[IMI-List] [0340] IMI-Analyse: Militarisierung Golf von Aden

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Do Jan 20 16:25:46 CET 2011


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0340 .......... 15. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jonna Schürkes / Jürgen Wagner
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Liebe Freundinnen und Freunde,


in dieser IMI-List findet sich

1) Eine IMI-Analyse zur Militarisierung der Länder rund um den Golf von Aden

Nachdem Entwicklungsminister Niebel vergangene Woche die autokratische 
Regierung des Jemen besucht hatte, die mit deutschem Geld Piraten am 
Horn von Afrika jagt und anschließend vor Gericht stellt, wo ihnen die 
Todesstrafe droht, reiste er weiter nach Äthiopien, einer der 
schlimmsten Militärdiktaturen weltweit und trotzdem einer der größten 
Empfänger deutscher Entwicklungshilfe. Niebel hat bei dieser Gelegenheit 
den äthiopischen Premierminister Meles Zenawi zur Teilnahme an der 
Münchener Sicherheitskonferenz eingeladen, die Anfang Februar 
stattfinden wird. Dort will Zenawi mit der NATO und anderen 
internationalen Vertretern für ein entschlosseneres Vorgehen gegenüber 
Somalia werben.

Schon jetzt erhält er umfassende Militärhilfen aus Deutschland und 
anderen NATO-Staaten, um die somalische Übergangsregierung zu 
unterstützen. Diese jedoch wird von der somalischen Bevölkerung mit 
ähnlich überwiegender Mehrheit abgelehnt, wie die dauerhaften 
Interventionen Äthiopiens in Somalia, die tatsächlich eine 
destabilisierende Wirkung in der Region entfalten. Somalia erhebt bis 
heute Gebietsansprüche gegenüber Äthiopien, die bereits 1977 zum 
Ogadenkrieg geführt haben, wo bis heute eine große somalische Minderheit 
wohnt, die von massiven Repressionen durch die äthiopische Regierung 
betroffen ist. Es ist daher davon auszugehen, dass auf der Münchener 
Sicherheitskonferenz weitere Hilfen für Äthiopien und eine weitere 
Eskalation am Horn von Afrika abgesprochen werden, die geeignet sind, 
die gesamte Region weiter zu destabilisieren. Einen Überblick über das 
gegenwärtige Engagement der Internationalen Gemeinschaft am Horn von 
Afrika liefert die neue IMI-Analyse "Schlechte Rezepte für den Golf von 
Aden"


IMI-Analyse 2011/001
Schlechte Rezepte für den Golf von Aden
http://www.imi-online.de/2011.php?id=2229
20.1.2011, Christoph Marischka


Kurz bevor im Bundestag Ende 2010 die Abstimmung über eine Verlängerung 
der deutschen Beteiligung am EU-Marineeinsatz ATALANTA am Horn von 
Afrika anstand, richtete sich ein ungewöhnlich breites Bündnis von 
entwicklungspolitischen Gruppen und Menschenrechtsorganisationen mit 
einem Positionspapier an die Abgeordneten. Die "Verteidigung der 
maritimen Handelsinteressen" durch ATALANTA geschehe in einer "Art und 
Weise, die aufgrund der bisherigen Erfahrungen berechtigten Anlass zu 
der Vermutung gibt, dass [sie] die Gesamtlage noch verschlechtert".[1] 
Trotzdem verlängerte der Bundestag mit 487 zu 68 Stimmen bei 12 
Enthaltungen die Beteiligung der Bundeswehr an der EU-Mission zur 
Pirateriebekämpfung. Zahlreiche andere Maßnahmen Deutschlands und der 
EU, die zu einer weiteren Militarisierung und Destabilisierung der 
Region beitragen, sind hingegen der Öffentlichkeit kaum bekannt und 
entziehen sich auch der parlamentarischen Kontrolle. Im Mittelpunkt 
steht dabei die Aufrüstung des Jemen, Äthiopiens, Ugandas und Kenias, 
welche jeweils eigene Interessen in Somalia verfolgen.


