[IMI-List] [0369] Mali / "zivile" Sicherheitsforschung

IMI imi at imi-online.de
Fr Mär 23 16:57:03 CET 2012


———————————————————-
Online-Zeitschrift “IMI-List”
Nummer 0369 ………. 16. Jahrgang …….. ISSN 1611-2563
Hrsg.:…… Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jonna Schürkes / Jürgen Wagner
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ……. http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
———————————————————-

Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List finden sich

1.) eine Studie zu militärischen Hintergründen des Deutschen 
Forschungsprogramms „für die zivile Sicherheit“;

2.) ein kurzer Text mit Hintergründen zu Aufstand und Putsch in Mali;

3) Links zu den neuesten Texten auf der IMI-Homepage.


1) Die Militarisierung des Zivilen - Das Forschungsprogramm für die 
zivile Sicherheit

Am 25.01.2012 hat die Bundesregierung die Fortführung des 
Sicherheitsforschungsprogramms ‚Forschung für die zivile Sicherheit‘ bis 
2017 beschlossen. Die Fortführung des Programms gibt Anlass, 
zurückzublicken und die bisherige Entwicklung der ersten Phase zu 
analysieren. Dies geschieht in drei Schritten. (1) Zunächst wird der 
europäische Rahmen des Programms abgesteckt. Das Forschungsprogramm für 
die zivile Sicherheit ist als Erweiterung und Vertiefung des European 
Security Research Programme (ESRP) gedacht, welches von der 
EU-Kommission angestoßen wurde. Mit Bezug auf die hervorragende Studie 
Arming Big Brother von Ben Hayes wird aufgezeigt, dass es bei diesem 
Programm nicht um die (Sicherheits-)Interessen der Bürgerinnen und 
Bürger Europas geht, sondern allein um das Profitinteresse der 
Rüstungskonzerne. (2) In einem zweiten Schritt wird das 
Forschungsprogramm für die zivile Sicherheit des BMBF genauer 
untersucht. Der Einfluss der Rüstungsindustrie bei Planung und 
Durchführung des Programms und der Einfluss des Fraunhofer-Verbunds 
Verteidigungs- und Sicherheitsforschung VVS stechen ins Auge. An welchen 
Forschungsprojekten sind Rüstungskonzerne beteiligt, an welchen 
wehrforschende Institute der Fraunhofer-Gesellschaft? (3) Abschließend 
wird die Rolle der Universitäten im Rahmenprogramm des BMBF unter die 
Lupe genommen. Unter dem Regime des akademischen Kapitalismus sind 
Universitäten verstärktem Wettbewerb ausgesetzt. Sinkende staatliche 
Grundfinanzierung führt zum Kampf um Drittmittel und zur Erschließung 
neuer Einnahmequellen. Forschungsprogramme wie das für die zivile 
Sicherheit erfüllen unter diesem Regime den Zweck, staatliche Gelder 
gezielt und zweckgebunden zu verteilen. Auf diese Weise können politisch 
gewollte Forschungslinien verstärkt und politisch ungewollte reduziert 
werden. Unter einem solchen Regime werden Universitäten zunehmend in 
militärisch relevante Forschung hineingetrieben.

IMI-Studie 2012/06
Die Militarisierung des Zivilen
Das Forschungsprogramm für die zivile Sicherheit
http://imi-online.de/download/IMI-Studie2012-06jkany_sicherheit.pdf
Jens Kany (20.3.2012)


2) Aktueller Standpunkt zu Aufstand und Putsch in Mali

IMI-Standpunkt 2012/018
Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie: Mali
Was Aufstand und Putsch mit der EU-Strategie für den Sahel zu tun haben
http://www.imi-online.de/2012/03/23/zu-risiken-und-nebenwirkungen-fragen-sie-mali/
Christoph Marischka (23.3.2012)

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie: Mali
Was Aufstand und Putsch mit der EU-Strategie für den Sahel zu tun haben

