[IMI-List] [0336] Bericht des IMI-Kongresses

IMI imi at imi-online.de
Do Nov 11 16:55:58 CET 2010


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0336 .......... 14. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jonna Schürkes / Jürgen Wagner
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Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich

der Bericht vom IMI-Kongress vergangenes Wochenende:


IMI-Mitteilung
EUropas Staatsbildungskriege: Zerschlagen – Umbauen – Dirigieren
Bericht vom 13. Kongress der Informationsstelle Militarisierung
http://www.imi-online.de/2010.php?id=2201
11.11.2010, IMI

Am 6./7. November 2010 veranstaltete die Informationsstelle 
Militarisierung (IMI) zum mittlerweile dreizehnten Mal ihren 
alljährlichen Kongress. Insgesamt trugen über 100 Menschen zum guten 
Besuch und dem Gelingen der Tagung bei, die sich mit dem Thema "EUropas 
Staatsbildungskriege: Zerschlagen – Umbauen – Dirigieren" beschäftigte.

Auf dem Kongress wurde einerseits herausgearbeitet, dass sich die 
Europäische Union mit dem in Kraft treten des Vertrags von Lissabon noch 
einmal grundsätzlich verändert hat und zur Durchsetzung ihrer Interessen 
immer aggressiver vorgeht. Andererseits wurde sich intensiv damit 
beschäftigt, welche Strategien dabei zur Anwendung kommen. Vor allem die 
Praxis des „Staatenbaus“ und der „Staatenzerschlagung“ gewinnt dabei 
immer weiter an Bedeutung. Richtschnur hierfür ist nicht das 
Völkerrecht, sondern die jeweilige Interessenslage, wie anhand 
verschiedener Beispiele gezeigt wurde. Hierfür hat sich die Europäische 
Union mittlerweile ein breites Instrumentarium zugelegt. Die besondere 
"Qualität" der EU-Politik, so eines der wichtigsten Fazits des 
Kongresses, liegt in der Kombination "sanfter" und "harter" Machtmittel 
und ihrer systematischen Bündelung und Verzahnung im neuen Europäischen 
Auswärtigen Dienst (EAD).

Zur Eröffnung argumentierte Tobias Pflüger, dass sich die Europäische 
Union mit dem Vertrag von Lissabon fundamental verändert habe. Das 
Ausmaß der hiermit einhergehenden Militarisierung erfordere eine 
grundlegende Neubewertung des Verhältnisses zur Europäischen Union. 
Hierfür formulierte er Eckpunkte einer linken EU-Kritik, die es weiter 
zu entwickeln gelte und die vor allem darauf abzielen müsste, der 
weiterhin weit verbreiteten Europhilie den Boden zu entziehen.

Zu dieser positiven Sichtweise auf die Union trage auch die Rhetorik der 
Eliten maßgeblich bei. Zwar würde mittlerweile ganz offen gefordert, die 
EU müsse eine Weltmacht werden und eingeräumt, sie sei "eine Art 
Imperium" (Kommissionschef José Manuel Barroso). Allerdings werde dabei 
stets betont, sie sei ein „gütiges Imperium“ (Wirtschaftskommissar Olli 
Rehn). Zum Mythos der "gütigen EU" trage auch die gebetsmühlenartige 
Berufung auf das Völkerrecht bei. Tatsächlich sei aber das Verhältnis 
zum Völkerrecht rein instrumentell, man berufe sich darauf, wenn es den 
Interesse diene, ignoriere es, wenn dem nicht der Fall sei: "Das 
Völkerrecht ist verbal wichtig, praktisch nichtig", so Pflüger. Als 
Beleg zitierte Pflüger den Autor der Europäischen Sicherheitsstrategie 
Robert Cooper, der einen "liberalen Imperialismus" und eine Politik der 
"doppelten Standards" propagiere, deren Kernelement in von Cooper 
folgendermaßen beschrieben worden sei: "Unter uns halten wir uns an das 
Gesetz, aber wenn wir im Dschungel operieren, müssen wir ebenfalls das 
Gesetz des Dschungels anwenden."

