aufrüstung in Osteuropa seit Ende des Kalten Krieges. Das Bündnis
will mehr Truppen und Material aufstellen, um Russland abzuschrecken.
[…] Nach Angaben aus Bündniskreisen ist im Gespräch, pro Land bis zu
1000 Bündnissoldaten zu stationieren. Als Standorte sind neben den
baltischen Staaten Lettland, Estland und Litauen auch Polen, Bulgarien
und Rumänien vorgesehen.“[26]

Genau diese Aufrüstung der NATO-Ostflanke rechtfertigte Stoltenberg dann
wiederum in seiner Rede auf der Sicherheitskonferenz unter Verweis auf
russische Aggressionen. Gleichzeitig blieb aber der „Dialogpart“ bis auf
einen reichlich halbseidenen Verweis, der Gesprächsfaden solle im Rahmen
des NATO-Russland-Rates wieder aufgenommen werden, in seiner Rede
reichlich unterrepräsentiert. So besehen lässt sich das Credo des
NATO-Generalsekretärs wohl am ehesten folgendermaßen zusammenfassen:
„Rüstung statt Dialog!“

Die Botschaft war angekommen und der russische Ministerpräsident
Medwedew dürfte bei seiner Rede ein ganz anderes Sprichwort im Kopf
gehabt haben als NATO-Mann Stoltenberg: „Wenn sich die NATO rüstet, als
sei Russland der Feind! Wenn sie redet, als sei Russland ihr Feind! Wenn
sie handelt, als sei Russland ihr Feind, dann ist sie Russlands Feind!“


Medwedew und der Neue Kalte Krieg

Dass in verschiedenen Reden deutlich wurde, dass es um die
westlich-russischen Beziehungen vorsichtig formuliert nicht allzu rosig
bestellt ist, ist keine Überraschung. So äußerte sich etwa der russische
Außenminister Sergei Lawrow in seiner Rede folgendermaßen: „Die Nato und
die EU verweigern sich voll, mit Russland zusammenzuarbeiten. Sie
bezeichnen uns als ihren Feind und liefern Waffen, um diese Trennlinien
aufrechtzuerhalten. […] Die alten Instinkte scheinen noch da zu sein
[…]In einigen Bereichen ist es noch wie zu Zeiten des Kalten Krieges
oder sogar schlimmer. […] Die ideologische Konfrontation scheint wieder
zu ihrem Alltag zurückgekehrt zu sein.“[27]

Doch es war die Rede Dmitri Medwedews, die zum traurigen Höhepunkt der
Sicherheitskonferenz werden sollte. Bekanntlich hatte der damalige und
heutige russische Präsident Wladimir Putin bereits 2007 ebenfalls bei
der Münchner Sicherheitskonferenz mit aller Schärfe vor einem Neuen
Kalten Krieg gewarnt. Heute hat sich die Situation nochmals deutlich
verschärft, was wahrscheinlich anders gekommen wäre, hätte der Westen
die 2008 unterbreiteten Warnungen Medwedews, zwischenzeitlich Putins
Nachfolger als Präsident, eine europäische Sicherheitsarchitektur unter
Einschluss Russlands aufzubauen, nicht in den Wind geschlagen.
Spätestens seit damals befinden sich die Beziehungen im freien Fall und
haben einen Punkt erreicht, an dem Experten ernsthaft vor der
Möglichkeit direkter bewaffneter Zusammenstöße warnen.[28]

Insofern konnte man bereits ahnen, wohin die Reise gehen würde, als der
eher als gemäßigt geltende Medwedew in seiner Rede gleich zu Anfang
direkt Bezug auf Putins frühere Generalkritik des Westens nahm. Die
anschließenden Aussagen Medwedews ließen dann auch dementsprechend
nichts an Deutlichkeit vermissen: „Der vorgeschlagene europäische
Sicherheitsvertrag ist auf Eis gelegt. […] Wir glauben, dass die Politik
der NATO gegenüber Russland weiter unfreundlich und unerbittlich ist.
Man kann es auch schärfer sagen: Im Grunde sind wir in die Zeit eines
neuen Kalten Krieges gerutscht. Russland wird als die größte Gefahr für
die NATO dargestellt, oder für die USA, oder für Europa und andere
Länder (und Herr Stoltenberg hat genau dies gerade untermauert). Sie
zeigen angsteinflößende Filme über ein Russland, das einen Atomkrieg
beginnt. Ich bin manchmal irritiert: Haben wir 2016 oder 1962?“[29]

Besonders auch in den Medien war man daraufhin überaus erbost, dass
Medwedew die Unverschämtheit besaß, den desolaten Zustand des
westlich-russischen Verhältnisses offen zu beschreiben. So wurde etwa im
Deutschlandfunk lamentiert: „Ein Hauch von Schock wehte durch die Flure
und Hallen des Bayerischen Hofes. Erwartet, erhofft hatte man von
Russlands Premierminister Dmitri Medwedew ein Bekenntnis zu einem
raschen Ende der Bombenangriffe in Syrien. Stattdessen gab Russlands
Premier den aggressiven Hardliner: Er verortete Russland und den Westen
in einem neuen kalten Krieg.“[30] Noch „schöner“ brachte es Daniel
Brössler in der „Süddeutschen Zeitung“ auf den Punkt: „Der Kremlchef ist
diesmal zwar nicht selbst nach München gekommen, aber seine Stimme hat
er geschickt. […] Konsequent bedient sich Medwedjew der Methode Putin.
Er versendet Botschaften, die als Warnung und Mahnung daherkommen, aber
sehr gut auch als Drohung verstanden werden können.“[31]


