[IMI-List] [0378] Studien: EU-Syrien-Politik + Bundeswehr-Comic / Artikel Libyen
IMI
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Mo Aug 6 16:18:13 CEST 2012
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0378 .......... 15. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jonna Schürkes / Jürgen Wagner
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich
1) Der Hinweis auf zwei neue IMI-Studien. Eine über die
imperial-neoliberale europäische Nachbarschaftspolitik gegenüber Syrien;
die zweite beschäftigt sich mit dem Comic, „Wave and Smile“, das sich um
den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr dreht;
2) Ein neuer IMI-Artikel zur Situation in Libyen.
1) Neue IMI-Studien: EU-Syrien-Politik und Bundeswehr-Comic
Ende Mai 2012 wurde erstmals bekannt, dass unter maßgeblicher deutscher
Beteiligung hierzulande die Planungen für einen marktradikalen Umbau
Syriens nach dem Sturz des Präsidenten Baschar al-Assad bereits auf
Hochtouren angelaufen seien. Die folgende Studie beschreibt darüber
hinaus, wie und mit welchen Mitteln die Europäische Union schon seit
vielen Jahren die neoliberale Zurichtung des Landes forciert hat und
welch verheerende Folgen dies hatte:
IMI-Studie 2012/12
Imperialer Neoliberalismus: Syrien und die Europäische Nachbarschaftspolitik
http://www.imi-online.de/2012/08/06/imperialer-neoliberalismus-syrien-und-die-europaische-nachbarschaftspolitik/
Jürgen Wagner (6. August 2012)
„Wave and Smile“ heißt ein kürzlich veröffentlichter Comic über den
Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan. Da dem Comic in den Medien breite
Aufmerksamkeit und viel Berichterstattungszeit eingeräumt wurde,
beschäftigt sich die folgende Studie kritisch mit den darin verbreiteten
Inhalten:
IMI-Studie 2012/13
Wave and Smile: Comics ziehen in den Krieg
Das gezeichnete Schlachtfeld: Die Story – Der Hintergrund – Die Produktion
http://www.imi-online.de/2012/08/06/wave-and-smile-comics-ziehen-in-den-krieg/
Michael Schulze von Gasser (6. August 2012)
2.) IMI-Artikel zu Libyen
IMI-Analyse 2012/016 - in: AUSDRUCK (August 2012)
Die Verstetigung des Bürgerkrieges in Libyen: Zwei Armeen, zwei
Polizeien, unzählige Milizen
http://www.imi-online.de/2012/08/03/die-verstetigung-des-burgerkrieges-in-libyen-zwei-armeen-zwei-polizeien-unzahlige-milizen/
Jonna Schürkes (3. August 2012)
In der Bewertung der Wahlen zum Allgemeinen Nationalkongress in Libyen
vom 7. Juli 2012 sind sich die westlichen Regierungschefs und die UN
einig: die Außenbeauftragten der Europäischen Union Ashton, der Leiter
der UN-Mission in Libyen (UNSMIL), zahlreichen europäischen
Regierungschefs, die US-Außenministerin Clinton, UN-Generalsekretär Ban
Ki-moon etc. – alle nannten die Wahlen einen Meilenstein auf dem Weg
Libyens zu einer Demokratie, beglückwünschten die libysche Bevölkerung
zu den friedlichen und geordneten Wahlen und den Nationalen Übergangsrat
(NTC) für die hervorragende Vorbereitung und Durchführung. Die Tatsache,
dass ein Hubschrauber mit Wahlunterlagen abgeschossen wurde, einige
Wahlbüros wegen Angriffen durch „Störer“ geschlossen worden waren,
Stimmzettel verbrannt wurden, Milizen versuchten, im Vorfeld die Wahl
durch die Blockade von Verbindungsstraßen und Ölraffinerien zu
verhindern[1] und der Nationalkongress kaum Entscheidungsgewalt hat, da
ihm kurz vor den Wahlen seine zentrale Aufgabe – die Ernennung einer
verfassungsgebenden Versammlung – entzogen wurde[2], tat der
Begeisterung kaum Abbruch. Die Ereignisse führten vielmehr dazu, dass
sowohl die EU, die USA als auch UNSMIL ankündigten, die künftige
libysche Regierung dabei zu unterstützen, „Sicherheit“ und „Stabilität“
herzustellen. So erklärten die EU-Außenminister auf einem Treffen am 23.
