[IMI-List] [0414] Sicherheitskonferenz / SIPRI / Neue Texte

IMI imi at imi-online.de
Di Feb 4 16:04:12 CET 2014



----------------------------------------------------------
Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0414 .......... 17. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Thomas Mickan/ Jürgen Wagner
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
----------------------------------------------------------

Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich:

1.) Neue Texte auf der IMI-Homepage, u.a. zu den soeben veröffentlichten 
SIRPI-Zahlen, die mit Vorsicht zu genießen sind;

2.) Eine IMI-Analyse zur Münchner Sicherheitskonferenz.

Zuvor jedoch ein Hinweis in eigener Sache: Angesichts der jüngsten 
Generaloffensive der deutschen Eliten (siehe dazu die Analyse zur 
Sicherheitskonferenz) ist Widerstand auf allen Ebenen angesagt. Und 
gerade auch deshalb erscheint es uns wichtig, dass Vertreter der 
Friedensbewegung auch innerhalb der Parlamente für unsere Anliegen 
streiten können. Aus diesem Grund möchten wir auf den Appell „Frieden in 
das Europaparlament“ hinweisen 
(http://www.jungewelt.de/2014/02-01/047.php), mit dem Mitglieder der 
Friedensbewegung sich dafür einsetzen, dass die Delegierten des 
Bundesparteitages der Partei DIE LINKE Mitte Februar den IMI-Vorstand 
Tobias Pflüger auf einen aussichtsreichen Listenplatz wählen. Der Aufruf 
kann mit einer Mail an schaedel at dfg-vk.de unterzeichnet werden.


1.) Neue Texte u.a. zu SIPRI

Unter Verweis auf die jüngsten Veröffentlichungen des Stockholmer 
Friedensforschungsinstitutes SIPRI wird aktuell allenthalben der 
Eindruck erweckt, die deutsche Rüstungsbranche stehe kurz davor, den 
Bach runter zu gehen. Ein neuer IMI-Text hat sich Daten und Methodik 
genauer angesehen und kommt zu dem Ergebnis, dass die Sache beileibe 
nicht so eindeutig ist, wie derzeit suggeriert wird.

Weitere neue Texte beschäftigen sich mit der deutschen Bündnispolitik, 
der jüngsten Afrika-Offensive sowie dem deutschen „Beitrag“ an Militärs, 
Polizisten und Zollbeamten für die olympischen Winterspiele in Sotschi:

IMI-Standpunkt 2014/008
Noch kein Grund zum Jubeln – und noch viel weniger zum Jammern
SIPRI legt eine neue Liste der Top 100 Waffenproduzenten vor
http://www.imi-online.de/2014/02/04/noch-kein-grund-zu-jubeln-und-noch-viel-weniger-zu-jammern/ 

Andreas Seifert (4. Februar 2014)

IMI-Standpunkt 2014/007 - in: junge Welt 04.02.2014
Bündnispolitik
http://www.imi-online.de/2014/02/04/buendnispolitik/
Tobias Pflüger (4. Februar 2014)

IMI-Analyse 2014/003
Akteur werden in Afrika
Die EU-Einsätze in Mali, der Zentralafrikanischen Republik und darüber 
hinaus.
http://www.imi-online.de/2014/01/31/akteur-werden-in-afrika/
Christoph Marischka (31. Januar 2014)

IMI-Standpunkt 2014/006 - in: junge Welt 30.01.2014
Deutsche Militärparade bei Olympia
http://www.imi-online.de/2014/01/30/deutsche-militaerparade-bei-olympia/
Christian Stache (30. Januar 2014)


2.) IMI-Analyse zur Münchner Sicherheitskonferenz

IMI-Analyse 2014/004 (update, 04.02.2014)
Münchner Sicherheitskonferenz: Generalangriff der Kriegstreiber
http://www.imi-online.de/2014/02/01/sicherheitskonferenz-generalangriff-der-kriegstreiber/ 

Jürgen Wagner (1. Februar 2014)

