[IMI-List] [0442] AUSDRUCK / Artikel EU-Afrika-Politik
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imi at imi-online.de
Mi Jun 10 14:40:59 CEST 2015
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0442 .......... 18. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Thomas Mickan/ Jürgen Wagner / Christoph Marischka
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Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List finden sich
1.) die soeben erschienene Juni-Ausgabe unseres Magazins AUSDRUCK;
2.) ein Artikel zur katastrophalen EU-Politik gegenüber Afrika vor dem
Hintergrund der dem Sterben auf dem Mittelmeer aufgepfropften Debatte.
1.) AUSDRUCK (Juni 2015)
Die soeben erschienene Ausgabe des IMI-Magazins AUSDRUCK steht wie immer
komplett und gratis online zur Verfügung:
http://www.imi-online.de/download/Juni2015_web.pdf (Mitglieder erhalten
den AUSDRUCK auf Wunsch auch in Print:
http://www.imi-online.de/mitglied-werden/)
INHALTSVERZEICHNIS
MIGRATION UND NORD-SÜD-VERHÄLTNIS
-- „Friedenssicherung“ als Reaktion auf das inferiore Außen – Eine
Schulbuchanalyse zum Verhältnis zwischen Deutschland, EU, NATO und dem
Rest der Welt (Franz Hamburger)
http://www.imi-online.de/download/Juni2015_01_Hamburger.pdf
-- „Seenotrettung“ als Teil des Problems: Dass Menschen ihr Leben
riskieren müssen (Christoph Marischka)
http://www.imi-online.de/download/Juni2015_02_Marischka.pdf
-- Mehr Engagement in den Herkunftsländern? Katastrophale Bilanz der
EU-Afrika-Politik – Instrumentalisierung der Flüchtlingskatastrophe
(Christoph Marischka)
http://www.imi-online.de/download/Juni2015_03_Marischka.pdf
DEUTSCHLAND UND DIE BUNDESWEHR
-- Der „Tag der Bundeswehr“ – Kostspieliges Agit-Prop-Happening für die
Truppe und den Krieg (Christian Stache)
http://www.imi-online.de/download/Juni2015_04_Stache.pdf
-- Die Grünen: Moralbemäntelte Geopolitik (Jürgen Wagner)
http://www.imi-online.de/download/Juni2015_05_Wagner
FRIEDENSBEWEGUNG
-- Waffen in den Nordirak: „Nicht in meinem Namen!“ –
Gerichtsverhandlung gegen Protestierende (FrauenRat Dest Dan e.V. Berlin)
http://www.imi-online.de/download/Juni2015_06_Frauenrat.pdf
-- Die Friedensbewegung kann nur links sein oder sie ist keine wirkliche
Friedensbewegung (Tobias Pflüger)
http://www.imi-online.de/download/Juni2015_07_Pflueger.pdf
DROHNEN
-- „Having transformed war, drones are getting ready to transform peace“
– Anmerkungen zur Etablierung eines EU-Binnenmarkts für Drohnen (Michael
Haid)
http://www.imi-online.de/download/Juni2015_08_Haid.pdf
2.) Artikel EU-Afrika-Politik
IMI-Analyse 2015/022 - in: AUSDRUCK (Juni 2015)
Mehr Engagement in den Herkunftsländern?
Katastrophale Bilanz der EU-Afrika-Politik
http://www.imi-online.de/2015/06/05/mehr-engagement-in-den-herkunftslaendern/
Christoph Marischka (5. Juni 2015)
Es gehört zu den besonders üblen Phänomenen der aktuellen
„Flüchtlingsdebatte“, dass sie derzeit von zahlreichen Akteuren dazu
instrumentalisiert wird, eine „engagiertere“ westliche Afrika-Politik,
einschließlich militärischer Interventionen, einzufordern. Dabei war und
ist es nicht zuletzt diese Politik, die maßgeblich dafür verantwortlich
ist, dass die Situation in vielen afrikanischen Ländern derart
katastrophal ist, dass viele Menschen bereit sind, ihr Leben aufs Spiel
zu setzen, um ihr zu entkommen.
