[IMI-List] [0406] Neuer Ausdruck / Marine-Rekrutierung: Erlebnisbericht

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Di Okt 15 14:25:50 CEST 2013


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0406 .......... 16. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Thomas Mickan/ Jonna Schürkes
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich

1.) Der Hinweis auf den neuen AUSDRUCK (Oktober 2013);

2) Ein „Erlebnisbericht“ über die Rekrutierungsanstrengungen der Marine.

Obligatorisch hier nochmal die herzliche Einladung und der Hinweis auf den
diesjährigen IMI-Kongress „Krieg um die Köpfe“, der am 16./17. November
stattfinden wird. Alles weitere hier:
http://www.imi-online.de/2013/10/07/imi-kongress-16-17-november-2013/


1.) AUSDRUCK  (Oktober 2013)

Soeben ist die Oktober-Ausgabe des IMI-Magazins AUSDRUCK erschienen.

Wie immer stellen wir hiermit sowohl die komplette Ausgabe als auch alle
Einzelartikel gratis auf der IMI-Internetseite zur Verfügung. Damit wir
hierzu in der Lage sind, freuen wir uns immer über Unterstützung. Wer
IMI-Mitglied werden möchte (und den AUSDRUCK in Print erhalten), findet
hier alle nötigen Infos: http://www.imi-online.de/mitglied-werden/

Es folgt die Inhaltsangabe mit Links zu allen Artikeln:

Inhaltsverzeichnis Ausdruck (Oktober 2013)

Die komplette Ausgabe zum download:
http://www.imi-online.de/download/oktober2013klein.pdf


SYRIEN
-- Jürgen Wagner: Syrien: Giftgasangriffe und die Verstetigung des
Bürgerkrieges
http://www.imi-online.de/download/oktober2013wagner01.pdf
-- Christoph Marischka: Experimentelle Destabilisierung
http://www.imi-online.de/download/oktober2013Marischka01.pdf

DROHNEN
-- Christoph Marischka: Drohnenkriegführung über das US AFRICOM in Stuttgart
http://www.imi-online.de/download/oktober2013Marischka02.pdf
-- Ute Schäfer: „Eine kleine Rüstungsmesse“ Proteste gegen die
Drohnenpräsentation in Frankfurt
http://www.imi-online.de/download/oktober2013Schaefer01.pdf

DEUTSCHLAND UND DIE BUNDESWEHR
-- Thomas Mickan: „Marine live!“ Truppenbesuch bei der Marine in Kiel
http://www.imi-online.de/download/oktober2013mickan01.pdf
-- Christoph Marischka: „...und irgendwann fahren Panzer drüber“ Ein
Beispiel für Geheimdienstforschung und vielsagende Rechtfertigungen
http://www.imi-online.de/download/oktober2013Marischka03.pdf
-- Jürgen Wagner: Deutsche Rohstoffinteressen in Afrika und das Beispiel
Kongo
http://www.imi-online.de/download/oktober2013wagner02.pdf

NEUE MÄCHTE – NEUE KRIEGE?
-- Mirko Petersen: Die Multipolarisierung und der falsche
Weltordnungsantagonismus
http://www.imi-online.de/download/oktober2013petersen01.pdf

ÄGYPTEN
-- Bernhard Klaus: Ägyptische Militärregierung wird weiter aus der EU
unterstützt
http://www.imi-online.de/download/oktober2013klaus01.pdf

Iran
-- Jürgen Wagner: Iran: Charmeoffensive als Lackmustest
http://www.imi-online.de/download/oktober2013wagner03.pdf


2) „Erlebnisbericht“ über die Rekrutierungsanstrengungen der Marin.

Im Folgenden ist der Erlebnisbericht von der Rekrutierungsveranstaltung
„Marine live!“ dokumentiert, der soeben im neuen AUSDRUCK erschien.

Zusätzlich möchten wir auf die Berichterstattung über diese Veranstaltung
vom NDR und der Bundeswehr selbst hinweisen. Diese beiden Berichte
kontrastieren den Erlebnisbericht nicht nur mit bewegten Bildern, sie
zeigen auch gut, wie Journalismus den lokalen Zwängen ihres Berichtsraumes
unterworfen ist und was die Bundeswehr für ein martialisches Selbstbild
benutzt, um junge Menschen für den Kriegsdienst zu werben.

