[IMI-List] [0334] Analyse Pol&IS / Weitere Neue Texte

IMI imi at imi-online.de
Mo Okt 25 12:31:03 CEST 2010


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0334 .......... 14. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Jonna Schürkes / Jürgen Wagner
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List findet sich

1) Eine IMI-Analyse zum Simulationsspiel Pol&IS, mit dem die Bundeswehr 
an Schulen wirbt;

2) Links zu den neuesten Texten auf der IMI-Homepage.


Zuvor jedoch noch einmal der Hinweis auf den IMI-Kongress am 6./7. 
November. Am Freitagabend wird es in der Hausbar der Schellingstrasse 6 
(ab 19h) einen gemütlichen Auftakt mit Volxküche und Nachrichten zum 
Staatszerfall der fiktiven Inselrepublik „Sumeru“ geben. Hierzu laden 
wir alle - vor allem auch die, die von weit her bereits am Freitag 
anreisen - ein.

Alle Infos zum Kongress: http://www.imi-online.de/2010.php?id=2174



1) Politik und Internationale Sicherheit (Pol&IS)

IMI-Analyse 2010/037
Planspiel Pol&IS
Bundeswehrwerbung im Wolkenkuckucksheim – oder: wie Militär spielerisch 
unverzichtbar gemacht wird
http://www.imi-online.de/2010.php?id=2188
http://imi-online.de/download/IMI-Analye2010-37-POLISa.pdf
25.10.2010, Jürgen Wagner


Mitte Oktober 2010 ergab sich für eine Gruppe Friedensaktivisten 
erstmals die Möglichkeit, die Simulation „Politik und Internationale 
Sicherheit“ (Pol&IS) zu spielen, deren Regelwerk und Funktionsweise 
außerhalb einiger knapper Beschreibungen nicht öffentlich zugänglich 
sind. Da man deshalb bislang hauptsächlich auf Sekundärquellen 
angewiesen war, bot sich nun an drei Tagen im sauerländischen Winterberg 
eine Gelegenheit, sich ein genaueres Bild von der Simulation machen zu 
können, mit der die Bundeswehr ihre Sicht auf die Zusammenhänge von 
Wirtschaft, Politik und Sicherheit (der Begriff Krieg wird tunlichst 
vermieden) vor allem an Schüler der gymnasialen Oberstufe vermittelt.

Das wichtigste Fazit gleich vorweg: Das Spiel zielt keineswegs plump 
darauf ab, das Militär oder bewaffnete Eingriffe vorbehaltlos 
hochzujubeln.[1] Auf den ersten Blick spielt das Militär eine eher 
untergeordnete Rolle – und das ist auch gewollt; politische, ökonomische 
und ökologische Aspekte stehen im Vordergrund. Die Etablierung eines 
globalen Gleichgewichts, das letztlich zugunsten aller ist, wird als 
Ziel des Spiels ausgegeben. Um dies zu verwirklichen, werden die 
Teilnehmer von den Jugendoffizieren, die als Seminarleitung fungieren, 
zu allerlei Maßnahmen ermutigt, die sich beim besten Willen nicht 
kritisieren lassen – sie reichen von der Etablierung gerechterer 
Verteilungsmechanismen in der Weltwirtschaft bis hin zu ökologischen 
Umbaumaßnahmen und selbst Abrüstung wird (bis zu einem gewissen Grad 
versteht sich) gefördert: "Die Teilnehmer der Simulation sind gefordert 
ihren Weg zu beschreiten in eine Welt, die sie selber gestalten. - 
Create your own world."[2]

So entsteht fast der Eindruck, man sitze in einem Attac-Seminar und 
genau dies macht das Spiel so gefährlich, denn eben dies erschwert es 
schließlich erheblich, das Spiel pauschal in Bausch und Bogen zu 
verdammen. Doch bei näherer Betrachtung steckt der (Bundeswehr-)Teufel 
im Detail. Abseits unzähliger kleinerer Dinge, die sauer aufstoßen[3], 
sind vor allem zwei Aspekte besonders hervorzuheben. So gibt es zwar 
großen Spielraum eine friedlichere, ökologischere und gerechtere Welt zu 
schaffen, weshalb dies in der realen Welt jedoch nicht geschieht und 
welche Kräfte hierfür verantwortlich sind, lässt man dabei 
geflissentlich unter den Tisch fallen – und das in einem Spiel, das 
erklärtermaßen den Anspruch erhebt, die Welt möglichst realistisch zu 
simulieren.