AMISOM -- Bodentruppen der internationalen Gemeinschaft?

Das u.a. von Amnesty International und dem Evangelischen 
Entwicklungsdienst (eed) eingebrachte Positionspapier übte auch scharfe 
Kritik am Vorgehen der "internationalen Gemeinschaft" gegenüber Somalia 
selbst: Die "Ausrüstungs- und Ausbildungsprogramme für bewaffnete Kräfte 
der [Übergangsregierung] TFG steigern in der derzeitigen Lage in nicht 
kontrollierbarer Weise das Gewaltpotenzial im Land... Die 
internationale, aber auch die deutsche Strategie ist dabei vorrangig auf 
die Unterstützung der TFG ausgerichtet. Dieser Ansatz ignoriert jedoch 
alle Erfahrungen aus einer 19-jährigen Geschichte von Interventionen und 
verkennt die Realität in Somalia".[2]

Hinsichtlich der Truppen der AU-Mission AMISOM, welche Teile der 
somalischen Hauptstadt Mogadischu kontrollieren und quasi als der Fuß 
der internationalen Gemeinschaft in der Tür zum somalischen Bürgerkrieg 
fungieren, heißt es vorsichtig, diese "sollten nachdrücklich dazu 
angehalten werden, internationales Humanitäres Völkerrecht und die 
Menschenrechte zu beachten."[3] Was sich dahinter verbirgt, machte 
wenige Tage später der humanitäre Nachrichtendienst der UN, IRIN, 
deutlich. Nahezu täglich würden die AMISOM-Truppen Wohnviertel und den 
wichtigsten Markt der Hauptstadt mit Mörsergranaten beschießen.[4] Dass 
sie dabei nicht zwischen zivilen und militärischen Zielen unterscheiden, 
wie es das humanitäre Völkerrecht vorschreibt, war zuvor schon von Human 
Rights Watch[5], dem UNHCR und Amnesty International[6] kritisiert 
worden. Dies ist v.a. deshalb brisant, weil der Einsatz der AMISOM 
überwiegend von Deutschland und der EU finanziert wird, die zusätzlich 
noch weitere Konfliktparteien im somalischen Bürgerkrieg ausrüsten und 
unterstützen.


Die Aufrüstung des Bürgerkrieges

Auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hin musste die 
Bundesregierung einräumen, dass die Europäische Union bislang 142 Mio. 
Euro alleine aus dem Europäischen Entwicklungsfonds für den Bürgerkrieg 
in Somalia bereitgestellt hat.[7] Hinzu kommen bilaterale Beiträge der 
Mitgliedsstaaten. Ein Großteil der Gelder fließt an die Einheiten der 
AMISOM, die formal von der Afrikanischen Union koordiniert werden. Diese 
wird wiederum zu einem Viertel (72 Mio. Euro) von der EU finanziert. 
Obwohl der Bundesregierung bekannt ist, dass diese Einheiten häufig 
keinen Sold erhalten oder diesen erst verspätet ausbezahlt bekommen, 
schwere Menschenrechtsverletzungen begehen und gegen das 
Kriegsvölkerrecht verstoßen, übt sie keine Kritik an deren Finanzierung, 
sondern verweist sie lediglich darauf, dass der militärische Gegner 
ebenso rücksichtslos vorginge.[8] Deutschland trägt alleine ein Fünftel 
der EU-Beiträge zur Unterstützung der AMISOM.