NDR: http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/s-h_magazin/media/shmag24227.html
Marine sucht Nachwuchs, Schleswig-Holstein Magazin - 24.09.2013 19:30 Uhr

Bundeswehr: http://www.youtube.com/watch?v=DAgfQ33gC1g
Dienst auf der Fregatte -- für einen Tag!, veröffentlicht am 26.09.2013


IMI-Analyse 2013/030 - in: AUSDRUCK (Oktober 2013)
„Marine live!“ – Truppenbesuch bei der Marine in Kiel
http://www.imi-online.de/2013/10/15/marine-live/
http://www.imi-online.de/download/oktober2013mickan01.pdf
Thomas Mickan

In der Werbeanzeige der Marine klingt es nach Abenteuer. Mit
Actionfilmmusik, einigen Szenen aus dem vermeintlichen Marinealltag – viel
Schießen und schnelle Bootsfahrten – wird in einem kleinen Clip auf
Nachwuchssuche gegangen: „Du suchst: Herausforderungen!“ „Du willst:
Abwechslung!“ „Dann erlebe jetzt die Marine! LIVE!“[1]

Voraussetzungen zur Teilnahme an dieser „Sonderaktion Marine live!“ ist
ein Alter zwischen 18 und 30 Jahren und Interesse an den Verwendungs- und
Karrieremöglichkeiten bei der Marine. Nach meiner kurzen E-Mail an die
Marine erhalte ich zwei Wochen später einen Brief mit meinem
Reisegutschein zum „BW-Dienstantritt“ Stuttgart-Kiel-Stuttgart und ein
Einladungsschreiben mit Anfahrtsplan. Zusätzlich befinden sich im Brief
eine Freistellungsbescheinigung für Schule und Arbeit, ein Hinweisblatt
für den freiwilligen Wehrdienst und ein Musterlebenslauf, um eine mögliche
spätere Bewerbung zu vereinfachen. Da die Marine insbesondere
Mannschaftsdienstgrade sucht, ist dieser Musterlebenslauf entsprechend
aufgebaut: Hauptschulabschluss, männlich, 24 Jahre alt, ledig,
handwerkliche Berufsausbildung, deshalb Realschulabschluss, Hobbys:
Online-Spiele und Football bei Germania List, deutsch.

Altersgrenzen und erste Kontakte mit der Gruppe

Schon während meiner Anreise nach Kiel sitze ich neben einem Soldaten mit
Seesack. Kiel, als einer der größten Marine-Standorte, beheimatet zum
Beispiel die Einsatzflottille 1 und das Schifffahrtsmedizinische Institut
der Marine, aber auch die skandalträchtige Gorch Fock, auf der seit Anfang
2013 wieder ausgebildet wird. Nach kurzer Einlasskontrolle von
Personalausweis und Einladung kann ich das weitläufige Gelände betreten.
Den Hafen ausgenommen, in dem das Kriegsmaterial vor Anker liegt, kann die
Anlage mit ihren langen Kasernenbauten gut mit dem Wort trostlos
beschrieben werden.

Im Truppenbesuchszentrum lerne ich gleich einige aus meiner 74-köpfigen
Besuchsgruppe kennen. Obwohl eine Altersuntergrenze von 18 Jahre
ausgeschrieben war, zeigt sich schnell, auch später per Handzeichen, dass
mindestens ein Drittel der Gruppe aus 17-jährigen besteht, auch 16-jährige
sind dabei. Die Karriereberater_innen der Bundeswehr werden sie auf die
gleiche Weise für eine soldatische Laufbahn anwerben wie mich. Die
„Straight-18“-Forderung, nachdem keine Kinder und Jugendliche unter 18
Jahren für das Militär angeworben werden dürfen, wie sie beispielsweise
das Deutsche Bündnis Kindersoldaten vertritt, spielt hier keine Rolle.[2]
Einzig als ein Kamerateam des NDR beim späteren Schiffsausflug unsere
Gruppe begleitet,[3] unterrichtet uns der betreuende Offizier, dass sich
die unter 18-jährigen wegen „rechtlicher Geschichten“ nicht unbedingt
interviewen lassen sollen.