Die Münchner Sicherheitskonferenz war auch in diesem Jahr reich an 
unappetitlichen Höhepunkten: Da wäre unter anderem die Einladung des 
Kriegsverbrechers Henry Kissinger zu nennen, um dessen Person bzw. um 
die nach ihm benannte “Henry Kissinger Professur für Internationale 
Beziehungen und Völkerrecht” in jüngster Zeit heftige Konflikte und 
Proteste ausgebrochen sind. Die Stiftungsprofessur soll an der 
Universität Bonn eingerichtet und mit jährlich 250.000 Euro fast 
ausschließlich vom Verteidigungsministerium finanziert werden (weitere 
50.000 sollen vom Außenministerium kommen). Indem er Henry Kissinger als 
Ehrengast einlud, hofierte der Konferenzleiter (und Tübinger 
Honorarprofessor) Wolfgang Ischinger nicht nur einen Kriegsverbrecher, 
sondern er erwies sich in dem Konflikt um die Stiftungsprofessur in Bonn 
– einmal mehr – als ausgewiesener Hardliner (siehe IMI-Standpunkt 2014/002).

Ferner nutzten die westlichen Würdenträger aus Politik, Medien und 
Wirtschaft die Gelegenheit, um dem „Star der Münchner 
Sicherheitskonferenz“ (ntv, 02.02.2014), dem ehemaligen Box-Weltmeister 
Witali Klitschko, demonstrativ den Rücken im Kampf gegen die gewählte 
ukrainische Regierung zu stärken. Allerdings ist Klitschkos Partei 
„Udar“ („Schlag“) nur ein Teil des die Proteste anführenden 
Dreierbündnisses. Zu ihm gehört auch noch „Batkiwschtschina“ 
(„Vaterland“), die Teile der Oligarchie repräsentiert und von der 
inhaftierten und hochgradig korrupten Julia Timoschenko angeführt wird. 
Noch übler ist die dritte Partei, die neo-faschistische Swoboda 
(„Freiheit“) mit Oleg Tjagnibok an der Spitze, die mit ihren 
Schlägertrupps unter anderem dafür sorgte, dass linke Studenten und 
Gewerkschafter regelrecht vom zentralen Protestplatz, dem Maidan in 
Kiew, weggeprügelt wurden. Weshalb sich der ehemalige Box-Weltmeister im 
Westen derartiger Beliebtheit erfreut, ist nicht weiter verwunderlich. 
Faktisch wurde seine Partei von der Konrad-Adenauer-Stiftung ins Leben 
gerufen und seither von der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen 
Parlament massiv unterstützt: „Klitschko ist unser Mann. Der hat eine 
klare europäische Agenda“, wird ein hochrangiger EVP-Abgeordneter 
zitiert (Spiegel 50/2013).

Im Mittelpunkt der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz stand 
jedoch der Versuch, der deutschen Bevölkerung den Sinn eines 
Elitenkonsenses einzuhämmern, der sich schon seit einiger Zeit 
herausgebildet hat. Angeführt von Verteidigungsministerin Ursula von der 
Leyen und Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird gefordert, 
Deutschland müsse seine - angebliche - „Kultur militärischer 
Zurückhaltung“ ad acta legen und eine offensivere (militärische) 
Außenpolitik betreiben (siehe IMI-Standpunkt 2014/005). Ganz wesentlich 
waren und sind in dieser Debatte auch der Konferenzleiter Wolfgang 
Ischinger sowie Bundespräsident Joachim Gauck. Insofern konnte einem 
schon Übles schwanen, als klar wurde, dass Gauck, der schon mehrfach 
durch militärfreundliche und chauvinistische Aussagen unangenehm 
auffiel, die Eröffnungsrede auf der Sicherheitskonferenz halten sollte 
(siehe IMI-Standpunkt 2014/002).


Vorbereitende Arbeiten

Schon in Gaucks Rede zum Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober 2013 
wurde der programmatische Boden bereitet: „Ich mag mir nicht vorstellen, 
dass Deutschland sich groß macht, um andere zu bevormunden. Aber ich mag 
mir genauso wenig vorstellen, dass Deutschland sich klein macht, um 
Risiken und Solidarität zu umgehen.“ Wie zumindest in den deutschen 
Eliten dieser Satz verstanden wurde, untermauerte Wolfgang Ischinger, 
indem er Gaucks Satz in seiner Dezember-Kolumne auf der Homepage der 
Sicherheitskonferenz erst vollständig zitierte und gleich im Anschluss 
folgendermaßen auslegte: „War das eine Absage an die überstrapazierte 
sogenannte Kultur der militärischen Zurückhaltung?“ (Ischinger, 
Wolfgang: Deutsche Außenpolitik in der "Großen Koalition": Nichts 
Neues?, Monthly Mind Dezember 2013)