Instrumentalisierung der Flüchtlingskatastrophe
So nahmen etwa Ronja Kempin und Ronja Scheler von der regierungsnahen
Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer u.a. bei
Tagesspiegel.de und Zeit.de veröffentlichten Stellungnahme die
Katastrophe mit mehreren hundert Ertrunkenen auf dem Mittelmeer zum
Anlass, eine aktivere militärische Außenpolitik der Europäischen Union
einzufordern. Ihr Beitrag schließt mit den Worten: „Der Einsatz
militärischer Mittel ebenso wie zahlreiche andere Maßnahmen, die die
aktuelle Debatte beherrschen – die Ausweitung der Seenotrettung, die
Revision des Dublin-Systems oder die Erleichterung legaler Migration –
müssen … in eine aktive und umfassende Außenpolitik in den
Herkunftsländern der Migranten integriert werden … Dabei dürfen EU und
Mitgliedstaaten nicht davor zurückschrecken, sich auch in Konflikte,
etwa in Syrien, einzumischen … Eine militärische Operation im Mittelmeer
mag den Migrationsdruck auf die EU-Außengrenzen verringern. Den
Flüchtlingen hilft indes nur ein umfassendes außenpolitisches Engagement
Europas.“(1)
Ganz ähnlich argumentiert Henryk M. Broder auf Welt.de. Nachdem er
zunächst seine Unkenntnis über das Internationale Flüchtlingsregime
unter Beweis stellt und reichlich Ängste vor einer „Flüchtlingswelle [,
die] auf Europa zu[rollt]“ schürt, ruft er nach dem Gewaltmonopol des
Staates, um sogleich die Sationierung der Bundeswehr in mehreren
afrikanischen Staaten einzufordern – aber natürlich nur, um den
Flüchtlingen „wirklich“ zu „helfen“: „Wer ihnen wirklich helfen will,
der müsste sich um ein ‘robustes Mandat’ für die Bundeswehr bemühen, in
Afrika ‘sichere Zonen’ zu etablieren, in denen Recht und Ordnung
herrschen und niemand wegen seines Glaubens, seiner Hautfarbe oder
seiner Herkunft verfolgt wird. Ein halbes Dutzend solcher ‘safe havens’
zwischen Nyala im Osten, Bamako im Westen und Annaba im Norden würde das
Problem nicht lösen, aber erst einmal das große Sterben stoppen. Das
sind wir den Afrikanern schuldig. Vor allem wir als Deutsche.“(2) Schon
vor den aktuellen Tragödien war diese Argumentation u.a. von Herfried
Münkler im Rahmen der vom Auswärtigen Amt angestoßenen „Review 2014“
vorbereitet worden. Hier schrieb der Historiker und beliebte Vordenker
einer aggressiveren deutschen Außenpolitik: „Die größte
sicherheitspolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts wird nicht in
der Gefährdung von Grenzen durch feindliche Militärverbände, sondern im
Überschreiten dieser Grenzen durch gewaltige Flüchtlingsströme bestehen
… Also bedarf es einer präventiven bzw. präemptiven
Stabilisierungspolitik in der europäischen Peripherie, die verhindern
soll, dass solche Flüchtlingsströme infolge ethnischer bzw.
