[IMI-List] [0390] Proteste gegen die SIKO/ Mali
IMI
imi at imi-online.de
Do Jan 31 12:05:20 CET 2013
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0390 .......... 16. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jonna Schürkes / Jürgen Wagner
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
Am kommenden Wochenende wird wieder die Münchner Sicherheitskonferenz
stattfinden und natürlich werden auch hiergegen wieder breite Proteste
stattfinden, zu denen die Informationsstelle Militarisierung ebenfalls
aufruft. Die Großdemonstration am Samstag, den 2.2.2013 wird um 13:00
Uhr am Stachus in München beginnen, auf der Abschlusskundgebung um 15:00
Uhr wird u.a. Claudia Haydt von der Informationsstelle Militarisierung
sprechen. Der Aufruf und weitere Informationen zu den geplanten
Protesten finden sich hier:
http://sicherheitskonferenz.de/
Jürgen Wagner hat im Vorfeld der „SiKo“ dem Radio Blau in Leipzig ein
Interview gegeben, das hier nachgehört werden kann:
http://freie-radios.net/53422
Ein wichtiges Thema auf der Sicherheitskonferenz wird neben Syrien die
weitere Kriegführung in Mali und dem Sahel sein. Konferenzleiter
Ischinger hat das „Kampftruppen-Tabu“ der Bundesregierung bereits scharf
kritisiert, diese hat mittlerweile eine Ausweitung ihres Engagements
angekündigt: Gestern wurde bekannt, dass die Bundeswehr bereits im
benachbarten Senegal einen „Lufttransportstützpunkt“ aufbaut und
zukünftig auch die Luftbetankung unterstützen soll. Zu den Hintergründen
des Konflikts in Mali hat die Informationsstelle Militarisierung eine
Sonderseite eingerichtet:
http://www.imi-online.de/2013/01/16/sonderseite-hintergrunde-der-mali-intervention/
Im Folgenden dokumentieren wir eine Analyse der bis dahin geplanten
deutschen Beteiligung an der französischen Militärintervention in Mali.
IMI-Standpunkt 2013/003
Mali: Kriegsgetrommel im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz
http://www.imi-online.de/2013/01/22/mali-kriegsgetrommel-im-vorfeld-der-munchner-sicherheitskonferenz/
Christoph Marischka und Jürgen Wagner (22. Januar 2013)
Am ersten Februar-Wochenende treffen sich einmal mehr die wichtigsten
Eliten aus Militär, Politik und inzwischen auch vermehrt aus der
Wirtschaft bei der Münchner Sicherheitskonferenz, um dort wesentliche
weltpolitische Fragen zu erörtern. Zahlreiche Themen stehen auf der
Tagesordnung, angesichts der aktuellen Brisanz dürfte aber vor allem dem
Krieg in Mali besonders viel Beachtung geschenkt werden. Ein deutlicher
Hinweis hierauf ist, dass Konferenzleiter Wolfgang Ischinger unlängst
scharf mit der Bundesregierung ins Gericht ging, nachdem es von
deutscher Seite hieß, ein Einsatz von „Kampftruppen“ zur Unterstützung
der am 11. Januar 2013 begonnenen französische Militärintervention
„Operation Serval“ werde nicht erwogen.
Daraufhin rügte Ischinger die Regierung für die – seiner Auffassung nach
– unzureichende Kriegsbeteiligung in aller Schärfe: “Frankreich erwartet
von Deutschland und anderen EU-Partnern aktive Solidarität und
militärische Unterstützung.” Es gehe „um unsere gemeinsame Sicherheit”
und aus diesem Grund sei es “weniger erfreulich, dass ein
Regierungssprecher einen Kampfeinsatz der Bundeswehr kategorisch
ausschließt.”[1] Diese Forderung nach einer umfassenderen deutschen
Kriegsbeteiligung haben sich inzwischen eine ganze Reihe von
Spitzenpolitikern nahezu jedweder Partei-Couleur zu Eigen gemacht.
