[IMI-List] [0387] Neuer AUSDRUCK (Dezember 2012)/ Piratenprozess in Hamburg/ Spendenaufruf

IMI imi at imi-online.de
Mi Dez 12 12:31:49 CET 2012


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0387 .......... 15. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jonna Schürkes / Jürgen Wagner
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Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,

voraussichtlich ist dies die letzte IMI-List in diesem Jahr. Es finden 
sich in ihr

1) der neu erschienene AUSDRUCK (Dezember 2012)

2) Analyse zum Urteil im Hamburger Piratenprozess

Zuvor aber noch ein Hinweis in eigener Sache:

Die IMI finanziert sich fast ausschließlich über Spenden und 
Mitgliedsbeiträge. Sollte jemand zum Jahresabschluss noch ein wenig Geld 
übrig haben, wir freuen uns über jede Unterstützung.

Spenden und Mitgliedsbeiträge an die IMI sind weiterhin steuerlich 
absetzbar!

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Ein Formular für einen Beitritt im IMI-Förderverein findet sich hier: 
http://www.imi-online.de/download/foerderk.pdf

Ansonsten bleibt uns nur allen Freundinnen und Freunden der IMI ein 
gutes neues und hoffentlich friedlicheres neues Jahr zu wünschen!

1) der neu erschienene AUSDRUCK (Dezember 2012)

Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins ist soeben erschienen und kann 
hier heruntergeladen werden: 
http://www.imi-online.de/download/AusdruckDez2012_web.pdf

INHALTSVERZEICHNIS AUSDRUCK (Dezember 2012)

DEUTSCHLAND UND DIE BUNDESWEHR

Piratenjagd vor Gericht: Das Urteil im Hamburger „Piratenprozess“ ist 
gesprochen
http://www.imi-online.de/download/AusdruckDez2012_01friedetzki.pdf
(Anita Friedetzky)

Neue Wege für die Rüstungsforschung
Der RWTH Aachen richtet Professur für Rüstung ein
"http://www.imi-online.de/download/AusdruckDez2012_02seifert.pdf
(Andreas Seifert)

Mehrheit gegen Entsendung der Bundeswehr in die Türkei
http://www.imi-online.de/download/AusdruckDez2012_03hantke.pdf
(Martin Hantke)

Die Bundeswehr im Innern nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
http://www.imi-online.de/download/AusdruckDez2012_04haid.pdf
(Michael Haid)

Der Krieg ist nicht vorbei: Die NATO-Mission nach 2014 und die „Übergabe 
in Verantwortung“ in Afghanistan
http://www.imi-online.de/download/AusdruckDez2012_05schuerkes.pdf
(Jonna Schürkes)


INDIREKTER IMPERIALISMUS

Gestaltungsmächte-Konzept und Merkel-Doktrin: Rüstungsexporte und 
Machtpolitik am Golf
http://www.imi-online.de/download/AusdruckDez2012_06engerer.pdf
(Julian Engerer)

Südsudan: ein Paradebeispiel für State-Building
http://www.imi-online.de/download/AusdruckDez2012_07bernhold.pdf
(Christin Bernhold)

EU-MILITARISIERUNG
Irgendwie unabhängig: Die Transformation der „Internationalen 
Überwachung“ der Unabhängigkeit des Kosovos
http://www.imi-online.de/download/AusdruckDez2012_09schuerkes.pdf
(Jonna Schürkes)

Henne oder Ei: Die EU-Aufstands- und Terrorbekämpfung im Sahel
http://www.imi-online.de/download/AusdruckDez2012_08marischka.pdf
(Christoph Marischka)

Bericht vom 15. Kongress der Informationsstelle Militarisierung
Entdemokratisierung und Krieg – Kriegerische Demokratie
http://www.imi-online.de/download/AusdruckDez2012_10bericht.pdf

2) Analyse zum Urteil im Hamburger Piratenprozess

IMI-Analyse 2012/027 - in: AUSDRUCK (Dezember 2012)
Piratenjagd vor Gericht
Das Urteil im Hamburger „Piratenprozess“ ist gesprochen
http://www.imi-online.de/download/AusdruckDez2012_01friedetzki.pdf
von Anita Friedetzky, 12. Dezember 2012