Es werde immer deutlicher, dass die Europäische Union bei der 
Durchsetzung ihrer Interessen immer aggressiver vorgehe. Die 
Zerschlagung widerspenstiger und die Stützung befreundeter Staaten rücke 
dabei immer weiter ins Zentrum der EU-Planungen. Hierfür würden alle zur 
Verfügung stehenden Machtmittel eingesetzt, "sanfte" ebenso wie "harte", 
die nun im Europäischen Auswärtigen Dienst zusammengefasst würden. Um 
die Grundidee dieser Bündelung von Instrumenten zu verdeutlichen, 
zitierte Pflüger aus einer Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei 
der Münchner Sicherheitskonferenz: „Die zentrale außenpolitische 
Zielsetzung lautet, Politik und Handeln anderer Nationen so zu 
beeinflussen, dass damit den Interessen und Werten der eigenen Nation 
gedient ist. Die zur Verfügung stehenden Mittel reichen von freundlichen 
Worten bis zu Marschflugkörpern.“ Denselben „integrierten Ansatz“ habe 
jüngst auch der Europäische Rat in seinen Schlussfolgerungen vom 
16.09.2010 propagiert, nämlich „dass alle einschlägigen Instrumente und 
Politiken der EU und der Mitgliedstaaten vollständig und auf kohärente 
Weise im Dienste der strategischen Interessen der Europäischen Union 
eingesetzt werden."

Im ersten Beitrag zu den „sanften“ Machtmitteln der Europäischen Union 
gab Malte Lühmann einen Überblick über die neoliberale 
Außenwirtschaftspolitik und die ihr zugrunde liegenden Interessen und 
Strategien. Er machte deutlich, dass die EU als größter Wirtschaftsraum, 
Handelsblock und Investor der Welt über ein enormes strukturelles 
Machtpotential verfügt, um ihre geoökonomischen Interessen 
durchzusetzen. Die aktive Nutzung dieser Potentiale im Sinne eines 
„Global Player“-EU habe seit den 70er/80er Jahren stetig an Bedeutung 
gewonnen, was im Zusammenhang mit Machtverschiebungen innerhalb der 
herrschenden Eliten zu sehen sei. Diese Neuausrichtung manifestiere sich 
in der Lissabon-Strategie (2000) und insbesondere der 
Global-Europe-Strategie (2006), die interne und externe 
Wettbewerbsfähigkeit zum ultimativen Ziel der EU-Politik proklamierten. 
In der Folge versuche die EU ihre Agenda der Liberalisierung und 
Privatisierung im Interesse europäischer Konzerne überall auf der Welt 
durchzusetzen. Am Beispiel der im Jahr 2000 gestarteten 
EPA-Verhandlungen mit 79 Staaten des Südens in Afrika, der Karibik- und 
Pazifikregion machte Lühmann auf die desaströsen Auswirkungen dieser 
Politik aufmerksam. Gleichzeitig würden anhand der schwierigen und noch 
immer nicht abgeschlossenen Verhandlungen aber auch die Grenzen der 
sanften Machtpolitik deutlich, die in naher Zukunft möglicherweise, so 
Lühmanns Sorge, durch die beispiellose Verschmelzung von Handels- 
Entwicklungs- und Sicherheitspolitik im Rahmen des Europäischen 
Auswärtigen Dienstes (EAD) überwunden würden.

Mittels der Beitritts- und Nachbarschaftspolitik, so Jürgen Wager im 
anschließenden Beitrag, werde derzeit ein "Empire Europa", ein 
hierarchisch strukturierter Großraum geschaffen. Die Öffnung für 
westeuropäische Kapitalinvestitionen und Waren über sog. "Aktionspläne" 
sei die Vorbedingung für die EU-Osterweiterung 2004 gewesen, was einem 
Ausverkauf gleichgekommen sei. Gleichzeitig seien die Ausgleichzahlungen 
nahezu auf null reduziert und die Stimmgewichte innerhalb der EU massiv 
zugunsten der Großmächte verschoben worden.

