[IMI-List] [0324] Analyse Justiz und Krieg / Militarisierung der UN / Polizeieinsätze / Englische Broschüre

IMI imi at imi-online.de
Do Apr 15 11:20:34 CEST 2010


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Online-Zeitschrift "IMI-List"

Nummer 0324 .......... 14. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563

Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

Red.: IMI / Christoph Marischka / Jürgen Wagner

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Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3

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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List finden sich

1) Den Hinweis auf eine Studie von Thomas Mickan zur "UN und der neue 
Militarismus", die soeben im neuen AUSDRUCK erschienen ist.

2) Ein Schwerpunkt über "Polizeieinsätze und Sicherheitssektorreformen", 
u.a. mit einem Positionspapier der IMI zu diesem Thema

3) Eine neue englische Broschüre: "From Pax Americana to Pax 
Transatlantica? The Western Quest for Supremacy in the Era of Persistent 
Conflict"

4) Eine IMI-Analyse: "Zivile Gerichtsbarkeit und Völkerstrafgesetzbuch: 
Justiz und Gesetz im Dienst der Kriegsführungsfähigkeit der Bundeswehr"

zu 1) Neue Studie zur UN und der neue Militarismus

Thomas Mikan hat einen Artikel für den AUSDRUCK zum Thema "UN und der 
neue Militarismus" verfasst. Darin beschreibt er neue Strukturen und 
Konzepte innerhalb der UN, die eine zunehmende Militarisierung der UN 
aufzeigen. Er zeigt anhand verschiedener Büros innerhalb der Abteilung 
der "Friedenssicherung" der UN, wie die strukturellen Veränderungen 
dieser Büros in den letzten Jahren die Entwicklungen der Einsätze der 
Blauhelme - vom Einsatz zur Überwachung von Friedensabkommen hin zu 
"friedenserzwingenden Einsätzen" - begleitet haben. Inzwischen ist die 
militärische Lösung von Konflikten in der UN tief verankert. Die 
Umstrukturierung der einzelnen Büros habe zusätzlich zu einer wachsenden 
Intransparenz der Strukturen innerhalb der UN geführt, die wiederum 
Geschäfte mit Krieg und UN-Einsätzen durch private Unternehmen - vor 
allem Rüstungs- und Logistikfirmen - vereinfache. Zudem wird gezeigt, 
welche Unternehmen an Krieg und den UN-Einsätzen profitieren.

Dieser Artikel ist Teil I einer dreiteiligen Studie. In den 
nachfolgenden Artikel wird das Verhältnis von Regionalorganisationen und 
UN und von Rüstungsindustrie und UN beleuchtet werden. Diese Artikel 
werden in den folgenden Ausgaben des AUSDRUCK erscheinen.

IMI-Studie 2010/03 - in: AUSDRUCK (April 2010)

Die UN und der neue Militarismus

http://imi-online.de/2010.php?id=2099

http://imi-online.de/download/TM-April-2010.pdf

14.4.2010, Thomas Mickan

zu 2) Schwerpunktthema: "Polizeieinsätze und Sicherheitssektorreformen"

Polizeieinsätze und sog. Sicherheitssektorreformen nehmen an Zahl und 
Bedeutung zu. Sie werden oft als - positive - Alternative zu 
militärischen Interventionen dargestellt, was sie jedoch nicht sind. Aus 
diesem Grund hat die IMI in einem Positionspapier die wichtigsten 
Argumente gegen polizeiliche und militärische Ausbildungshilfen und 
Auslandeinsätze der Polizei zusammengefasst.

Die Argumente des Positionspapiers werden durch drei weiter Artikel 
untermauert: einer beschäftigt sich mit den Problemen von 
EU-Polizeieinsätzen, ein weiterer liefert eine Zusammenfassung der 
bisherigen Anfragen im Bundestag zu den Themen "Polizei- und 
Zolleinsätze im Ausland" sowie "Ausbildungs- und Ausstattungshilfen 
ausländischer Militärs und Polizeien" ist und ein letzter widmet sich 
speziell der jüngsten EU-Ausbildungsmission somalischer Soldaten in Uganda.

IMI-Positionspapier 2010/001

Gegen die Militarisierung des globalen Südens!