Ursprünglich sollten im sogenannten „Piratenprozess“ in Hamburg, dem 
ersten seiner Art in der BRD, bereits im März 2011 die Urteile 
gesprochen werden. Er hatte im November 2010 begonnen. Nach 105 
Verhandlungstagen endete er dann aber erst am 19.Oktober 2012. Was war 
geschehen?
Zehn u.a. mit Kalaschnikows und einem Kricketschläger bewaffnete Männer, 
drei von ihnen noch halbe Kinder, hatten am 6.April 2010 versucht, das 
Containerschiff „Taipan“ ca. 500 km vor der somalischen Küste zu kapern. 
Das Schiff war unterwegs auf dem Weg von Haifa nach Mombasa. Die Aktion 
scheiterte, weil die niederländische Fregatte „Tromp“ als Teil der 
europäischen „Antipiraterie-Mission- Atalanta“ sie aufbrachte und 
festsetzte.
Die Mannschaft der „Taipan“ hatte die automatische Steuerung 
eingeschaltet und sich im „Saferoom“ versteckt. Als die „Piraten“ die 
Automatik ausschalteten und die Fahrtrichtung des Schiffes änderten, 
verursachte der Kapitän der „Taipan“ einen „Blackout“ und die Maschinen 
stoppten.
Bei seiner Zeugenaussage vor Gericht gab Kapitän Eggers an, nicht das 
Gefühl gehabt zu haben, dass sein Leben bedroht gewesen sei. Vorm Horn 
von Afrika (aber auch auf anderen Handelswegen weltweit) müsse mit 
Derartigem gerechnet werden. Jeder Seemann hat das Recht, die 
Weiterfahrt in so einem Fall zu verweigern. Die meisten bleiben jedoch 
an Bord und bekommen als Risikozulage die doppelte Heuer. Eggers habe 
vor Erreichen der gefährlichen Gewässer den polnischen Kapitän ersetzt, 
der von Bord gegangen war.
Man sei vorbereitet gewesen. Eine sogenannte BMP (Best Managing 
Practice) wird seit langem von Schiffsversicherern, aber auch von der 
internationalen Transportarbeitergewerkschaft ITF empfohlen. Sie sieht 
neben der Einrichtung eines Sicherheitsraumes die Installation von 
NATO-Draht und starken Wasserschläuchen vor, um die „Piraten“ erst gar 
nicht an Bord kommen zu lassen. Kapitän Eggers hatte zudem mit 
Leuchtraketen auf die zwei sich schnell nähernden Skiffs gezielt. Eines 
wäre daraufhin beinahe gekentert. Die “Piraten“ schafften es dennoch, 
barfuß und in Flip-Flops über Enterleitern an Bord zu kommen.
Normalerweise, so Kapitän Eggers, würden aufgebrachte „Piraten“ wieder 
in ihre Skiffs gebracht. Man fülle Wasser in die Schnellboote, um sie 
langsamer zu machen und lasse ihnen gerade so viel Benzin, um die Küste 
erreichen zu können.
Warum im Fall der „Taipan“ nicht so verfahren wurde, wurde nicht 
geklärt. Weil der Überfall außerhalb des offiziellen 
Atalanta-Einsatzgebietes stattfand, habe sich der Kapitän der 
niederländischen Fregatte „Tromp“ anfangs quasi auf eigene Faust zur 
„Taipan“ begeben, habe dann aber einen offiziellen Einsatzbefehl der 
niederländischen Regierung bekommen, den diese wiederum mit der 
deutschen Regierung abgesprochen habe. Was im Einzelnen abgemacht wurde, 
blieb vor Gericht jedoch geheim. Mithilfe eines der beiden 
Bordhubschrauber der „Tromp“ war eine Art Marine-SEK unter Feuerschutz 
und schwer bewaffnet auf der „Taipan“ gelandet. Die „Piraten“ haben sich 
wohl nicht zuletzt angesichts dieser High-Tech-Übermacht widerstandslos 
ergeben. Die Mannschaft der Taipan konnte den Saferoom verlassen und 
trotz Beschädigungen am Schiff die Containerfracht zum Zielhafen in 
Mombasa bringen.
Bis heute weiß übrigens angeblich niemand, was die „Taipan“ geladen 
hatte. Das Hamburger Schiff der Reederei Komrowski fuhr zwar unter 
deutscher Flagge, gechartert hatte es aber eine israelische Firma. Vor 
Gericht behauptete der zuständige Versicherungsvertreter, nur sogenannte 
„riskante“ Ladungen würden genau deklariert. Im Falle der „Taipan“ habe 
es sich offenbar nicht um eine solche gehandelt.