Außerdem trügt natürlich der erste Eindruck gewaltig, bei Pol&IS handele 
es sich fast um ein pazifistisches Spiel. Denn ungeachtet des komplexen 
und diffizilen Regelwerks verfügen die Jugendoffiziere über nahezu 
vollkommene Freiheiten mittels willkürlicher – weil nirgends im 
Regelwerk fixierter – Belohnungen und Bestrafungen "richtige" Schritte 
der Spieler zu forcieren bzw. "falsche" Maßnahmen zu sanktionieren. So 
lässt sich ein Korridor akzeptablen Handelns vorgeben, in dem letztlich 
auch das Militär und speziell die Bundeswehr eine wenn auch nicht 
zentrale so – und das ist die Kernbotschaft – doch unverzichtbare Rolle 
spielt.

Aus diesen Vorbemerkungen wird bereits ersichtlich, dass Pol&IS mit dem 
Argument, es sei offen militaristisch bei weitem nicht beizukommen ist, 
weshalb im Folgenden versucht werden soll, eine etwas differenziertere 
Kritik zu formulieren. Zuvor soll jedoch herausgearbeitet werden, 
weshalb solche Werbemaßnahmen für die Bundeswehr immer weiter an 
Bedeutung gewinnen.


1. Warum Pol&IS?

Die Bundeswehr sieht sich derzeit – auch nach eigener Einschätzung – 
einer doppelten Herausforderung ausgesetzt. Sie steht vor einem 
Akzeptanzproblem und einem Rekrutierungsproblem. So werden die 
Auslandseinsätze der Bundeswehr aufgrund wachsender Opferzahlen und 
Kosten mittlerweile von einer stabilen Mehrheit der deutschen 
Bevölkerung abgelehnt – dies gilt im Übrigen eben nicht nur für den 
Krieg in Afghanistan, sondern für nahezu sämtliche Einsätze. 
Gleichzeitig sollen aber offensichtlich sowohl Zahl als auch Umfang der 
Bundeswehreinsätze weiter erhöht werden. Aktuell befinden sich etwas 
über 7.000 Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz, womit die Truppe laut 
eigenen Aussagen an ihre Grenzen stößt. Mit der nun anstehenden "Reform" 
der Bundeswehr soll die künftige Zielgröße dennoch auf mindestens 10.000 
hinaufgeschraubt werden.[4] Vor diesem Hintergrund ist damit zu rechnen, 
dass die Ablehnung von Auslandseinsätzen weiter zunehmen dürfte und 
allein schon deshalb eine Imagekampagne dringend erforderlich sein wird.

Erschwert wird diese Situation aus Sicht des Verteidigungsministeriums 
noch dadurch, dass dem steigenden Bedarf nach Rekruten, die es gilt in 
Auslandseinsätze zu schicken, eine sinkende Bereitschaft sich beim Bund 
zu verpflichten entgegenläuft. Verschiedene Faktoren tragen hierzu bei, 
von dem sich abzeichnenden demografischen Knick bis hin zur Tatsache, 
dass die Risiken und Zumutungen, die mit den zunehmenden 
Auslandseinsätzen verbunden sind, die Bundeswehr für immer weniger 
Jugendliche zu einem attraktiven Arbeitgeber machen. Weiter erschwert 
wird dies durch die sich abzeichnende Aussetzung der Wehrpflicht, die 
bislang ein wesentliches Mittel war, um an neue Soldaten zu gelangen. 
Angesichts dieser Schwierigkeiten an Nachwuchs zu gelangen, hat die 
Bundeswehr mit unzähligen Rekrutierungs- und Werbemaßnahmen begonnen und 
ihre Aktivitäten und Ausgaben in diesem Bereich in jüngster Zeit 
erheblich ausgeweitet – Pol&IS ist nur eine davon, allerdings eine 
wichtige.[5] So heißt es im aktuellen Jugendoffizier-Bericht: "Die 
Simulation 'Politik & Internationale Sicherheit' (POL&IS) galt auch 2009 
weiterhin sowohl bei den Jugendlichen als auch in der Lehrerschaft als 
hochattraktiv und wurde entsprechend nachgefragt. Mit 365 mehrtägigen 
Simulationen und 16.120 teilnehmenden Schülern und Lehrern sowie 
Studenten und Referendaren sind die Kapazitäten der POL&IS-Seminare voll 
ausgeschöpft. […] So kann erneut festgehalten werden, dass POL&IS ein 
wesentliches Kernstück in der Arbeit der Jugendoffiziere ist und bleibt."[6]