Nicht einmal mehr eine Beitrittperspektive sei für die 16 Länder 
vorgesehen, die an der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) 
teilnehmen. Es handele sich deshalb um eine "Expansion ohne 
Erweiterung", mit dem Ziel, eine umfassende Freihandelszone und damit 
einen großeuropäischen Wirtschaftsraum zu schaffen. Auch die nächste 
Expansionshase werde derzeit schon ausgeplant, etwa von Mark Leonard, 
dem Direktor des "European Council on Foreign Relations", der 
beabsichtige, den EU-Großraum, von ihm als "Eurosphere" bezeichnet, auf 
80 Staaten, u.a. auf ganz Afrika und den Mittleren Osten auszudehnen. So 
nähmen mittlerweile die Konturen des "Imperium Europa" Gestalt an. "Im 
Kern befinden sich die EU-Großmächte, darum gruppieren sich die alten 
Mitgliedsländer (EU-15) und darum herum die politisch und wirtschaftlich 
peripher angebunden Staaten der EU-Osterweiterung. Den äußeren Ring 
bilden die ENP-Staaten und schließlich die Mitglieder der 'Eurosphere', 
jener Großraum, in dem sich die Europäische Union immer offensiver als 
imperiale Ordnungsmacht gebärdet und auch bereit ist, militärische 
Gewalt zur Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen und strategischen 
Interessen anzuwenden", so Wagners Fazit.

Wie die Europäische Union ihre "sanften" Machtmittel zur Durchsetzung 
ihrer Interessen einsetzt, veranschaulichte Martin Hantke darauf hin 
anhand zweier konkreter Finanzinstrumente. "Das eine, das 'Instrument 
für Demokratie und Menschenrechte', dient der Zerschlagung von Staaten, 
das 'Instrument für Stabilität' wiederum dem Aufbau und der Stützung 
befreundeter Regime", so Hantke. Frappierend sei am 
Menschenrechtsinstrument vor allem die räumliche Verteilung der 
Programme. Während beispielsweise viele Maßnahmen in linken Staaten 
Lateinamerikas finanziert würden, würden zahlreiche Länder mit 
verheerender Menschenrechtsbilanz, die aber mit der Europäischen Union 
verbündet seien, systematisch ausgespart. Durch die Finanzierung von 
Oppositionsbewegungen würde über das Menschenrechtsinstrument der 
Nährboden für "bunte Revolutionen" bereitet, Umstürze, in denen 
pro-westliche Machthaber mit massiver Unterstützung aus Brüssel (und 
Washington) an die Macht kämen und anschließend einen Kurswechsel in der 
Politik ihres Landes einleiten würden.

Ganz entgegengesetzt hierzu funktioniere das Stabilitätsinstrument. Mit 
ihm würden v.a. Maßnahmen zum Aufbau von Armeen und Polizeien und 
generell die Stützung "befreundeter" Regime finanziert. Beispielhaft 
nannte Hantke ein Terrorabwehrzentrum der Afrikanischen Union in 
Algerien, einem Staat, in dem verheerende Menschenrechtsverletzungen 
begangen würden. "Welches Instrument zur Anwendung kommt, richtet sich 
nicht danach, ob ein Land die Menschenrechte achtet oder nicht, sondern, 
ob es nach der Pfeife der Europäischen Union tanzt", so Hantkes Fazit.

Den "harten" Machtmitteln widmete sich das zweite Panel des Kongresses 
unter dem Titel „Und bist du nicht willig... EUropas militärischer 
Kontrollapparat"

Arno Neuber verwies zu Beginn seines Vortrages darauf, dass es sich bei 
der "Militärpolitik um den sich am schnellsten entwickelnden 
Politikbereich innerhalb der Europäischen Union handelt." Obwohl die EU 
militärisch eine weitgehende Autonomie anstrebe, spiele die Kooperation 
mit der NATO in vielen Breichen eine zentrale Rolle und werde derzeit 
massiv ausgebaut: "Die Zusammenarbeit zwischen EU und NATO gestaltet 
sich derzeit enger als dies in der Vergangenheit der Fall war, weil USA, 
EU und NATO einen Macht- und Bedeutungsverlust des Westens konstatieren 
müssen. Das zwingt sie dazu, Konkurrenzen zurück und Kooperationen in 
den Vordergrund zu stellen."

Als Beispiel nannte Neuber die Schnelle EU-Eingreiftruppe, die 60.000 
Soldaten umfasse, innerhalb 60 Tagen einsatzbereit und für ein Jahr 
durchhalte fähig sein solle. Diese Truppe, die bei Bedarf 
zusammengestellt werde, solle nicht nur für EU Einsätze verfügbar sein, 
sondern im Bedarfsfall auch mit NATO-Eisätzen gekoppelt werden können. 
Wie weit die Ziele und Ambitionen der EU reichen, sei im Dezember 2008 
deutlich geworden. Damals habe der Europäische Rat ein neues 
Anspruchsniveau formuliert: in Zukunft wolle sie in der Lage sein, bis 
zu 19 Missionen parallel zu entsenden.