Ganz so unbeteiligt ist Deutschland jedoch bereits jetzt nicht. Da wären
zunächst einmal die beiden Transall-Maschinen zu nennen, die
mittlerweile in der malischen Hauptstadt Bamako gelandet sein sollen –
ohne dass hierfür im Übrigen ein Mandat des Bundestages für notwendig
erachtet worden wäre. Die Transalls nahmen auf dem Hinflug gleich noch
Sanitätsmaterial für die französischen Truppen mit,[2] vor allem sollen
sie aber eine wesentliche Rolle bei der Verlegung von Truppen der
Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) spielen, die in Kürze
mit einer Militärintervention zur „Befreiung“ des Landes beginnen
sollen. Deren Rolle soll im Wesentlichen darin bestehen, die von den
französischen Truppen eroberten Städte und Gebiete längerfristig zu
sichern, damit die Franzosen ihre Kapazitäten für weitere Offensiven
nutzen können – und der koloniale Charakter dieses Krieges nicht allzu
offensichtlich wird. Darüber hinaus ist Deutschland in den Krieg über
die Europäische Union involviert. Einmal, indem der ECOWAS-Einsatz zu
einem guten Teil mit Geldern der EU-Entwicklungshilfe finanziert werden
soll. Und zum Zweiten, indem die Europäische Union am 17. Januar 2013
eine „Militärmission als Beitrag zur Ausbildung der malischen
Streitkräfte (EUTM Mali)“ beschlossen hat.
EUTM Mali: Hineinschlittern in den Krieg?
Mit EUTM Mali will man das Geschehen im eigenen Sinne beeinflussen,
indem die malischen Truppen „ertüchtigt“ werden sollen, in absehbarer
Zeit den Großteil der Kämpfe selbst zu übernehmen. Eine solche EUTM
Somalia genannte Mission führt die EU bereits seit Mitte 2010 in Uganda
durch. Hier werden somalische Soldaten ausgebildet, um anschließend auf
der Seite der Übergangsregierung im somalischen Bürgerkrieg zu kämpfen.
Schon im November 2012 war der EUTM Somalia in einer Entschließung des
Europäischen Parlaments lobend als Prototyp künftiger Einsätze in Afrika
bezeichnet worden, auch und gerade für Länder der Sahelzone. Als
Begründung hieß es darin, „dass das Modell der Operation EUTM, das mit
relativ geringem finanziellen, materiellen und personellen Aufwand der
EU die Möglichkeit bietet, eine wichtige Rolle in der Region Ost-Afrikas
einzunehmen, auf andere Gebiete, insbesondere in der Sahelzone,
repliziert werden könnte.“[3]
Auffallend ist, dass die Beteiligung der Bundeswehr am Einsatz in
Somalia/Uganda ohne Mandat des Bundestags erfolgt, weil nach Auffassung
der Bundesregierung keine „Einbeziehung in einen bewaffneten Konflikt“
bestehe oder zu erwarten wäre, diese im Falle der EUTM-Mission in Mali
jedoch ein Mandat für die Ausbildungsmission für nötig hält. Tatsächlich
soll der Einsatz der Bundeswehr in Mali nach dem EU-Beschluss auch die
„Beratung im Bereich der Führung, der Logistikkette und der
Personalwirtschaft” beinhalten und “die Bedingungen für die Ausübung
einer ordnungsgemäßen politischen Kontrolle über die malischen
Streitkräfte” herstellen.[4] Angesichts der weit vorangeschrittenen
Desintegration der malischen Streitkräfte lässt dies den Schluss zu,
dass die EU-Mission v.a. eine zentrale Rolle bei der Koordination des
Einsatzes im Norden spielen wird. Damit erklärt sich auch das vom
SPD-Außenminister Gernot Erler formulierte Rätsel, “wie malische
Soldaten, die mit den Franzosen zusammen im Norden des Landes kämpften,
zeitgleich an Ausbildungsplätzen
im Süden Malis trainiert werden könnten.”[5] Auch nach Marco Overhaus
von der Stiftung Wissenschaft und Politik müsse eine “klare Trennung
zwischen Training und operativem Handeln … mittlerweile als überholt
gelten, denn sie ist in einem derart volatilen Umfeld nicht sinnvoll.”[6]
Zwar betont der Ratsbeschluss, die EU-Truppe habe sich aus Kämpfen
herauszuhalten: „Die EUTM Mali beteiligt sich nicht an
Kampfeinsätzen.“[7] Inwieweit solche Aussagen allerdings glaubwürdig
sind, steht auf einem ganz anderen Blatt Papier (oder Geheimdokument).