Mit Volldampf in die Ära der Instabilität

So hinterlässt die Münchner Sicherheitskonferenz ein überaus mulmiges
Gefühl. Niemand muss beschönigen, dass auch Russland aktuell versucht,
seine Interessen mit harten Bandagen durchzusetzen. Dies gilt aber in
mindestens ebenso großem Maße für den Westen, der in jedem Fall die
jüngste Spirale machtpolitischer Auseinandersetzungen durch seine
aggressive anti-russische Politik in Gang setzte. Wenn die Münchner
Sicherheitskonferenz in diesem Zusammenhang eines demonstriert hat, so
die völlige Unfähigkeit des Westens, sich selbstkritisch mit der eigenen
Rolle auseinanderzusetzen. Doch Russland weiter völlig einseitig zu
kritisieren und zu dämonisieren wird keine Probleme lösen – im
Gegenteil, es wird immer neue und immer größere schaffen.

Während im bayerischen Hof also rhetorisch aufgerüstet wurde, dreht sich
in Syrien die Eskalationsspirale immer weiter. Nicht zuletzt auch, weil
dies inzwischen auch unter deutscher Beteiligung geschieht, ist die
Friedens- und Antikriegsbewegung mehr denn je gefordert, hiergegen mobil
zu machen.


Anmerkungen

[1] James G. McGann: 2015 Global Go To Think Tank Index Report,
University of Pennsylvania, 09.02.2016.

[2] Entgrenzte Konflikte, begrenzte Fähigkeiten – Die Schwächen der
internationalen Ordnung stehen im Mittelpunkt der Debatten der 52.
Münchner Sicherheitskonferenz, Münchner Sicherheitskonferenz, 09.02.2016.

[3] Eine Ära der Instabilität ist angebrochen, FAZ, 27.01.2016.

[4] Cremer, Uli/Achelpöhler, Wilhelm: Syrienkrieg, Türkei und
Kurdenstaat, Grüne Friedensinitiative, 10.2.2016.

[5] Syrien: 11% tot oder verletzt, IMI-Aktuell 2016/081.

[6] Ischinger plädiert für Bundeswehr-Einsatz in Syrien, Merkur, 14.09.2015.

[7] Wagner, Jürgen: Syrien: Die Militarisierung der Proteste und die
strategische Unvernunft der Gewalt, in: AUSDRUCK (April 2012), S. 11-17.

[8] O’Hanlon, Michael: Deconstructing Syria, Brookings Institution,
30.06.2015.

[9] Wagner, Jürgen: Syrien und der kurze Aufstand des US-Militärs, in:
AUSDRUCK (Februar 2016), S. 20-21.

[10] http://airwars.org/

[11] Eine ähnlich verlässliche Seite wie airwars.org für die
US-Luftschläge in Syrien gibt es für Russland bislang nicht. Es ist
allerdings recht wahrscheinlich, dass zumindest ein Teil der vielen
Berichte über Zivilopfer russischer Luftschläge zutreffen dürften.

[12] Was folgt auf die Vereinbarung von München? Deutschlandfunk,
12.02.2016.

[13] Rede von John McCain bei der Münchner Sicherheitskonferenz,
München, 14.02.2016.

[14] Russlands Premier warnt vor „Weltkrieg“, Managermagazin, 12.02.2016.

[15] Marischka, Christoph: NATO steigt in Syrienkrieg ein,
IMI-Standpunkt 2016/005. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch
noch, dass die NATO in ihrem kürzlich veröffentlichten Jahresbericht vor
„Russlands fortdauerndem militärischen Aufmarsch in Syrien und dem
östlichen Mittelmeer“ gewarnt hat, also genau dort, wo die NATO nun
ihrerseits Kriegsschiffe hin entsendet. Siehe The Secretary General’s
Annual Report 2015, NATO 2016.

[16] Der Tag der Falken, Deutschlandfunk, 13.02.2016.

[17] Türkei greift militärisch in Syrien ein, Tagesspiegel, 14.02.2016.

[18] Saudi-Arabien verlegt Jets in die Türkei, tagesschau.de, 14.02.2016.

[19] USA und Deutschland rufen zum Stopp der Kämpfe in Syrien auf,
Kleine Zeitung, 14.02.2016.

[20] Russland warnt vor „neuem Weltkrieg“, Wirtschaftswoche, 11.02.2016.

[21] Rede von Jens Stoltenberg bei der Münchner Sicherheitskonferenz,
München, 13.02.2016.

[22] Rede von John Kerry bei der Münchner Sicherheitskonferenz, München,
13.02.2016.

[23] U.S. Fortifying Europe’s East to Deter Putin, New York Times,
01.02.2016.

[24] Schüler, Nathalie: Aufrüstung der NATO-Ostflanke, in: AUSDRUCK
(Dezember 2015), S. 7-17.

[25] „Grundakte über Gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und
Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertrags-Organisation und der
Russischen Föderation“, NATO 27. Mai 1997.

[26] Nato verlegt mehr Truppen nach Osteuropa, Spiegel Online, 10.02.2016.

[27] Russland sieht den Westen wieder als Feind, Bild.de, 13.02.2016.

[28] Dangerous Brinkmanship: Close Military Encounters Between Russia
and the West in 2014, European Leadership Network, November 2014.

[29] Rede von Dmitri Medwedew bei der Münchner Sicherheitskonferenz,
München, 14.02.2016

[30] Der Tag der Falken, Deutschlandfunk, 13.02.2016.

[31] Wie der Kalte Krieg nach München kam, Süddeutsche Zeitung, 13.02.2016.


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