GEHEIMOPERATIONEN

Die „Piraten“ sind auf der Taipan „festgesetzt“ (wenn jemand vor Gericht 
„festgenommen“ sagte, wurde dies vehement verbessert) und dann neun Tage 
lang auf der Tromp gefesselt festgehalten worden. Einer der somalischen 
Jungen sprang aus Angst ins offene Meer, wurde aber wieder an Bord 
geholt. Die Gefangenen wurden Verhören unterzogen, bei denen sie auch 
mal am Verhörstuhl festgebunden wurden. Angeblich sollen es nur harmlose 
Gespräche gewesen sein, die allerdings - so stellte sich vor Gericht 
heraus – von niederländischen Marinegeheimdienstoffizieren geführt 
worden waren.
Die Gesprächsprotokolle wurden dem Gericht unter Hinweis auf 
Geheimhaltungspflichten verweigert. Einer der Angeklagten, der spätere 
„Kronzeuge“ im Prozess, habe umfassende Angaben zur Piraterie in Somalia 
gemacht. Der Inhalt sei jedoch „for netherland eyes only“. Das sei auf 
höchster politischer Ebene so abgesprochen. Wer wann welchen Gefangenen 
zum Verhör gebracht, ihn bewacht hatte oder bei den „Gesprächen“ 
anwesend war, konnte vor Gericht nicht mehr rekonstruiert werden. Die 
Mitglieder des Sondereinsatzkommandos, das sowohl dafür als auch für die 
„Befreiungsaktion“ zuständig gewesen war, erschienen geschminkt, mit 
Perücken und unter Decknamen. Und die Wachpläne waren urplötzlich nicht 
mehr auffindbar.
Dennoch offenbarten ihre Zeugenaussagen u.a., dass sämtliche 
Fischerboote vor der Küste Somalias als potentielle Piratenboote 
unterschiedslos von Atalanta-Kriegsfregatten gejagt und „überprüft“, 
ihre Insassen ID-behandelt, fotografiert und meistens wieder 
freigelassen werden. So auch im Fall eines anderen der zehn Angeklagten. 
Bei ihm hatten die Atalanta-Soldaten ein Turaya-Telefon entdeckt, das 
ihm zurückgegeben wurde, weil man damit die „Bewegung der Piraten“ auf 
Hoher See verfolgen wollte. Eben dieses Turaya-Telefon hätten die 
niederländischen Geheimdienstler später auf der Brücke der „Taipan“, 
„allerdings ausgeschaltet“ , wiedergefunden. Den Erklärungen des 
Angeklagten, er sei zu dem Überfall auf die „Taipan“ gezwungen worden, 
schenkte das Gericht keinen Glauben. Er gehört zu denjenigen, die sie 
zur höchsten Strafe von sieben Jahren Haft verurteilt haben.
Die „Tromp“, so stellte sich heraus, hatte im Rahmen der 
Atalanta-Mission eigentlich den Auftrag, das von „Piraten“ gekaperte 
sogenannte „Mutterschiff“, die Dau HudHud, zu verfolgen. Angeblich hatte 
die „Tromp“ dieses jedoch „aus den Augen verloren“. Und das, obwohl sie 
dabei von einem Bundeswehr-Aufklärungsflugzeug unterstützt wurde, das 
auch den gesamten Überfall auf die „Taipan“ aus großer Höhe filmte. 
Teile des Films wurden im Gerichtssaal gezeigt.
Von der HudHud aus waren die beiden Skiffs der Angeklagten zur Kaperung 