Die Bundeswehr steht also unter einem erheblichen Legitimationsdruck, 
ihre zunehmenden Auslandseinsätze gegenüber der Öffentlichkeit zu 
rechtfertigen und gleichzeitig die "Bedarfsdeckung" frischer Rekruten zu 
gewährleisten. Vor diesem Hintergrund leitet sich das Aufgabenprofil von 
Pol&IS ab: Akzeptanzsteigerung durch Überzeugung von der 
Unverzichtbarkeit der Bundeswehr, ohne gleichzeitig durch allzu offen 
militaristisches Auftreten ohnehin vorhandenen Vorbehalten in der 
Bevölkerung weiter Vorschub zu leisten.


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Kasten: Pol&IS – ein Kurzüberblick

Die Zielgruppe von Pol&IS sind vor allem Schülerinnen der gymnasialen 
Oberstufe. Es wird aber auch mit Lehrern, Studenten und anderen Gruppen 
gespielt, wodurch sich der Wirkungskreis erheblich vergrößert. 
Entwickelt wurde Pol&IS von dem Politikprofessor Wolfgang Leidhold, der 
die Rechte an dem Spiel 1989 an die Bundeswehr abtrat. Durchgeführt wird 
POL&IS stets von zwei der insgesamt derzeit 94 Jugendoffiziere, deren 
generelle Aufgabe es ist, über die Politik der Regierung in Bezug auf 
die Armee zu informieren und sie zu legitimieren. Direktes Rekrutieren 
ist den Jugendoffizieren offiziell verboten, hierfür sind die 
Wehrdienstberater zuständig. Allerdings wäre es naiv zu glauben, die 
Jugendoffiziere würden nicht für eine grundsätzlich positive Haltung 
gegenüber der Militärpolitik sorgen, wodurch wiederum das Feld für 
spätere Rekrutierungsbemühungen der Wehrdienstberater bestellt wird.

Die Pol&IS-Welt ist in dreizehn Regionen aufgeteilt, in denen die Rollen 
des Regierungschefs, Staatsministers (Militär), Wirtschaftsministers und 
Umweltminister von Spielern übernommen werden (die Opposition spielt, 
soweit ersichtlich, eher eine untergeordnete Rolle). Darüber hinaus sind 
auch Nichtstaatliche Organisation wie z. B. Greenpeace oder Amnesty 
International sowie die Weltbank, die Weltpresse und die Vereinten 
Nationen (in Form des Generalsekretärs) eingebunden.

Es gibt je einen Umwelt-, Wirtschafts-, und Militärbereich. Im Zentrum 
des Wirtschaftsbausteins steht die Versorgung der eigenen Bevölkerung, 
wofür die Produktion in den Sektoren Energie, Rohstoffe, Industrie und 
Agrar gesteigert werden muss. Unterversorgungen müssen über den 
Weltmarkt gedeckt werden. Wirtschaftswachstum erzeugt wiederum 
Verschmutzung, die durch Investitionen in Umweltmaßnahmen abgeschwächt 
werden muss – oder man verschifft den Müll in eine der ärmeren Regionen. 
Der Militärbereich spielt insgesamt eine eher untergeordnete Rolle, da 
zwischenstaatliche Kriege gemäß der Spielmechanik äußerst kostspielig 
und wenig "profitabel" sind.

Während Militär, Ökologie und Ökonomie nach festen Regeln funktionieren, 
werden im politischen Bereich Programme entworfen, die Maßnahmen in 
nahezu jedem Politikbereich beinhalten können. Die Bewertung dieser 
Programme in Form eines Bonus oder einer Sanktion obliegt den leitenden 
Jugendoffizieren, die hierüber einen massiven Gestaltungsspielraum 
haben, indem sie Anreize für aus ihrer Sicht "richtige" Maßnahmen geben 
können.