So kritisiert etwa Elke Hoff, sicherheitspolitische Sprecherin der FDP-
Bundestagsfraktion, mit Verweis auf die erheblichen „Eskalationsrisiken“
von EUTM Mali den Einsatz in ungewöhnlich scharfer Form: „Der
Afghanistan-Einsatz hat zu der Erkenntnis geführt: Ohne definierte Ziele
und Exit-Strategie und ohne die Unterstützung der Bevölkerung sollte
keine Auslandsmission beschlossen werden. Es war nicht nur voreilig, die
Entsendung von 240 Soldatinnen und Soldaten für eine Ausbildungsmission
nach Mali zuzusagen. Sondern auch verantwortungslos.“[8]
Auch hochrangige Militärs wie Ex-Bundeswehr-Generalinspekteur Harald
Kujat warnen davor, EUTM Mali könne der erste Schritt sein, um mitten in
einen umfassenden Krieg „hineinzuschlittern“: „Es ist zweifelhaft, ob
die malische Armee überhaupt in der Lage ist, den Norden
zurückzuerobern. Und es ist möglich, dass sie sich dann umdrehen, wenn
wir dort bereits involviert sind, und wir dann aufgefordert werden, uns
aktiv in die Kampfhandlungen einzuschalten.“ Direkt zum EUTM
Mali-Einsatz merkt Kujat weiter an: „Hier handelt es sich um einen
Einsatz, der sehr leicht von einer Ausbildungsmission in aktive
Kampfhandlungen hinübergehen kann, und das muss man von vorn herein
bedenken.“[9]
Allerdings zieht Kujat hieraus die fatale Schlussfolgerung, nun müsse
die Unterstützung der französischen Kriegsanstrengungen oberste
Priorität haben – und zwar mit buchstäblich allen Mitteln: “Die
Franzosen sind in Europa unsere engsten Verbündeten. Sollten sie um
Hilfe aus Deutschland bitten – das gilt auch für Kampftruppen – könnten
wir ihnen diese nicht verwehren.”[10] Mit dieser Forderung ist Kujat
keineswegs alleine, zahlreiche Bundestagsabgeordnete haben sich ihr
mittlerweile angeschlossen.
Kriegsbegeisterung im Bundestag
Trotz dieser breiten Interventionsklaviatur ist angesichts der
Gemengelage nicht mit einem baldigen Ende der Kampfhandlungen zu
rechnen. Vielmehr droht wie schon zuvor in Afghanistan oder im Irak eine
„Verstetigung“ des Krieges und die Destabilisierung der gesamten Region.
Mittlerweile haben nach Algerien bereits erste Kampfhandlungen in
Nigeria im Zusammenhang mit der Mali-Intervention stattgefunden: Im
Bundesstaat Kogi wurden bei einem Sprengfallen-Anschlag auf einen Konvoi
mit anschließendem Feuergefecht zwei nigerianische Soldaten getötet und
fünf schwer verletzt, die für die Verlegung nach Mali vorgesehen waren.
Zu dem Angriff bekannte sich eine Splittergruppe von Boko Haram mit
explizitem Verweis auf den bevorstehenden Einsatz in Mali.