der „Taipan“ gestartet. Die „Tromp“ habe das „Mutterschiff“ dann durch 
gezielte Schüsse gegen den Bug zum Abdrehen gezwungen. Auf der Dau habe 
sich u.a. der „Piratenanführer“, Dhaghaweyne, befunden, was so viel wie 
„der mit den großen Ohren“ bedeute.
„Der hat Sie einfach Ihrem Schicksal überlassen“, wendet sich Richter 
Steinmetz bei der Urteilsbegründung geradezu melodramatisch an die 
Angeklagten. Und obwohl er ansonsten versucht, vier Stunden lang auf 
jedes Detail einzugehen, erwähnt er den gesamten im Geheimdienstnebel 
gebliebenen Militär-Komplex nicht. „Die Befreiungsaktion, das muss hier 
auch mal gesagt werden, ist erfolgreich gewesen“, lobt er nur den 
Militäreinsatz als solchen, weil es keine Toten und Verletzten gegeben habe.
Zu dem Zeitpunkt des Prozesses, als die Zeugen von Seiten des Militärs 
und Geheimdienstes vor Gericht gehört wurden, hatte die internationale 
und überregionale Presse bereits kein Interesse mehr. Aber auch zu 
Beginn wurde die Verbindung zwischen dem Prozess und dem Militäreinsatz 
Atalanta nicht hergestellt. Selbst der „Spiegel“ schaffte es, in einem 
umfangreichen Bericht das, was diesen Prozess überhaupt erst ermöglicht 
hatte, nicht mit einem Wort zu erwähnen!
Offenbar hatte es von Anfang an Zweifel daran gegeben, dass die zehn 
Jungen und Männer aus Somalia, die zwar bewaffnet, aber halb verhungert 
und in Flip-Flops die Taipan geentert hatten, für die Legitimierung des 
ersten gemeinsamen europäischen Marineeinsatzes am Horn von Afrika 
herhalten könnten. Es ging und geht beim Atalanta-Einsatz schließlich 
auch um Milliardengewinne der europäischen Rüstungsindustrie – allen 
voran Deutschlands - und zeitgleich deren immer wieder notwendige 
parlamentarische Absegnung im Europaparlament und im Bundestag.
All das durfte nicht dadurch gefährdet werden, dass womöglich das 
Gericht dem Druck der Verteidigung und der kritischen Öffentlichkeit 
nachgegeben, das Verfahren eingestellt und damit den ganzen Einsatz in 
Frage gestellt hätte. Den Mut brachte die Kammer erwartungsgemäß auch 
nicht auf. Ob solch eine historische Entscheidung im Jahr 2012 für ein 
deutsches Landgericht überhaupt zur Debatte stehen kann, muss allerdings 
sehr bezweifelt werden. Denn der politische Druck, der u.a. über die 
Staatsanwaltschaft, aber auch über die funktionierende Vorverurteilung 
in den Mainstreammedien aufgebaut wurde, war immens.
Darüber hinaus hieß es auf der Webseite des Auswärtigen Amtes ab dem 
27.12.2010, also einen Monat nach Prozessbeginn unmissverständlich: „Die 
Strafverfolgung mutmaßlicher Piraten ist wichtiger, abschreckender 
Bestandteil des Vorgehens gegen Piraterie“. Und ist flankierende 
Maßnahme der Sicherung der Seewege der europäischen Handelsflotte!