Außerdem würden Mitgliedsstaaten der EU gemeinsam weitere militärische 
Fähigkeiten aufbauen. Dazu gehöre das EUROCorp, das aus 60.000 Soldaten 
bestehe und in dem Deutschland und Frankreich die Hauptrolle spielen 
würden. Ferner sei hier die deutsch-französische Brigade zu nennen, die 
ständig präsent sei und die sowohl unter NATO- als auch EU-Kommando 
eingesetzt werden könne. Schließlich führte Neuber noch die European 
Gendarmerie Force auf, an der sich alle EU-Mitgliedsstaaten mit 
paramilitärischen Truppen beteiligt würden. Auch sie könne sowohl im 
Rahmen von EU als auch von NATO-Missionen, im Inland und im Ausland 
sowie unter zivilem und militärischem Kommando eingesetzt werden. "Dies 
ist die Truppe für jeden Fall und für jeden Bedarf", so Neuber.

Jonna Schürkes beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit den 
Sicherheitssektorreformen (SSR), die die EU als geeignetes Instrument 
zur Durchsetzung ihrer Interessen vor allem in Ländern des globalen 
Südens entdeckt habe. Von den 24 Missionen, die die EU seit 2003 
entsandte, würde ein Großteil Elemente zur Reform des Sicherheitssektors 
enthalten. Diese Reformen beschränkten sich im Allgemeinen darauf, 
Soldaten und Polizisten auszubilden und auszurüsten sowie Militär- bzw. 
Polizeiberater in die jeweiligen Länder zu entsenden. Ziel dieser 
Missionen sei es, die Kontrolle der EU über diese Sicherheitskräfte zu 
erhöhen und Regime zu unterstützen, die ihre Bevölkerung im Sinne des 
Westens kontrollieren. Befreundeten Staaten baue die EU somit 
Repressionsorgane auf, wobei es gleichgültig sei, ob es sich dabei um 
demokratische oder autoritäre Regime handele.

Die zunehmende Bedeutung von SSR sei einerseits mit einer veränderten 
Bedrohungswahrnehmung zu erklären, da inzwischen nicht mehr Staaten, 
sondern vielmehr einzelne Bevölkerungsgruppen wie Terroristen, 
Kriminelle, Migranten etc. zur Bedrohung des Westens erklärt worden 
seien. Zum anderen hätten die massiven Probleme bei groß angelegten 
„Stabilisierungseinsätzen“, wie beispielsweise Afghanistan dazu 
beigetragen, dass man nach neuen – schlankeren – 
Interventionsmöglichkeiten suche, die mit weniger eigenen Opfern und 
geringeren Kosten verbunden seien.

Die EU sehe sich selbst als einen Akteur, der besonders erfolgreich SSR 
durchführen könne. Hier zitierte Schürkes eine Mitteilung der Kommission 
an den Rat und das Parlament zur SSR, in dem dies begründet werde: zum 
einen habe die EU weit reichende Erfahrungen mit SSR im Zuge der eigenen 
Erweiterung. Des Weiteren sei sie aufgrund der kolonialen Vergangenheit 
ihrer Mitgliedsstaaten seit langer Zeit und in vielen Ländern der Welt 
präsent und verfüge über gute Kontakte zu den Sicherheitskräften dieser 
ehemaligen Kolonien. Und schließlich verfüge die EU über eine breite 
Palette von zivilen und militärischen Instrumenten, die im Rahmen von 
SSR-Missionen unter einem meist militärischen Kommando eingesetzt werden 
könnten.

