[IMI-List] [0377] Rüstungsexportoffensive / EU-Einsätze / Falkland

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Di Jul 17 14:15:02 CEST 2012


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Online-Zeitschrift "IMI-List"

Nummer 0377 .......... 15. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563

Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

Red.: IMI / Jonna Schürkes / Jürgen Wagner

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Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3

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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich

1) der Hinweis auf zwei neue Texte zu drei neuen EU-Einsätzen sowie dem 
Konflikt um die Falkland-Inseln;

2) eine IMI-Analyse über die Planungen zur "Vereinfachung" deutscher 
Rüstungsexporte.

1) Artikel zu EU-Einsätzen und dem Falkland-Konflikt

IMI-Analyse 2012/014 - in: Telepolis (16.7.2012)

Drei neue EU-Missionen auf dem afrikanischen Kontinent

Schutz kritischer Infrastrukturen, Aufstands- und Pirateriebekämpfung

http://www.imi-online.de/2012/07/17/drei-neue-eu-missionen-auf-dem-afrikanischen-kontinent/ 


Christoph Marischka (17. Juli 2012)

IMI-Analyse 2012/012

Britische "Falkland Islands" oder argentinische "Islas Malvinas"?

Geopolitik im Südatlantik

http://www.imi-online.de/2012/07/12/britische-falkland-islands-oder-argentinische-islas-malvinas/ 


Mirko Petersen (12. Juli 2012)

2.) Deutsche Rüstungsexportoffensive

IMI-Analyse 2012/013

Rüstungsexportoffensive

Das EU-Verteidigungspaket führt zu einer Absenkung der 
Rüstungsexportbeschränkungen

http://www.imi-online.de/2012/07/17/rustungsexportoffensive/

Jürgen Wagner (17. Juli 2012)

Für viel Wirbel sorgte Mitte Juli 2012 ein Bericht des Spiegel, 
demzufolge die Bundesregierung plane, den Export von Rüstungsgütern zu 
vereinfachen. Daraufhin hagelte es selbst aus Reihen der CDU harsche 
Kritik: "Waffen sind kein Gut wie jedes andere", merkte etwa der 
Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz, 
an. "Aus guten Gründen sollte unsere Rüstungsexport-Politik restriktiv 
bleiben."[1] Obwohl die jetzt anvisierte Gesetzesnovelle bereits im 
schwarzgelben Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2009 angekündigt worden 
war, beeilte sich die Bundesregierung angesichts der zahlreichen 
kritischen Stimmen zu versichern, es gehe ihr dabei keineswegs darum, 
den ohnehin florierenden deutschen Waffenhandel noch weiter anzukurbeln. 
Man setze lediglich EU-Recht um, was ausschließlich Auswirkungen auf 
innereuropäische Rüstungstransfers hätte -- die "restriktiven" 
Exportregelungen mit Bezug auf Staaten außerhalb der Europäischen Union 
blieben hiervon unberührt.[2]

Diese Aussage ist zwar nicht vollkommen falsch, erzählt allerdings nur 
die halbe Wahrheit, was in der gegenwärtigen Debatte aber leider zumeist 
übersehen wird. Denn tatsächlich zielt die Umsetzung des 
EU-Verteidigungspaketes ("Defence Package") vordergründig lediglich auf 
die Frage innereuropäischer Rüstungstransfers. In der Praxis soll damit 
aber erreicht werden, dass sich die europaweiten Regelungen für 
Rüstungsexporte in Drittländer faktisch dem kleinsten gemeinsamen Nenner 
annähern. Davon erhoffen sich die EU-Staaten, ihre Position als 
Rüstungsexportweltmeister weiter festigen zu können -- vor allem die 
deutsche Rüstungsindustrie soll hiervon extrem profitieren. Denn im 
Ergebnis droht dadurch, dass die ohnehin schon extrem durchlässigen, im 
Verhältnis aber noch halbwegs hohen deutschen Exporthürden faktisch noch 
weiter abgesenkt werden.