Die Frage war natürlich rein rhetorischer Natur und wo Ischinger selbst 
hier steht, ließ er dadurch durchblicken, dass er einen FAZ-Artikel von 
Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe prominent auf der Internetseite der 
Sicherheitskonferenz platzieren ließ, in dem es hieß: „In einer Zeit, in 
der die Vereinigten Staaten ihr Engagement für Europa reduzieren und 
viele Staaten der EU finanziell am Ende sind, ist es die Aufgabe des 
Starken, mit Beispiel zu führen und Europas Handlungsfähigkeit zu 
sichern. Deutschland muss führen, damit Europa nicht schwächer wird.“ 
Unmittelbar vor Konferenzbeginn beschwerte sich der Tübinger 
Honorarprofessor dann auch noch ganz direkt über die aus seiner Sicht 
unzureichende deutsche Bereitschaft, eine aktive (militärische) 
Weltmachtpolitik zu betreiben.[1]

Natürlich bricht diese Debatte jetzt nicht aus heiterem Himmel über uns 
herein, vielmehr wurde sie von langer Hand vorbereitet. Wesentlich 
hierfür war das Papier „Neue Macht – Neue Verantwortung“, das im 
September 2013 von der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ und dem 
„German Marshall Fund“ veröffentlicht wurde. Die Kernforderung des von 
50 führenden Mitgliedern des außen- und sicherheitspolitischen 
Establishments erarbeiteten Pamphlets lautet, Deutschland müsse aufgrund 
seiner wirtschaftlichen Größe auch mehr (militärische) Verantwortung in 
der Welt übernehmen: „Deutschland war noch nie so wohlhabend, so sicher 
und so frei wie heute. Es hat – keineswegs nur durch eigenes Zutun – 
mehr Macht und Einfluss als jedes demokratische Deutschland vor ihm. 
Damit wächst ihm auch neue Verantwortung zu.“ Etwas verklausuliert floss 
dieses Konstrukt dann auch in den neuen Koalitionsvertrag zwischen 
CDU/CSU und SPD mit ein, der noch von Thomas de Maizière und 
Frank-Walter Steinmeier erarbeitet worden war (siehe hierzu ausführlich 
IMI-Analyse 2013/036).

Auf dieser Basis wurde dann in den letzten Wochen eine Kanonade nach der 
anderen abgefeuert, die alle darauf abzielten, die „Kultur militärischer 
Zurückhaltung“ zugunsten einer „Kultur kriegerischer Verantwortung“ 
abzuschießen. An vorderster Front agiert dabei die neue 
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, der mit der 
"Attraktivitätsoffensive" für eine familienfreundlichere Bundeswehr ein 
„spektakulärer Start“ geglückt war (Der Spiegel, 20.01.2014). Mit der 
Initiative soll gewährleistet werden, dass die Bundeswehr auch künftig 
trotz aktueller Rekrutierungsprobleme an ausreichend neue Soldaten 
gelangt (IMI-Standpunkt 2014/005). Dies erscheint umso dringender, weil 
von der Leyen kurz darauf recht unmissverständlich klar machte, dass sie 
beabsichtigt, die Bundeswehr künftig häufiger zur Durchsetzung deutscher 
Interessen ins Ausland zu schicken: „Verteidigungsministerin Ursula von 
der Leyen hat sich für mehr Bundeswehr-Einsätze in Krisenregionen 
ausgesprochen. Deutschland müsse im Rahmen der Bündnisse mehr 
internationale Verantwortung übernehmen – ‚schon allein aus humanitären 
Gründen‘, sagte die Ministerin.“ (t-online news, 26.01.2014)

Kurz darauf zog auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach. 
Unmittelbar vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz meldete er sich 
im Handelsblatt (30.01.2014) folgendermaßen zu Wort: „Es wird zurecht 
von uns erwartet, dass wir uns einmischen. […] So richtig eine Politik 
militärischer Zurückhaltung ist, so darf sie nicht missverstanden werden 
als ein Prinzip des Heraushaltens.“ Deutschland sei „zu groß, um die 
Weltpolitik nur zu kommentieren“, so Steinmeier weiter.