Keine "ferngesteuerten Bürgerkriege" durch militärische und polizeiliche 
Ausbildungs- und Ausstattungshilfe!

http://www.imi-online.de/2010.php?id=2100

14.4.2010, IMI

IMI-Analyse 2010/015 - in: AUSDRUCK (April 2010)

EU-Polizeieinsätze: Risiken, Fallstricke und Nebenwirkungen

http://imi-online.de/2010.php?id=2101

http://imi-online.de/download/MaH-April-2010.pdf

14.4.2010, Martin Hantke

IMI-Analyse 2010/016 - in: AUSDRUCK (April 2010)

Deutsche Aufbauhilfe für Repressionsorgane

Eine Auswertung verschiedener Antworten der Bundesregierung auf Kleine 
Anfragen im Bundestag

http://imi-online.de/2010.php?id=2102

http://imi-online.de/download/JS-April-2010.pdf

14.4.2010, Jonna Schürkes

IMI-Analyse 2010/012

Arming Somalia

Die neue ESVP-Mission zur Ausbildung somalischer Soldaten

http://imi-online.de/2010.php?id=2084

http://imi-online.de/download/JS-EUTM-Somalia.pdf

23.2.2010, Jonna Schürkes

zu 3) Englische Broschüre: "From Pax Americana to Pax Transatlantica? 
The Western Quest for Supremacy in the Era of Persistent Conflict"

Die Studie beschreibt, wie die Machtverschiebungen im internationalen 
System sowie die Krisentendenzen der neoliberalen Weltwirtschaftsordnung 
eine ernsthafte Bedrohung der westlichen Vorherrschaft darstellen und 
wie diese hierauf mit einer umfassenden militärisch-institutionellen 
Reorganisation reagieren.

Die Broschüre kann hier heruntergeladen werden:

http://imi-online.de/download/Pax-Tansatlantica-web.pdf

Die Broschüre entstand in Kooperation mit der Europaabgeordneten Sabine 
Lösing, was es uns ermöglicht, kostenlos Exemplare zu versenden.

Bestellungen bitte an: sabine.loesing at europarl.europa.eu

Sabine Lösing, MEP (z. H. Arne Brix), Verbindungsbüro Europäisches 
Parlament / Europabüro, Unter den Linden 50, 10178 Berlin

http://imi-online.de/download/Pax-Tansatlantica-web.pdf

zu 4) Analyse Justiz und Krieg

Michael Haid hat eine Studie zur neuen Sondergerichtsbarkeit für 
Tötungen von Zivilisten in deutschen Auslandseinsätzen verfasst. Zudem 
wird durch die Anwendung des neuen Völkerstrafgesetzbuchs eine 
hemmungslose Anwendung von militärischer Gewalt rechtlich der Boden 
bereitet.

IMI-Analyse 2010/014 - in: AUSDRUCK (April 2010)

Zivile Gerichtsbarkeit und Völkerstrafgesetzbuch

http://imi-online.de/download/MiH-April-2010.pdf

Justiz und Gesetz im Dienst der Kriegsführungsfähigkeit der Bundeswehr

9.4.2010, Michael Haid

"Im Übrigen ist die Militärjustiz in allen Fällen von Übel: nicht nur, 
weil sie vom Militär kommt, sondern weil sie sich als Justiz gibt, was 
sie niemals sein kann." (Kurt Tucholsky)

Nach der Herstellung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr müsse nun die 
zivile Justiz in Deutschland, der auch die Bundeswehrangehörigen 
unterworfen sind, nach der Auffassung des Parlamentarischen 
Geschäftsführers der FDP-Bundestagsfraktion, Jörg van Essen, "im Ausland 
einsatzfähig gemacht"[1] werden. Das Vorhaben einer "einsatzfähigen 
Justiz" korrespondiert eng mit der Änderung des anzuwendenden Rechts bei 
Straftaten, die deutschen Soldaten im Auslandseinsatz vorgeworfen 
werden. Aus Anlass des Luftangriffs nahe Kundus vom 4. September 2009 
findet voraussichtlich nicht mehr das nationale Strafrecht Anwendung, 
sondern es wird das am 30. Juni 2002 in Kraft getretene 
Völkerstrafgesetzbuch herangezogen. Dieses räumt der 
Kriegsführungsfähigkeit der Bundeswehr einen weit größeren Spielraum 
hinsichtlich der in der Aufstandsbekämpfung getöteten Zivilisten (die 
sog. zivilen Begleitschäden) ein. Den Konsequenzen dieser beiden 
Entwicklungen widmet sich dieser Beitrag.