Das straft auch die Darstellung der Regierung lügen, wonach der Einsatz
der Transalls ungefährlich und harmlos sei und deshalb kein Mandat
erfordere, weil die Truppen lediglich in das vermeintlich sichere Bamako
gebracht würden (die französischen Bemühungen zur Sicherung
französischer Einrichtungen in Bamako sprechen auch hier eine andere
Sprache). Anstatt jedoch die Umgehung des Parlaments beim
Transall-Einsatz zu kritisieren, fordern führende Vertreter des
Bundestages einen umfassenderen militärischen Beitrag Deutschlands. Die
zwei Transall-Maschinen seien „deutlich zu wenig“, so etwa
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Sein Kollege Rainer Arnold,
verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sprach in
diesem Zusammenhang abwertend von einer “Minimallösung” und der Grüne
Verteidigungspolitiker Omid Nouripour forderte in aller Deutlichkeit,
die Bundesregierung müsse “erheblich mehr tun als zwei
Transall-Maschinen zur Verfügung zu stellen.”[11]
Mit ihrer Kriegsbegeisterung nehmen die Abgeordneten somit die weitere
Aushöhlung des Parlamentsvorbehalts vorweg, für die Wolfgang Ischinger
im Sommer 2011 noch „Reformen“ angemahnt hatte: Einsätze von
„Aufklärungsmitteln, Überwachungsplattformen, Fähigkeiten zu Transport,
Logistik und medizinischer Versorgung sollten, … falls sie von NATO oder
der EU angefordert werden, von nationalen Vetos [und damit dem
Parlamentsvorbehalt] ausgenommen werden“, so Ischinger damals.[12] In
einem Gastkommentar für das Handelsblatt mahnte er später erneut,
„Deutschland möge sich durch den Parlamentsvorbehalt nicht handlungs-
beziehungsweise partnerschaftsunfähig machen“.[13] Wenn nun Abgeordnete
fast aller Fraktionen unter der Betonung einer notwendigen „Solidarität“
mit Frankreich ein schnelleres und umfangreicheres Handeln der
Bundesregierung einfordern, schlagen sie letztlich in dieselbe Kerbe.
Selbstmandatierung
Offiziell wird zumeist betont, die französische Intervention sei durch
die UN-Resolutionen 2071 und 2085 legitimiert. Hierzu schreibt
allerdings der Bundesausschuss Friedensratschlag: „Für seine
Militärintervention – mit Mordwerkzeugen aus der Luft, zunehmend aber
auch am Boden – beruft sich Frankreich auf die Resolution 2071 (2012)
des UN-Sicherheitsrats, die in Ziffer 9 die ‘Mitgliedsstaaten, regionale
und internationale Organisation einschließlich der Afrikanischen Union
und der Europäischen Union dazu aufruft, so schnell wie möglich
koordinierte Hilfe, Expertise, Ausbildung und Fähigkeiten’ der malischen
Armee zur Verfügung zu stellen, ‘um die Einheit und territoriale
Integrität Malis aufrecht zu erhalten’. Hieraus das Recht auf eine
Militärintervention herauslesen zu wollen, ist ein politischer Kraftakt.
Und in der jüngsten Resolution 2085 vom 20. Dezember findet sich kein
über die oben zitierte Formel hinausgehender Beschluss. Im Gegenteil:
Ausdrücklich wird in Ziffer 11 dieser Resolution betont, ‘dass die
militärische Planung vor dem Beginn der offensiven Operation weiter
präzisiert werden’ müsse. Das ist bisher nicht geschehen. Wohl deshalb
beruft sich Frankreich auf eine (bestellte?) formale Bitte der nach
einem Militärputsch in Bamako eingesetzten Übergangsregierung zur
Legitimation seiner Intervention.“[14]
Doch neben dem Grundgesetz und dem Parlamentsbeteiligungsgesetz wird in
der aktuellen Kriegseuphorie auch dem Völkerrecht nicht mehr als eine
lästige, einschränkende Wirkung zuerkannt, die man im Dienste der
Freundschaft und der Solidarität getrost ignorieren könne. Besonders
hervorgetan hat sich dabei NDR-Korrespondent Georg Schwarte in einem
Kommentar für die ARD: Darin wird zwar eingeräumt, dass „Frankreichs
Eingreifen in Mali – anders als zuletzt sogar von der Kanzlerin
behauptet – nicht durch eine UN-Resolution gedeckt ist“, womit er
begründet, dass die Bundesregierung die Transall-Maschinen (offiziell,
in der Praxis wurden damit bereits auch Güter für die französische Armee
geliefert) nur der ECOWAS, nicht aber den Franzosen zur Verfügung
stellt. Das sei „sehr schlau“, „und das gibt ihr“, der „deutschen Hilfe
… einen schalen Beigeschmack“.