religiös-konfessioneller Auseinandersetzungen, wirtschaftlichem Elend
sowie der damit verbundenen Perspektivlosigkeit oder aber
machtpolitischer Rivalitäten in der Region entstehen.“(3)
Dass die Flüchtlinge dabei in übelster Weise instrumentalisiert werden,
um die notorischen Forderungen nach einem verstärkten deutschen und
EUropäischen Engagement in einer „erweiterten europäischen
Nachbarschaft“, die es „friedlich und demokratisch zu gestalten“ gelte,
zu erheben, zeigt dabei etwa ein Blick auf eine frühere gemeinsame
Veröffentlichung der beiden oben zitierten SWP-Autorinnen. Anfang 2013
geißelten sie gemeinsam noch die „Berliner Blockade“ bei der
Zerschlagung Libyens durch die europäischen Partnerstaaten: „Besonders
symbolisch für die Berliner Blockadehaltung steht die Enthaltung
Deutschlands im März 2011, als der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1973
verabschiedete und den Weg ebnete, ‘alle notwendigen Maßnahmen’ zum
Schutze der libyschen Bevölkerung zu ergreifen … Mit ihrer Enthaltung
versagte die Regierung Merkel ihren europäischen Partnern Frankreich und
Großbritannien die Unterstützung bei der nachfolgenden Luft- und
Seeblockade sowie den Luftangriffen auf libysche Regierungstruppen und
Militäreinrichtungen“.(4) Die damit angeblich heraufbeschworene
„Spaltung wegen der Libyenkrise“ sei ein wesentlicher Grund dafür, dass
„das operative Engagement der Mitgliedsstaaten spürbar abgenommen“ habe.
Zuvor habe sich „die GSVP [Gemeinsame Sicherheits- und
Verteidigungspolitik] zu einem dynamischen Politikbereich der EU“
entwickelt: „Allein zwischen 2003 und 2008 konnte die EU im Durchschnitt
jährlich drei bis vier neue Missionen oder Operationen auf den Weg
bringen. Die Tatkraft der EU-Mitgliedsstaaten geriet jedoch alsbald ins
Stocken.“ Offensichtlich bildet die „Tatkraft“ das einzige Kriterium,
denn eine Bilanz dieser Einsätze in der „erweiterten europäischen
Nachbarschaft“ bleibt ebenso wie beim Libyenkrieg vollständig aus. Es
sind nämlich nicht nur in Libyen und den angrenzenden Ländern eben die
verheerenden Konsequenzen dieser „Tatkraft“, welche die
Flüchtlingskatastrophen mit verursachen.
Umfassendes Militarisierungsprogramm von G8 und EU
Soweit Afrika betroffen war, haben die Interventionen der EU im
genannten Zeitraum (2003-2008) in der Demokratischen Republik Kongo, im
damaligen Sudan, dem Tschad, der Zentralafrikanischen Republik und
Guinea-Bissau stattgefunden. Keines dieser Länder wurde dabei
stabilisiert oder demokratisiert. Am Kongo wurde der Bürgerkrieg weiter
internationalisiert, im Sudan eine Sezession mit anschließendem
Bürgerkrieg und in Guinea-Bissau ein Putsch befördert. In allen
betroffenen Staaten wurden im Zuge der Interventionen
„Sicherheitskräfte“ aufgebaut oder ausgebildet, die sich an
anschließenden innerstaatlichen Gewaltkonflikten beteiligten und bis
heute die Zivilbevölkerung bedrohen. Aktuell finden EU-Missionen
weiterhin am Kongo, in Mali, Niger, der Zentralafrikanischen Republik,
in Somalia, am Golf von Aden und der Ostafrikanischen Küste von Djibouti
bis nach Tansania sowie (auf Grund der Sicherheitslage praktisch
ausgesetzt) in Libyen statt. Im Mittelpunkt dieser Missionen steht meist
die Ausbildung lokaler Milizen, Polizei- und Militärkräfte. Die zugrunde
liegende Strategie wurde von den G8-Staaten 2004 auf dem Gipfel in Sea
Island als „Global Peace Operations Initiative“ (GPOI) formuliert.