Juli 2012: „Die EU erkennt die ernsten Herausforderungen, denen sich
Libyen im Bereich der Sicherheit gegenübersteht, an. Die EU wiederholt
ihre Bereitschaft, weitere Unterstützung, wenn nötig auch im Rahmen der
GSVP, in den Bereichen der Sicherheit und des Grenzmanagements zur
Verfügung zu stellen. Die EU wird dies in enger Zusammenarbeit mit den
jüngst in Libyen gewählten Autoritäten, der UN-Mission in Libyen
(UNSMIL) und dem Rest der Internationalen Gemeinschaft tun. Die
Errichtung von sicheren und stabilen Grenzen ist der Schlüssel zur
Sicherung einer wohl koordinierten Migration. Die EU betont die
Bedeutung der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration im
Anschluss an den Konflikt und wiederholt im Einklang mit der
UN-Resolution 2017 (2011) seine Befürchtungen bezüglich der Verbreitung
von Waffen und ähnlichem Material. Sie betont die Notwendigkeit einer
Reaktion, die auf einer engen Zusammenarbeit mit internationalen
Partnern und Ländern in der Region beruht, und weist auf die Bedeutung
der EU Sahel-Strategie hin.“[3]
Sehr ähnlich liest sich ein Briefing des Leiters der UN-Mission in
Libyen (UNSMIL), Ian Martin, vom 18. Juli 2012. Das vorrangigste
Problem, das in Libyen nun zu lösen sei, sei die Sicherheit. Dies könne
nur durch professionelle Sicherheitskräfte erreicht werden, die vor
allem die „Grenzen nach Süden gegen den Handel von Waffen, Drogen und
Menschen, illegale Migration und die Verbreitung der Transnationalen
Kriminalität in der Sahel-Zone zu sichern hätten“[4]. Martin machte in
seinem Briefing allerdings auch klar, dass in den letzten Monaten sowohl
von UNSMIL als auch vonseiten der EU schon einiges in diesem Bereich
passiert sei.
Bordermanagement und Sicherheitssektorreform
Lange bevor der Kampf zwischen dem Gaddafi-Regime und den Aufständischen
entschieden war und während die Rebellen mit Luftangriffen durch die
NATO und Ausrüstung und Ausbildung unterschiedlicher Staaten im Krieg
gegen Regierungstruppen unterstützt wurden, hatten zahlreiche Akteure
sich darüber Gedanken gemacht, wie „Stabilität“ und „Sicherheit“ in
Libyen nach dem Regimewechsel herzustellen sei. Im September 2011
argumentierten James Rogers und Luis Simón von der „Group on Grand
Strategy“ beispielsweise, die EU sei aufgrund ihrer politischen und
militärischen Ressourcen, ihrer Erfahrungen beim Aufbau von
Sicherheitskräften und ihrer historischen Verbindung zu Libyen
prädestiniert, eine leitende Rolle bei der Transition und vor allem der
Stabilisierung des Landes zu spielen.[5] Ähnlich argumentiert Patryk
Pawlak in einer Gemeinschaftsproduktion des Center for Transatlantic
Relations, der Stiftung Wissenschaft und Politik, der Deutschen
Gesellschaft für Auswärtige Politik u.a. vom Ende letzten Jahres: „Die
Vielzahl von Missionen, die die EU in der Vergangenheit realisierte und
aufgrund der Breite der ihr zur Verfügung stehenden Instrumente (z.B.
diplomatische, wirtschaftliche, politische) machen eine Unterstützung
[im Bereich der Sicherheitssektorreform] in Libyen sehr wahrscheinlich“.[6]
Prioritär erscheint der EU derzeit vor allem die Sicherung der Grenzen.