"’Robuste’ Bevölkerungskontrolle – Repressionsinstrumente vom 
Drohneneinsatz bis zur gezielten Tötung" war der Titel des Vortrags von 
Claudia Haydt. Sie beschrieb, wie von der EU unliebsame Einzelpersonen 
und Gruppen ausgeschaltet würden. Auf Grundlage eines vollkommen 
entgrenzten Terrorismusbegriffs würden von der EU so genannte 
„Terrorlisten“ erstellt. „Wer auf dieser Terrorliste steht, über den 
wurde zwar nicht eine faktische Todesstrafe, aber zumindest eine ‚zivile 
Todesstrafe’ verhängt, weil diese Person in fast allen Bereichen des 
zivilen Lebens handlungsunfähig wird“, fasste Haydt die Folgen dieser 
Liste zusammen. Trotz der weit reichenden Auswirkungen für die Personen 
auf dieser Liste sei ihre Erstellung in keinster Weise rechtsstaatlich 
nachvollziehbar. Anhand der Bombardierung der Tanklaster bei Kunduz im 
September 2009 sehe man die schwer wiegenden Folgen solcher Listen. 
Diejenigen, die den Tanklaster entführten hätten, hätten auf der so 
genannten JPEL (Joint Priority Effects List) – einer Art Todesliste – 
der NATO gestanden. Personen, die auf diesen Listen stehen, seien zum 
Abschuss freigegeben. Der Abschuss dieser Einzelpersonen werde zunehmend 
von Drohnen ausgeführt, dabei handele es sich um außergerichtliche 
Tötungen auch außerhalb des Kriegsgebietes, wie beispielsweise in 
Pakistan. Diese Form der Kriegsführung habe in den letzten Jahren 
deutlich zugenommen. Bisher setzte vor allem die USA Drohnen zur Tötung 
unliebsamer Personen ein, bei denen häufig auch vollkommen unbeteiligte 
Menschen getötet würden. Europäische Mitgliedsstaaten würden ebenfalls 
Elemente dieser Form der Kriegsführung entwickeln. Die Europäische 
Rüstungsagentur habe von Anfang an die Entwicklung von unbemannten 
Drohnen als ihr Flaggschiff erklärt und in diesem Bereich umfangreiche 
Forschungs- und Sponsoringprogramme aufgelegt.

Der Abendvortrag von Martin Hantke beschäftigte sich mit dem 
Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD), der am 1. Dezember 2010 seine 
Arbeit aufnehmen wird. Nicht zu Unrecht würde der Dienst von 
Befürwortern wie Ulrike Guérot vom "European Council on Foreign 
Relations" als "Kronjuwel des Vertrags von Lissabon" bezeichnet, denn er 
werde die Politik der Europäischen Union ganz grundsätzlich verändern. 
"Vergleicht man es mit Deutschland, entsteht hier ein Superministerium, 
das die Kompetenzen des Außen- und Verteidigungsministerium in sich 
vereint. Dazu kommen noch die wesentlichen Abteilungen des 
Entwicklungsministeriums und Teile des Wirtschaftsministeriums."

Ziel sei es, die "Schlagkraft" der Europäischen Union über die Bündelung 
sämtlicher Machtkapazitäten zu erhöhen, so Hantke. Besonders 
problematisch sei die Integration nahezu sämtlicher militärischer und 
zivil-militärischer EU-Strukturen in den EAD: "Vor diesem Hintergrund 
müsste man richtigerweise von einem Militärisch Auswärtigen Dienst 
sprechen", so Hantke. "Militärs werden künftig mit am Tisch sitzen, wenn 
es um Fragen ziviler Konfliktbearbeitung oder die Vergabe von 
Entwicklungshilfe geht: zivile Außenpolitik wird zugunsten einer 
imperialen Machtpolitik aus einem Guss systematisch vor den Karren 
militärlogischer Erwägungen gespannt", so die Kritik. Dies wiege umso 
schwerer, da die wesentlichen Posten innerhalb des EAD nahezu 
ausschließlich von den EU-Großmächten besetzt würden und das neue 
Superministerium weder vom Europäischen Parlament noch den 
nationalstaatlichen Parlamenten kontrolliert werden könne: "Was hier 
stattfindet ist die Entfesselung sämtlicher EU-Machtpotenziale bar 
jeglicher demokratischer Kontrolle", so das Fazit.