Die Sonderstaatsanwaltschaft

In der Vergangenheit kam in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr die 
Tötung von an Kampfhandlungen unbeteiligten Zivilpersonen immer wieder 
vor. Nach Warnschüssen erschoss am 21. Januar 1994 ein deutscher 
Wachtposten einen von zwei Somalis, die im Begriff waren, in das Depot 
des Bundeswehrlagers bei Belet Huen einzudringen. Der Somali war der 
erste durch Bundeswehrsoldaten getötete Zivilist in einem 
Auslandseinsatz. Seit die Bundeswehr im Ausland interveniert, wurden 140 
Fälle strafrechtlich relevanten Verhaltens gezählt, allein 20 davon im 
Jahr 2009. Zu Anklagen oder gar Verurteilungen kam es bisher in keinem 
Fall.[2] Die zuständige Staatsanwaltschaft in Deutschland stellte nach 
Vorermittlungen das Verfahren jeweils ein, da sie davon überzeugt war, 
dass die Soldaten sich in einem tatsächlichen oder angenommenen 
Selbstschutz verteidigten oder ihren Irrtum nicht vermeiden konnten.

Trotzdem fordern die Militärs für ihr Tun Rechts- und 
Handlungssicherheit. Insbesondere durch die Verschärfung des 
Kriegseinsatzes in Afghanistan verrichtet die Bundeswehr dort zunehmend 
militärisch "täglich Drecksarbeit".[3] Diese soll deshalb nicht mehr 
zeitlich langwierigen, den einzelnen Soldaten wie die Bundeswehr 
insgesamt psychisch stark belastenden staatsanwaltlichen Untersuchungen 
ausgesetzt sein, die zudem immer stärker die Gefahr eines unsicheren 
bzw. negativen Ausgangs in sich bergen.

Infolgedessen übernahm die neue Bundesregierung die bereits lang 
erhobene Forderung der Bundeswehrführung und ihr nahe stehender 
Politiker nach einem "neu zu definierenden Rechtsstatus für unsere 
Soldatinnen und Soldaten im Kampfeinsatz."[4] Schon länger werden die 
Kosten für die strafrechtliche Verteidigung bei allen Bundesbediensteten 
übernommen, die wegen einer dienstlichen Tätigkeit im Ausland einer 
Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit beschuldigt 
oder verdächtigt werden.[5] Das Vorhaben der Bundesregierung geht aber 
weit darüber hinaus.

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und Außenminister 
Guido Westerwelle (FDP) haben in ihren Reden vor dem Deutschen Bundestag 
am 19. November 2009 bzw. am 10. Februar 2010 - in Abkehr von der 
Auffassung der bisherigen Bundesregierungen - den Krieg in Afghanistan 
übereinstimmend als "nicht internationalen bewaffneten Konflikt im Sinne 
des humanitären Völkerrechts" bezeichnet. Rechtlich ist diese Bewertung 
der Bundesminister ohne Bedeutung, da ausschließlich die Feststellung 
durch die Bundesanwaltschaft, die in einer Presseerklärung von Mitte 
März 2010 dieselbe Einschätzung teilt, ausschlaggebend ist. Politisch 
ist sie durchaus folgenreich. Denn diese Neubewertung müsse, so die 
Schlussfolgerung der beiden Politiker, Konsequenzen für die 
Handlungsbefugnisse der Soldaten, für die Befehlsgebung und für die 
Beurteilung des Verhaltens von Soldaten in strafrechtlicher Hinsicht 
haben.[6]

Deshalb soll laut Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP "eine zentrale 
Zuständigkeit der Justiz für die Verfolgung von Straftaten von Soldaten, 
die diesen in Ausübung ihres Dienstes im Ausland vorgeworfen werden"[7] 
geschaffen werden. Wie diese Zuständigkeit genau ausgestaltet werden 
soll, ist noch nicht endgültig geklärt. Es besteht aber die Absicht, 
durch die Konzentration von örtlichen Zuständigkeiten eine zentral 
zuständige Staatsanwaltschaft, die eine Spezialisierung innerhalb der 
allgemeinen Strafgerichtsbarkeit ermöglichen soll, zu errichten.[8] Das 
würde dazu führen, dass aufgrund des Sitzes des Einsatzführungskommandos 
in Geltow regelmäßig die Staatsanwaltschaft des Landgerichts in Potsdam 
zuständig wäre (§ 143 I GVG). Diese zentrale Zuständigkeit soll die 
schon bestehende Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe für 
Delikte nach dem Völkerstrafgesetzbuch ergänzen (§ 120 I Nr. 8 GVG i. V. 
m. § 142a I GVG).