ECOWAS: Militärintervention mit EU-Entwicklungshilfe
Generell wird verkannt, wie eng das französische Eingreifen, der
ECOWAS-Einsatz („African-led International Support Mission in Mali“,
AFISMA) und die Beiträge Deutschlands und der EU zusammenhängen. Die
Soldaten der ECOWAS sollen nicht nur die französischen Geländegewinne
absichern, ihr Einsatz wird auch wesentlich von der EU finanziert. War
Anfangs noch von einem Umfang zwischen 3.500 und 3.800 Soldaten die
Rede, spricht man inzwischen bereits von bis zu 6.000.[15] Diese Truppen
sollen nun auch mithilfe der deutschen Transalls Stück für Stück nach
Mali verfrachtet werden. Die Kosten des ECOWAS-Einsatzes werden auf
mindestens 375 Mio. Euro, beziffert,[16] wahrscheinlich werden sie
jedoch noch deutlich ansteigen.
In diesem Zusammenhang wurde in den Schlussfolgerungen des Rates vom 17.
Januar 2013 u.a. beschlossen, die Europäische Union werde den
ECOWAS-AFISMA-Einsatz über die sogenannte „African Peace Facility“ (APF)
finanziell unterstützen – ein genauer Betrag wird dabei allerdings nicht
genannt.[17] Hierbei handelt es sich um einen Topf, der mit Geldern des
Europäischen Entwicklungsfonds (EEF), zu dessen Budget Deutschland über
20 Prozent beiträgt, gefüllt wird und vor allem der Finanzierung
afrikanischer Militäreinsätze dient. Obwohl eine direkte Finanzierung
von Waffen, Munition, militärischer Ausrüstung und Ausbildung nicht
erlaubt ist, wären solche Einsätze ohne die Peace Facility nicht
finanzierbar. Die Beiträge decken teils bis zu zwei Drittel der
Gesamtkosten, weshalb es sich bei derartigen „afrikanischen“
Militäreinsätzen zynisch gesagt eher um „outgesourcte“ EU-Kriege
handelt.[18] Insofern klingt das Argument von Entwicklungsminister Dirk
Niebel reichlich schal, wenn er angibt: „So bald wie möglich muss aber
die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS eine ordnende Rolle
in Mali übernehmen. Die Wiederherstellung der territorialen Integrität
muss ein afrikanisches Gesicht haben. Es darf nicht der Eindruck erweckt
werden, dass es sich um Postkolonialismus handelt“.[19]
Neben dieser skandalösen Zweckentfremdung von Entwicklungshilfe, die
sozusagen auf oberster Finanzierungsebene einsetzt, lässt sich selbiges
auch „vor Ort“ beobachten. Die zunehmenden Forderungen auch von
deutschen Politikern, in Mali müssten zivile und militärische Mittel
Hand in Hand arbeiten und gewissermaßen am selben Strang ziehen,
veranlasste „Ärzte ohne Grenzen“ zu einer scharfen Absage an derartige
Ambitionen: „Anlässlich der Entscheidung der Bundesregierung, die
französische militärische Intervention in Mali zu unterstützen, warnt
die internationale medizinische Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen vor
einer Vermischung militärischer und humanitärer Aufgaben. … Humanitäre
Organisationen haben die Aufgabe, in Katastrophen und Konflikten der
betroffenen Zivilbevölkerung beizustehen. Sie müssen mit allen
Konfliktparteien verhandeln, um die notwendigen Zugangs- und
Sicherheitszusagen zu erhalten. Dies ist nur möglich, wenn sie als rein
humanitäre Organisationen erkennbar sind und respektiert werden. Sie
müssen klar getrennt von militärischen Aktionen handeln können und
dürfen weder mit diesen verwechselt noch in Zusammenhang gebracht
werden, da die Helfer sonst selbst zur Zielscheibe werden können. … ‘Wir
wenden uns entschieden gegen diesen politischen Missbrauch der
humanitären Hilfe’, sagt Frank Dörner, Geschäftsführer von Ärzte ohne
Grenzen Deutschland. ‘Er gefährdet unsere Arbeit und damit
Menschenleben’.“[20]
Jeremy Labbé vom International Peace Institute (IPI) hatte bereits kurz
vor Beginn der Intervention gewarnt, dass eine militärische Intervention