Der zweite Kongresstages beschäftigte sich vor allem mit konkreten 
Länderbeispielen zu den doppelten Standards der EU-Politik. Den Auftakt 
machte Jürgen Wagners Beitrag zum Gutachten des Internationalen 
Gerichtshofs (IGH) über die Unabhängigkeit des Kosovo, das im Juli 2010 
veröffentlicht wurde. Tatsächlich komme das Gutachten zu dem Ergebnis, 
die Unabhängigkeitserklärung des kosovarischen Parlaments habe nicht 
gegen das Völkerrecht verstoßen. Die hieraus von Politik und Medien 
abgeleitete Schlussfolgerung, dass hierdurch auch die Anerkennung des 
Kosovo durch den Großteil der westlichen Staaten rechtens gewesen und 
damit ein neuer Staat auf der Landkarte entstanden sei, sei jedoch 
unzulässig. Als Beleg hierfür zitierte Wagner aus dem Gutachten: "Die 
Frage der Generalversammlung ist eindeutig formuliert. […] Sie fragt 
nicht nach den rechtlichen Konsequenzen dieser Erklärung. Insbesondere 
fragt sie nicht danach, ob der Kosovo damit zum Staat geworden ist. Noch 
fragt sie nach Gültigkeit und Folgen der Anerkennung durch jene Staaten, 
die den Kosovo anerkannt haben."

Obwohl also das Gurtachten fälschlicherweise als Persilschein für die 
Zerschlagungs- und Anerkennungspolitik des Westens auf dem Balkan 
gewertet wurde, wurde gleichzeitig von der Europäischen Union betont, 
daraus leite sich keinesfalls das Recht ab, in ähnlich gelagerten Fällen 
ebenfalls auf eine Sezession zu drängen. "Der Umgang mit dem Gutachten 
ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich Politik und Medien die 
Realitäten, in diesem Fall Völkerrecht und IGH-Gutachten, nach Gutdünken 
im Sinne ihrer eigenen Prämissen zurechtinterpretieren – was nicht 
passt, wird eben passend gemacht", so Wagner.

Claudia Haydt führte anhand des Themas "Pulverfass Kaukasus" aus, wie 
die Europäische Union einerseits versucht, ihre Einflusssphäre auf 
Kosten Russlands weiter auszudehnen und andererseits, wie instrumentell 
die Frage der Anerkennung sezessionistischer Regionen gehandhabt wird. 
Seit Jahren versuche die Europäische Union sowohl über zahlreiche 
Programme wie INOGATE oder TRACECA, aber auch über verschiedene zivile 
EU- und OSZE-Missionen in der öl- und gasreichen kaspischen Region 
stärker Fuß zu fassen.

Das Ringen um Einfluss habe dabei im Sommer 2008 einen gefährlichen 
Höhepunkt erreicht, nachdem Georgien – vom Westen militärisch 
aufgerüstet und politisch unterstützt - die abtrünnige Region 
Süd-Ossetien angriff. Russland reagierte hierauf mit dem Einmarsch und 
der anschließenden Anerkennung Süd-Ossetiens (und Abchasiens). "Die kurz 
zuvor erfolgte westliche Anerkennung der Unabhängigkeitserklärung des 
Kosovo hat die Büchse der Pandora geöffnet. Aus Moskaus Sicht handelte 
es sich hierbei um einen Präzedenzfall, weshalb es argumentierte, wer 
den Kosovo anerkenne, könne Süd-Ossetien und Abchasien die 
Unabhängigkeit nicht verweigern." Dennoch weigerten sich sowohl die USA 
als auch die Europäische Union strikt Süd-Ossetien und Abchasien 
anzuerkennen, würden aber gleichzeitig eisern daran festhalten, dass die 
Abspaltung des Kosovo "rechtens" gewesen sei. "Hier treten die doppelten 
Standards offen zu Tage. Aus westlicher Sicht sind Sezessionen dann 
legal, wenn es sich um pro-westliche Regionen handelt und illegal, wenn 
dies nicht der Fall ist. Das Völkerrecht wird dabei durch bloße Willkür 
ersetzt", so Haydt.

Im Hintergrund der Auseinandersetzungen stünden geostrategische 
Interessen, insbesondere die Verlegung von Pipelinerouten. Dies sei umso 
Besorgnis erregender, da es in der kaspischen Region zahlreiche weitere 
Konflikte gäbe, die ähnlich gelagert seien, wie Georgien. "Hört das 
Ringen um Einfluss in der Region nicht auf, so droht das Pulverfass 
Kaukasus jederzeit wieder hochzugehen", so die Befürchtung.