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2. Weltpolitik bar jeglicher Realität

"'Das Hungerproblem in der dritten Welt ist gelöst,' verkündet stolz der 
Präsident Nordamerikas. 'Die Nationen der Welt haben in enger 
Zusammenarbeit durch eine gerechte Umverteilung der Weltressourcen das 
Überleben aller Menschen dieser Erde für die kommende Generation 
gesichert.' Und seine Amtskollegin aus Westeuropa lobt in ihrer Rede 
'das konstruktive Zusammenwirken der internationalen Staatengemeinschaft 
bei der Lösung dieses Problems.'"[7]

Diese Meldung ist leider zu schön um wahr zu sein und tatsächlich 
entstammt sie nicht der realen Welt, sondern einer der 
Pol&IS-Simulationen. Wie bereits erwähnt, werden solche Lösungen 
globaler Probleme von den Jugendoffizieren bis zu einem gewissen Grad 
explizit gefördert. So wird aufgezeigt, wie sich Konflikte auch 
nicht-militärisch lösen lassen könnten, wie wünschenswert gerechtere 
wirtschaftliche Verteilungsmechanismen wären oder wie zwingend ein 
ökologischer Umbau eigentlich sei.

Dabei wird durchaus nicht vor Kritik an existierenden Verhältnissen 
zurückgeschreckt, wie sich beispielhaft anhand der Handelspolitik zeigen 
lässt. Jedes Land verfügt bei mindestens einer der fünf Handelswaren 
(Energie, Rohstoffe, Agrar- und Industriegüter, Müll) über einen 
Überschuss bzw. eine Unterversorgung, die es über den Weltmarkt zu 
decken gilt, um Wirtschaftswachstum zu erzeugen und die Grundversorgung 
der Bevölkerung zu gewährleisten. Die „Handelsware“ Müll spielt 
natürlich eine etwas andere Rolle, da dieser von Staaten, die zuviel 
produzieren, an andere Staaten verkauft werden kann.

Am globalen Handelstisch, auf dem die Waren per Auktion verdealt werden, 
haben Nordamerika, Europa und Japan zu Beginn einer solchen Handelsphase 
nacheinander die Möglichkeit, mit den anderen Ländern zu handeln, ohne 
dass jemand eingreifen könnte. Damit wird versucht, halbwegs realistisch 
die existierenden unfairen Handelsbedingungen abzubilden, die sich dann 
auch in der weiteren Auktion fortsetzen. Der Handel findet vor allem am 
Kopf des Tisches statt, an dem Nordamerika, Europa und Japan sitzen. So 
müssen ökonomisch und machtpolitisch schwächere Länder auch dort ganz 
andere Preise bezahlen, um ihre Bedürfnisse decken zu können.

Das Spiel eröffnet – und ermutigt – jedoch friedenspolitisch, 
wirtschaftlich und ökologisch weit über die heutigen miserablen Zustände 
hinauszugehen, was es nicht zuletzt gegenüber Kritik immunisiert und 
seine hohe Attraktivität bis hinein in linksliberalere Kreise ausmacht. 
Wenn die Spieler nur eine bessere Welt wollen, so ist dies auch im 
Rahmen gewisser von den Spielregeln bzw. Jugendoffizieren gesetzter 
Grenzen möglich, so die Botschaft. "Generell haben wir in der 
Pol&IS–Welt kein Versorgungsproblem, sondern ein Verteilungsproblem, wie 
in der wirklichen Welt auch", so einer der Jugendoffiziere beim Seminar 
in Winterberg. Als Positivbeispiel, wie diesem Problem begegnet werden 
könnte, berichtete der Seminarleiter weiter, in einer seiner 
Simulationen hätten die Spieler etwa entschieden, ihre sämtlichen 
Ressourcen in die Mitte zu werfen und sich anschließend lediglich das 
herauszunehmen, was sie benötigt hätten – das Verteilungsproblem wurde 
somit adäquat adressiert, ein Schritt in eine bessere Welt war getan.