HINDERNISSE

Es handelte sich beim „Piratenprozess“ um einen politischen Prozess, der 
jedoch nicht ganz so laufen konnte, wie er vielleicht ursprünglich 
geplant war.
Das erste Hindernis waren die 20 überwiegend engagierten 
VerteidigerInnen. Sie kritisierten von Anbeginn die Militäraktion, die 
anschließende Verbringung der Angeklagten in niederländische Knäste und 
die dann folgende Auslieferung an Deutschland als völkerrechts- und 
grundgesetzwidrig. Und bis zum Schluss forderten sie als 
„PflichtverteidigerInnen“ für ihre Mandanten aus Afrika dieselben Rechte 
wie sie europäischen, bzw. deutschen Angeklagten zustehen.
Dies sahen Staatsanwaltschaft und Gericht jedoch faktisch anders. Sie 
beriefen sich darauf, dass Somalia als „failed state“ kein ordentlicher 
Auskunftsgeber sein könne. Weder Urkunden, noch Entlastungszeugen wurden 
als wirklich glaubwürdig anerkannt. Bei den Entlastungszeugen wurde mit 
dem Fehlen ladungsfähiger Adressen und anderen Unwägbarkeiten 
argumentiert. Letztlich traten deshalb ausschließlich Belastungszeugen auf.
Die Erklärung mehrerer Angeklagter, nicht nur aus Not zur „Piraterie“ 
gezwungen gewesen zu sein, sondern zum Überfall auf die „Taipan“ 
gewaltsam gezwungen, sprich: zwangsrekrutiert worden zu sein, wurde als 
pauschal unglaubwürdig abgetan, ohne sie zu prüfen. Die Verteidigung 
prangerte dies vielfach an, sprach von Verhinderung des Rechts auf 
Verteidigung, von „Feindrecht“ und „Nachkolonialem Herrschaftsgehabe“.
Die Urkunde eines Angeklagten, nach der sein Alter zur Zeit des 
Überfalls auf die „Taipan“ 13 Jahre betrug, er nach deutschem Recht also 
noch gar nicht strafmündig gewesen wäre, wurde denn auch wie eine 
Fälschung behandelt. Über mehrere Wochen ließen sich vor Gericht 
sogenannte Altersgutachter aus, die einzig und allein das 
unausgesprochene Ziel verfolgten, die fast noch kindlichen Jugendlichen 
älter zu machen.
Wie auf einem Viehmarkt wurden in öffentlicher Sitzung von den 
„Experten“ die einzelnen Zähne und Knochen beschrieben. Die Angeklagten, 
stellte sich dabei heraus, waren in der Regel ohne Begleitung eines 
Dolmetschers zu den Untersuchungen gebracht worden. Als ihre Hände unter 
die Röntgengeräte geklemmt wurden, dachten sie, diese würden abgehackt, 
weil sie das aus Somalia kannten.
Es dauerte lange, bis sie begriffen, dass ihnen nicht die Todesstrafe 
drohte, dass der Vorsitzende Richter Steinmetz nicht der Henker war und 
dass sie den RechtsanwältInnen vertrauen konnten. Fast alle hatten auch 
gesundheitlich gravierende Probleme, konnten nur mit Medikamenten 
verhandlungsfähig gehalten werden. Wenn sie die Kopfhörer wegen 
Kopfschmerz während der ganztägigen Sitzungen abnahmen, wurden sie 
ermahnt oder bekamen eine Schmerztablette. Fast immer saß ein Arzt bei 
den Verhandlungen, damit keine Zeit verlorenging. Noch kurz vor der 
Urteilsverkündung flehte einer der Angeklagten den Richter an, ihn nicht 
in eine Isolierzelle zu stecken – er werde auch nie mehr Selbstmord 
begehen wollen.
Ein weiteres Hindernis waren die Berichte der Gutachter über die 
Situation in Somalia. Auch wenn Dr. Matthies und Dr. Hansen Europäer 
sind, Ersterer gar seit 20 Jahren nicht mehr vor Ort war, wurde doch zur 
Genüge die große Not deutlich, aus der heraus die Angeklagten gehandelt 
hatten. Sie bestätigten alles, was KritikerInnen von Anfang an 
eingewandt hatten.
Danach sei das Land durch 20 Jahre Bürgerkrieg zerstört, es herrsche 
„Bürgerkriegsökonomie“. Ob einer Recht oder Unrecht habe, werde nicht 
vor Gerichten, sondern mit (Waffen)Gewalt entschieden. Nicht Gesetze 
bestimmten das Wohl und Wehe, sondern die jeweilige Clanzugehörigkeit. 
Fischer könnten nicht mehr als Fischer arbeiten, weil die Fischgründe 
vor der 3000 km langen Küste Somalias durch ausländische Fischtrawler 
leergefischt worden seien und der Tsunami 2004 vielen die letzte 
Existenzgrundlage geraubt habe. Und Dr. Hansen bestätigte auch, dass es 
Zwangsrekrutierung gibt.
Die meterhohen Wellen des Tsunami haben noch ein anderes Geheimnis 
gelüftet: Über Jahre hatten europäische Länder ihren hochtoxischen 
Giftmüll einfach vor der somalischen Küste ins Wasser geworfen – 
gebührenfrei - so wie die reich beladenen Containerschiffe der 
europäischen Handelsflotte auch nichts für die Nutzung der Wasserwege 
zahlen müssen.
Gutachter aus Somalia selbst wurden vom Gericht abgelehnt. Sie hätten 
zwar eine ladungsfähige Adresse gehabt, es sei aber alles zu ungewiss. 
Die Ausblendung des Landes und der genauen Umstände, aus denen die 
Angeklagten kamen, bot dem Gericht den Vorteil sagen zu können, dass es 
deren zum Teil unvorstellbar grausame Lebensgeschichten als „nicht zu 
widerlegen“ hinnehme. Was auch für die Clanzugehörigkeit gelte.