Ausgehend vom DESERTEC-Projekt beschrieb Christoph Marischka, wie die 
vorherrschende Wirtschaftsweise Räume im nördlichen Afrika als 
„Hinterhof“ definiere und eine dauerhafte imperiale Politik in diesen 
notwendig mache. Technische Fortschritte im Bereich der erneuerbaren 
Energien hätten es in letzter Zeit möglich gemacht, die 
Energieversorgung zu dezentralisieren und damit auch die Kosten, Risiken 
– aber auch die Gewinne – stärker zu streuen. Desertec stelle hingegen 
den Versuch deutscher Kapital- und Energieunternehmen dar, diese Gewinne 
zu „remonopolisieren“. Fünfzehn Prozent des europäischen 
Energieverbrauches sollten demnach bis 2050 aus Solar- und 
Windkraftwerken in Nordafrika importiert werden. Diese hätten Ausmaße, 
dass von ihnen erhebliche Einschränkungen und Gefahren für die dortige 
Bevölkerung ausgingen. Vor allem aber würden damit massive 
Abhängigkeiten geschaffen, die wiederum eine Militarisierung der 
Europäischen Union unausweichlich machen würden. Die Investitionen im 
dreistelligen Milliardenbereich müssten über Jahrzehnte geschützt werden 
und daher „auf Biegen und Brechen verhindert werden, dass in den 
einzelnen Staaten bestimmte gesellschaftliche Kräfte an die Macht 
kommen.“ In diesem Kontext sei auch etwa die Nato-Strategie zu sehen, 
die eine Unterbrechung der Energiezufuhr als Angriff werten wolle. 
Desertec sei für solche Abhängigkeiten jedoch nur ein besonders 
plakatives Beispiel. Die Europäische Kommission hätte im Juni in 
Zusammenarbeit mit der Industrie eine Liste 14 „neuer strategischer 
Rohstoffe“ vorgelegt, deren Versorgung in den nächsten Jahren kritisch 
werden könnte und hierzu „politische Maßnahmen zur Verbesserung des 
Zugangs zu Primärressourcen“ eingefordert.

Wie solche politischen Maßnahmen aussehen können, beschrieb Marischka 
anschließend zunächst an den Beispielen der Westsahara und des Sudans. 
So werde die Besetzung der Westsahara durch die EU geduldet und sogar 
inoffiziell unterstützt, weil Marokko die Ausbeutung der dortigen 
Fischgründe und Phosphatvorkommen (knapp 40% der weltweiten Reserven) 
ermögliche. Im Sudan hingegen würde die Abspaltung des ölreichen Südens 
mit dem Aufbau neuer Polizeikräfte und Infrastrukturprojekten 
vorbereitet und unumkehrbar gemacht. Gleichzeitig würde versucht, die 
Zentralregierung mit allen denkbaren Mitteln - vom Haftbefehl gegen 
Al-Bashir über Wahlbeobachtungsmissionen und einen Militäreinsatz im 
benachbarten Tschad - zu destabilisieren.

In Somalia unterstütze die EU hingegen eine „Übergangsregierung“, die 
als „theoretischer Zusammenschluss verschiedener Milizen“ de facto keine 
Kontrolle im Land habe, weil diese ihr im Gegenzug das Recht einräume, 
auf ihrem Territorium und in ihren Küstengewässern Piraten zu jagen. Die 
Unterstützung beinhalte v.a. die Ausbildung somalischer Soldaten in den 
Nachbarstaaten. Daher bediene sich Al-Shabaab, welche Somalia 
größtenteils kontrolliere, zunehmend terroristischer Mittel. Die 
Bekämpfung des Terrorismus nehme deshalb in der EU-Strategie gegenüber 
Ostafrika eine wachsende Rolle ein. Im Sahel drohe sie bereits jetzt die 
dominante Strategie zu werden. Als Hauptbedrohung werde von der EU die 
Präsenz der Al-Kaida im islamischen Maghreb (AQIM) definiert und 
entsprechend würden Spezialeinheiten und Trainingszentren für Polizei 
und Militär aufgebaut. Dabei sei unklar, inwieweit es sich bei der AQIM 
um ein Konstrukt handle. In einigen Fällen sei etwa der algerische 
Geheimdienst an Operationen beteiligt gewesen, die der AQIM 
zugeschrieben worden sei. Auch die mutmaßlichen Verbindungen zur 
Organisierten Kriminalität wirkten häufig konstruiert (als Beispiel 
wurde auf dieses Dokument verwiesen: 
http://s3.amazonaws.com/nytdocs/docs/60/60.pdf). Insgesamt drohe der 
ganzen Region eine „Terrorisierung“ von Aufständen und sozialen 
Bewegungen, so Marischka abschließend: „Einerseits indem diese mit 
Mitteln des Krieg gegen den Terror bekämpft werden, andererseits durch 
die Gefahr, dass zumindest Teile von ihnen sich gerade wegen dieser 
Maßnahmen gezwungen sehen, tatsächlich auf die Infrastrukturen und 
Rückzugsräume der AQIM zurückzugreifen“.