"Der dritte Platz ist eine Schande"

Die Länder der Europäischen Union können auch 2011 zum wiederholten Mal 
den zweifelhaften Erfolg für sich reklamieren, den Titel des 
Rüstungsexportweltmeisters errungen zu haben. Allein die deutschen 
Rüstungsexporte sind zwischen 2007 und 2011 gegenüber dem 
Vergleichszeitraum 2002 bis 2006 nach Angaben des Stockholmer 
Friedensforschungsinstituts (SIPRI) um 37% angestiegen.[3] Hinter den 
USA und Russland reiht sich Deutschland 2011 erneut als drittgrößter 
weltweiter Waffenlieferant ganz oben auf der Liste der Staaten ein, 
deren Konzerne vom Geschäft mit dem Tod am meisten profitieren: "Der 
dritte Platz ist eine Schande", titelte die Berliner Zeitung (20.03.2012).

Viele dieser Exporte werden an Länder mit -- vorsichtig formuliert -- 
zweifelhafter Menschrechtsbilanz und/oder in Krisengebiete exportiert. 
In den letzten zehn Jahren genehmigte etwa Deutschland Rüstungsexporte 
nach Saudi-Arabien in Höhe von 675 Mio. Euro, nach Bahrain in Höhe von 
22 Mio. Euro, in den Jemen in Höhe von 12 Mio. Euro und nach Ägypten in 
Höhe von 268 Mio. Euro. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum deutsche 
Exporte im Umfang von 3,5 Milliarden Euro in die Länder im Nahen Osten 
und Nordafrika genehmigt.[4] Mathias John, Rüstungsexperte von Amnesty 
International, äußerte sich hierzu folgendermaßen: "Diese 
Waffenlieferungen sind genehmigt worden, obwohl schon damals ein 
erhebliches Risiko bestand, daß damit Menschenrechtsverletzungen 
begangen werden."[5]

Doch diese "Erfolge" gehen Politik und Rüstungsindustrie augenscheinlich 
noch nicht weit genug, wie die jüngsten Versuche zeigen, die 
Rüstungsexporttätigkeiten noch weiter anzukurbeln.

"Rüstungsexporte sind überlebenswichtig"

"Experten" aus Wirtschaft, Politik und Militär sind sich einig: Aufgrund 
angeblich drastischer Kürzungen des Verteidigungsetats sinke die 
Inlandsnachfrage nach Militärgütern, weshalb der Export angekurbelt 
werden müsse. Nur so könne die vor sich hindarbende Rüstungsindustrie 
vor dem Ruin bewahrt werden. So äußerte sich etwa Heinz Marzi, bis Ende 
2010 Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und 
Verteidigungsindustrie (BDSV): "Mit einem zurückgehenden nationalen 
Budget werden für die deutsche wehrtechnische Industrie die Exporte 
ihrer Produkte zunehmend immer wichtiger und notwendiger."[6] Der 
aktuelle BDSV-Geschäftsführer Christian-Peter Prinz zu Waldeck erklärte 
die Ausweitung der Exporttätigkeiten sogar zu einer existenziellen 
Angelegenheit: "Es ist eine Frage des Überlebens: Wollen wir diese 
Industrie erhalten oder wollen wir sie nicht erhalten."[7]

Tatsächlich basieren solche Aussagen -- ganz abgesehen von ihrer 
moralischen Fragwürdigkeit -- auf einer grottenfalschen Grundannahme: In 
Wahrheit steigt der Rüstungshaushalt ungeachtet aller Lippenbekenntnisse 
ebenso weiter an, wie auch dessen investitiver Anteil.[8] Dennoch kam 
auch der "Bericht der Strukturkommission der Bundeswehr", eine der 
wesentlichen Vorarbeiten zum derzeit ablaufenden Umbau der Truppe, zu 
folgender Einschätzung: "Angesichts der konsequenten Einsatzausrichtung 
und der damit verbundenen Straffung der internen Prozesse und Strukturen 
wird die deutsche wehrtechnische Industrie nicht mehr durch den 
,Hauptkunden Bundeswehr' ausgelastet sein. [...] Die deutsche 
wehrtechnische Industrie wird mehr noch als bisher vom Export und der 
zivilen Verwertbarkeit der Produkte abhängig sein."[9]