Praktisch zeitgleich mit der Gründung des Europäischen Auswärtigen 
Dienstes, der im Sinne „vernetzter Sicherheit“ die zivilen und 
militärischen Kapazitäten der EU und ihrer Mitgliedsstaaten bündeln 
soll, erarbeitete das Superministerium in Gründung eine „EU-Strategie 
für den Sahel“. Eine vergleichbar umfassende regionale Strategie der EU 
gibt es bislang nur für das Horn von Afrika, wo die EU gegenwärtig mit 
einer Marine- und einer Ausbildungsmission präsent ist, eine weitere 
„zivile“ Mission zur maritimen Aufrüstung plant und (heute) ein eigenes 
Operationszentrum zur Koordinierung aller EU-Aktivitäten eingerichtet 
hat. Während das vermeintlich übergeordnete Ziel am Horn von Afrika die 
Bekämpfung der Piraterie ist, geht die vermeintliche Bedrohung im Sahel 
von einem merkwürdigen Amalgam aus Schmuggel, Drogen- und Menschenhandel 
sowie Terrorismus aus. Es war entsprechend der EU-Koordinator für die 
Terrorbekämpfung, Gilles de Kerchove, der den Sahel erstmals als 
„Hinterhof Europas“ definierte, wenig später zog der deutsche 
Entwicklungsminister Dirk Niebel nach und bezeichnete gleich ganz Afrika 
als „Vorgarten“ Europas.(1) Das steht in Einklang mit der Unterstützung 
und Werbung seines Ministeriums und des Auswärtigen Amtes(2) für das 
Wüstenstromprojekt „Desertec“, mit dem zukünftig bis zu 15% der in 
Europa verbrauchten Energie in Nordafrika gewonnen werden soll.

Kritiker_innen des Projekts wiesen früh auf die instabile Lage in der 
Region hin und darauf, dass die geopolitische Aufwertung der Region als 
Energielieferant und Investitionsstandort mit einer massiven 
Militarisierung einhergehen werde. Diese Befürchtungen basierten bereits 
u.a. auf den Planungen der EU-Sahel-Strategie, die ebenso wie ihr 
Pendant in Ostafrika im Kern darauf abzielt, die Staaten beim Aufbau 
ihrer Polizei- und Militärkräfte zu unterstützen. Bereits im zweiten 
Halbjahr 2009 hatte die EU drei Fact-Finding-Missions nach Mali, 
Mauretanien und Niger entsandt, um Möglichkeiten zu prüfen, wie diese 
Staaten bei der „Reform des Sicherheitssektors“ unterstützt werden 
könnten. Deren Ergebnisse gingen in die Sahel-Strategie ein, die 
anschließend unter dem Eindruck sich häufender Entführungen von 
Europäern in der Sahel-Region formuliert wurde. Bereits zu diesem 
Zeitpunkt, Mitte und Ende 2010, wurden Beschwerden von Vertretern der 
Wüstenbewohner über eine „Militarisierung der Sahara“ laut.(3) 
Tatsächlich hatte v.a. Algerien früh auf die Pläne und 
Erkundungsmissionen der EU reagiert und bereits vor der Verabschiedung 
der Sahel-Strategie Maßnahmen zur verbesserten Terror-Bekämpfung und 
regionalen „Sicherheitszusammenarbeit“ mit Mali, Mauretanien und Niger 
eingeleitet. Dies geschah mit der erklärten Absicht, dadurch 
Interventionen aus dem Ausland zu verhindern (und stattdessen selbst den 
Anspruch als Regionalmacht zu untermauern). Das wurde in der Anfang 2011 
verabschiedeten Sahel-Strategie explizit begrüßt. Darüber hinaus stellte 
sie insgesamt rund 1 Mrd. Euro in Aussicht, um die Aufrüstung der 
Region, die regionale Sicherheitszusammenarbeit und u.a. auch durch 
Hilfslieferungen die „Präsenz und Sichtbarkeit des Staates in der 
Fläche“ zu verbessern.(4)