Im Abschlusspodium wurden einerseits die Ergebnisse des Kongresses 
zusammengefasst, andererseits wurde nach Antworten auf die Frage 
gesucht, was man dieser Politik der Europäischen Union entgegensetzen kann.

Andrés Schmidt vom Ökumenischen Büro in München zeigte am Beispiel 
Honduras, wie internationale Solidaritätsarbeit heute funktionieren 
könnte. Zur Erläuterung welche Gruppen in Honduras derzeit Unterstützung 
benötigen, erinnerte er an den Putsch gegen den demokratisch gewählten 
Präsidenten Manuel Zelaya im Juni 2009 durch das honduranische Militär. 
Dieser Putsch sei sowohl von den USA als auch von der EU und ihren 
Mitgliedsstatten einhellig verurteilt worden. Allerdings habe die EU zum 
Zeitpunkt des Putsches die Unterzeichnung eines so genannten 
Assoziierungsabkommens mit den zentralamerikanischen Ländern 
vorbereitet, weshalb sie sehr daran interessiert gewesen sei, in 
Honduras schnell eine Regierung zu haben, die ein solches Abkommen 
unterzeichnen könne. Der unter sehr undemokratischen Umständen Ende 2009 
zum Präsidenten gewählte Präsident Perfirio Lobo habe das Abkommen 
schließlich unterzeichnet, womit die Regierung von der EU als legitim 
anerkannt worden sei.

Seit dem Putsch bestehe eine breite und starke Oppositionsbewegung in 
Honduras, die die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung 
fordere. Allerdings sei über diese Oppositionsbewegung in den deutschen 
Medien kaum etwas zu erfahren. Die Solidaritätsarbeit bestehe darin, das 
Thema und die Anliegen der Bewegung hier bekannt zu machen. Zudem sei es 
ein probates Mittel der Solidaritätsarbeit, Menschen aus Europa in die 
Länder des Südens zu schicken, die dann Personen aus den Sozialen 
Bewegungen begleiten. Die Angst vor einer kritischen internationalen 
Öffentlichkeit sei in diesen Regimen meist so hoch, dass 
Menschenrechtsverletzungen zurückgehen würden. Des Weiteren bestehe die 
Internationale Solidaritätsarbeit auch darin, Gelder für die soziale 
Bewegung in Honduras zu sammeln. Man müsse der Politik des Staatenbaus 
und der Staatenzerschlagung somit nicht ohnmächtig zuschauen, so das 
Fazit von Schmidt.

Tobias Pflüger betonte zum Abschluss des Kongresses, dass es sich bei 
der Europäischen Union nach dem Lissabon-Vertrag um eine vollkommen 
andere Union handele als zuvor. Er konstatiert eine nach wie vor weit 
verbreitete Euphorie gegenüber dieser Europäischen Union und sah in dem 
Kongress einen Beitrag zur „Desillusionierung über den (neuen) Charakter 
der EU“. Er rief dazu auf, das, was man sich auf diesem Kongress 
erarbeitet habe, in die anderen sozialen Kämpfe zu tragen. Die 
antimilitaristischen Kämpfe müssten stärker mit den Kämpfen gegen 
Sozialabbau verbunden werden, schließlich sei „die neokoloniale, 
imperialistische Militärpolitik der EU“ und deren Wirtschaftspolitik 
„zwei Seiten einer Medaille“.

Die Informationsstelle Militarisierung bedankt sich bei allen, die zum 
guten Gelingen des Kongresses beigetragen haben!



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