Verantwortlich gemacht für besagte und viel gescholtene "Kultur 
militärischer Zurückhaltung" wird allenthalben Ex-Außenminister Guido 
Westerwelle, der teils äußerst heftig attackiert wurde. Aus diesem Grund 
ging dieser mit einem Interview in der Welt (10.11.2013) mit seinen 
Kritikern folgendermaßen ins Gericht: „Ich bin in meinem politischen 
Leben oft dafür kritisiert worden, dass ich mich mehrmals gegen eine 
deutsche Beteiligung an militärischen Interventionen gestellt habe. Aber 
wie ist denn heute die Lage im Irak? Oder in Libyen? Ich kann nicht 
sehen, warum eine politische Reifung des wiedervereinigten Deutschlands 
mit mehr militärischen Interventionen einhergehen muss. Politische und 
diplomatische Lösungen haben für mich Vorrang. Wir sollten bei der 
Kultur der militärischen Zurückhaltung bleiben. Deutsche Außenpolitik 
ist Friedenspolitik. Die Pickelhaube steht uns nicht.“

Ganz sicher handelt es sich um eine grobe Vereinfachung der Realität – 
weder war Westerwelle selbst noch Deutschland als Ganzes während der 
letzten Jahre ein "Pazifistischer Abstinenzler". Diplomatisch spielte 
Deutschland etwa in den Verhandlungen um das iranische Atomprogramm und 
auf anderen Feldern eine führende Rolle. Und militärisch war man unter 
anderem als drittgrößter Truppensteller in Afghanistan ganz vorne mit 
dabei. Selbst die Kriege – etwa in Libyen oder im Irak –, an denen sich 
vermeintlich nicht beteiligt wurde, wurden verdeckt in der ein oder 
anderen Form unterstützt, die katastrophalen Resultate sind bekannt. Vor 
diesem Hintergrund beschwert sich auch ein Kommentar in der FAZ 
(01.02.2014): "Alle machen mit, bis zum Bundespräsidenten. Was soll das? 
Deutschland war im Kosovo-Krieg dabei, hat seit mehr als einem Jahrzehnt 
viele tausend Soldaten am Hindukusch. Die Bundeswehr hat dort Tanklaster 
bombardieren lassen mit zahlreichen zivilen Opfern, hat viele eigene 
Soldaten verloren. Deutsche Truppen haben eine Wahl im Kongo gesichert 
und kämpfen vor der Küste Ostafrikas gegen Piraterie. Jetzt zu 
behaupten, wir müssten endlich unsere Zurückhaltung aufgeben und uns 
mehr einmischen, ist Unsinn."

Es geht also demzufolge vor allem darum, auf diese Politik noch einmal 
ordentlich etwas draufzusatteln. Die aktuellen Bemühungen in diese 
Richtung leiden aber unter einem eklatanten Schönheitsfehler: Einer 
aktuellen Umfrage zufolge haben sie es bislang nicht geschafft, die 
Bevölkerung vom Sinn häufigerer Militäreinsätze zu überzeugen: „Die 
meisten Deutschen sind gegen eine Ausweitung der Auslandseinsätze der 
Bundeswehr. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov 
sagten 45 Prozent der Befragten, Deutschland tue hier bereits zu viel. 
30 Prozent halten das derzeitige Engagement für genau richtig.“ (ntv, 
31.01.2014) Angesichts dieses Problems war schon einige Tage vor Beginn 
der Münchner Sicherheitskonferenz klar, dass Bundespräsident Gauck es 
als seine Aufgabe erachtete, in seiner Eröffnungsrede die Bevölkerung 
vom Sinn des ganzen Unterfangens zu überzeugen: „Joachim Gauck will, so 
legen es Planungen aus dem Präsidialamt nahe, in seiner Eröffnungsrede 
in München an die Deutschen appellieren, sich ihres Platzes in der Welt 
bewusst zu werden. Das liegt genau auf der Linie Steinmeiers und von der 
Leyens.“ (Der Spiegel, 27.01.2014)