Soweit, so gut! Allerdings funktioniert dies nur, weil sich die Schüler 
und Simulation eben nicht an der Realität orientieren: "Die Schüler 
verfolgen nicht nationalpolitische Interessen, wie in der Wirklichkeit", 
so war zu hören. Die Frage also, weshalb solche und andere 
begrüßenswerte Schritte in der Realität nicht erfolgen, wird nicht 
adressiert - nationalstaatliche Interessen, Machtpolitik und 
kapitalistische Konzerninteressen, v.a. innenpolitische Lobbygruppen, 
kurz: die Systemfrage wird ausgeblendet. Insofern verwundert es 
natürlich nicht, dass auch für Strategien, wie die Widerstände auf dem 
Weg zu einer sozialen, friedlichen und ökologischen Welt überwunden 
werden können, keinerlei Raum existiert. Von einem Spiel der Bundeswehr 
eine derart kritische Herangehensweise zu verlangen, ist womöglich 
zuviel verlangt, in jedem Fall wird hierdurch aber der erklärte 
Anspruch, weltpolitische Zusammenhänge möglichst wirklichkeitsnah zu 
simulieren, ad absurdum geführt. "POL&IS heißt: Realitätsnah ein paar 
Tage Weltpolitik zu spielen."[8] Genau dies geschieht bei Pol&IS jedoch 
gerade nicht. Das Spiel entwirft vielmehr ein globales 
Wolkenkuckucksheim, das mit den realen Gegebenheiten herzlich wenig 
gemein hat.

Es fängt bereits bei einer der zentralen Grundannahmen an: das Spiel 
basiert darauf, dass die Versorgung der Bevölkerung ausschließlich durch 
Wirtschaftswachstum gewährleistet werden kann und – noch besser -, dass 
es möglich sei, dies global für alle auch zu gewährleisten. 
Konsequenterweise besteht die Aufgabe der Weltbank – der Internationale 
Währungsfonds ist hier implizit integriert – ausschließlich darin, für 
eine global sinnvolle Verteilung der Güter und Ressourcen zu sorgen, 
ohne dass ihre tatsächliche Rolle in der Aufrechterhaltung globaler 
Ungerechtigkeiten thematisiert würde. Welche mächtigen Lobbygruppen und 
welche Mechanismen in der realen Welt dafür sorgen, die Hierarchie- und 
Ausbeutungsstrukturen der Weltwirtschaft ad infinitum 
aufrechtzuerhalten, findet keinerlei Erwähnung.

Die innenpolitische Opposition spielt ebenfalls kaum eine Rolle, wobei 
auch interessant ist, dass diese für Europa laut Spielvorgabe nur 
„konservativ“ oder „liberal“ sein kann. Das heißt „Soziale Bewegungen“, 
die es direkt nicht gibt, erscheinen im Spiel lediglich als Streik oder 
Aufstand wie ein schädliches Ereignis, nicht wie eine Chance auf 
Umverteilung und demokratische Teilhabe von unten. Damit bildet das 
Spiel aber ähnlich genau die Realität ab, wie wenn Monopoly gespielt 
würde, um genau zu sein, sogar noch schlechter: "Bei Pol&IS gibt es 
keine Gewinner oder Verlierer. Wie im echten Leben geht es darum, für 
das Wohl der eigenen Region zu sorgen und gleichzeitig Mitverantwortung 
für den Rest der Welt zu tragen."[9]

So kommen zwar erfreuliche, aber bedauerlicherweise vollkommen 
unrealistische Meldungen wie die zu Anfang des Kapitels zustande. Sie 
verdecken, welche Kräfte eine friedlichere, gerechtere und ökologischere 
Welt verhindern und dass eine solche Welt erkämpft und durchgesetzt 
werden muss – und zwar nicht am Verhandlungstisch, sondern zuallererst 
auf der Straße.


3. Gestaltungsspielräume für die Unverzichtbarkeit des Militärs

Liest man die grob irreführende Beschreibung der Aufgaben der 
Jugendoffiziere, so drängt sich der Eindruck auf, sie hätten lediglich 
beratende Tätigkeit und würden für wenig mehr als die Einhaltung der 
Spielregeln sorgen: "Um die Komplexität der Simulation zu strukturieren 
und besser zu organisieren, ist der Ablauf in Phasen eingeteilt. Als 
Simulationsleiter überwachen die Jugendoffiziere die Einhaltung dieser 
Phasen, geben Anregungen und Hilfestellungen zu Problemlösung und 
Hinweise zu den Spezifika der jeweiligen Phase."[10]