Der anvisierten Ausweitung der Rüstungsausfuhren stünden aber, so die 
einhellige Meinung, die allzu restriktiven deutschen 
Exportbeschränkungen im Wege. Aus diesem Grund, so etwa Rüstungsmann 
Heinz Marzi, müssten die "im europäischen Vergleich [in Deutschland] 
immer noch restriktiven Rüstungsexportbestimmungen [...] auf 
europäischer Ebene harmonisiert werden."[10] Ganz ähnlich forderte auch 
die Strukturkommission der Bundeswehr: "Die Angleichung der nationalen 
Rüstungsexportrichtlinien an europäische Standards."[11] Vollkommen 
ungeniert gibt auch der deutsche CSU-Verteidigungsexperte Florian Hahn 
-- früher u.a. in der Pressestelle von Krauss-Maffei Wegmann tätig -- 
zum Besten, er halte es "für denkbar, die deutschen 
Rüstungsexportrichtlinien etwas zu lockern."[12]

Neufassung der Exportregelungen

Tatsächlich wurde die nun vorgelegte und von vielen Stellen geforderte 
Novellierung des Außenwirtschaftsrechts bereits im schwarzgelben 
Koalitionsvertrags von 2009 angekündigt -- insofern ist die nun allseits 
geäußerte Überraschung hierüber -- nun ja: überraschend: "Das 
Außenwirtschaftsrecht (Außenwirtschaftsgesetz [AWG] und 
Außenwirtschaftsverordnung [AWV]) wird entschlackt und übersichtlicher 
ausgestaltet. Es werden Vorschriften gestrichen, die deutsche Exporteure 
gegenüber ihren europäischen Konkurrenten benachteiligen. Bei der 
Anwendung des Außenwirtschaftsrechts muss der internationalen 
Wettbewerbssituation der deutschen Wirtschaft mehr als bisher Rechnung 
getragen werden. Es wird hier ein ,level-playing-field' geschaffen. Es 
bleibt bei der verantwortungsbewussten Genehmigungspolitik für die 
Ausfuhr von Rüstungsgütern. Um faire Wettbewerbsbedingungen für die 
deutsche Wirtschaft zu gewährleisten, wird eine Harmonisierung mit der 
Genehmigungspolitik der anderen EU-Staaten auf hohem Niveau angestrebt."[13]

Von einer "Genehmigungspolitik auf hohem Niveau" kann allerdings 
hinsichtlich der beiden Ende Juni 2012 vom Wirtschaftsministerium 
vorgelegten Referentenentwürfe zum Außenwirtschaftsgesetz und zur 
Außenwirtschaftsverordnung keine Rede sein. Im Referentenentwurf für ein 
"Gesetz zur Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts" werden die 
Passagen aus dem schwarzgelben Koalitionsvertrag von 2009 wortgleich 
aufgegriffen: "Umsetzung der Vorgabe des Koalitionsvertrags, das 
Außenwirtschaftsrecht zu vereinfachen und deutsche Sondervorschriften 
aufzuheben, die deutsche Exporteure gegenüber ihren europäischen 
Konkurrenten benachteiligen."[14]

Primär geht es also hier in der Tat vordergründig um die Frage 
innereuropäischer Rüstungsexporte -- die allerdings nun verniedlichend 
"Verbringungen" genannt werden. Entscheidend ist aber, dass die 
Bundesregierung glauben machen will, dies hätte keinerlei Einfluss auf 
Exporte in Länder außerhalb der Europäischen Union: "Durch die im 
Koalitionsvertrag vereinbarte und jetzt vorgelegte Novelle des 
Außenwirtschaftsrechts werden die Regelungen über den Export von 
Rüstungsgütern ausdrücklich nicht berührt."[15]

Von derartigen Versicherungen sollte man sich aber keinen Sand in die 
Augen streuen lassen: Denn im Wesentlichen setzt die Bundesregierung nun 
die Vorgaben des sog. EU-Verteidigungspaketes um, dessen mehr oder 
weniger verstecktes Ziel genau darin besteht, die europaweiten 
Rüstungsexporthürden möglichst weit abzusenken.