Vom Truppenbesuchszentrum aus geht es mit der Gruppe zu unserer Unterkunft
für die nächsten zwei Nächte, dem Wohnschiff Knurrhahn. Den fünfminütigen
Fußweg „marschieren“ wir in Dreierreihe, einschließlich Appellaufstellung,
Handyverbot und straffem Tempo. Auch wenn am ersten Tag der Marsch eher an
einen Schulausflug erinnert (auch aufgrund der vielen Jugendlichen),
internalisiert die Gruppe über die kommenden Tage das Aufstellen in
Dreierreihe schnell und Untertan_innengeist und Gruppendynamik verleiten
einige dazu, verspätete Gruppenmitglieder zur Ordnung zu rufen.

Rassistische und sexistische Verstörungen

Ein junger Soldat begleitet unsere Gruppe über den Besuchszeitraum von
Montagnachmittag bis Mittwochvormittag. Als ich das Erlebte in einem
Gedächtnisprotokoll dokumentiere, erinnere ich ihn insbesondere wegen
seiner sexistischen Kommentare: um seine Kameraden zu grüßen, schrie er
beispielsweise das F*-Wort über das Kasernengelände, oder gab
spätpubertäre Witze grölend zum Besten – etwa, wie stotternde Menschen
beim Sex stöhnen. Sein Verhalten färbt schnell auf die Gruppe ab, oder war
bei ihren männlichen Vertretern zum Teil wohl auch ohnehin vorzufinden.
Der Spruch „Laufen, Rauchen, Frauen missbrauchen“ macht in der Gruppe die
Runde. Am Montagabend unterrichtete uns ein Offizier in einem mehr als
zweistündigen Vortrag über die Ausbildungs- und Verwendungsmöglichkeiten.
Im freundlich-norddeutschen Dialekt versucht der Mittvierziger dabei
Militärsprache mit einer leger, jugendlichen Sprache zu mischen. Vor einem
in schwarz-rot-gold gestrichenen, mehrere Meter langem Podest, will er
unsere Abenteuerlust wecken: So könne es beispielsweise bei einer
Auslandsverwendung bei der Marine bei Landgängen auch vorkommen, „dass ihr
im Hafen von Kuala-Lumpur liegt, Bacardi-Rum trinkt und euch von einer
braunen Perle den Rücken massieren lasst.“

Vor kurzem sagte der Präsident des Militärischen Abschirmdienstes (MAD)
Ulrich Birkenheier, die Bundeswehr sei für „Rechtsextremisten“ besonders
attraktiv, „weil dort eine bestimmte Struktur herrsch[e].”[4] Er bezog
sich dabei auf seinen Bericht über die bei der Bundeswehr als
„Extremisten“ enttarnten. Solch traurige Selbsteinsicht des
Bundeswehr-Geheimdienstes in die anscheinend verbreiteten nazistischen
Realitäten bestätigte sich auch in einer Antwort der Bundesregierung auf
eine Kleine Anfrage der Partei die Linke (Drucksache 17/14670) im
Anschluss an die Enttarnungen des MADs. In dieser Antwort wird eine
Auswahlliste von 67 Fällen mit den jeweiligen Vergehen der Rechtsradikalen
in Uniform für das Jahr 2012 im Anhang präsentiert. Zum Beispiel wurde ein
Kind in Afghanistan zum Zeigen des „Deutschen Grußes genötigt“, eine
Zivilistin als „Kommunistenschlampe“ beschimpft, Hakenkreuze an der
Stubentür aufgehängt, die Shoa geleugnet und besonders häufig der
Hitlergruß gezeigt oder rechte Musik gehört.[5]