Dieses Vorhaben ist, um Missverständnissen vorzubeugen, kein Plan zur 
Einrichtung einer eigenen Wehrgerichtsbarkeit für Soldaten im 
Auslandseinsatz. Diese Möglichkeit existiert zwar in Artikel 96 II GG, 
soll aber nicht umgesetzt werden. Danach könnten Wehrstrafgerichte als 
Bundesgerichte eingerichtet werden, welche die Strafgerichtsbarkeit nur 
im Verteidigungsfalle sowie über Angehörige der Streitkräfte, die in das 
Ausland entsandt oder an Bord von Kriegsschiffen eingeschifft sind, 
ausüben könnten. Von einer eigenen Militärgerichtsbarkeit gar wurde nach 
der Neuaufstellung der Bundeswehr 1956 aufgrund der historischen 
Erfahrungen mit dem Reichsmilitärgericht des Kaiserreichs ab 1871 und 
der NS-Militärjustiz von 1935 bis 1945 abgesehen. Ein Militärgericht ist 
ein Gericht, das aus Militärrichtern besteht und die 
Strafgerichtsbarkeit über Militärangehörige ausübt. Eine solche 
Möglichkeit wird auch nicht durch Artikel 96 II GG eröffnet. Deshalb 
gilt weiterhin der Grundsatz, dass Bundeswehrangehörige, auch bei 
militärischen Straftaten, der zivilen (ordentlichen) Gerichtsbarkeit 
unterstehen. Dennoch wird die erklärte Intention, mit der 
Sonderstaatsanwaltschaft die Voraussetzungen für eine schnelle und vor 
allem reibungslose Behandlung von Strafbarkeitsvorwürfen zu etablieren, 
voraussichtlich vollständig erreicht, da damit das Militär "der Gefahr 
einen Riegel vorschieben [kann], dass militärisches Unrecht, das man 
ohnehin lieber unter den Teppich gekehrt sehen möchte, juristisch 
aufgeklärt wird." Denn der nach der Rechts- und Handlungssicherheit 
verlangenden Generalität und Regierung geht es "letztlich und 
unmissverständlich um die Ausstellung eines Freibriefs für künftige 
Bombardierungen."[9]

Somit ist aus Sicht der Bundeswehrführung eine eigene 
Militärgerichtsbarkeit auch gar nicht notwendig, da deren Zweck in der 
Zeit des Kaiserreichs und des Nationalsozialismus in ihrer bestrafenden 
und disziplinierenden Wirkung (bspw. bei Desertionen) zu sehen ist. Das 
hier vorgesehene Verfahren dient eher dem Schutz und der Absicherung der 
oben erwähnten "täglichen Drecksarbeit."

Zudem bestehen hinsichtlich der Errichtung der geplanten 
Sonderstaatsanwaltschaft verfassungsrechtliche Bedenken, da eine solche 
Regelung gegen die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern 
verstoßen könnte.[10]

Der Bock wird zum Gärtner gemacht

Aufschlussreich ist, wie die Ermittlungspraxis dieser für Kriege 
"einsatzfähigen Justiz" nach den Vorstellungen des Vorsitzenden des 
Bundeswehrverbands, Ulrich Kirsch, aussehen soll. Er versteht darunter 
die vorübergehende Unterstellung der sich im Einsatzland befindlichen 
Bundeswehrjuristen unter das Dach des Bundesjustizministeriums und der 
Feldjäger unter das Dach des Bundesinnenministeriums. Eine 
grundsätzliche Zuständigkeit sieht der Bundeswehrverband weiterhin bei 
der Bundesanwaltschaft mit Hauptsitz in Karlsruhe.[11]

