[IMI-List] [0356] Broschüre: Militarisierung der Vereinten Nationen
IMI
imi at imi-online.de
Fr Sep 30 14:57:42 CEST 2011
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0356 .......... 15. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jonna Schürkes / Jürgen Wagner
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List findet sich eine neue IMI-Broschüre über die
Militarisierung der Vereinten Nationen, die wir -- gerade angesichts der
jüngsten Debatten um "gute" UN-Einsätze - wärmstens empfehlen möchten:
Broschüre:
Die UN und der neue Militarismus
Von Krieg und UN-Frieden: Peacekeeping, Regionalisierung und die
Rüstungsindustrie
http://www.imi-online.de/2011.php?id=2355
30.9.2011, Thomas Mickan
Die Broschüre (48S DinA4) kann zum Preis von 2,50 Euro (plus Porto) bei
uns bestellt werden (ab 5 Ex. 2 Euro): imi at imi-online.de
Wie immer steht die Broschüre aber auch zum kostenlosen download zur
Verfügung, und zwar hier:
http://imi-online.de/download/Mickan_UN_Militarisierung_Web.pdf
Zusammenfassung:
Die UN und der neue Militarismus. Von Krieg und UN-Frieden: Peackeeping,
Regionalisierung und die Rüstungsindustrie
"Die Architektur der Welt ändert sich dramatisch, das muss sich auch in
der Arbeit der Vereinten Nationen widerspiegeln."[1] Diese Worte ließ
Außenminister Guido Westerwelle verlauten, kurz bevor Deutschland am 1.
Juli 2011 zum ersten Mal den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat übernahm.
Dessen Reform ist in der Debatte um die UN gegenwärtig eines von zwei
bestimmenden Themen. Das zweite Thema ist die so genannte
Schutzverantwortung (Responsibility to Protect, R2P). Tatsächlich haben
sich die UN bereits auf dramatische Weise verändert: Die Welt ist von
einem neuen Militarismus ergriffen und so auch die UN. Schlagzeilen
machten dabei vor allem der Krieg in Libyen, die Abspaltung des Südsudan
und der Machtkampf in der Côte d'Ivoire, in denen die UN
Legitimationsgrundlage für Herrschaft und Gewalt waren.
Die UN treten nicht selten als blaubehelmte Friedenstaube auf, einer vom
Auswärtigen Amt genutzten Stilisierung, um schon Kindern die
Friedens-Kriege im Namen der UN näher zu bringen. Sie erscheinen dabei
als legitime Anwältin der Gewalt und in der Rede um die
Schutzverantwortung wird Gewalt nicht nur als legitim erachtet, sondern
sogar als verantwortungsvolles Handeln moralisch aufgewertet. Auch
Kriegsgegner_innen in Teilen der Friedensbewegung,[2] der Linken[3] oder
den Kirchen[4] haben ein gespaltenes Verhältnis zu den bewaffneten
Blauhelmeinsätzen. Daraus spricht nicht selten der Mangel an umfassenden
zivilen Alternativen[5] der Konfliktbearbeitung.
Die Fragestellung der von mir verfassten Studie ist, ob dieses Bild der
legitimen Akteurin der Gewalt, sei es aus menschenrechtlicher
Verantwortung, Alternativlosigkeit oder anderen Gründen, noch eine
friedenspolitische Position ist, die in begrenztem Umfang mehr Gutes als
Schlechtes befördert. Der Fokus liegt dabei nicht auf den einschlägigen
Debatten um die Berechtigung und Folgen von "humanitären" Interventionen
bzw. der Schutzverantwortung, sondern auf den hierfür zu schaffenden und
geschaffenen Bedingungen und Notwendigkeiten. Was bedeutet es,
Blauhelmmissionen zu fordern und zu fördern und welche Dynamiken ergeben
sich aus dem System Peacekeeping?
Die Studie gliedert sich hierzu in fünf Teile:
Im ersten Teil werden zentrale Konzepte der UN im Umgang mit dem Frieden
untersucht. Dies beginnt mit der Betrachtung des Charakterwandels der
Einsätze, sowie einer begrifflichen Bestimmung relevanter
Peacekeeping-Formen und damit verbundener UN-Konzepte. Dabei wird neben
Peacebuilding auch der ,Schutz der Zivilbevölkerung' sowie die
,Schutzverantwortung' mit einigen ihrer weitreichenden Implikationen,
etwa für das Souveränitätsprinzip im Völkerrecht, betrachtet. Gesonderte
Aufmerksamkeit ist im ersten Teil jedoch dem Treuhandsystem, den
Sicherheitssektorreform(en) und den Zivil-Militärischen Beziehungen
gewidmet.