Mit diesem Vorwissen beobachte ich meine Gruppe beim Truppenbesuch. Da am
Vortag Bundestagswahlen stattfanden, diskutieren einige junge Männer beim
ersten Antreten in Dreierreihe vor dem Wohnschiff: „Außer der NPD kann man
doch eh nichts wählen“, sagt einer, den ich aufgrund seines
Kleidungsstiles als Neonazi zu erkennen glaube. Einige aus der Gruppe
widersprechen. Um 22.30 Uhr ist Zapfenstreich, das Zeitfenster zu duschen
nach dem montäglichen Vortrags- und Essmarathon bis kurz vor 22 Uhr ist
also kurz. Doch als ich mich mit dem Handtuch unter dem Arm der
Gemeinschaftsdusche nähere, grölt es aus der Dusche, „ich male dir gleich
ein Hakenkreuz auf die Stirn“, „und ich dir Nachts eins auf den Bauch“ –
an diesem Abend verzichtete ich darauf zu duschen. Am nächsten Morgen
weckt uns um 5.45 Uhr eine Lautsprecherstimme „Rrrreise, Rrrreise,
aufsteeehen“ und das grelle Licht in der engen 6-Personen-Kammer
vollbringt ein Übriges. Nach dem Appell marschieren wir verschlafen eine
viertel Stunde zum Frühstück. In Dreierreihe geht es von dort weiter
Richtung Schiff. Als der uns begleitende Soldat kurz stehen bleibt und mit
seinen Kameraden raucht, entsteht Unsicherheit, welcher Weg durch die
eintönig aussehende Kasernenlandschaft weiter zu wählen ist. „Immer der
politischen Richtung nach: Rechts!“ schreit es in der ersten Reihe, die
Gruppe lacht und dreht inklusive mir nach Rechts um. Am Schiff angekommen,
gehen wir nach kurzer Einweisung auch durch den bereits erwähnten
Presseoffizier an Bord des Einsatztruppenversorgers Frankfurt am Main. An
der Gangway steht ein junger Soldat Wache. „Bei dem muss aber erst einmal
überprüft werden, ob der überhaupt Deutscher ist“, tönte es abfällig mit
dem dazugehörigen Gelächter aus unseren Reihen. Im späteren Verlauf der
Reise versuche ich meine Eindrücke immer wieder mit Personen aus der
Gruppe zu reflektieren, ich spreche sie beispielsweise an, wie sie denn
die rechtsradikalen Vorfälle finden: „Schlimm“, sagt einer, der sich zur
Offizierslaufbahn beworben hat, „aber besonders schlimm finde ich, wenn
die Türken sich in Deutschland nicht integrieren.“

Ein Schiffsausflug und das Verständnis von Elite

Ein kleiner Teil der Gruppe verbringt die gut siebenstündige Ausfahrt auf
dem Minenjagdboot Herten. Warum gerade diese 15 Personen das Glück hatten
aufgerufen zu werden und was sie erlebten, weiß ich nicht. Lediglich das
Verteilen von Brechtüten an diese erfreut mich und den Rest der Gruppe.
Nachdem der Montagabend mit den Rekrutierungsvorträgen bis spät in die
Nacht mich eher an eine Verkaufsveranstaltung auf einer schlechten
Kaffeefahrt erinnert, genieße ich das sonnige Wetter an Bord bei ruhiger
See am Dienstag. Für reichlich Essen, schmissige Musik und ein Grillfest
mit reichlich Fleisch am Abend ist jedenfalls gesorgt. Der Ausflug dient
aber nicht nur der Unterhaltung, sondern auch dem Kennenlernen eines
Schiffes als Einsatzort und den Gesprächen mit der Besatzung und den
Karriereberater_innen, die uns nie von der Seite weichen. Einer von ihnen
erzählt mir später im lockeren Gespräch, dass in den letzten zwei Monaten
über 3.500 junge Menschen die Sonderaktion nutzten,[6] dass die Marine
sich das richtig was kosten lasse und dass die Ausfahrt extra für uns
stattfindet. Die angekündigte Hubschrauberlandung muss bei unserer Gruppe
leider wegen technischer Probleme abgesagt werden,[7] aber immerhin findet
ein Manöver mit der Herten statt: ein Postsack wird herüber geschossen und
gezogen.

Auf Deck der Frankfurt am Main teilt sich die Gruppe in kleinere Grüppchen
je nach gewünschtem späteren Verwendungszweck beziehungsweise Dienstgrad
auf. Bei den Offizieren (m/w) und Unteroffizieren (m/w), finden sich je
ausreichend Personen (ich melde mich bei den Offizieren).
Erstaunlicherweise meldet sich niemand bei den Mannschaftsdienstgraden,
obwohl ich aus vorangegangen Gesprächen sicher weiß, dass einige aufgrund
ihrer Schulabschlüsse sich nur hierfür bewerben können. Ich vermute, dass
soziale Unsicherheit und die Angst vor einem vermeintlichen Eingeständnis
von Leistungsschwäche dahinterstecken, die in dem hierarchischen System
Militär sich potenzieren.