Vorgänger war das ACOTA-Programm (African Contingency Operations
Training and Assistance) der USA, das hierin aufging. Begründet wurden
diese Programme mit der Argumentation, dass in Afrika nicht ausreichend
(gut ausgebildete) Soldaten vorhanden wären, um sich an
„Friedensmissionen“ in anderen afrikanischen Staaten zu beteiligen. Im
Rahmen von ACOTA waren zuvor bereits über 17.000 Soldaten aus
afrikanischen Staaten trainiert worden, im Rahmen von GPOI sollten es
zunächst 75.000 werden, doch dieses Ziel wurde bei weitem überschritten.
Bis 2012 wurden im Rahmen von GPOI 153.000 Soldaten unmittelbar und
weitere 43.000 durch Partnerstaaten ausgebildet, was sich alleine die
USA 767 Mio. US$ kosten ließen. Von diesen knapp 200.000 Soldaten
gehörten 168.000 den Armeen afrikanischer Staaten an, etwa 2.000 davon
waren Frauen. Begleitend zur Ausbildung stellten die USA zusätzlich oft
noch Ausrüstung und logistische Unterstützung bereit. Parallel dazu
führten Spezialkräfte der US-Army ab 2007 unter der Leitung des neu
eingerichteten US-Oberkommandos für Afrika (AFRICOM) – und teilweise mit
Beteiligung des Kommandos Spezialkräfte der Bundeswehr – Übungen und
gemeinsame Einsätze mit bewaffneten Gruppen in zahlreichen afrikanischen
Staaten, insbesondere in der Sahel-Region und den Grenzgebieten zwischen
der Zentralafrikanischen Republik, dem (Süd-)Sudan, Uganda und der
Demokratischen Republik Kongo durch.
Der europäische Beitrag der Ausbildungsinitiative fokussierte auf
explizit für den Einsatz in destabilisierten Gebieten aufgebaute
„robuste“ Polizei- und Gendarmeriekräfte. Hierzu wurde im italienischen
Vicenza das Center of Excellence for Stability Police Units (CoESPU)
aufgebaut, an dem, wiederum mit US-amerikanischer Unterstützung, bis
Dezember 2010 3.500 Polizeisoldaten überwiegend aus Afrika ausgebildet
wurden. Das CoESPU koordiniert darüber hinaus gemeinsame Trainingszyklen
sowohl europäischer Gendarmeriekräfte untereinander, als auch mit
Drittstaaten. Das seit 2007 jährlich stattfindendende “European Union
Police Forces Training” etwa wurde 2010 für nicht-EU-Staaten geöffnet
und 2011 zu einem dreijährigen Programm ausgebaut, das Übungen in
Spanien, Frankreich, Kenia, Kamerun, den Niederlanden und Italien
umfasste. Beteiligt waren u.a. Gendarmeriekräfte aus Ghana, Nigeria,
Ruanda und Südafrika.
Insbesondere aber legte sich die EU finanziell ins Zeug. Bereits im
Dezember 2003 hatte der Ministerrat die Einrichtung einer Afrikanischen
Friedensfazilität (APF) beschlossen, bei der es sich im Grunde um eine
Umwidmung jener Mittel handelt, die zuvor im Rahmen des Europäischen
Entwicklungsfonds ausbezahlt wurden. Zunächst wurden so 250 Mio. für den
Zeitraum von drei Jahren für den Aufbau und Einsätze afrikanischer
Truppen bereitgestellt, später wurde das Programm verlängert und das
Budget kontinuierlich erhöht. Bis 2013 wurden über die APF fast 1.2 Mrd.
Euro bereitgestellt, von denen über 90% in die Finanzierung von
„Friedenseinsätzen“ in Afrika, 8.3% in den Kapazitätsaufbau und 1.3% in
sogenannte Early Response-Mechanismen (ERM) flossen. Unter
Kapazitätsaufbau werden dabei nicht nur Aufbau und Unterhalt (bis hin
zur Zahlung der Gehälter) jener Strukturen der Afrikanischen Union (AU)
und ihrer subregionalen Organisationen verstanden, die für die
Zusammenarbeit mit der EU bei der politischen Vorbereitung und
Entscheidung über Militäreinsätze zuständig sind, sondern auch
internationale Manöver zur Führung multinationaler Truppen und
Ausbildungszentren für Militärs auf kontinentaler und regionaler Ebene.