Verbringungsrichtlinie als versteckte Rüstungsexportoffensive

Der große "Rüstungsexportwurf" gelang der Europäischen Union mit der 
Verabschiedung der "Richtlinie zur Vereinfachung der Bedingungen für die 
innergemeinschaftliche Verbringung von Verteidigungsgütern" (kurz: 
Verbringungsrichtlinie) im Mai 2009. Sie ist Teil des 
EU-Verteidigungspaketes zur Stärkung der EU-Rüstungsindustrie und soll 
im August 2012 europaweit in Kraft treten. Das offizielle Ziel der 
Verbringungsrichtlinie besteht darin, das Genehmigungssystem für 
innereuropäische Exporte zu vereinfachen. Hiervon verspricht man sich 
Einsparungen von jährlich etwa 400 Mio. Euro, v.a. sollen damit aber 
existierende Ausfuhrbeschränkungen aufgeweicht bzw. umgangen werden.

Vereinfacht formuliert wird mit der Verbringungsrichtlinie das 
Zertifizierungssystem für innereuropäische Waffentransfers von 
Vorabkontrollen auf Nachkontrollen umgestellt, die noch nicht einmal 
bindend erfolgen müssen. Salopp gesagt werden damit Persilscheine 
ausgestellt, innerhalb der Europäischen Union Rüstungsgüter nahezu 
beliebig "verbringen" zu können. Dies ist besonders deshalb 
problematisch, da die Regelungen, was den möglichen Re-Export anbelangt, 
vollkommen ungenügend sind. Strenge nationale Exportbeschränkungen 
könnten sich somit relativ einfach durch einen Vorabexport in ein 
"großzügigeres" EU-Land aushebeln lassen: "Besonders wenn sie 
re-exportiert werden, können Intra-EU-Verbringungen zum Streitpunkt 
werden (zB Export Belgien -- Frankreich -- Tschad). Die Angst, dass 
solche Transfers nahezu unmöglich nachgewiesen werden können, ist 
wohlbegründet."[16] Eine ähnliche Befürchtung äußern auch Marc von 
Boemcken und Bernhard Moltmann im aktuellen Friedensgutachten: "Die 
Umsetzung der EU-Verbringungsrichtlinie [kann] den Weiterexport aus 
einem anderen EU-Staat mit weniger restriktiven Exportkontrollen 
ermöglichen. Für außereuropäische Ausfuhren lehnt der Gemeinsame 
Standpunkt der EU zum Rüstungsexport [Verhaltenskodex] die Weitergabe 
von Kriegsgerät in Drittstaaten nicht grundsätzlich ab."[17]

Damit droht, dass sich die Rüstungsexportbeschränkungen europaweit 
faktisch dem kleinsten gemeinsamen Nenner annähern. Zumal die 
Verbringungsrichtlinie bezüglich der Bewertung, ob ein Weiterexport von 
Rüstungsgütern möglicherweise gegen die Bestimmungen des Ursprungslandes 
verstoßen würde, den Bock zum Gärtner macht: "Das Verfahren der 
Richtlinie rückt die Unternehmen, die ein endgefertigtes Produkt aus dem 
Gebiet der EU exportieren wollen, selbst in die Berichtspflicht über 
mögliche Vorbehalte gegenüber einem Empfängerland. Das aber setzt 
Loyalität und Wohlverhalten der am Rüstungsgeschäft beteiligten 
Unternehmen voraus."[18] Ohnehin nimmt man es in der Europäischen Union 
mit der Dokumentation der Rüstungsexporte nicht allzu genau. Besonders 
dreist wurde dabei mit dem aktuellen EU-Rüstungsexportbericht für das 
Jahr 2010 verfahren. Er erschien erst Ende 2011 -- ausgerechnet am 
letzten Arbeitstag des Jahres und ohne dass vorab über die anstehende 
Veröffentlichung informiert worden wäre. Darüber hinaus weisen die Daten 
von acht Mitgliedsländern (darunter Deutschland und Großbritannien) 
extreme Lücken auf und sind somit völlig irreführend. Deutlicher kann 
wohl kaum signalisiert werden, dass an Transparenz in diesem Bereich 
wenig bis kein Interesse besteht.[19]

Dies ist umso problematischer, weil das existierende 
Rüstungsexportkontrollsystem auf EU-Ebene mehr als unzureichend ist und 
es wohl auf absehbare Zeit auch bleiben wird.