Insofern war die größte Überraschung des Winterberg-Seminars die 
Erkenntnis, dass die Spielleiter – und im Falle von Pol&IS sind dies nun 
einmal Jugendoffiziere und damit Militärs – über nahezu unbeschränkte 
Befugnisse verfügen, in ihrem Sinne das Spiel zu lenken. Denn neben den 
strikt im Regelheft festgehaltenen Wirkungsweisen von Ökonomie, Ökologie 
und Militär gibt es sozusagen noch ein Spiel im Spiel. Die Spieler sind 
gehalten, für nahezu jeden erdenklichen Bereich Programme zu entwerfen, 
um aus ihrer Sicht vorteilhafte Entwicklungen anzustoßen. Hierfür werden 
ein, zwei Ziele angeführt und Maßnahmen angegeben, wie diese Ziele 
erreicht werden können. Die Spielleiter in Form der Jugendoffiziere 
bewerten dann wiederum, ob das Programm "gut" oder "schlecht" ist und 
vergeben auf dieser Grundlage Spielboni oder Sanktionen: „Es liegt im 
Ermessen des Jugendoffiziers/Spielleiters, bei Programmen, die in den 
Sand gesetzt wurden, zu sanktionieren oder nicht", so die Aussage auf 
dem Seminar.

Es wäre naiv zu glauben, Jugendoffiziere könnten eine „neutrale“ 
Position einnehmen, sie werden stets – und dies verständlicherweise – 
die Sicht des Militärs vermitteln, alles andere wäre ja grotesk. 
Erscheint den Jugendoffizieren etwas als "falsch", so folgt also die 
Sanktion auf dem Fuße. Hierdurch eröffnet sich den Jugendoffizieren die 
Möglichkeit, das Geschehen in die "richtigen" Bahnen zu lenken: "Da 
wollen wir natürlich gestalten" oder: das Ziel ist "gestaltend in die 
Simulation einzugreifen", so die Aussagen auf dem Seminar. Entscheidend 
ist, dass aus dem Regelheft nicht hervorgeht, nach welchen Maßgaben 
"gestaltend" eingegriffen wird. Auf Nachfrage wurde bestätigt, dass es 
hierfür keinerlei Vorgaben gäbe. Die Bewertung, was "gut" und "schlecht" 
ist, erfolgt nach Gutdünken der Jugendoffiziere ohne ersichtlichen 
Begründungsrahmen, also von Militärs mit einer bestimmten Weltsicht, 
nämlich derjenigen der Bundeswehr, die sie ausgebildet hat.

Die Jugendoffiziere entscheiden damit letztinstanzlich darüber, welche 
Maßnahmen und Schritte erfolgreich und damit "realistisch" sind und 
welche eben nicht; sie geben damit den Grad des Akzeptablen vor. Zwar 
wird etwa ein Auge zugedrückt, wenn abgerüstet wird, um Ressourcen zu 
sparen, teils wird dies sogar ermuntert, zu weit dürfen solche Schritte 
jedoch nicht gehen. Insgesamt wird die Pol&IS-Welt nämlich keineswegs 
als besonders friedlicher Ort portraitiert: "Die nachlassende 
Ordnungskraft von den Staaten führt zur Zunahme von Kriegen und 
Konflikten - weltweit dauerhaft instabile Regionen drohen. Die Reaktion 
auf diese Bedrohung bedarf eines neuen Mixes von robusten Fähigkeiten."[11]

Vor diesem Hintergrund ist es ausgeschlossen, dass alle Mitspieler auf 
ihre Armeen verzichten, es ist in diesem Fall davon auszugehen, dass die 
Spielleitung willkürlich Krisen und Konflikte entstehen lassen würde, um 
solche Schritte zu sanktionieren. Hierfür lässt sich beispielhaft der 
Afghanistan-Konflikt anführen. Die Spielleitung bewertete auf dem 
Seminar das Programm eines Spielers, das eine Erhöhung der 
Entwicklungshilfe, gleichzeitig aber auch den Verbleib der Truppen 
vorsah, mit "gut". Begründet wurde dies folgendermaßen: "Die Soldaten 
abziehen und hoffen, dass das dann funktioniert, das wird zu einfach 
sein." Insofern hätte eine Erhöhung der Entwicklungshilfe bei 
gleichzeitigem Truppenabzug vermutlich eine Sanktion nach sich gezogen.