Eine zivile und präventive Komponente stellen allenfalls die ERM dar,
wobei auch etwa die Erarbeitung von Operationsplänen für Militäreinsätze
hierüber finanziert wurde.
Neben der APF hat die Europäische Union mit dem Instrument für
Stabilität (IfS) einen weiteren, noch deutlich flexibleren und nicht auf
Afrika beschränkten Finanzierungsmechanismus eingerichtet, der es u.a.
ermöglicht, an ungeliebten Regimen (etwa in Zimbabwe) vorbei direkt
Organisationen der Zivilgesellschaft zu unterstützen. Eine genauere
Betrachtung zeigt jedoch auch hier, dass ein wesentlicher Teil in den
Aufbau so genannter Sicherheitskräfte floss und zwar häufig in jenen
Ländern, wo diese anschließend an innerstaatlichen Auseinandersetzungen
beteiligt waren. Der Jahresbericht 2012 etwa gibt – sehr ungenau –
Auskunft über 196 Mio. Euro, die für kurzfristige Maßnahmen zur
Krisenreaktion ausgegeben wurden, etwa ein Drittel davon auf dem
afrikanischen Kontinent. Hiervon flossen 13.4 Mio. Euro nach Libyen, das
angeblich in diesem Jahr „signifikante Fortschritte auf dem Weg zu
demokratischen Transition“ vollzogen habe und wo u.a. eine
Bedarfsanalyse für eine EU-Mission zur Verbesserung des Integrierten
Grenzschutzes finanziert wurde. Im angrenzende Staat Niger wurde mit
10.9 Mio. Euro u.a. eine EU-Mission zur Ausbildung von
Gendarmeriekräften finanziert, weitere Projekte in Sub-Sahara-Afrika
betrafen den Tschad (5 Mio.), die Zentralfrikanische Republik (4 Mio.)
und Nigeria (4.5 Mio.). 2013 umfasste das IfS insgesamt knapp 310 Mio.
Euro, von denen wiederum etwa ein Drittel auf Projekte in Afrika
entfiel. Von den insgesamt 210 Mio. Euro für kurzfristige Maßnahmen
gingen 20 Mio. nach Mali, um das dortige EU-Projekt zur
Terrorismusbekämpfung sowie die EU-Trainingsmission für malische
Soldaten zu flankieren. Weitere, nicht näher genannte Summen flossen
wiederum nach Niger, Tschad und in die Côte d’Ivoire, wo die EU 2011 mit
Sanktionen und Embargomaßnahmen einen Regimechange unter Führung
Frankreichs unterstützt hatte. 44 Mio. Euro wurden für längerfristige
Maßnahmen zur Bekämpfung überregionaler Bedrohungen ausgegeben. Darunter
fiel u.a. die Stärkung der Bekämpfung des Drogenhandels in Westafrika,
die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Geheimdiensten und Militärs
bei der Bekämpfung des Terrorismus im Sahel (Niger, Mali, Mauretanien,
Algerien, …) und die Bekämpfung der Piraterie am Golf von Guinea sowie
vor der ostafrikanischen Küste.
Perpetuierung der Bürgerkriege
Alleine bis Ende 2013 flossen insgesamt knapp 580 Mio. Euro aus der APF
in den Einsatz AMISOM mit gegenwärtig 22.000 Soldaten überwiegend aus
Uganda (6.223), Burundi (5.432), Äthiopien (4.395), Kenia (3.664) und
Djibouti (1.000) in Somalia. Sie bekämpfen seit 2008 jene Milizen und
Fraktionen, die sich nach einer US-gestützten Invasion Äthiopiens nicht
an einer von den UN, USA und EU eingesetzten und aus Exilpolitikern
bestehenden Übergangsregierung beteiligen wollten und danach überwiegend
in der radikalislamistischen Gruppe Al Shabab zusammengeschlossen haben.