Militärhilfe für Äthiopien

Hinzu kommt die massive Unterstützung des Nachbarstaates Äthiopien durch 
Deutschland. Äthiopien ist nicht nur für die Eskalation des 
Bürgerkrieges in Somalia seit dessen Einmarsch im Winter 2006/2007 
verantwortlich, sondern geht auch in seinem Inneren äußerst repressiv 
gegen jegliche Opposition vor. Human Rights Watch belegte kürzlich in 
dem Bericht "Entwicklung ohne Freiheit", wie dort westliche 
Entwicklungshilfegelder für die brutale Unterdrückung der eigenen 
Bevölkerung verwendet werden.[9] Auch das ARD-Magazin FAKT kritisierte 
die enge Zusammenarbeit der Bundesregierung mit der Militärdiktatur in 
Äthiopien.[10]

Dennoch gilt Äthiopien -- so die Bundesregierung in ihrer Antwort auf 
die Kleine Anfrage -- in Deutschland als "grundsätzlich 
förderungswürdiger Staat". Dementsprechend erhält es von Deutschland 
militärische Ausstattungshilfe und wird durch eine "Beratergruppe" der 
Bundeswehr unterstützt. Seit 1998 wurden 73 höherrangige äthiopische 
Soldaten an Einrichtungen der Bundeswehr fortgebildet,[11] für 2011 bot 
die Bundesregierung dem äthiopischen Militär erstmals ein "bilaterales 
Kooperationsprogramm" an.[12] Ende Oktober nahm ein deutscher 
Stabsoffizier an einer von der EU finanzierten Militärübung in der 
Hauptstadt Addis Abeba teil, in dem ein AU-Einsatz auf einer fiktiven 
Insel vor Somalia trainiert wurde.[13] Kurz zuvor hatte der 
EU-Militärstab Addis Abeba besucht und Gespräche mit dem äthiopischen 
Verteidigungsminister geführt.[14] Die äthiopischen Streitkräfte hatten 
zuvor finanziert vom Auswärtigen Amt fast 1.000 somalische "Polizisten" 
(tatsächlich handelte es sich dabei um Soldaten) ausgebildet, über deren 
anschließenden Verbleib die Bundesregierung zunächst keine Angaben 
machen konnte. Zuletzt gab sie als Aufenthaltsort der "Polizisten" das 
Gebiet Gedo im Südwesten Somalias an, wo mit Äthiopien verbündete 
Milizen operieren und es Ende Oktober zu schweren Gefechten kam, vor 
denen bis zu 60.000 Menschen flohen.[15] Kenia verstärkte daraufhin 
seine militärische Präsenz an der nahe gelegenen Grenze. In der Antwort 
auf eine schriftliche Frage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen 
konnte Werner Hoyer, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, nicht 
ausschließen, dass die mit deutscher Hilfe ausgebildeten "Polizisten" an 
den Gefechten beteiligt waren und bestätigte, dass weiterhin unklar ist, 
wer deren Sold bezahlt.[16] Anschließende Recherchen des in Nairobi 
tätigen Journalisten Marc Engelhardt brachten schließlich ans Licht, 
dass "die für Somalias Verhältnisse hervorragend ausgebildeten 
Sicherheitskräfte" hierbei sogar eine entscheidende Rolle gespielt 
haben. Ziel der mit der Übergangsregierung verbündeten Miliz des 
Warlords und Parlamentsabgeordneten Barre Aden Hiirale sei es, im Kampf 
gegen die Aufständischen "eine zweite Front im Süden [zu] eröffnen".[17] 
Ein gefährliches Unterfangen angesichts der Lage im Grenzgebiet zu 
Äthiopien und Kenia, die beide Konfliktparteien im somalischen 
Bürgerkrieg sind und leicht durch einen (erneuten) Einmarsch eine 
weitere Eskalation des Bürgerkrieges auslösen könnten. Vielleicht 
besteht jedoch auch genau darin die Strategie Deutschlands und der 
Europäischen Union. Die UN Monitoring Group on Somalia hatte zumindest 
schon im Frühjahr 2010 darauf hingewiesen, dass bis zu 80% der im 
Ausland ausgebildeten Sicherheitskräfte sich mitsamt Ausrüstung anderen 
Milizen anschließen oder desertieren würden und es auf absehbare Zeit 
keine Perspektive gäbe, dass die Übergangsregierung ohne eine massive 
Intervention von außen ihre Kontrolle über Somalia ausweiten könnte.[18]


Nordic Battlegroup startbereit?