„den humanitären Zugang und die Sicherheit des humanitären Personals
weiter einschränken könnte“. Hintergrund für diese Warnung war die
Aufforderung der US-Botschafterin bei der UN, Susan Rice, humanitäre
Organisationen sollten sich an der Planung des Militäreinsatzes
beteiligen (wodurch diese als „integraler Bestandteil der Strategie zur
Rückeroberung des Nordens“ erschienen seien) und die offensichtlichen
Parallelen zur Kriegsführung in Somalia: „Wesentliche Teile des Gebietes
werden von islamistischen Gruppen kontrolliert, von denen einige Kontakt
zur Al Kaida haben, die UN und die internationale Gemeinschaft wollen
regionale Militäreinheiten unterstützen, die an der Seite einer
Regierung kämpfen, der nahezu jegliche Legitimität fehlt, während sich
die gesamte Region in einem Zustand der Ernährungsunsicherheit
befindet“. Das absehbare Ergebnis diese Konstellation beschreibt Labbé
für Mali so: „Es ist wahrscheinlich, dass die vom Westen unterstützte
Verlegung regionaler Kräfte den ohnehin schlechten Zugang weiter
verschlechtern wird. Während die Militärintervention Hilfslieferungen in
‘befreite Gebiete’ unterstützen wird, könnten humanitäre Akteure
vollständig von den durch die Islamisten kontrollierten Gebieten
abgeschnitten und in deren Sicht zu legitimen Zielen werden“.[21] Wenn
aber Hunger einerseits und humanitäre Hilfe andererseits selbst zum
Mittel der Kriegführung werden, wie es jüngste Meldungen über den Mangel
an Medikamenten in den eroberten und zuvor „belagerten“ Städten vermuten
lassen,[22] ist durchaus auch die Aufstockung humanitärer Hilfe im
Kontext der französischen Intervention durch die Bundesregierung
kritisch zu hinterfragen.
Fazit: Bis zum (nächsten) bitteren Ende?
Der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian gab an: „Das
Ziel ist die vollständige Rückeroberung Malis.“[23] Es wäre nicht das
erste Mal, dass westliche Militärstrategen im Glauben an die eigene
Allmacht den Blick für die Realität verlieren – und auch hier scheint
dies der Fall zu sein. Zu den Aussichten einer „erfolgreichen“
Rückeroberung schreibt etwa der Bundesausschuss Friedensratschlag: „Es
ist reines Wunschdenken des französischen Präsidenten, dass die
Militäroffensive binnen einer Woche dazu führen könnte, die avisierten
3.300 Soldaten der ECOWAS-Staaten ins Land zu holen, damit diese die
‚Rückeroberung‘ des nördlichen Landesteils (immerhin ein Gebiet von der
Größe Frankreichs und Spaniens zusammen genommen!) bewerkstelligen
würden. Viel eher erwarten wir eine Ausweitung der Kampftätigkeiten auch
im Süden Malis.“[24]
Es droht also eine „Verstetigung“ des Krieges, möglicherweise eine lang
andauernde französische Besatzung und, wie die Ereignisse in Algerien
und Nigeria mehr als deutlich gezeigt haben, eine Destabilisierung der
gesamten Region. Und tatsächlich: Wenn die Erfahrungen aus den jüngsten
Einsätzen in Afghanistan, im Irak und zuletzt in Libyen eines gelehrt
haben, dann ist es die Tatsache, dass westliche Militärinterventionen
nicht in der Lage sind, derartige Konflikte „erfolgreich“ zu „befrieden“
– im Gegenteil. Selbst die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und
Politik kritisiert die westliche Interventionspolitik in ungewohnter
Schärfe: “Mali offenbart die Gefahren einer weiteren Militarisierung des
internationalen Kampfes gegen den Terrorismus und das Fehlen einer
weitsichtigen Afrika-Politik. Seit dem 11. September 2001 haben die
Entwicklungen in den Hot Spots des Anti-Terrorkampfes – Afghanistan,
Jemen, Indonesien und an zahlreichen anderen Orten – gezeigt, dass sich
das Terror-Problem dauerhaft nur mit polizeilichen,
entwicklungspolitischen und politischen Mitteln wirksam bekämpfen lässt.