Anfang März 2012 wurde eine 10-köpfige Erkundungsmission für das
Grenzmanagement entsandt, die von Italien geleitet wurde und vor allem
in Tripolis stationiert gewesen sein soll.[7] Insgesamt ist wenig
bekannt darüber, was die „Experten“ in Libyen trieben, wahrscheinlich
haben sie unter anderem die nun geplante Grenzmission vorbereitet, von
der allerdings bisher weder bekannt ist, welches Mandat geplant ist,
noch wo sie stationiert sein soll.[8] Auch wenn sowohl auf dem
EU-Außenministertreffen vom 23. Juli 2012 als auch bei der Eröffnung des
Büros der EU-Delegation in Tripolis deutlich gemacht wurde, dass die EU
sich an der Herstellung von „Sicherheit“ und „Stabilität“ beteiligen
will, so sind bisher keine weitergehenden Planungen zur Unterstützung
einer „Sicherheitssektorreform“, die sich in der Regel auf die
Ausbildung und Ausrüstung von Soldaten und Polizisten beschränkt,
bekannt. Allerdings entsandten sowohl Italien[9] als auch Frankreich[10]
jeweils Militärberater und –ausbilder, die bereits seit Monaten Soldaten
für die libyschen Sicherheitskräfte ausbilden. Auch die USA sendeten
bereits nicht-letale Ausrüstung und Ausbilder, die vor allem Soldaten
für die Bewachung der Grenzen ausbilden sollen.[11]
Die Formulierung einer Sicherheitsstrategie und die Strukturierung des
neuen Verteidigungs- und Innenministeriums hat die UN-Mission
unternommen, mit dem erklärten Ziel, die Voraussetzungen dafür zu
schaffen, dass sowohl die Armee, als auch die Polizei von zivilen
Institutionen überwacht werden. Man sieht: Viele Akteure basteln schon
an unterschiedlichen Enden, um die Sicherheitskräfte in Libyen in ihrem
Sinne zu formen. Dabei ist noch vollkommen offen, wer die künftigen
Sicherheitskräfte bilden wird: bisher kämpfen zwei Armeen, zwei
Polizeien und unzählige Milizen um die Macht – sehr zum Leidwesen der
libyschen Bevölkerung.
Die Macht der Milizen
Seit dem Beginn des bewaffneten Aufstandes in Libyen haben sich
zahlreiche bewaffnete Gruppen gebildet, deren gemeinsames Ziel – die
Abschaffung des Regimes Gaddafis - erreicht ist und die sich seither
gegenseitig bekämpfen und tatsächliche oder vermeintliche Anhänger
Gaddafis verfolgen, töten, misshandeln oder inhaftieren, wie ein
kürzlich erschienener Bericht von amnesty international belegt.[12]
Das Verhältnis zwischen dem Nationalen Übergangsrat (NTC) und den
Milizen ist ambivalent. Einerseits hat sich der Machtkampf zwischen
beiden Akteuren seit der Vertreibung der Truppen des ehemaligen Regimes
aus Tripolis ständig verschärft, andererseits greift das NTC immer
wieder auf die Milizen zurück. In der ersten Phase nach der
schrittweisen Vertreibung der Truppen des Regimes Gaddafis waren ihre
Aufgaben vor allem, die Rückkehr dieser Truppen zu verhindern. Seither
haben die Milizen allerdings für einzelne Regionen zahlreiche Aufgabe
übernommen: So akzeptiert der NTC bisher, dass die Grenzen Libyens
faktisch unter einzelnen Milizen aufgeteilt sind und von ihnen überwacht
werden. Die Bewachung von Gefängnissen, in denen viele, die während des
Krieges gefangen genommen wurden, bis heute inhaftiert sind, wurde
teilweise aktiv vom NTC an die Milizen übergeben, ebenso wie die
Kontrolle und Sicherung der Ölfelder und -industrien. Selbst bei der
Durchführung der Wahlen spielten die Milizen eine wichtige Rolle: In