Im zweiten Teil werden interne Strukturen der UN im Bereich der
Friedensbemühungen untersucht. Dies erfolgt mit Schwerpunkt auf die
relevanten Sekretariate: Das Department of Peacekeeping Operations
(DPKO), das Department of Field Support (DFS) und die United Nations
Procurement Division (UN-PD).
Im dritten Teil steht die Frage der Truppengenerierung für die Einsätze
im Vordergrund: angefangen bei dem United Nations Standby Arrangements
System (UNSAS), über die gescheiterte Militärinitiative SHIRBRIG bis hin
zur Auslagerung an Regionalorganisationen, allen voran an NATO und
Europäischen Union (EU) sowie die Afrikanischen Union (AU), deren
Sonderrolle hierbei untersucht wird.
Im vierten Teil findet eine Beschäftigung mit weltweiten
Ausbildungsprogrammen und der Schaffung von Schulungszentren für
Peacekeeping im Globalen Süden statt. Im Mittelpunkt stehen dabei
wiederum die AU und die Frage von "Ownership".
Der letzte und fünfte Teil lenkt den Fokus auf die Rolle der
Rüstungsindustrie im Peacekeeping und die sich neu erschließenden
Märkte. Dabei werden sowohl die Dynamiken aus den direkten Gewinnen des
Trainings als auch indirekte, durch Kunden-Akquise und Bluewashing
gemachte Gewinne untersucht.
Vier zentrale Punkte können als Ergebnisse festgehalten werden:
Es kann gezeigt werden, welchen Charakterwandel durch die Etablierung
neuer Konzepte und Strukturen die UN-Friedensbemühungen vollzogen haben.
Dieser Wandel ist dabei sehr umfassend und beginnt bei der Legitimation
der Einsätze mit Hilfe der Schutzverantwortung und endet bei der
kompletten Übernahme ganzer staatlicher Strukturen durch eine
Treuhandschaft. Peacekeeping wird zum Standardinstrument der Herrschaft
durch militärische Stärke. Dies geht einher mit einer
Institutionalisierung und Aufwertung des Militärischen sowohl durch die
Zivil-Militärische Zusammenarbeit als auch insbesondere durch die
Sicherheitssektorreformen, die eine besondere Gefahr für den zukünftigen
Frieden darstellen und deren Folgen unabsehbar sind.
Die umfassende Neustrukturierung das DPKO und das DFS stützen diese
Entwicklung weiter. Neben Strukturen zur Umsetzung der genannten
Konzepte der Machtprojektion, wurde der militärische Schwerpunkt der
Konfliktbearbeitung in den UN überproportional stark im Vergleich zum
Zivilen ausgebaut. Die Untersuchungen zum UN-PD zeigen, welche
wirtschaftlichen Interessen hinter den Friedensbemühungen auch stehen.
In allen drei Sekretariaten sind die enge Verknüpfung untereinander
sowie ihre personelle Besetzung auffallend. Dabei ist nicht nur die
Überrepräsentanz von Vertretern des Globalen Nordens bedeutend, sondern
insbesondere die Überbesetzung durch NATO-Personal und Militärs.
Wenn Blauhelme gefordert werden, wird dies zumeist an Bedingungen für
die Entsendestaaten geknüpft. Insbesondere so genannte
Regionalorganisationen rücken dafür immer mehr in den Mittelpunkt.
Alternative militärische Modelle zur Truppengenerierung für die UN wie
das Bereitstellungsarrangement UNSAS sind fast bedeutungslos oder wie
SHIRBRIG sogar gescheitert. Die Verlagerung auf Regionalorganisationen
ist dabei auch immer die Frage nach den Fähigkeiten für die Übernahme
der logistisch, technisch und finanziell anspruchsvollen Aufgabe
Peacekeeping. Gerade die NATO und die EU stehen dabei in der Kritik,
obwohl sie durch jeweilige Vereinbarungen mit der UN großen
Bedeutungszuwachs, vor allem für ihre Legitimität, erfahren haben. Die
UN begeben sich durch die Auslagerung in Abhängigkeitsverhältnisse und
verlieren trotz Legitimierung der Einsätze jegliche Kontrolle darüber.
Auch die Auslagerung an die Afrikanische Union ist eine der denkbar
schlechtesten Alternativen. Die hier "entdeckten" Fähigkeitslücken
forcieren eine starke Ausbildungs- und Aufrüstungsdynamik, die auch von
den UN getragen und gefördert wird. In zahlreichen Programmen und
Schulungszentren werden dabei unter den Vorzeichen von Interoperabilität
und einer vermeintlichen Ownership die Soldat_innen von morgen
trainiert. Die Konzentration auf das Militärische verdrängt dabei nicht
nur in der AU die Notwendigkeit, grundlegende zivile Strukturen des
Zusammenlebens zu fördern.