Zahnloser Verhaltenskodex

In den frühen 1990ern billigte der Europäische Rat acht Kriterien, die 
zur Erteilung einer Rüstungsexportlizenz erfüllt sein sollten. Diese 
Kriterien wurden schließlich 1998 in den "Verhaltenskodex für 
Rüstungsexporte" aufgenommen. Dazu gehört der Verweis, Waffen weder in 
Krisengebiete (Kriterium 3) noch in Staaten zu exportieren, in denen die 
Menschenrechte verletzt werden (Kriterium 4). Die Sache hatte nur einen 
Haken: Bei dem Kodex handelte es sich eher um Richtlinien als um Regeln, 
er war nicht bindend. Insofern verwundert es nicht, dass auch nach 
Verabschiedung des Verhaltenskodex munter weiter Waffen in 
Konfliktregionen exportiert wurden. So förderte eine im November 2011 
veröffentlichte Untersuchung zu Tage, dass europäische Länder im 
Zeitraum zwischen 2001 und 2009 Rüstungsgüter im Wert von über 50 Mrd. 
Euro in die Krisenregion Nordafrika und Mittelost exportiert haben.[20]

Im Dezember 2008 verabschiedete der Europäische Rat zwar schließlich 
eine Gemeinsame Position zum Verhaltenskodex, mit der die Kriterien 
rechtlich bindend wurden. Allzu viel änderte dies an der bisherigen 
Exportpraxis leider aber nicht: "Der Verhaltenskodex hat seine Grenzen. 
Zuallererst deckt er lediglich einen begrenzten Teil von 
Rüstungsexportkontrollen ab: zB die acht Kriterien und Bestimmungen zum 
Austausch von Informationen und zur Transparenz. Andere Aspekte werden 
den Mitgliedsstaaten zur Entscheidung überlassen, einschließlich der 
Strukturen der nationalen Behörden, die Ausfuhrlizenzen erteilen sowie 
die von ihnen implementierten Prozeduren. Zweitens beruht der Kodex 
stark auf der Implementierung und Interpretation jedes Mitgliedslandes: 
Die Entscheidung, eine Exportlizenz zu gewähren, verbleibt in nationaler 
Zuständigkeit."[21]

So sind viele EU-Staaten der Auffassung, Waffenexporte in Länder wie 
Saudi Arabien, Israel oder den Tschad seien problemlos mit den acht 
Kriterien vereinbar. Auch die deutschen Rüstungsexporte in Länder, die 
mindestens vier der Kriterien verletzen, nehmen sprunghaft zu: Waren es 
im Jahr 2009 noch 269,2 Mio. Euro, beliefen sie sich im Folgejahr 
bereits auf 510,3 Mio. Euro.[22] Somit ist der Verhaltenskodex 
vollkommen ungeeignet, die sich anbahnende Rüstungsexportoffensive in 
die Schranken zu weisen -- im Gegenteil: "Alle bis auf die 
fragwürdigsten Waffenexporte (und manchmal sogar die) erhalten eine 
Fassade formaler Legitimität."[23]

Spiel über die Brüsseler Bande

Gerade für die deutsche Rüstungsindustrie ist das Spiel über die 
Brüsseler Bande wie so häufig auch im Fall der Neufassung der deutschen 
Exportregelungen überaus attraktiv. Die Verbringungsrichtlinie könnte es 
nun ermöglichen, die vergleichsweise strengen deutschen 
Rüstungsexportbestimmungen zu umgehen, was über eine offizielle 
Aufweichung der Ausfuhrbestimmungen angesichts der Stimmung in der 
Bevölkerung wohl nur schwer möglich wäre. So ergab eine repräsentative 
Umfrage unter der deutschen Bevölkerung im Oktober 2011, dass 
überwältigende 78% generell gegen jegliche Rüstungsexporte sind, weitere 
11% wollen sie für Ausfuhren in Krisengebiete verbieten und gerade 
einmal 7% sprechen sich generell für solche Exporte aus.[24]

Anmerkungen

[1] Reformvorschlag: Bundesregierung will Rüstungsexporte vereinfachen, 
Spiegel Online, 15.07.2012.

[2] Wirtschaftsministerium bestreitet Erleichterung für Rüstungsexporte, 
Tagesspiegel Online, 15.07.2012.