Bengasi beispielsweise wurden die Stimmzettel in der Zentrale der
stärksten Miliz der Stadt ausgezählt.[13]
Andererseits ist es das erklärte Ziel des NTC und auch der UN[14], einen
Großteil der Milizen zu entwaffnen, zu demobilisieren und zu
reintegrieren und nur einen geringen Anteil in die Armee und die Polizei
aufzunehmen. Geplant ist eine Armee, die ca. 100.000 Soldaten umfassen
soll (die Armee unter Gaddafi hatte ca. 76.000 aktive Soldaten und
40.000 Reservisten[15]), für die Polizei scheint es noch keine
konkreteren Planungen zu geben, zuständig in der UNSMIL für den Aufbau
der Polizei ist allerdings der deutsche ehemalige Bundespolizist Walter
Wolf.[16]
Außer der anvisierten Größe der Armee scheint es allerdings kaum
Einigkeit darüber zu geben, wie die Armee aussehen sollte. So plädieren
die einen dafür, die Armee Gaddafis zu reformieren und Teile der
Armeeführung zu übernehmen. Allerdings weigern sich die Milizen, sich in
die alten Armeestrukturen integrieren zu lassen, zumal dem
Verteidigungsminister Usama al-Dschuwaili zufolge „nur“ 25% der Soldaten
aus den Reihen der Milizen rekrutiert werden sollen, die restlichen
sollen entwaffnet und demobilisiert werden. Angesichts dessen, dass es
Schätzungen zufolge 215.000 revolutionäre Kämpfer gibt, eine erheblich
Zahl.[17] Teile der Milizen aus Misrata und Zintan wollen auf der
Grundlage des „National Shield“, ein Zusammenschluss verschiedener
„Revolutionärer Brigaden“[18], die neue Armee gründen, was allerdings
von Milizen vor allem im Osten des Landes wiederum abgelehnt wird. Neben
dem „National Shield“, das sich inzwischen formell unter der Kontrolle
des Verteidigungsministeriums des Übergangsrates befindet, gibt es einen
weiteren Zusammenschluss von bewaffneten Gruppen, die „Supreme Security
Committees“ (SSC) – unter der Kontrolle des Innenministeriums. Die SSC
umfassen 90.000 bis 100.000 Kämpfer. Diese sind in Brigaden organisiert,
die jeweils meist aus Angehörigen einer Miliz bestehen. Sie verstehen
sich als eine Art Gendarmerie und werden als möglicher Vorläufer einer
Polizei gesehen[19], wobei andererseits auch die Polizei aus Zeiten des
Gaddafi-Regimes weiterhin besteht.
Insgesamt dürfte es schwierig werden, die bewaffneten Kämpfer, die weder
in die Armee noch in die Polizei übernommen werden, zu entwaffnen. Zum
einen wurden sie u.a. von eben jenen Akteuren für den Kampf gegen das
Gaddafi-Regime bewaffnet, die sie nun von der Abgabe der Waffe
überzeugen wollen. Zum anderen scheint die Integration in die alten
Sicherheitskräfte unrealistisch, müssten sich die Kämpfer ausgerechnet
denjenigen unterordnen, die sie wenige Monate zuvor erfolgreich bekämpft
hatten. Sie gewaltsam zu entwaffnen, dürfte allerdings auch nicht
funktionieren, sind sie doch mittlerweile gut organisiert und im Besitz
riesiger Waffenbestände.
Eine hochgerüstete Gesellschaft
Libyen ist nicht erst seit dem Aufstand der Rebellen gegen das
Gaddafi-Regime ein enorm hochgerüstetes Land. Wie viele und welche
Waffen derzeit in Libyen kursieren und von dort aus in die Nachbarländer
gelangen, ist kaum abzuschätzen, die bekannten legalen und illegalen
Waffenlieferungen sowohl an das Gaddafi-Regime als auch an die Rebellen
ermöglichen allerdings eine Ahnung vom Ausmaß der Verfügbarkeit von Waffen.