Flankiert von einer Trainingsmission der EU und weiteren bilateralen
Ausbildungsprogrammen Frankreichs, Großbritanniens und der USA baut sie
außerdem eine neue Nationale Armee für die überwiegend vom Ausland aus
operierende Regierung aus. Letztlich handelt es sich dabei um ein
Programm zur weiteren Militarisierung Somalias und Internationalisierung
des Bürgerkriegs. De Facto bauen sowohl die beteiligten NATO-Staaten,
wie die afrikanischen Nachbarstaaten hier jeweils auch untereinander
konkurrierende und schwer zu kontrollierende Truppen auf. Ein besonderer
Hemmschuh für eine friedliche Entwicklung besteht dabei darin, dass an
AMISOM vor allem Nachbarstaaten Somalias beteiligt sind, die
offensichtlich ein Interesse an einem schwachen und instabilen Somalia
haben (Somalia hegt Gebietsansprüche auf den Territorien Kenias,
Äthiopiens und Djiboutis).
Bis Anfang 2014 haben die EU und ihre Mitgliedstaaten insgesamt grob
eine Mrd. Euro in diesen internationalen Bürgerkrieg gepumpt, indem sie
die Einsätze der Nachbarstaaten finanziert und deren Soldaten
ausgebildet haben. Etwa 300 Mio. Euro flossen aus der APF zwischen 2004
und 2007 in die AMIS-Mission in Darfur, welche die EU zusätzlich durch
Militär- und Polizeiausbilder sowie strategischen und taktischen
Lufttransport unterstützte. Im Anschluss begann 2008 – begleitet von
Interventionsdrohungen der USA gegen den Sudan – eine EU-Mission in den
westlich an diesen grenzenden Staaten Tschad und Zentralafrikanische
Republik. Von der proklamierten Zielsetzung her kam dieser Einsatz der
Schaffung von ‘Safe Havens’ recht nahe, wurde er doch mit dem Schutz von
Flüchtlingen aus Darfur begründet. Tatsächlich jedoch war er natürlich
gegen das Regime in Khartum gerichtet, das in der Folge Rebellen im
Tschad aufrüstete, woraufhin dort die Lage eskalierte und französische
Kampfflugzeuge und Elitesoldaten der dortigen Regierung zu Hilfe eilen
mussten.
Die EU-Mission lieferte zwar wertvolle ‘Lessons Learned’, also
Erkenntnisse für zukünftige Einsätze in Wüstengebieten, konnte jedoch
nur mit Unterstützung russischer Helikopter durchgeführt werden und
wurde Anfang 2009 durch eine UN-Mission im Tschad und eine Mission der
Afrikanischen Union in der Zentralafrikanischen Republik abgelöst. Beide
hatten die Ausbildung von Polizei- und Gendarmeriekräften zum Ziel, in
die auch die Mittel aus dem Instrument für Stabilität flossen, der
Einsatz der AU wurde darüber hinaus bis 2013 mit knapp 70 Mio. Euro aus
der APF finanziert. Das in beiden Staaten ohnehin kaum vorhandene
Gewaltmonopol des Staates und die eher informelle Kontrolle der
Sicherheitskräfte – das Regime in Tschad stützt sich in der Hauptstadt
v.a. auf französische Soldaten, während es selbst in der Hauptstadt der
Zentralafrikanischen Republik Soldaten stationiert hat, um die dortige
Regierung zu „schützen“ bzw. kontrollieren – wurden durch die
Aufstellung immer neuer bewaffneter Einheiten weiter unterlaufen. Ende
2010 wurde die UN-Mission im Tschad nach Aufforderung der dortigen