[3] Trends in International Arms Transfers, 2011, SIPRI Fact Sheet, 
March 2012, S. 3.

[4] Vgl. Amnesty-International: Arms Transfers To The Middle East And 
North Africa: Lessons For An Effective Arms Trade Treaty, 19.10.2011.

[5] Deutsche Waffen gegen arabischen Frühling, jungen Welt 21.10.2011.

[6] Marzi, Heinz: Die Bedeutung des Rüstungsexports für Deutschland, 
Geopower.com, 11.09.2010.

[7] Eine Frage des Überlebens, German-Foreign-Policy.com,27.10.2011. 
Ganz ähnlich erklärt auch der "Friedensforscher" Hartmut Küchle: "Da 
aber die Bundeswehr und ihr Bedarf nochmals heruntergefahren werden, 
braucht man den Export dringender denn je als Ausgleich für die fehlende 
Inlandsnachfrage. In der hochtechnologischen Rüstungsproduktion gibt es 
nämlich bestimmte Mindestgrößen, bei deren Unterschreiten eine 
Produktion kaum möglich ist. Schon deshalb wird der deutsche 
Rüstungsexport weiter steigen müssen." Siehe Küchle, Hartmut: 
Einflussnahme durch Rüstungsexport It's about Realpolitik, stupid, The 
European, 04.02.2011.

[8] Vgl. Wagner, Jürgen: Rüstungshaushalt: Von der Schmierenkomödie zur 
Farce, IMI-Standpunkt 2012/036.

[9] Bericht der Strukturkommission der Bundeswehr: Vom Einsatz her 
denken, Oktober 2010, S. 36.

[10] Marzi 2010.

[11] Bericht der Strukturkommission 2010, S. 37.

[12] Fischer, Sebastian: Deutsche Rüstungsexporte: Kanonen für die 
Konjunktur, Spiegel Online, 11.11.2010.

[13] Koalitionsvertrag zitiert bei Nassauer, Otfried: Rüstungsexporte: 
Neues Außenwirtschaftsrecht, bits.de, 15. Juli 2012.

[14] Referentenentwurf: Gesetz zur Modernisierung des 
Außenwirtschaftsrechts -- Vereinfachung, Straffung und zielgenauere 
Fassung des Außenwirtschaftsrechts unter Beibehaltung seiner bewährten 
Grundstrukturen, URL: 
http://augengeradeaus.net/wp-content/uploads/2012/07/Aussenwirtschaftsgesetz_Referentenentwurf_jun2012.pdf

[15] Bundesregierung dementiert Vereinfachung von Rüstungsexporten, 
Handelsblatt Online, 15.07.2012.

[16] Depauw, Sara: Risks of the ICT-directive in terms of transparency 
and export control, in: Flamish Peace Institute (Hg.): Export controls 
and the European defence market: Can effectiveness be combined with 
responsibility? Brüssel 2011, S. 67- 74, S. 71.

[17] Boemcken, Marc von/Moltmann, Bernhard: Der eingebildete Kranke. 
Rüstungsindustrie in Zeiten

klammer Kassen, in: Friedensgutachten 2012, S. 124-136, S. 133.

[18] Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE): 
Rüstungsexportbericht 2009, Bonn/Berlin 2009, S. 70.

[19] Steaman, Kaye: Hidden from view, debarred from debate -- EU report 
on arms exports, Open Democracy, 25.01.2012.

[20] Vranckx, An u.a.:,Lessons from MENA -- Appraising EU transfer of 
military and security equipment to the Middle East and North Africa', 
Gent, November 2011, S. 17.

[21] Poitevin, Cédric: A European export control regime: balancing 
effectiveness and responsibility, Flemish Peace Institute 2011, S. 
47-51, S. 50.

[22] GKKE: Rüstungsexportbericht 2011, Bonn/Berlin 2011, S. 5.

[23] Bromley, Mark: The EU common position on arms exports and national 
export control policies, in: Flemish Peace Institute 2011, S. 39-51, S. 44.

[24] Aken, Jan van: Umfrage Rüstungsexporte, 20.10.2011, URL: 
http://www.jan-van-aken.de/aktuell/umfrage-ruestungsexporte.html 
(22.11.2011).

Trends in international arms transfers, 2011, SIPRI Fact Sheet

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