Dieser Umstand fiel mir bereits am Vorabend auf, als in den Vorträgen die
Offiziere immer wieder auf die Kampfschwimmer zurückkamen, eine als Elite
vermittelte Spezialeinheit der Marine. Nach Aussage der Karriereberaterin
gebe es seit Bestehen der Bundeswehr erst 100 Männer, die dort aufgenommen
wurden, im Grunde für eine solche Veranstaltung also kein nennenswerter
Laufbahnweg. Doch in der andauernden Präsentation als geheimer,
waffenstarrender Orden begannen die Augen der Jugendlichen und jungen
Menschen zu leuchten. Die Kampfschwimmer bestimmten fortan die
Pausengespräche und die Nachfragen bei den Karriereberater_innen.
Militärische Hierarchie heißt bei der Bundeswehr selbstverständlich auch
Befehl und Gehorsam. Es bedeutet aber ebenso, dass eine Welt des sozialen
Aufstiegs den potenziellen Rekrut_innen präsentiert wird, die Karriere und
Prestige unabhängig vom Schulabschluss usw. versprechen. Dass
Spezialeinheiten wie die Kampfschwimmer für die Bundeswehr zunehmend zum
Rekrutierungswerkzeug werden, zeigt auch das zum Zeitpunkt des Besuches
gerade erschienene Y, das Magazin der Bundeswehr (Höhepunkt des Heftes ist
ein, wie bei der Bravo, herausnehmbares Poster mit der klassischen
Formation des Kommandotrupps anhand ihrer Funktion und Waffen). Auch in
der Darstellung der Y umgibt die Spezialeinheiten der Hauch des Geheimen
und Effizienten. Sie werden dort zu einer unsichtbaren Elite, die zwar
Großes vollbringe, aber keine öffentliche Anerkennung erfahre.[8] Hier
ergänzt sich ein vormodernes ständisches Prinzip (Mannschaften,
Unteroffiziere, Offiziere), mit dem neoliberalen Geist, dass jede_r, wenn
sie oder er sich nur genügend anstrengt, zur Elite gehören kann. Ein
Versprechen, das selbstverständlich den gleichen neoliberalen Mechanismen
wie im zivilen Leben zum Opfer fällt, gleichsam wie die vermeintliche
Durchlässigkeit der Militärstände auch schon zuvor stark von der sozialen
Herkunft usw. geprägt war.[9]

Die Frage des Tötens

Ein letztes noch zu der Frage des Tötens. Die Bundeswehr erwidert bei
Kritik an ihren Werbe- und Rekrutierungsveranstaltungen beispielsweise an
Schulen, dass dort durchaus über die Gefahren und moralischen Probleme
beim Bundeswehreinsatz offen gesprochen wird. Ich muss jedoch für meinen
Besuch feststellen, dass dieses zentrale Thema zu einer wirklichen
Randbemerkung verkommen ist. Formulierungen wie „es müsse auch einmal die
Waffe gebraucht werden“, sind eben etwas ganz anderes, als „ihr werdet
unter Umständen auch töten müssen, und falls ein Kind mit einem
Bombengürtel auf euch zufährt, auch dieses, dessen toter Blick euch ein
Leben lang verfolgt; oder ihr müsst unter Umständen Bombenabwürfe
befehligen, die viele Zivilisten zerfetzen“ beziehungsweise in Bezug auf
den eigenen Tod: „es ist möglich, dass ihr getötet werdet, das kann ein
langes Sterben sein, ihr könnt querschnittsgelähmt sein oder schwer
traumatisiert werden, so dass ihr euch und eure ganze Familie ins Unglück
reißt“. Dass die Marine sich aber anscheinend nicht in diesen Szenarien
sieht, legt der Offizier am ersten Tag des Truppenbesuches mit seiner
Folie zum Auftrag der Marine auf. Darauf ist unter anderem zu lesen:
Schutz von Handelswegen und humanitäre Hilfe. Er fragt in die große Runde,
ob uns denn eine solche humanitäre Hilfe einfalle. Großes Schweigen, dann
zögerliches Melden „Kosovo?“, „Ja, auch, aber noch etwas ganz anderes –
na, die Fluthilfe in Deutschland!“ Die Bundeswehr als Technisches
Hilfswerk verkauft sich eben besser als ihr militärisches Wirken. Wenig
später wird noch ein ähnliches, quasi ziviles Beispiel genannt: die von
der Marine betriebenen zwei Dornier Do 228 Maschinen, die vor der
deutschen Küste Schiffe dokumentieren, die illegalerweise ihr Altöl ins
Meer ablassen.