Gauck: Verantwortung predigen - Imperialismus ausschenken

Mit einem schier unerträglichen Pathos bemühte sich der Bundespräsident 
in seiner Rede auf der Sicherheitskonferenz penetrant darum, das „gute“ 
heutige vom „schlechten“ nationalsozialistischen Deutschland abzusetzen: 
„Eines gleich vorweg: Dies ist ein gutes Deutschland, das beste, das wir 
kennen. Das auszusprechen, ist keine Schönfärberei.“ Und weil 
Deutschland ganz grundsätzlich geläutert sei, könne nun auch mit einem 
lange dominierenden, heute aber überholten Pazifismus gebrochen werden, 
so die Kernbotschaft, die augenscheinlich auch genau so verstanden 
wurde: „[Gauck] erkannte an, dass militärische Beiträge von Deutschland 
wegen seiner historischen Schuld aus der Zeit des Nationalsozialismus 
lange nicht verlangt worden seien. Doch nun dürfe Pazifismus kein 
Deckmantel für Bequemlichkeit werden. Er bestritt, dass Deutschland 
wegen seiner Geschichte dauerhaft ein ‚Recht auf Wegsehen’ erworben 
habe. Dies führe zu ‚so etwas wie Selbstprivilegierung’“. (FAZ, 31.01.2014)

Darüber hinaus lieferte Gauck in seiner Rede zwei konkrete Begründungen, 
weshalb Deutschland künftig häufiger zur Waffe greifen müsse:

Einmal postuliert er unter Rückgriff auf das "Konzept der 
Schutzverantwortung" eine moralische Pflicht, im Falle von schweren 
Menschenrechtsverletzungen militärisch einzugreifen: „Das Prinzip der 
staatlichen Souveränität und der Grundsatz der Nichteinmischung dürfen 
gewalttätige Regime nicht unantastbar machen.“ Die vielfältigen Bedenken 
gegenüber diesem Konzept, insbesondere dass damit versucht wird, die 
völkerrechtlich bislang extrem engen Grenzen für die Anwendung 
militärischer Gewalt aufzuweichen, wodurch es Großmächten erleichtert 
würde, ihre Interessen gewaltsam durchzusetzen, streifte Gauck nur am 
Rande (siehe zur Kritik an der Schutzverantwortung ausführlich 
IMI-Analyse 2011/32). Solche Bedenken seien zwar berechtigt, aber 
hierfür gebe es eine einfache Lösung: „[E]s gilt, den potentiellen 
Missbrauch des Schutzkonzepts zu expansionistischen oder gar imperialen 
Zwecken auszuschließen.“ Und gleich im nächsten Satz präzisiert der 
Bundespräsident, welches Land aus seiner Sicht geradezu dazu 
prädestiniert ist, einen solchen Missbrauch zu vereiteln - ja, man ahnt 
es bereits: das geläuterte Deutschland: „Ich begrüße deshalb, dass sich 
die Bundesregierung an der Fortentwicklung des Konzepts beteiligt und 
dabei besonders auf Prävention, auf internationale Zusammenarbeit sowie 
auf die Entwicklung von Frühwarnsystemen gegen Massenverbrechen setzt.“

Als zweite Begründung für eine ambitioniertere militärisch gestützte 
Politik führt Gauck an, Deutschland trage als einer der ökonomisch 
mächtigsten Staaten in der Welt eine Verantwortung für die Stabilität 
des globalen Systems, von dem es ja schließlich mit am meisten 
profitiere: „Deutschland ist überdurchschnittlich globalisiert und 
profitiert deshalb überdurchschnittlich von einer offenen Weltordnung – 
einer Weltordnung, die Deutschland erlaubt, Interessen mit grundlegenden 
Werten zu verbinden. […] Die Beschwörung des Altbekannten wird künftig 
nicht ausreichen! Die Kernfrage lautet doch: Hat Deutschland die neuen 
Gefahren und die Veränderungen im Gefüge der internationalen Ordnung 
schon angemessen wahrgenommen? Reagiert es seinem Gewicht entsprechend? 
[…] Ich meine: Die Bundesrepublik sollte sich als guter Partner früher, 
entschiedener und substantieller einbringen. […] Manchmal kann auch der 
Einsatz von Soldaten erforderlich sein. […] Auch wer nicht handelt, 
übernimmt Verantwortung. Es ist trügerisch sich vorzustellen, 
Deutschland sei geschützt vor den Verwerfungen unserer Zeit – wie eine 
Insel. Denn Deutschland ist so tief verwoben mit der Welt wie wenige 
andere Staaten. Somit profitiert Deutschland besonders von der offenen 
Ordnung der Welt. Und es ist anfällig für Störungen im System. Eben 
deshalb können die Folgen des Unterlassens ebenso gravierend wie die 
Folgen des Eingreifens sein – manchmal sogar gravierender.“