Vor diesem Hintergrund erhält die Teilnahme einer kenianische 
Eingreiftruppe, die zu einem großen Teil aus Kenianern somalischer 
Herkunft bestehen soll, an einer Übung der Nordic Battlegroup der EU im 
September 2010 in Schweden besondere Brisanz.[19] In Ihrer Antwort auf 
eine Kleine Anfrage leugnete die Bundesregierung jede Kenntnis über 
Inhalt der Übung und Sinn der kenianischen Beteiligung. Kenia erhält 
u.a. Unterstützung aus dem EU-Stabilitätsinstrument, seit es sich bereit 
erklärt hatte, somalischen Piraterieverdächtigen, die im Rahmen der 
EU-Mission Atalanta festgenommen wurden, den Prozess zu machen. Kenia 
beherbergt zudem das ebenfalls von der EU finanzierte International 
Peace Support Training Centre, an dem das Personal der AMISOM mit 
deutscher und britischer Unterstützung ausgebildet und ausgerüstet wird, 
bevor es in Somalia zum Einsatz kommt.[20] In der kenianischen 
Hauptstadt befindet sich zudem das Somalia-Büro der USA, über welches 
die Rekrutierung und Bezahlung der Truppen der somalischen 
Übergangsregierung koordiniert wird.


Uganda, Ausweitung der Kampfzone

Größter Truppensteller der AMISOM ist jedoch Uganda, das im Juli den 
Gipfel der Afrikanischen Union ausrichtete und sich für eine massive 
Ausweitung des AMISOM-Einsatzes auf 20.000 Soldaten stark macht. Kurz 
zuvor war die ugandische Hauptstadt während des Endspiels der 
Fußball-Weltmeisterschaft der Männer von Bombenanschlägen erschüttert 
worden, die somalischen Rebellen zugerechnet werden. Die Bundesregierung 
vermutet zwar dahinter das Interesse, Uganda "zur Beendigung von AMISOM 
zu zwingen", sieht jedoch "keine Hinweise" für einen Zusammenhang mit 
der EU-Militärmission EUTM Somalia.[21] Bei dieser "Ausbildungsmission" 
werden in Uganda und gemeinsam mit dessen Streitkräften Soldaten für die 
somalische Übergangsregierung -- u.a. im Häuserkampf -- ausgebildet.[22] 
Deutschland beteiligt sich an diesem Einsatz mit bis zu zwanzig 
Bundeswehrsoldaten und durch die Beteiligung an den gemeinsamen Kosten 
der Mission. Dass in diesem Rahmen auch Minderjährige für den 
anschließenden Kampfeinsatz in Mogadischu ausgebildet werden, kann die 
Bundesregierung jedoch bis heute nicht ausschließen und verweist auf die 
Verantwortung der AMISOM, des Somalia-Büros der USA in Nairobi und der 
somalischen Übergangsregierung.[23] Letzterer wurde jedoch vom 
UN-Generalsekretär, zuletzt in seinem Bericht über Kinder in bewaffneten 
Konflikten vom 9.11.2010, vorgeworfen, Kindersoldaten zu rekrutieren und 
mit Milizen zusammenzuarbeiten, die bis zur Hälfte aus Kindersoldaten 
bestehen.[24] Auch Hinweise, wonach Rekruten für die EUTM in 
Flüchtlingslagern geworben wurden, ist die Bundesregierung nicht 
nachgegangen.

Obwohl mittlerweile die ersten knapp 1.000 Soldaten im Rahmen der EUTM 
ausgebildet wurden, ist nach wie vor unklar, wie diese in die Truppen 
der Übergangsregierung integriert und bezahlt werden sollen. De facto 
handelt es sich bei den Soldaten der Übergangsregierung um die 
Angehörigen verschiedener Milizen, die sich bis heute auch gelegentlich 
untereinander bekämpfen und ihren Unterhalt u.a. durch Plünderungen und 
die "Zuteilung" internationaler Hilfslieferungen verdienen. Als 
Zwischenlösung wird gegenwärtig in Mogadischu von der Europäischen Union 
der Bau eines "Reintegrationslagers" ("Al Jazeera Camp") finanziert, in 
dem die von EU und Bundeswehr ausgebildeten Rekruten zunächst der AMISOM 
unterstellt werden sollen, da die Truppen der Übergangsregierung 
zunächst noch eine Befehlskette "etablieren" müssten. Es ist davon 
auszugehen: Sie werden mitsamt ihren Waffen verschwinden oder 
überlaufen, auf jeden Fall aber zu einer Eskalation beitragen.