Regierung beendet – dafür hatten US-Spezialkräfte zwischenzeitlich im
Grenzgebiet zum Sudan und der Demokratischen Republik Kongo Ausbildung
für und die Führung gemeinsamer Einsätze mit tschadischen (und
ugandischen) Soldaten übernommen. 2011 dann spaltete sich der christlich
geprägte Südsudan unter Jubel der internationalen Gemeinschaft und nach
vorherigem Aufbau und Aufrüstung durch die NATO-Staaten vom islamisch
geprägten Zentralstaat ab – um ab Ende 2013 seinerseits im Bürgerkrieg
zu versinken. Bereits Anfang 2013 hatte ein muslimisch geprägtes Bündnis
unter massiver Beteiligung tschadischer Soldaten und offensichtlich mit
Rückendeckung der dortigen Regierung gegen die Regierung der
Zentralafrikanischen Republik geputscht und ist anschließend in
marodierende Banden zerfallen. Spontan gebildete christliche Milizen
reagierten mit Übergriffen auf die muslimische Zivilbevölkerung, die
daraufhin in großen Teilen von französischen Soldaten außer Landes
gebracht wurde. Von den zuvor mit viel europäischem Geld aufgebauten
Sicherheitskräften in der Zentralafrikanischen Republik war sofort nach
dem Putsch nichts mehr zu sehen – entweder sie desertierten oder
schlossen sich einer der verschiedenen Milizen und Banden an.
Entgrenzter „Krieg gegen den Terror“ und Entmündigung der Bevölkerung
Während über die Zusammenhänge zwischen der Abspaltung des Südsudan und
dem Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik nur spekuliert werden
kann, bezogen sich die Sezessionisten im Norden Malis ganz offen auf
diesen afrikanischen Präzedenzfall. Im April 2012 erklärten sie in Folge
der Zerschlagung Libyens den zu Mali gehörenden Azawad für unabhängig,
verloren jedoch in weiten Teilen schnell die Kontrolle an
radikalislamistische Kräfte. Gut ein Jahr zuvor hatte der neu gegründete
Europäische Auswärtige Dienst als neue Superbehörde der EU-Außenpolitik
(er fasst auf EU-Ebene die Funktionen nationaler Außen- und
Verteidigungsministerien mit wirtschaftspolitischen, geheimdienstlichen,
humanitären und entwicklungspolitischen Funktionen zusammen) eine
umfassenden Strategie für den Sahel veröffentlicht und die Region
zwischen Mauretanien und Niger damit zum Schwerpunkt der EU-Außenpolitik
gemacht. Bereits zuvor wurden hier zahlreiche humanitäre und
sicherheitspolitische Maßnahmen mit dem Ziel der Bekämpfung des
Terrorismus und der Migration miteinander verzahnt und u.a. über das
Instrument für Stabilität der Bau neuer Kasernen, Gefängnisse und
Lagezentren sowie der Ausbau der Polizei- und Militärkooperation mit und
zwischen den Staaten der Region finanziert. Spezialkräfte der US-Armee
führten spätestens seit 2005 mit Beteiligung der Bundeswehr und des
Kommandos Spezialkräfte Trainingsmaßnahmen und Übungen mit „einzelne[n]
militärische[n] Gruppen aus westafrikanischen Staaten“ durch.(5) Von der
lokalen Bevölkerung wurde diese Aufrüstung als Bedrohung ihrer Autonomie
wahrgenommen, was gemeinsam mit dem Vorbild Südsudan und der
Zerschlagung Libyens letztlich zur Unabhängigkeitserklärung führte.