FAULER KOMPROMISS

Die Jugendlichen wurden zu zwei Jahren und die Erwachsenen zu Strafen 
zwischen sechs und sieben Jahren verurteilt. Hätte sich die 
Staatsanwaltschaft mit ihrer Forderung nach vier bis zwölf Jahren 
durchgesetzt, hätten die drei Jugendlichen in der Tat wieder in den 
Knast zurück gemusst, obwohl sie seit April 2012 „haftverschont“ waren. 
Da die bereits verbüßte U-Haft aber bei allen eins zu eins angerechnet 
wurde, konnten sie nunmehr als „Freie“ - ohne alle Auflagen - das 
Gericht verlassen. Und außer im Falle des „Kronzeugen“, bei dem die 
Kammer die Forderung der Staatsanwaltschaft von sechs Jahren übernahm, 
halbierte sie die übrigen Strafen fast. Wobei diejenigen, die angegeben 
hatten, zwangsrekrutiert worden zu sein, mit sieben Jahren die höchste 
Strafe bekamen. Bei „guter Führung“ könnte das die Freilassung für den 
„Kronzeugen“ in weniger als einem Jahr, für die übrigen Gefangenen 
sukzessive innerhalb der nächsten zwei Jahre heißen. Was dann mit ihnen 
passiert, wurde allerdings nicht gesagt.
Das Gericht ging davon aus, dass die Angabe des „Kronzeugen“, keiner der 
„Piraten“ sei zu der Aktion gezwungen worden, stimmt. Ebenso seien die 
Angeklagten gemeinschaftlich und „quasi militärisch“ vorgegangen, wobei 
jeder von ihnen vorher festgelegte Aufgaben zu erfüllen gehabt hätte. Ob 
dies –insbesondere angesichts einiger Analphabeten unter den „Piraten“- 
mithilfe schriftlicher Verträge passiert war, wie der „Kronzeuge“ 
behauptet hatte, ließ das Gericht dagegen offen.
Bislang hat die Staatsanwaltschaft (und mit ihr der „Kronzeuge“) keine 
Revision eingelegt. Alles in allem kann sie auch zufrieden sein. Das 
Gericht hat ihre Sicht der Dinge übernommen. Es handele sich um einen 
„Angriff auf den Seeverkehr“ und um „erpresserischen Menschenraub“, 
wobei beides „vollendet“ gewesen sei, auch wenn die Aktion durch den 
Eingriff des Militärs letztlich gescheitert sei.
Dass die Angeklagten keine Ahnung vom deutschen StGB hatten, 
interessierte nicht. „Sie hätten wissen müssen, dass sie bei der 
Kaperung eines Schiffes auch festgenommen werden können“, sagte der 
Richter. Basta. Woher hätten sie das wissen sollen? Wissen die „Piraten“ 
in Somalia es jetzt, weil es den Prozess gab? Der Richter verneinte dies 
selbst.
Sichtlich Mühe bereitete es ihm, die Legitimation und den höheren Sinn 
des Prozesses zu definieren. Wenn er keine abschreckende Funktion hat, 
wenn er nicht die Probleme der Piraterie vorm Horn von Afrika lösen 
kann, wenn er nicht dazu geführt wurde, um den europäischen Militär- 
Einsatz „Atalanta“ zu legitimieren, nicht als verlängerter Arm 
(Hamburger) Reeder fungierte, kein „nachkoloniales Herrschaftsgehabe“ 
war (an dieser Stelle applaudierte eine Zuhörerin und wurde gerügt) – 
was war er dann, wozu war er nütze? Die Antwort des Gerichts: „Es geht 
um die Seeleute. Es geht um die betroffene Reederei. Die Seeleute kommen 