Vom Ende der Sanktionen, mit denen das Gaddafi- Regime zwischen 1992 und
2004 belegt war, bis zum Beginn der Revolte im Februar 2011 und der
erneuten Verhängung eines Embargos haben nicht nur Mitgliedsstaaten der
Europäischen Union großzügig Waffen geliefert. Laut dem
Rüstungsexportbericht der EU wurden 2009 Waffenexporte in Höhe von 342,7
Mio. €, 2010 in Höhe von 293,9 Mio. € genehmigt. Dabei handelte es sich
in erster Linie um Überwachungstechnologien, gepanzerte Fahrzeuge und
vor allem Kleinwaffen – alles Waffen, die während des Aufstands gegen
die Rebellen eingesetzt wurden. Neben diesen eindeutig als
Waffenexporten deklarierten Lieferungen hat es wohl zahlreiche weitere
Lieferungen gegeben. So wurden beispielsweise 7.500 Revolver und 659
Gewehre 2009 aus Italien nach Libyen geliefert, die allerdings nicht in
den Jahresberichten über den Waffenexport der EU auftauchten.[20] Ebenso
wenig die nach dem Sturz Gaddafis gefundenen neuen G36-Gewehre,
hergestellt von Heckler und Koch in Baden-Württemberg, für die keine
Exportgenehmigung vorlag und von denen noch unklar ist, wie diese
überhaupt nach Libyen gelangen konnten.[21]
Nach dem Beginn des Aufstandes im Februar 2011 wurde erneut ein
Waffenembargo verhängt, allerdings wurden bereits Mitte März mit der
Resolution 1973 Waffenlieferungen nach Libyen – wenn sie dem Schutz der
Zivilbevölkerung dienen – erneut explizit genehmigt, Bedingung war
allerdings die Absegnung durch den UN-Generalsekretär. Im Folgenden
wurden erneut vor allem Kleinwaffen geliefert, nur diesmal an die andere
Seite – an die Rebellen, um sie bei dem Sturz des Gaddafi-Regimes zu
unterstützen. Ein Bericht der UN vom Februar 2012 zeigt das Ausmaß der
Lieferungen, wobei neben nicht-letalen Ausstattungsgegenständen (Westen,
Helme, Uniformen etc.) vor allem Kleinwaffen aus Frankreich, den
Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar, Albanien und dem Sudan an die
Aufständischen geliefert wurden. Nur wenige der Lieferungen wurden durch
den UN-Generalsekretär autorisiert, weshalb es erneut nicht einmal
Schätzungen darüber gibt, wie viele in dieser Zeit nach Libyen
gelangten.[22]
Fazit
Die Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration der zuvor vom Westen
bewaffneten Milizen spielt in der Rhetorik der EU, aber auch der UN eine
große Rolle und wird im Zusammenhang mit der Herstellung der Sicherheit
für die libysche Bevölkerung immer wieder genannt. Konkrete Pläne, wie
eine solche Entwaffnung stattfinden könnte, gibt es aber offensichtlich
nicht. Die Milizen sind nicht gewillt, die einmal durch Waffengewalt
erlangte Macht wieder abzugeben, vor allem nicht, zugunsten derjenigen
Kräfte, die sie zuvor bekämpften. So wird der nun gewählte Kongress –
selbst wenn er die Milizen nicht weiter zur Bewachung der Infrastruktur,
Gefängnisse, Grenzen etc. einsetzen sollte – kaum eine Chance haben,
eine Entwaffnung und Demobilisierung durchzuführen.
Die Erfahrungen – in Afghanistan, in Somalia, in der Sahel-Zone etc. -
zeigen, dass für die Europäische Union, aber auch für andere Akteure der
„Internationalen Gemeinschaft“ Herstellung von Stabilität und Sicherheit
bedeutet, eine Regierung zu etablieren, von der man erwartet, sie würde
wesentliche Wünsche des Westens umsetzen und dieser Sicherheitskräfte an
die Hand zu geben. Dabei werden Versuche von NGOs aber auch mancher
UN-Organisationen, mühsam einige Waffen einzusammeln, durch die
Ausrüstung dieser neuen Sicherheitskräfte konterkariert. Jetzt, wo die
ersten Wahlen stattfanden, die zur Folge haben, dass die Internationale
Gemeinschaft zukünftig behaupten kann, die Regierung in Tripolis agiere
im Interesse der libyschen Bevölkerung, steht dieser Form des
Krisenmanagements nicht mehr im Wege.