Diese wiederum löste in Mali einen Putsch und eine französische
Militärintervention aus, die von mehreren EU-Missionen und einer
UN-Mission flankiert wird. Deutschland und die EU beteiligen sich
hierbei u.a. mit der Ausbildung malischer Soldaten und nigrischer
Gendarmeriekräfte sowie mit einem unüberschaubaren Geflecht von
Transportflügen afrikanischer Truppenkontingente quer über den Westen
des afrikanischen Kontinents. Die Bundeswehr übernimmt auch die
Luftbetankung französischer Kampfflugzeuge, sofern diese nach ihrer
Auffassung im Rahmen des Mandates der UN-Mission tätig sind. Diese
Einschränkung wurde nötig, da Frankreich seinen Einsatz in Mali
mittlerweile zu einem eigenen „Krieg gegen den Terror“ ausgeweitet hat,
der die Länder Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad
umfasst, weitere Kontingente hat Frankreich im Senegal, der Côte
d’Ivoire, der Zentralafrikanischen Republik und Djibouti stationiert –
was in etwa die Großregion umreißt, in denen die USA in den vergangenen
Jahren massiv die Präsenz von Überwachungsdrohnen ausgebaut haben und
ebenfalls mit Unterstützung von Spezialkräften und lokalen Milizen den
Terrorismus „bekämpfen“.
Weniger Ursache als Folge all dieser Aktivitäten ist die umfangreiche
Militarisierung und Destabilisierung sowie die Entmündigung der lokalen
Bevölkerung durch internationale Truppenpräsenz und lokale
Stellvertreter, die eine Plünderung der Ressourcen und Enteignung des
Landes gewährleisten. Wenn nun sinkende Flüchtlingsboote als Begründung
zur Intensivierung dieser Maßnahmen herhalten, so ist es nur konsequent,
dass auch die Bundesmarine ins Mittelmeer entsandt wird, um Boote zu
versenken, mit denen Menschen dorthin zu kommen trachten, wo ihre
Probleme – nicht nur in der Vergangenheit – ihren Ausgang nahmen.
Anmerkungen
(1) Ronja Kempin / Ronja Scheler: Migration nach Europa – Mehr
außenpolitisches Engagement der EU in ihrer Nachbarschaft nötig, SWP
„kurz gesagt“ vom 28.4.2015, URL:
http://www.swp-berlin.org/publikationen/kurz-gesagt/eu-muss-migration-nach-europa-mit-mehr-aussenpolitischem-engagement-in-ihrer-nachbarschaft-begegnen.html.
(2) Henryk M. Broder: Wir sind den Afrikanern Bundeswehreinsätze
schuldig, Welt.de vom 4.5.2015, URL:
http://www.welt.de/debatte/henryk-m-broder/article140455149/Wir-sind-den-Afrikanern-Bundeswehreinsaetze-schuldig.html.
(3) Herfried Münkler: Die gefährliche Kluft zwischen Schein und Tun –
Auf die Interessen kommt es an!, Beitrag im Rahmen des Review 2014 des
Auswärtigen Amtes vom 23.5.2014, URL:
http://www.aussenpolitik-weiter-denken.de/de/aussensicht/show/article/die-gefaehrliche-kluft-zwischen-schein-und-tun.html.
(4) Ronja Kempin / Ronja Scheler: Berliner Blockade, Berliner Republik
2/2013. URL: http://www.b-republik.de/archiv/berliner-blockade.
(5) Quellen und Details zu diesen gemeinsamen „Übungen“ der Bundeswehr
und der US-Army finden sich hier: Christoph Marischka: US-AfriCom und
KSK seit Jahren in Mali aktiv, Telepolis vom 1.7.2013, URL:
http://www.heise.de/tp/artikel/39/39411/1.html. Finanziert wurden sie
von Seiten des Bundesverteidigungsministeriums über den Haushaltstitel
„Sonstige Übungskosten“. Die Frage, in welchen Staaten hieraus zu
welchem Zweck sonst noch Mittel verausgabt wurden, antwortete die
Bundesregierung in Drucksache 18/1410: „Eine Datenerfassung hierzu
erfolgt grundsätzlich nicht.“
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