Mittlerweile herrscht in Mali ein Bürgerkrieg, der Zehntausende zur 
Flucht gezwungen und einen Putsch in der Hauptstadt verursacht hat. 
Überwiegend den Tuareg angehörende Kämpfer aus dem Bürgerkrieg in Libyen 
sind im Januar 2012 von dort gut bewaffnet und organisiert 
zurückgekehrt, hatten die Nationale Befreiungsbewegung Azawad (MNLA) 
gegründet und schnell große, aus Wüste bestehende Teile Malis unter ihre 
Kontrolle gebracht. Die Regierung in Bamako schickte daraufhin das 
Militär in die von den Rebellen eroberten Regionen, das jedoch früh über 
eine unzureichende Ausrüstung für die Bekämpfung der Rebellen (sowie des 
Terrorismus und der organisierten Kriminalität) klagte. Dies nahmen 
Teile des Militärs zum Anlass, am frühen Morgen des 22. März 2012 
gewaltsam die Macht in der Hauptstadt zu übernehmen. Ihre Forderungen 
(jedenfalls soweit sie in hiesigen Medien kommuniziert werden) scheinen 
durch die EU-Sahel-Strategie inspiriert zu sein und erschöpfen sich im 
Wesentlichen in einer besseren Ausrüstung zur Bekämpfung des Aufstandes, 
des Terrorismus und der Organisierten Kriminalität (an der wesentliche 
Teile des Militärs selbst beteiligt sind). Auffällig ist auch, dass die 
Putschisten von Anfang an der internationalen Gemeinschaft die 
Zusammenarbeit bei der Bewältigung dieser Probleme anboten.(5) Anstatt 
über soziale Themen zunächst Legitimität bei der eigenen Bevölkerung zu 
generieren, scheint es ihnen wichtiger (oder aussichtsreicher) zu sein, 
als Anbieter von Sicherheit Legitimität auf internationaler Ebene 
herzustellen. Dennoch haben sowohl der Bundesaussenminister als auch die 
EU den Putsch umgehend verurteilt.(6) Auffallend an den jeweiligen 
Pressemitteilung ist jedoch, dass sie lediglich die „Rückkehr zur 
verfassungsmäßigen Ordnung“ und im Falle der EU auch die möglichst 
baldige Abhaltung demokratischer Wahlen – nicht aber die 
Wiedereinsetzung des Präsidenten und die Abhaltung von Wahlen zum 
vorgesehenen Termin Ende April fordern. Man könnte das durchaus als 
verdeckte Tolerierung eines vorübergehenden „Notstandsregimes“ 
interpretieren (wie dies in jüngerer Zeit auch mehrfach gegenüber 
Mauretanien der Fall war), insbesondere, wenn man die Reaktionen aus EU 
und Deutschland mit dem Vorgehen nach der umstrittenen Wahl im 
Nachbarland Côte d’Ivoire Ende 2010 vergleicht. Damals war jedes auch 
militärische Mittel recht, um den angeblich gewählten Präsidenten 
Ouattara an die Macht zu bringen.

Zweifellos ist die aktuelle Krise in Mali primär eine Folge des 
libyschen Bürgerkrieges. Eine weitere Ursache benennen Denis M. Tull und 
Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik in ihrer Studie 
„Die Folgen des Libyen-Konflikts für Afrika“: „Im Jahr 2011 begann die 
malische Regierung überdies, ein maßgeblich von der EU unterstütztes 
Programm zu verwirklichen, das die staatliche Präsenz im Norden 
ausweiten sollte. Das brachte die Anführer der Rebellionen der 1990er 
Jahre und von 2006 vollends gegen die malische Führung auf. Nach Ansicht 
der ehemaligen Rebellen widersprach die Stationierung zusätzlicher 
Sicherheitskräfte den Friedensabkommen der 1990er Jahre, denn diese 
sahen vor, die militärische Präsenz im Norden zu verringern.“(7)

Es war also die Sahel-Strategie und die in deren Rahmen unterstützte 
Aufrüstung des Nordens Malis, welche den Aufstand mit ausgelöst hat. Der 
zufällig zum Zeitpunkt des Putsches gerade tagende Rat für Auswärtige 
Angelegenheiten der EU nahm diesen trotzdem zum Anlass, die 
Implementierung der Sahel-Strategie zu begrüßen, deren weitere 
Beschleunigung zu fordern und eine neue GSVP-Mission anzukündigen, um 
„die Gendarmerie, die Nationalpolizei und die Nationalgarde“ in Mali, 
Mauretanien und Niger durch Beratung und Training zu unterstützen.(8) 
Genau so funktioniert Militarisierung – Sicherheit bringt sie nicht.

Anmerkungen

1 Rede von Dirk Niebel, Bundesminister für wirtschaftliche 
Zusammenarbeit und Entwicklung, vor dem Deutschen Bundestag am 10.11.2009.

2 Vgl. zuletzt: „Deutschland und Tunesien: Partner für erneuerbare 
Energien“, Rede der Staatsministerin Pieper vor der Staatlichen 
Ingenieurschule in Tunis vom 14.03.2012.

3 In Deutschland wurden diese Warnungen v.a. von der Gesellschaft für 
bedrohte Völker öffentlich gemacht, vgl. etwa: „Tuareg beklagen 
Militarisierung der Sahara“, Pressemitteilung der Gesellschaft für 
bedrohte Völker vom 27.7.2010.

4 Christoph Marischka: Sahara, der Libyenkrieg und die kommende 
Aufstandsbekämpfung, IMI-Analyse 2012/02 – in: AUSDRUCK (Februar 2012).