…ich werde mich nicht bewerben.

Mein Interesse an den Verwendungen bei der Marine ist gestillt, ich werde
mich nicht bewerben. Einige Eindrücke meines Besuches habe ich hier
versucht auszuführen. Was noch unerwähnt ist für Menschen, die mit dem
Gedanken spielen, sich in Uniform zu kleiden, ist die große Langeweile an
Bord bei den 4-6 monatigen Einsätzen in der kargen Schiffsatmosphäre, das
Ende von Privatsphäre in den engen Mehrpersonenkammern und von
selbstbestimmter Freizeitgestaltung. Auch die hohen Trennungsraten von
Paaren, insbesondere bei Offizieren, aufgrund häufiger Standortwechsel
sollen nicht unerwähnt sein. Vielleicht mache ich noch ein
Truppenpraktikum, das den Meisten mit denen ich sprach, auch im Gespräch
mit den Karriereberater_innen immer wieder empfohlen wurde. Dafür müsse
ich nur bei der Personalstelle der jeweiligen Kaserne anrufen. Die Marine
letztlich feiert „Marine LIVE!“ als großen Renner und möchte es nächstes
Jahr wieder stattfinden lassen.[10] Vielleicht melden sich ja auch ein
paar Friedensbewegte, um der Marine einen Besuch abzustatten. LIVE!

[1] BMVg (2013): Die Marine stellt sich vor. URL: www.bmvg.de.

[2] Zu den Forderungen des Bündnisses und dem deutschen Ausnahmefall für
Straight-18, vgl. URL: www.kindersoldaten.info/Forderungen.html.

[3] Zum leider ausgesprochen unkritischen Bericht des NDR vgl.: Hain,
Frauke (NDR, 24.9.2013): „Marine muss man erleben“, URL:
www.ndr.de/regional/schleswig-holstein/marine641.html.

[4] Vgl. z.B.: tagesschau.de (14.7.2013): Etwa 400 Extremisten in der
Bundeswehr, URL: http://www.tagesschau.de/inland/bundeswehr666.html.

[5] Auch die große Diskrepanz von „Verdachtsfällen“ (2010/2011: 963; 2012:
338) zu „erkannten Rechtsextremisten“ (2010/2011: 69; 2012: sieben!) und
vorzeitigen Entlassungen (2010-2012: 18!) zeigt kein entschlossenes
Vorgehen des Verteidigungsministeriums gegen Rechtsradikale in der Truppe.

[6] Bei der Homepage der Bundeswehr wird von 800 verfügbaren Plätzen, bei
über 1.000 Bewerbungen gesprochen. Vgl. BWTV (2013): Berufsorientierung -
Die Marine live erlebt, URL: http://www.marine.de.

[7] Wie eine solche Übung mit gezückten Waffen und dem Abseilen vom
Hubschrauber aussehen kann, dokumentiert BWTV, vgl.: BWTV (2013):
Berufsorientierung - Die Marine live erlebt, URL: http://www.marine.de.

[8] Vgl. Y, Ausgabe Spezial September 2013, u.a. Thiels, Christian: Die
Öffentlichkeit wird es nie erfahren, S. 110. Besonders hervorheben möchte
ich den Artikel mit der unsäglichen Überschrift „Das tapfere Leben einer
Soldatenfrau“, bei der über die Partnerschaft mit einem Kampfschwimmer
berichtet wird: „Liebe ist stärker als Angst.“ vgl. Jüttner, Björn (2013):
Das tapfere Leben einer Soldatenfrau. Liebe ist stärker als Angst, S.
104-107.

[9] Vgl. vom Hagen, Ulrich (2012): Homo militaris. Transcript,
insbesondere 242f.

[10] BWTV (2013): Berufsorientierung - Die Marine live erlebt, URL:
http://www.marine.de.


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