Welche Zukunft sich Pierre Razoux vom NATO Defense College für Libyen
ausmalt, lässt jedoch nichts Gutes hoffen: „Das wahrscheinlichste
Szenario, mit dem eine Aufspaltung des Landes oder ein Rückfall in den
Bürgerkrieg vermieden werden kann, ist die ‚Pakistanisierung‘: eine
faktische Allianz zwischen Islamisten und Nationalisten, mit Stämmen,
denen eine beachtliche Autonomie zugestanden wird. Dies würde ein System
schaffen, in dem das Militär, zusammen mit den Geheimdiensten und den
Sicherheitskräften, welche zusammen die dominierende Macht auf
institutioneller Ebene bilden würden, diese würden dann von einer
islamischen Bewegung kontrolliert werden. Die politische Dominanz [der
islamischen Bewegung] basiert darauf, dass sie die Kraft ist, der am
ehesten zugetraut wird, eine Alternative sowohl zum alten
Ghaddafi-Regime als auch zur „postkolonialen Domination“, die von vielen
Libyern gefürchtet wird, sein zu können.“[23]
Anmerkungen:
[1] Libyan militias shut down 3 oil refineries in east, Associated
Press, 06.07.2012.
[2] Bernhard Klaus: „In großen Zahlen demokratisch wählen gegangen“: EU
erklärt die Wahlen in Libyen zum Erfolg – was gewählt wurde, bleibt
jedoch unklar, IMI-Standpunkt 2012/037.
[3] Council of the European Union: Council Conclusion on Libya, 3183rd
Foreign Affairs Council meeting, 23.07.2012.
[4] Briefing by Mr Ian Martin SRSG for Libya - Meeting of the Security
Council 18 July 2012, URL: http://unsmil.unmissions.org.
[5] James Rogers und Luis Simón: After Libya - Consequences, futures and
options, European Geostrategy, 19.09.2011.
[6] Patryk Pawlak: From Protecting to Rebuilding: The EU’s Role in
Libya, in: Eva Gross, u.a.: Preventing Conflict, Managing Crisis,
Washington 2011.
[7] EAD: EU launches a needs assessment mission for border management in
Libya, Pressemitteilung, 02.02.2012
[8] EU/Libya: Planning starts for border assistance mission, in:
European Diplomacy and Defence, Nr. 532, 19.07.2012. Der libysche
Nationale Übergangsrat ist Angaben von Hansjörg Haber, Leiter des
zivilen Planungs- und Durchführungsstabes im EAD, zufolge vor allem an
einer Entsendung der Mission an die Südgrenze interessiert, was die EU
allerdings zumindest im Mai 2012 ablehnte, da sie sich dazu logistisch
nicht in der Lage fühlte (ISS: Parliamentary Update (SEDE), 29.05.2012).
[9] Italy and Libya move to re-establish old friendship, BBC-News,
04.02.2012.
[10] Libya and France agree to boost military cooperation, border
security, al-arabiya news, 26.02.2012.
[11] Office of the Special Coordinator for Middle East Transitions: U.S.
Government Assistance to Libya, Factsheet, 20.07.2012.
[12] Amnesty International: Libya - Rule of law or rule of militias,
05.07.2012
[13] Nicolas Pelham: Rivalries for authority in Libya, NOREF Report,
Juni 2012.
[14] UN welcomes re-integration of Libyan militias into national army,
Europe-Online, 04.01.2012, URL: http://en.europeonline-magazine.
[15] Vranckx, An u.a.: Lessons from MENA – Appraising EU transfer of
military and security equipment to the Middle East and North Africa,
Gent, November 2011, S. 17.
[16] Bernhard Klaus: EU-Grenzschutzexperten reisen nach Libyen,
IMI-Standpunkt 2012/013.
[17] Frederic Wehrey: Libya’s Militia Menace – The Challenge After the
Elections, 15.Juli 2012.
[18] Zum Unterschied zwischen Milizen und Revolutionären Brigaden siehe:
Small Arms Survey: Armed Groups in Libya - Typology and Roles, Research
Notes, Nr.18, Juni 2012.
[19] Frederic Wehrey: Libya’s Militia Menace – The Challenge After the
Elections, 15.Juli 2012.
[20] Vranckx, An u.a. 2011.
[21] Deutsche Sturmgewehre in Libyen gefunden, tagesschau 31.08.2011
[22] Christoph Marischka: Proliferation, Destabilisierung und der Schutz
der Zivilbevölkerung: UN-Bericht zu Ablauf und Folgen des
Libyen-Krieges, IMI-Standpunkt 2012/027.
[23] Pierre Razoux: Towards a Copernican Revolution in the MENA Region,
NDC Research Reports, Juni 2012.
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