Terrorbekämpfung im Jemen

Auch im Jemen an der gegenüberliegenden Küste des Golf von Aden 
unterstützt die internationale Gemeinschaft eine hochgradig korrupte 
Regierung auf Kosten der Bevölkerung. Der Jemen lebt fast ausschließlich 
von Erdöl- und Erdgasreserven, die bald versiegen werden. Die Regierung 
hat kaum Versuche unternommen, andere Einkommensquellen zu erschließen 
und die Landwirtschaft nahezu zum Erliegen gebracht. Das von 
Nahrungsmittelimporten abhängige Land wurde nicht nur von der globalen 
Teuerung von Nahrungsmitteln 2008 stark betroffen, sondern auch von den 
sinkenden Preisen für Öl und Gas im Zuge der anschließenden 
Weltwirtschaftskrise. Die Lage der Bevölkerung hat sich massiv 
verschlechtert, was wiederum zwei sehr unterschiedlichen Aufständen -- 
der Houthi-Rebellion im Norden und der tw. sezessionistische 
"Süd-Bewegung" -- neuen Auftrieb gab. Die "internationale Gemeinschaft", 
die eigens eine Gruppe "Freunde des Jemens" einrichtete, um ihre 
Unterstützung für die Regierung zu organisieren, interessiert sich 
jedoch nahezu ausschließlich für die angebliche Gefahr, die von der 
Al-Kaida-Gruppe auf der arabischen Halbinsel ausgeht.[25] "Damit 
verschärft sie die Tendenz der jemenitischen Regierung, Menschenrechte 
Sicherheitsinteressen unterzuordnen", kritisierte Amnesty International 
in einem Bericht vom August 2010: Viele der unter dem Applaus der 
internationalen Gemeinschaft eingeführten Anti-Terror-Maßnahmen würden 
sich in Wirklichkeit gegen die Zivilbevölkerung und die Aufstände 
richten.[26]

Die USA haben unmittelbar nach dem gescheiterten Anschlag auf einem Flug 
nach Detroit Ende 2009 die Rüstungsfirma Northrop Grumman beauftragt, 
für 550 Mio. US$ saudische Spezialeinheiten auszubilden und für 
Anti-Terrormaßnahmen u.a. im Jemen auszurüsten. Deutschland hingegen 
leistet der jemenitischen Küstenwache militärische Amtshilfe, da sie 
sich hiervon eine "Verbesserung der maritimen Sicherheit im Golf von 
Aden" erhofft.[27] Tatsächlich werden die von der jemenitischen 
Küstenwache festgenommenen mutmaßlichen Piraten im Jemen aber regelmäßig 
zum Tode verurteilt. Zudem hat die Zeitschrift Foreign Policy im 
November 2010 aufgedeckt, dass der Jemen Schiffe und Soldaten seiner 
Küstenwache für je 55.000 US$ an Reedereien vermietet, um sichere 
Schiffspassagen zu garantieren: frische Einkünfte für den Krieg gegen 
den Terror.[28]