5 „Militärputsch international verurteilt“, faz.net (23.3.2012).

6 „Bundesregierung verurteilt Militärputsch in Mali“, Pressemitteilung 
des Auswärtigen Amtes vom 22.3.2012, sowie: „Statement by EU High 
Representative Catherine Ashton on the coup d’état in Mali“ (A 142/12), 
Pressemitteilung vom 22.3.2012.

7 Denis M. Tull / Wolfram Lacher: Die Folgen des Libyen-Konflikts für 
Afrika. Gräben zwischen der AU und dem Westen, Destabilisierung der 
Sahelzone, SWP-Studie, Stiftung Wissenschaft und Politi, März 2012.

8 „Council conclusions on Sahel“ der 3157. Sitzung des Rats für 
Auswärtige Angelegenheiten der EU, 23.3.2012.


3) Links zu den neuesten Texten auf der IMI-Homepage

IMI-Standpunkt 2012/018
Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie: Mali
Was Aufstand und Putsch mit der EU-Strategie für den Sahel zu tun haben
http://www.imi-online.de/2012/03/23/zu-risiken-und-nebenwirkungen-fragen-sie-mali/
Christoph Marischka (23.3.2012)

IMI-Mitteilung
Solidarität mit Hanna Poddig
Den Krieg unter Strafe stellen, nicht den Widerstand dagegen!
http://www.imi-online.de/2012/03/21/solidaritat-mit-hanna-poddig/
(21.3.2012)

IMI-Studie 2012/07
Syrien: Die Militarisierung der Proteste und die strategische Unvernunft 
der Gewalt
http://www.imi-online.de/2012/03/20/syrien-die-militarisierung-der-proteste-und-die-strategische-unvernunft-der-gewalt-2/
Jürgen Wagner (20.3.2012)

Dokumentation
„Ausweichend, widersprüchlich und unter Geheimhaltung“
Neues zum "Schulausflug zur Fallschirmspringerübung"
http://www.imi-online.de/2012/03/20/%e2%80%9eausweichend-widerspruchlich-und-unter-geheimhaltung%e2%80%9c/
(20.3.2012)

IMI-Standpunkt 2012/017
Auch deutsche Spezialkräfte werden trotz psychischer Beschwerden in 
Einsätze geschickt
http://www.imi-online.de/2012/03/20/auch-deutsche-spezialkrafte-werden-trotz-psychischer-beschwerden-in-einsatze-geschickt/
Bernhard Klaus (20.3.2012)

IMI-Studie 2012/06
Die Militarisierung des Zivilen
Das Forschungsprogramm für die zivile Sicherheit
http://imi-online.de/download/IMI-Studie2012-06jkany_sicherheit.pdf
Jens Kany (20.3.2012)

IMI-Standpunkt 2012/016 - in: Friedensjournal 2/2012
Drohneneinsatz
Mordanschläge als verdeckte Kriegsführung
http://www.imi-online.de/2012/03/14/drohneneinsatz/
Michael Haid (14.3.2012)

IMI-Standpunkt 2012/015
Wem gehört der Fisch? Zur Ausweitung des ATALANTA-Einsatzes am Horn von 
Afrika
http://www.imi-online.de/2012/03/09/wem-gehort-der-fisch-zur-ausweitung-des-atalanta-einsatzes-am-horn-von-afrika/
Christoph Marischka (9.3.2012)

IMI-Standpunkt 2012/014
Das kriegerische Kerneuropa verleiht sich Flügel
Zur Rolle des „Europäischen strategischen Lufttransportkommandos“

Claudia Haydt (8.3.2012)
http://www.imi-online.de/2012/03/08/das-kriegerische-kerneuropa-verleiht-sich-flugel/ 

IMI-Standpunkt 2012/013
EU-Grenzschutzexperten reisen nach Libyen
Bernhard Klaus (5.3.2012)

IMI-Standpunkt 2012/012
„Sicherheitslage im Vergleich zur Zeit des Gaddafi-Regimes verbessert“
Flüchtlingslager Lampedusa weiter geschlossen
http://www.imi-online.de/2012/03/02/%e2%80%9esicherheitslage-im-vergleich-zur-zeit-des-gaddafi-regimes-verbessert%e2%80%9c-fluchtlingslager-lampedusa-weiter-geschlossen/
Bernhard Klaus (2.3.2012)



Mehr Informationen über die Mailingliste IMI-List