Zweifellos ist es richtig, dass Deutschland von diesem System profitiert 
- und damit an der Ausbeutung und Unterprivilegierung von Milliarden 
Menschen aktiv beteiligt ist. Und zweifellos ist dieses System 
„störanfällig“ - es mit militärischen Mitteln notdürftig zu 
stabilisieren, stellt dabei aber einzig den Versuch dar, die 
herrschenden Ungerechtigkeiten aufrechtzuerhalten. Gauck redet damit 
einer imperialistischen und expansionistischen Gewaltpolitik das Wort, 
von der er sich vermeintlich in derselben Rede so vehement distanziert. 
Und wie man mit „Störern“ des für Deutschland so hochprofitablen Systems 
umzugehen gedenkt, dafür reicht ein Blick in das Papier „Neue Macht – 
Neue Verantwortung“, mit dem der von Gauck nun der Öffentlichkeit 
präsentierte Elitenkonsens erstmals prominent zum Ausdruck gebracht 
wurde: „Da aber, wo Störer die internationale Ordnung in Frage stellen; 
wo sie internationale Grundnormen (etwa das Völkermordverbot oder das 
Verbot der Anwendung von Massenvernichtungswaffen) verletzen; wo sie 
Herrschaftsansprüche über Ge­mein­schaftsräume oder die kritische 
Infrastruktur der Globalisierung geltend machen oder gar diese 
angreifen; wo mit anderen Worten Kompromissangebote oder 
Streitschlichtung vergeblich sind: Da muss Deutschland bereit und 
imstan­de sein, zum Schutz dieser Güter, Normen und 
Gemeinschaftsinteressen im Rahmen völkerrechtsgemäßer kollektiver 
Maßnahmen auch militärische Gewalt anzuwenden oder zumindest glaubwürdig 
damit drohen zu können.“

Es steht zu hoffen, dass wenigstens die bislang skeptische Bevölkerung 
dem Bundespräsidenten und seinem Geschwätz nicht auf den Leim geht. Denn 
der ehemalige Pfarrer predigt zwar Moral und Verantwortung - 
ausgeschenkt werden aber Imperialismus und Krieg.


Mehr Krieg? Begeisterung!

Laut Informationen der Welt (31.01.2014) soll sich Gauck für seine Rede 
auf der Sicherheitskonferenz eng mit Steinmeier und von der Leyen 
beraten haben. Insofern überrascht es nicht weiter, dass beide in ihren 
Reden am Folgetag in exakt dasselbe Horn stießen. Ursula von der Leyen 
stimmte denselben Zweiklang aus moralischer und sicherheitspolitischer 
Verantwortungsrhetorik an wie der Bundespräsident.[2] Und Frank-Walter 
Steinmeier zog folgendermaßen nach: „Deutschland muss bereit sein, sich 
außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller 
einzubringen. […] Der Einsatz von Militär ist ein äußerstes Mittel. Bei 
seinem Einsatz bleibt Zurückhaltung geboten. Allerdings darf eine Kultur 
der Zurückhaltung für Deutschland nicht zu einer Kultur des 
Heraushaltens werden. Deutschland ist zu groß, um Weltpolitik nur von 
der Außenlinie zu kommentieren.“ (Rede von Frank-Walter Steinmeier, 
Münchner Sicherheitskonferenz, 01.02.2014)

Gebetsmühlenhaft wird dabei beteuert, Deutschland werde was den Einsatz 
militärischer Gewalt anbelange auch weiter große „Zurückhaltung“ an den 
Tag legen, es gehe vielmehr primär darum, künftig stärker 
außenpolitisch-diplomatisch aktiv zu werden. Solche Versicherungen sind 
jedoch kaum glaubhaft, denn hierfür wäre der ganze Zinnober nicht 
erforderlich gewesen, wie etwa der Militärexperte Thomas Wiegold betont: 
„[M]ehr außenpolitisches Engagement steht – und stand schon immer – 
weitgehend im Belieben der jeweiligen Bundesregierung; für zu viel 
Diplomatie in einer Krise hat sich noch kein Minister rechtfertigen 
müssen. […] Führung bedeutet nicht nur, gute Diskussionen in München zu 
haben. Es heißt auch, die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung zu 
stellen, sagte US-Außenminister John Kerry auf dem Münchner Podium. Im 
Klartext: Mehr politische Anstrengungen gerne, aber, liebe Deutschen, 
seid auch dazu bereit, Soldaten zu schicken, falls es nötig ist.“ 
(Augengeradeaus, 01.02.2014)