Insbesondere die Rolle der Rüstungsindustrie ist alarmierend. Diese
profitiert von den neuen Absatzmärkten durch die Ausbildung und
Aufrüstung von Peacekeepern und öffnet sich gleichzeitig über die
gewonnenen Kontakte den Zugang zu weiteren "robusten"
Rüstungsgeschäften. "Peacekeeping" ist dabei neben Verteidigung und
Sicherheit ein neues Marktsegment geworden. Die neuen Produkte wertet
man mit Hilfe des so genannten "Bluewashing" ("Engagement für den
Frieden im Rahmen der UN") moralisch auf. Ebenso werden zahlreiche
militärische Großübungen über das Peacekeeping legitimiert, welche
gleichzeitig Messecharakter für die Rüstungsfirmen haben. Auch für
zahlreiche Logistikaufgaben heuern die Regionalorganisationen und die UN
verschiedene Militärdienstleister für blau-blühende Geschäfte an.
Die UN spielen bei all dem eine traurige und entscheidende Rolle. Sie
sind auf die Beiträge ihrer Mitglieder angewiesen und damit deren Modus
Operandi unterworfen. Sie schaffen es gleichzeitig nicht, die Ideen und
Kräfte aufzubringen, sich von deren militärischen Machtprojektionen zu
emanzipieren. Und sie sind entscheidende Legitimationsgrundlage für die
Militäreinsätze. Das hohe moralische Ansehen, das die UN genießen,
erodiert hierdurch. Die UN verlieren an Neutralität und Unabhängigkeit
und nehmen dabei als Ganzes Schaden. Die sich ergebenden Konsequenzen,
wenn die UN als verlängerter Arm der Mächtigen agieren und auch als
solches wahrgenommen werden, sind nicht zu begrüßen.
Zentral kann festgehalten werden, dass diese Entwicklungen keine "Grand
Strategy" des Westens sind, sondern verschiedene Prozesse von
Machtprojektion, wohlwollender Förderung und Alternativlosigkeit eine
Eigendynamik militärischer Konfliktstrategien entfesselt haben. Ihre
Prominenz verdrängt nicht nur die notwendige Debatte um zivile
Alternativen und strukturelle Ursachen, sie führt gleichzeitig zu einer
Militarisierung der Instrumente kollektiver Friedenssicherung. Die Rolle
der UN mit ihren militärischen Aktivitäten und ihrer Legitimierung und
Legalisierung von militärischer Gewalt müssen daher grundlegend neu
bewertet werden. Peacekeeping gebietet nicht der Gewalt Einhalt, es
fördert diese strukturell. Statt Gewalt zu Ächten, wird diese moralisch
legitim. Statt gewaltfreie, zivile Konfliktbearbeitung zu praktizieren
und zu fördern, legt dies den Grundstein für zukünftige Gewalt.
Peacekeeper sind blaubehelmte bzw. tarnbehelmte Soldat_innen, die in
ihren Jeeps, Sonnenbrillen und mit z.T. schwerer Bewaffnung als
ausländische Militärs durch die Straßen von Kabul, Kinshasa oder
Mogadischu patrouillieren. Als Zeichen von Macht demonstrieren sie, wie
wir heute gedenken Konflikte zu lösen: mit Gewalt.
Anmerkungen:
[1] Auswärtiges Amt (2011): Vorsitz im Sicherheitsrat, URL:
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Friedenspolitik/VereinteNationen/DEUimSicherheitsrat/110628-VorschauJuli-node.html
[2] AG Friedensforschung (2011): Darf die Friedensbewegung "Blauhelme"
denken? Eine Kritik der IMI e.V. an der Libyen-Erklärung des
Bundesausschusses Friedensratschlag - und eine Erwiderung, URL:
http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Libyen/baf-imi.html
[3] Dokumentation der Debatte um das Papier von André Brie, Ernst
Krabatsch, Stefan Liebich, Paul Schäfer und Gerry Woop "Vorschläge für
eine linke Positionierung" unter URL:
http://www.lafontaines-linke.de/2011/09/eine-kampfschrift-jan-van-aken-kommentar-uno-reform-brie-liebich/
[4] Denkschrift des Rates der EKD (2007): "Aus Gottes Frieden leben --
für gerechten Frieden sorgen", URL:
http://www.ekd.de/download/ekd_friedensdenkschrift.pdf (S. 70f).
[5] Die Polizei stellt keine zivile Alternative dar.
http://imi-online.de/download/Mickan_UN_Militarisierung_Web.pdf
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