Mehr Geiseln als je zuvor

Massiv angestiegen war die Piraterie am Horn von Afrika erst im zweiten 
Halbjahr 2008. Die Zahl der gemeldeten Vorfälle stieg von 10 im Jahr 
2006 und 13 im Jahr 2007 im ersten Halbjahr 2008 auf 19 und dann 
sprunghaft auf 73 im zweiten Halbjahr 2008 bzw. 100 im ersten Halbjahr 
2009. Vor allem nahm im Jahr 2008 der Einsatz von Schusswaffen und 
Raketenwerfern durch die Piraten massiv zu und damit auch die Anzahl der 
getöteten und verwundeten Seeleute.[29] Einige der Waffen stammen von 
der MV Faina, die im September 2008 Panzer, Flaks und containerweise 
Kleinwaffen mit Unterstützung der USA über Kenia an den Südsudan liefern 
sollte, vor der Küste Somalias jedoch gekapert wurde. Die Kleinwaffen 
schafften die Piraten von Bord, die Panzer wurden später in Mombasa 
entladen.[30] Im Januar 2011 meldete das International Maritime Bureau, 
dass 2010 mehr Seeleute von Piraten als Geiseln genommen wurden, als je 
zuvor.


Weiter so?

Die militärische Pirateriebekämpfung ist also erfolglos. Auch eine 
Studie des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der 
Universität Hamburg mit dem bezeichnenden Titel "Somalia und Piraterie: 
keine Lösung in Sicht, weder zu Wasser noch zu Land" stellt fest, dass 
sie v.a. zur Professionalisierung der Piraten und einer Ausdehnung ihres 
Operationsgebietes geführt hat.[31] Dennoch ist mit der Fortsetzung des 
ATALANTA-Einsatzes zu rechnen. Erstens liefert dieser wichtige 
Erfahrungen für den Kampf gegen illegale Migration und andere 
asymmetrische Konfliktkonstellationen, bei denen sich die militärische 
Aufklärung auf einzelne Individuen fokussiert. Dies gilt auch für die 
Terrorbekämpfung, welche schleichend Teil des ATALANTA-Einsatzes wird, 
da auch terroristische Gruppen in Jemen oder Somalia die maritime 
Sicherheit am Golf von Aden bedrohen könnten. Zuletzt ist fraglich, ob 
EU und NATO ihre militärische Präsenz an diesem Nadelöhr des Welthandels 
unter geopolitischen Gesichtspunkten überhaupt noch drastisch reduzieren 
können oder wollen, nachdem auch konkurrierende Mächte wie China und 
Indien unter dem Vorwand der Pirateriebekämpfung ihre Seestreitkräfte 
dort stationiert haben.

Auch für Jemen und Somalia sieht die Zukunft düster aus: Das 
internationale Engagement läuft auf eine weitere Militarisierung beider 
Staaten und der gesamten Region hinaus. Es fördert Regierungsformen, die 
auf militärisch gestützter Repression einschließlich gezielter Tötungen 
basieren und ihrerseits geeignet sind, Aufstände und Terrorismus zu 
fördern und die Konflikte zu internationalisieren. Viel mehr noch als 
Saudi-Arabien ein Interesse an einem schwachen, aber repressiven Jemen 
hat, ist für Äthiopien ein starkes und stabiles Somalia ein Alptraum. 
Dieses würde zweifelsfrei Territorialansprüche gegenüber Äthiopien 
geltend machen. Dass gerade Saudi-Arabien und Äthiopien von USA und EU 
als Stellvertreter bei ihren Stabilisierungsversuchen am Golf von Aden 
genutzt werden, lässt Schlimmes erahnen.


Anmerkungen:

[1] Amnesty International, Evangelischer Entwicklungsdienst, 
Gesellschaft für bedrohte Völker, Save the Children Deutschland, World 
Vision: "Somalia: Deutsches Engagement für eine politische Lösung 
notwendig", gemeinsames Positionspapier vom November 2010.
[2] Ebd.

[3] Ebd.

[4] IRIN: Somalia - Accusations traded over rising casualties at 
Mogadishu market, Meldung vom 2.12.2010: 
http://www.irinnews.org/Report.aspx?ReportID=91267

[5] Human Rights Watch: Harsh War, Harsh Peace - Abuses by al-Shabaab, 
the Transitional Federal Government, and AMISOM in Somalia, Bericht vom 
19.4.2010: http://www.hrw.org/en/reports/2010/04/19/harsh-war-harsh-peace

[6] Amnesty International: Somalia - Allegations of AU force firing on 
civilians need investigating, Meldung vom 5.2.2009: 
http://www.unhcr.org/refworld/docid/498fe0671e.html

[7] Bundestags-Drucksache 17/3784: 
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/037/1703784.pdf

[8] Ebd.