Nicht zuviel Militär, aber auch keinesfalls zu wenig, das ist die 
Botschaft, die von den Spielleitern mal mehr mal weniger subtil 
transportiert wird. Sie können immer wieder Aufgaben einstreuen, die 
gelöst werden müssen, um eine Sanktion in Form geringerer 
Wirtschaftstätigkeit abzuwenden. Eine solche Aufgabe bestand auf dem 
Seminar in Winterberg in der Bewältigung des Piraterieproblems vor der 
Küste Somalias. Die Versorgung der Industriestaaten werde hierdurch 
beeinträchtigt und gehe zurück – es bestehe Handlungsbedarf, so das 
Szenario. Explizit erwähnt wird die Ursache des Konfliktes, nämlich das 
leerfischen der Region durch westliche Fischkutter: "Seit über 20 Jahren 
gibt es in Somalia keinen funktionierenden Staatsapparat. Bisher hat das 
die internationale Gemeinschaft recht wenig gestört. Seit einiger Zeit 
versuchen sich allerdings Mittellose als Piraten. Hierbei sind sie sehr 
erfolgreich. Dies trifft besonders die Industrieregionen. Auffällig ist 
hierbei, dass einige der gefassten Piraten aussagen, dass sie vorher 
Fischer waren und aufgrund von chinesischem und europäischem Fischfang 
keine Perspektive mehr sehen. Nordamerika und Japan verlieren 10 
Polisdollar und China und Russland 5$ an Lösegeldern."

Belohnt wird dann, wenn der Spieler hierauf einerseits mit einer 
Erhöhung der Entwicklungshilfe reagiert, um so die Konfliktursachen 
anzugehen. Allerdings argumentierten die Jugendoffiziere weiter, dass 
Entwicklungshilfe lange dauere bis sichtbare Erfolge zu verzeichnen 
seien und auch unmittelbar "etwas getan" werden müsse. Ohne die 
Entsendung von Kriegsschiffen gäbe es also unmittelbare Folgen für die 
Wirtschaftsleistung der Industrienationen, so die Jugendoffiziere, 
kurzfristig gäbe es dazu keine Alternative, auch wenn dies "tatsächlich 
die Bekämpfung von Symptomen ist, das ist uns allen klar." Die ebenfalls 
eingeforderte Ursachenbekämpfung erfolgt in der Realität jedoch nicht, 
befragt, weshalb dies der Fall sei, antwortete einer der Jugendoffiziere 
lediglich mit einem viel sagenden Schulterzucken, mehr gibt auch Pol&IS 
zur Beantwortung dieser entscheidenden Frage leider nicht her.


Fazit

Pol&IS gelingt auf Grundlage von systemimmanenten und 
herrschaftsorientierten Rahmenbedingungen ein schwieriger Balanceakt: 
kritisch und bisweilen regelrecht progressiv, um linksliberaler Kritik 
den Wind aus den Segeln zu nehmen, aber nicht so kritisch – bzw. 
realistisch -, dass ansonsten grundsätzliche Fragen oder sogar die 
Systemfrage gestellt werden müsste; nicht allzu offen militaristisch, in 
Ansätzen sogar „friedensfördernd“[12], gleichzeitig aber Korridore 
absteckend, die das Militär als unverzichtbare Notwendigkeit 
legitimieren helfen.

Und genau dies scheint letztlich das Ziel zu sein, wie aus einer 
Spielbeschreibung der Bundeswehr deutlich hervorgeht: "Den Teilnehmern 
wird deutlich, warum falsches Handeln interne und externe Krisen 
auslösen kann, warum Staaten Konflikte austragen, warum 
Ressourcenknappheit einen Staat ruinieren kann, warum Ökologie und 
Ökonomie zusammenhängen und warum Sicherheitspolitik unabdingbar 
ist."[13] Oder in den Worten eines der Jugendoffiziere beim Seminar in 
Winterberg: „Militär ist ein politisches Mittel, das leider hier und da 
in der Welt eingesetzt werden muss.“


Anmerkungen:

[1] "Es gibt Simulationen, in denen [im militärischen Bereich] kaum 
etwas passiert", teilte einer der Jugendoffiziere auf dem Seminar mit. 
"Bei Pol&IS ist vieles machbar, aber das Ziel des Spieles ist, 
friedliche Möglichkeiten zur Konfliktlösung zu finden", betont Karl 
Wichmann, ein anderer Pol&IS-Spielleiter. Kursell, Gregor: Im Zeichen 
von Eule und Igel, Die Zeit, Nr. 4/1994.