häufig selber aus ärmeren Ländern. Deshalb ist es genau für diese 
Seeleute wichtig, dass es Verfahren und ein Gericht gibt, das sich mit 
der Legitimation beschäftigt“.
Ist Richter Steinmetz also der Rächer der Armen? Indem er andere Arme in 
den Knast steckt und sie zu hohen Strafen verurteilt? Er zeigt 
strafminderndes Mitgefühl: „Durch die Verbringung nach Europa sind Sie 
von Ihren Familien getrennt worden. Sie sind deshalb besonders 
strafempfindlich aufgrund der Ferne zu Ihrer Heimat. Vor diesem 
Hintergrund und weil wir bei Ihnen von einer geringeren Lebenserwartung 
ausgehen können (sic!), als bei Gefangenen hier in Europa, ist die 
Strafe niedriger ausgefallen“, erklärte er.
Das Gericht suchte offensichtlich nach einem faulen Kompromiss, der 
einerseits dem Willen der Staatsanwaltschaft auf jeden Fall schuldig zu 
sprechen inhaltlich entsprach, andererseits jedoch auch der Kritik an 
dem Verfahren den Wind aus den Segeln nehmen sollte.
Nicht zuletzt dürfte dazu neben den engagierten VerteidigerInnen auch 
die kontinuierliche Schaffung von Gegenöffentlichkeit beigetragen haben. 
Bei jeder Verhandlung saß mindestens eine ProzessbeobachterIn im Saal, 
wurde das Gesagte protokolliert und konnte die internationale 
Öffentlichkeit Kurzprotokolle und andere Prozess-Nachrichten auf einem 
englischen Blog lesen. Ganze Veranstaltungsreihen, Hafenrundfahrten, ein 
Theaterstück und Expertenanhörungen zum Thema wurden organisiert. Dabei 
wurden „Seeräuber“ (wie Richter Steinmetz sie tituliert) und Seeleute 
nie gegeneinander ausgespielt. Und nicht nur beim Auftakt des Prozesses, 
sondern auch, während (nachdem bloß zwei Stunden seit den „Letzten 
Worten“ der Angeklagten vergangen waren) das Urteil vier Stunden lang 
vorgetragen wurde, forderten Menschen vorm Gerichtsgebäude die 
Freilassung der Angeklagten und prangerten die kriegslüsterne imperiale 
Haltung Deutschlands an. Ein Exilsomalier aus der Schweiz meldete sich 
noch vor Urteilsverkündung im Zuschauerraum zu Wort („Ich möchte noch 
etwas sagen!“), bekam aber, statt gehört zu werden, Hausverbot. „Wer 
kümmert sich um uns?“ fragen nun die Gefangenen. „Ohne meine Anwälte 
wäre meine Familie nicht mehr am Leben“, sagen mehrere bei ihren 
„Letzten Worten“. Der Richter rügt demgegenüber die Verteidigung. Sie 
habe den Prozess verschleppt. Man müsse sich Gedanken über die 
Optimierung solcher Prozesse machen.
Allein dass kein „kurzer Prozess“ gemacht wurde, hat allerdings dazu 
geführt, dass es wahrscheinlich keinen weiteren „Piratenprozess“ in 
Deutschland geben wird. Ob das zumindest ein Teilerfolg ist, oder ob das 
nur die sprichwörtliche Verdrängung des Problems bedeutet, wird die 
Geschichte zeigen. Zu befürchten ist allerdings Letzteres.
Die „Antipirateriemission Atalanta“ führt derweil im Namen auch des 
deutschen Volkes ihren Krieg gegen die somalische Bevölkerung weiter.



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