[9] Human Rights Watch: Development without Freedom - How Aid 
Underwrites Repression in Ethiopia, Bericht vom 19.10.2010: 
http://www.hrw.org/node/93605

[10] Afrika-Politik - Wirtschaftliche Interessen haben Vorrang, Beitrag 
in der Sendung FAKT im ARD vom 13.9.2010, Manuskript unter: 
http://www.mdr.de/DL/7667541.PDF

[11] Bundestags-Drucksache 17/3784.

[12] German-foreign-policy.com: Diktatorenhilfe, Meldung vom 4.10.2010.

[13] Bundestags-Drucksache 17/3784.

[14] Rat der Europäischen Union: EU Security and Defence news, Ausgabe 
#25 vom 8.10.2010: 
http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/en/esdp/116985.pdf 


[15] Dominic Johnson: An der somalischen Bürgerkriegsfront, Beitrag in 
der tageszeitung vom 13.8.2010: 
http://www.taz.de/1/politik/afrika/artikel/1/polizisten-wieder-aufgetaucht

[16] Bundestags-Drucksache 17/3565: 
dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/035/1703565.pdf

[17] Marc Engelhardt: Fit für den Krieg mit deutschem Geld, Beitrag in 
der tageszeitung vom 25.11.2010: 
http://www.taz.de/1/politik/afrika/artikel/1/fit-fuer-den-krieg-mit-deutschem-geld 


[18] Report of the Monitoring Group on Somalia pursuant to Security 
Council resolution 1853 vom 26.2.2010: 
http://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2010/91

[19] Rat der Europäischen Union: EU Security and Defence news, Ausgabe 
#26 vom 15.10.2010: 
http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/en/esdp/117103.pdf 


[20] Bundestags-Drucksache 17/3784: 
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/037/1703784.pdf

[21] Ebd.

[22] Ein sehr entlarvendes Video hierzu, das von der EU selbst stammt, 
findet sich unter folgender URL: 
http://www.youtube.com/user/eusecurityanddefence#p/a/u/0/wxVsHsuxWXs

[23] Bundestags-Drucksache 17/2615: 
(http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/026/1702615.pdf

[24] UN-Generalversammlung: Children and armed conflict, Bericht des 
Generalsekretärs vom 13.4.2010.

[25] Christoph Marischka: Al-Kaida in Ostafrika - Wie internationales 
"Krisenmanagement" einen Mythos Realität werden lässt, in: AUSDRUCK (das 
IMI-Magazin) Oktober 2010: 
http://www.imi-online.de/download/CM-AUSDRUCK-10-2010.pdf

[26] Amnesty International: Yemen -- Cracking down under pressure, 
Bericht vom 31.10.2010: 
http://www.amnesty.org/en/library/info/MDE31/010/2010/en

[27] Bundestags-Drucksache 17/2060.

[28] Ellen Knickmeyer: The Privateers of Yemen, Meldung vom 17.11.2010 
auf www.foreignpolicy.com

[29] Christoph Marischka: Schuss vor den Bug oder Schlag ins Wasser? 
Eskalation am Golf von Aden, in: AUSDRUCK August 2009: 
http://imi-online.de/download/CM-Piraterie-4-09.pdf

[30] ARD: Das Geheimnis des Waffenschiffes Faina, Radiofeature von 
Rainer Kahrs, Manuskript unter der URL: 
web.ard.de/media/pdf/radio/radiofeature/waffenschiff_faina.pdf

[31] Kerstin Petretto: Somalia und Piraterie - keine Lösung in Sicht, 
weder zu Wasser noch zu Land, Hamburger Informationen zur 
Friedensforschung und Sicherheitspolitik Ausgabe 49/2010.

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