Mit anderen Worten: Der Kampf gegen den Terrorismus erfordert den langen
Atem, den die internationale Gemeinschaft oft nicht hat.”[25]
Andere Beobachter wie etwa der neue Leiter des Stockholmer
Friedensforschungsinstitutes (SIPRI), Tilman Brück, warnten schon vor
einiger Zeit davor, man sei auf dem schlechtesten Wege, das Desaster
vergangener Eingriffe zu reproduzieren: „Mali ist das neue Afghanistan,
wenn wir nicht sehr schnell unsere Politik und unsere Einstellung zu
diesem Fall ändern. Es droht die Gefahr, in dieselbe Falle wie in
Afghanistan zu laufen.“[26] Es scheint, als sollte Brück mit dieser
pessimistischen Prognose leider Recht behalten. Umso wichtiger sind die
anstehenden Proteste gegen die Münchner Sicherheitskonferenz, um dort
ein klares Zeichen gegen den westlichen Kriegseinsatz, gegen die Logik
des „Kriegs gegen den Terror“ und insbesondere gegen jegliche deutsche
Beteiligung zu setzen. In dieser Forderung weiß die Friedensbewegung
einmal mehr die Mehrheit der deutschen Bevölkerung hinter sich: Bei
einer Emnid-Umfrage sprachen sich 59 Prozent der Befragten gegen eine
militärische Beteiligung der Bundeswehr aus, lediglich 33 Prozent waren
dafür.[27] Unter anderem in München wird es darum gehen, dieser Mehrheit
mittels der Proteste eine Stimme zu geben.
Alle wichtigen Infos zur Münchner Sicherheitskonferenz finden sich hier:
http://sicherheitskonferenz.de
Anmerkungen
[1] Deutsche Mali-Politik: Ischinger kritisiert Berlins
Kampftruppen-Tabu, Spiegel Online, 15.01.2013:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/krise-in-mali-ischinger-kritisiert-deutsches-nein-zu-kampftruppen-a-877673.html)
[2] Wiegold, Thomas: Mali? Unübersichtlich, 18.01.2013:
http://augengeradeaus.net/2013/01/mali-unubersichtlich/
[3] Entschließung des Europäischen Parlaments vom 22. November 2012 zur
Umsetzung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (nach
dem Jahresbericht des Rates an das Europäische Parlament zur gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik) (12562/2011 – 2012/2138(INI))
[4] Beschluss 2013/34/GASP des Rates vom vom 17. Januar 2013.
[5] Gernot Erler im SWR2 Tagesgespräch vom 18.01.2013.
[6] Marco Overhaus: Schadensbegrenzung in Mali, 18.01.2013:
http://www.swp-berlin.org/de/publikationen/kurz-gesagt/schadensbegrenzung-in-mali.html
[7] Beschluss 2013/34/GASP des Rates vom 17. Januar 2013 über eine
Militärmission der Europäischen Union als Beitrag zur Ausbildung der
malischen Streitkräfte (EUTM Mali), Artikel 1.