[2] Die Geschichte von POL&IS, o.j. (Hervorhebung im Original): 
http://www.polis.jugendoffizier.eu

[3] Um nur ein Beispiel zu nennen, werden Entwicklungshelfer im Spiel 
"auf- und abgerüstet", womit ihr Zweck mehr als deutlich signalisiert 
wird, nämlich sicherheitspolitischen Mehrwert zu erbringen.

[4] Vgl. Pflüger, Tobias: Die Reform der Bundeswehr. Sachstand und 
friedenspolitische Forderungen, in: AUSDRUCK (Oktober 2010), S. 4-5.

[5] Vgl. zu den zahlreichen Bundeswehr-Rekrutierungsmaßnahmen Glaßer, 
Michael Schulze von: An der Heimatfront: Öffentlichkeitsarbeit und 
Nachwuchswerbung der Bundeswehr, Köln 2010.

[6] Bundesministerium der Verteidigung: Jahresbericht der 
Jugendoffiziere der Bundeswehr 2009, Berlin, 31. Mai 2010, S. 4f.: 
http://www.bundeswehr-monitoring.de/fileadmin/user_upload/media/Jugendoffiziere-Bericht-2009.pdf 


[7] Bundesministerium der Verteidigung: POL&IS: Eine Simulation zu 
Politik und internationaler Sicherheit, Erleben. Verstehen. Gestalten: 
http://www.polis.jugendoffizier.eu/fileadmin/user_upload/POLIS_Broschuere.pdf 


[8] Ebd.

[9] Ebd.

[10] Die Geschichte von POL&IS aaO.

[11] Ebd.

[12] Das kann soweit gehen, dass allzu aggressive, kriegerische 
Handlungen sanktioniert werden. Ein solches Verhalten brauche dann eine 
gute Erklärung, so die Aussage eines der Jugendoffiziere. "Ich greife 
an, weil die blöd sind, genügt da nicht." In solchen Fällen habe er die 
Simulation auch schon einmal unterbrochen und auf die Folgen blinder 
Aggression aufmerksam gemacht. Auch hier zeigt sich der immense 
Gestaltungsspielraum, der mit Realismus überhaupt nicht zu tun hat. In 
diesem Fall stimmt nämlich entweder die Einschätzung der 
Friedensbewegung und zahlreicher Experten, das Länder nicht "aus dem 
Buch heraus" angreifen oder die - offizielle – westliche Bewertung von 
Ländern wie Nordkorea oder dem Iran ist grundfalsch, denen genau dies 
vorgeworfen wird.

[13] Bundesministerium der Verteidigung: POL&IS deutsch-französisch in 
Bremen, 22.12.2008 (Hervorhebung JW): http://tinyurl.com/2u62azl Diese 
Formulierung findet sich inzwischen in zahlreichen Beschreibungen, u.a. 
auch im Pol&IS-Wikipedia-Eintrag.




2) Links zu den neuesten Texten auf der IMI-Homepage

IMI-Standpunkt 2010/040
Galileo: Erzteures Militaristenprojekt entpuppt sich als Milliardengrab
http://www.imi-online.de/2010.php?id=2186
20.10.2010, Jürgen Wagner

IMI-Standpunkt 2010/039
NATO-Außen- und Verteidigungsministertreffen: Letzter Feinschliff am 
neuen Strategischen Konzept
http://www.imi-online.de/2010.php?id=2184
14.10.2010, Tobias Pflüger

IMI-Analyse 2010/037
Planspiel Pol&IS
Bundeswehrwerbung im Wolkenkuckucksheim – oder: wie Militär spielerisch 
unverzichtbar gemacht wird
http://www.imi-online.de/2010.php?id=2188
http://imi-online.de/download/IMI-Analye2010-37-POLISa.pdf
25.10.2010, Jürgen Wagner

IMI-Analyse 2010/036 - in: Forum Wissenschaft 3/2010
Europas Auswärtiger Dienst: Machtpolitik Sui Generis
http://www.imi-online.de/2010.php?id=2185
17.10.2010, Jürgen Wagner


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