Wie zu befürchten war, wurde Gaucks Rede in Politik und Medien 
begeistert aufgenommen. Unmittelbar im Anschluss sprach Ischinger - 
offensichtlich angetan, dass genau das geliefert worden war, was er auch 
bestellt hatte - von einer „sehr wichtige Rede" (Welt, 31.01.2014). Auch 
die US-Seite war voll des Lobs, war sie sich doch der möglichen 
Tragweite des Auftritts bewusst: „Kennern der europäischen Szene war 
deshalb die historische Bedeutung der Gauckschen Akzentverschiebung 
nicht entgangen. Kaum hatte der Präsident geendet, twitterte etwa der 
ehemalige US-Botschafter bei der Nato, Ivo Daalder schon: ‚Das ist 
tatsächlich das erste Mal, dass ein führender deutscher Politiker 
argumentiert, Deutschland müsse die Konsequenzen aus seiner Macht ziehen 
– in Europa und darüber hinaus.’“ (ebd.)

Regelrecht gruselig ist es, wie ekstatisch nahezu sämtliche Kommentare 
Gaucks Rede als machtpolitischen Befreiungsschlag eines ‚erwachsenen‘ 
Deutschlands feierten. Exemplarisch hierfür jubelte ein Kommentar im 
Spiegel: „Die Begeisterung ist groß auf der Sicherheitskonferenz in 
München. Fast euphorisch wurden die Reden der deutschen Politiker 
aufgenommen, die eine engagiertere Außenpolitik ankündigten oder 
anmahnten. Endlich wird Deutschland erwachsen, so die hoffnungsvolle 
Reaktion, endlich ist Berlin bereit, die Verantwortung zu übernehmen, 
die seinem Gewicht in der Welt entspricht.“ (Spiegel Online, 02.02.2014)


-------------- Kasten --------------

Wärmer, größer, bunter. Bericht von der Demo gegen die Sicherheitskonferenz

Während sich die Eliten und ihre Hofberichterstatter im Bayrischen Hof 
auf eine weitere Intensivierung eines global scheiternden militärischen 
Krisenmanagements und einer stärkeren Rolle Deutschlands darin einigten, 
wurde dem auch in diesem Jahr draußen auf der Straße klar und deutlich 
widersprochen. Nicht nur das schöne Wetter, sondern auch die infamen 
Aussagen, insbesondere Gaucks im Vorfeld der Konferenz mögen dazu 
beigetragen haben, dass die Demo gegen die Kriegstreiber-Konferenz 
dieses Jahr wieder deutlich größer wirkte, als in den Vorjahren. Auch 
das deutlich andere Verhalten der Polizei mag dazu beigetragen haben, 
dass sich die Demo entzerrte und stellenweise fast über einen Kilometer 
erstreckte. Statt wie in den Vorjahren weite Teile der Demonstration mit 
teilweise zwei- und dreireihigem behelmten Polizeispalier zu begleiten 
und immer wieder anzugreifen, wurde sie diesmal die meiste Zeit nur von 
einzelnen Hundertschaften oder im Abstand von 20 Metern gehenden 
Zweiergruppen von Polizeikräften begleitet. Stärkere Einsatzkräfte waren 
nur an den Zufahrten zum Bayrischen Hof zu sehen, aber auch diese hatten 
nicht einmal ihre Helme aufgesetzt. Entsprechend gestaltete sich die 
Demonstration dieses Jahr eher wie ein - allerdings langer - Spaziergang 
und die vielen kreativen Beiträge, Masken, Puppen, Straßentheater, 
Samba-Gruppe, individuelle Schilder konnten sowohl von den 
Demonstrierenden sowie den Passanten, die massenhaft unterwegs waren, 
viel besser wahrgenommen werden. Dass die offiziellen Angaben zur 
Teilnehmerzahl erneut deutlich untertrieben wurden, haben so viele 
tausend Menschen mit eigenen Augen sehen können. Auch Fahnen und 
Schilder, für die man sich hätte schämen müssen, gab es dieses Jahr so 
gut wie keine.