[8] Hoff, Elke: Aus Fehlern lernen. Keine deutsche Beteiligung an einer
Mali-Mission ohne klare Ziele, in: Internationale Politik, 06.01.2013)
[9] Flocken, Andreas: Angst vor einem zweiten Afghanistan? Streitkräfte
und Strategien, 03.11.2012: http://www.bits.de/public/gast/12flocken-04.htm
[10] Bundesregierung stellt weitere Mali-Hilfe in Aussicht, Donaukurier,
20.01.2013:
http://www.donaukurier.de/nachrichten/topnews/D-Mali-Frankreich-Regierung-Parteien-Streitkraefte-Konflikt-Bundesregierung-stellt-weitere-Mali-Hilfe-in-Aussicht;art154776,2707270
[11] Bundesregierung stellt weitere Mali-Hilfe in Aussicht, Donaukurier,
20.01.2013:
http://www.donaukurier.de/nachrichten/topnews/D-Mali-Frankreich-Regierung-Parteien-Streitkraefte-Konflikt-Bundesregierung-stellt-weitere-Mali-Hilfe-in-Aussicht;art154776,2707270
[12] Wolfgang Ischinger u. Timo Noetzel: Libya could be a catalyst for
Europe’s security policy, in: Europe’s World (Summer 2011):
http://www.europesworld.org/NewEnglish/Home_old/Article/tabid/191/ArticleType/ArticleView/ArticleID/21826/LibyacouldbeacatalystforEuropessecuritypolicy.aspx
[13] Wolfgang Ischinger: „Bundestag soll ein Wörtchen mitreden“,
Handelsblatt, 30.08.2012:
http://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-bundestag-soll-ein-woertchen-mitreden/7073618.html
[14] Mali: Keine Intervention! Kein neues Afghanistan! Bundesausschuss
Friedensratschlag, 16.01.2013:
http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Mali/agf-baf-stellung.html
[15] Europe Diplomacy & Defence, Nr. 575, 22.01.2013.
[16] Kampf gegen Islamisten: Kosten für Militärmission in Mali
verdoppeln sich, Spiegel Online, 21.01.2013:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/kampf-gegen-islamisten-militaer-mission-in-mali-wird-doppelt-so-teuer-a-878694.html
[17] Council Conclusions on Mali, Brussels, 17.01.2013.
[18] Wagner, Jürgen: Die EU als Rüstungstreiber, IMI-Studie 2012/08, S.
34f..
[19] “Nur eine Grenze zwischen Mali und Mittelmeer”, Welt Online,
20.01.2013:
http://www.welt.de/politik/deutschland/article112901791/Nur-eine-Grenze-zwischen-Mali-und-Mittelmeer.html
[20] Ärzte ohne Grenzen kritisiert Bundesaußenminister – Militärische
Einsätze und humanitäre Hilfe müssen strikt getrennt werden, Berlin, 16.
Januar 2013:
http://www.aerzte-ohne-grenzen.de/presse/pressemitteilungen/2013/pm-2013-01-16/index.html
[21] Jeremy Labbé: The Humanitarian Fallout of a Military Intervention
in Mali, 03.01.2013:
http://www.isn.ethz.ch/isn/Digital-Library/Articles/Detail/?&id=156531
[22] Siehe z.B.: “Sie haben sogar alle Apotheken geplündert”, Beitrag
von Peter Schreiber auf Tagesschau.de, 22.01.2013.
[23] France says military goal is ‘total reconquest of Mali’, AFP,
20.01.2013:
http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5igp4ctrq1KvqIdva01KObZtVcNUg?docId=CNG.ff67847b4641455470e3d885ef5416eb.1d1
[24] Mali: Keine Intervention! Kein neues Afghanistan! Bundesausschuss
Friedensratschlag, 16.01.2013.
[25] Overhaus, Marco: Schadensbegrenzung in Mali, SWP, 18.01.2013:
http://www.swp-berlin.org/de/publikationen/kurz-gesagt/schadensbegrenzung-in-mali.html
[26] Flocken, Andreas: Angst vor einem zweiten Afghanistan? Streitkräfte
und Strategien, 03.11.2012.
[27] Umfrage: Mehrheit der Deutschen gegen Bundeswehr-Einsatz in Mali,
Epoch Times Deutschland, 19.01.2013:
http://www.epochtimes.de/umfrage-mehrheit-der-deutschen-gegen-bundeswehr-einsatz-in-mali-1058359.html
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