Trotzdem gab es Repression, auch schon im Vorfeld: Eine Kunstperformance 
wurde untersagt, Teile der Innenstadt mit der Begründung, der 
Geschäftsbetrieb (Shopping) dürfe nicht gestört werden, wurden für die 
Demo gesperrt. Darauf reagierten die Anmelder u.a. mit einer 
"Picket-Line", Aktivist_innen mit riesigen Schildern, die sich in der 
Innenstadt aufreihten, rechtlich allerdings jeweils als individuelle 
Meinungskundgebung einzustufen waren. Richtig hässlich wurde es hingegen 
außerhalb der Stadt für gemeinsam aus Stuttgart Anreisende: Ihr Bus 
wurde im Münchener Umland von der Polizei gestoppt, auf ein 
Polizeigelände eskortiert und dort über Stunden rigoros durchsucht, was 
den Mitfahrenden eine vollständige Teilnahme an der Demonstration 
verunmöglichte. Hier kam es dann wohl auch zu jenen Ingewahrsam nahmen 
aufgrund vermeintlicher Widerstandshandlungen, die sonst auf der 
SIKO-Demo selbst zu Dutzenden und Hunderten konstruiert wurden. Zur 
Repression zu zählen wäre zuletzt auch noch das Verhalten der Medien, 
die diese Angaben vonseiten der Polizei stets ungeprüft übernehmen und 
dieses Jahr die Demonstration weitgehend totschwiegen - während sie jede 
von Bundeswehr und Bundespresseamt professionell aufbereitete 
Sprechblase aus dem Bayrischen Hof zur Topmeldung stilisierten. 
(Bernhard Klaus)

-------------- Kasten --------------



Anmerkungen

[1] Obwohl inzwischen immer mehr Beweise ans Licht kommen, dass die 
Angriffe - anders als vom Westen behauptet - wohl nicht von 
Regierungstruppen verübt wurden (siehe IMI-Aktuell 2014/025), beklagt 
sich Ischinger in der Welt, dass die EU-Staaten nicht bereit gewesen 
seien, die USA bei einem Einmarsch in Syrien nach den Giftgasangriffen 
im Sommer 2013 zu unterstützen: “Weniger Solidarität mit den USA von 
europäischer Seite als nach dem Chemiewaffeneinsatz Assads im 
vergangenen Sommer ist ja kaum vorstellbar. Die Bundesregierung hat mit 
der Kultur der militärischen Zurückhaltung die Entscheidung begründet, 
sich von vornherein ganz herauszuhalten. Die Franzosen wollten zwar, 
aber die Briten konnten nach der Entscheidung im Unterhaus nicht. 
Präsident Obama war in einer schwierigen Lage: Sollte er alleine 
eingreifen ohne Europa an seiner Seite? Ich finde es schwierig, ihm 
deshalb einen Vorwurf zu machen.“
[2] „[D]iese Krisen und Konflikte appellieren an unser humanitäres 
Gewissen, nicht diejenigen im Stich zu lassen, die am meisten leiden. 
Daher ist Abwarten keine Option. Wenn wir über die Mittel und 
Fähigkeiten verfügen, dann haben wir auch eine Verantwortung, uns zu 
engagieren. Verstehen Sie mich nicht falsch: Dies bedeutet nicht, dass 
wir dazu tendieren sollten, unser ganzes militärisches Spektrum 
einzusetzen – auf keinen Fall. Und dies bedeutet genauso wenig, dass wir 
kurzfristige Erfolge erwarten dürfen. Aber es bedeutet, dass wir die 
Verpflichtung und die Verantwortung haben, unseren Beitrag zu einer 
schrittweisen Lösung der aktuellen Krisen und Konflikte zu erbringen. 
Gleichgültigkeit ist für ein Land wie Deutschland keine Option, weder 
aus sicherheitspolitischer noch aus humanitärer Sicht. Als eine 
bedeutende Volkswirtschaft und als ein Land von erheblicher Größe haben 
wir ein starkes Interesse an internationalem Frieden und Stabilität.“ 
(Rede von Ursula von der Leyen, Münchner Sicherheitskonferenz, 31.01.2014)

-- 
Informationsstelle Militarisierung (IMI) e. V.
Hechingerstrasse 203
72072 Tübingen
Telefon: +49 7071 49154
Telefax: +49 7071 49159
E-Mail: imi at imi-online.de
Internet: www.imi-online.de



Mehr Informationen über die Mailingliste IMI-List