Vorausgesetzt, dieser Vorschlag würde tatsächlich umgesetzt werden, 
würde dies einen sehr geringen eigenständigen Ermittlungsspielraum für 
die Staatsanwaltschaft bedeuten. Die Überlegung eines, zugegebenermaßen 
häufig schwierigen, Rechtshilfeverfahrens wie auch der Einsatz von 
eigenen staatsanwaltschaftlichen Hilfsbeamten wird zumindest nirgends 
erwähnt. Folglich bleibt die Staatsanwaltschaft für Untersuchungen vor 
Ort auf die Rechtsberater und die Feldjäger der Bundeswehr angewiesen, 
was übrigens seit 1994 gängige Praxis ist. Bisher durfte sie diesen 
keinerlei Weisungen erteilen, da sie nicht zu den Hilfsbeamten der 
Staatsanwaltschaft zählen und weiterhin dem Verteidigungsministerium 
unterstellt sind, was sich allerdings nach Kirschs Vorstellung 
vorübergehend ändern würde. Anhaltspunkte, dass dieses Verfahren zu 
bundeswehrfreundlichen Ergebnissen führen könnte, gebe es laut 
Verteidigungsministerium nicht.[12]

In der Konsequenz ermitteln Bundeswehrangehörige gegen 
Bundeswehrangehörige in Bundeswehrangelegenheiten. Ein unabhängiges und 
rechtsstaatlich einwandfreies Verfahren kann so keinesfalls als 
gesichert gelten. Oder auf den Punkt gebracht: Der Bock wird zum Gärtner 
gemacht.

Der Präzedenzfall des Luftangriffs nahe Kundus vom 4. September 2009

Die Bedeutung des Kundus-Luftangriffs im Zusammenhang mit der geplanten 
Sonderstaatsanwaltschaft wie mit der erstmaligen Anwendung des 
Völkerstrafgesetzbuchs kann als nicht folgenreich genug eingeschätzt 
werden und muss auch im gesellschaftlichen Kontext gesehen werden. Die 
Motivation dieses Angriffs beruhte nicht auf Gründen eines angenommenen 
Selbstschutzes der betroffenen Soldaten. Die Anforderung der 
US-Kampfflugzeuge geschah im Rahmen einer Operation zur gezielten Tötung 
Aufständischer durch die Task Force 47 bzw. des zur Hälfte aus ihr 
bestehenden Kommandos Spezialkräfte (KSK). Neben einigen der 
Aufständischen wurde billigend die Tötung der anwesenden lokalen 
Zivilbevölkerung in Kauf genommen. Insgesamt kamen 142 Menschen in 
dieser Nacht ums Leben. Darunter waren auch Kinder.

Gezielte Tötungen sind weder mit dem Wortlaut des am 26. Februar 2010 
neu verabschiedeten ISAF-Mandats noch nach Aussage des Mitglieds im 
Verteidigungsausschuss des Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD), mit 
"dem Geist der Bundestagsmandate (...) vereinbar."[13] Mit dem 
Kundus-Luftangriff hat die Bundeswehr nach der Meinung von Hans J. 
Gießmann, Direktor des Berghof Conflict Research in Berlin, und Armin 
Wagner, Military Fellow am Institut für Friedensforschung und 
Sicherheitspolitik der Universität Hamburg, einen "zweiten Rubikon" 
überschritten, hin zu "Kampfeinsätzen mit all ihren Konsequenzen."[14] 
Demzufolge werde nach Ulrich Kirsch das Jahr 2009 als "Schicksalsjahr" 
in die Geschichte der Bundeswehr eingehen, da es einen "Wendepunkt"[15] 
in der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik markiere. Darunter ist in 
Afghanistan die Verschärfung der Aufstandsbekämpfung 
("Counter-Insurgency") durch die Änderung der sog. Taschenkarte ("Rules 
of Engagement") vom Juni 2009, also die erhebliche Lockerung des 
Einsatzes von militärischer Gewalt, zu verstehen. Wohl auch, wie der 
Präzedenzfall des Kundus-Luftangriffs zeigt, unter Inkaufnahme von sog. 
zivilen Begleitschäden, was nur durchführbar ist, wenn die rechtlichen 
Voraussetzungen hierfür bestehen.

Diese Entwicklung geschieht vor dem Hintergrund, dass die Öffentlichkeit 
Kampfeinsätze der Bundeswehr mit einer glasklaren Mehrheit ablehnt.[16] 
Insbesondere hinsichtlich des Afghanistanmandats sprechen sich laut 
einer Meinungsumfrage der ARD vom Januar 2010 71% für einen 
schnellstmöglichen Abzug der Bundeswehr aus und sogar 83% der Befragten 
sind strikt gegen die Aufstockung des dortigen Kontingents um weitere 
850 Soldaten,[17] wie es der Bundestag nach der jüngsten 
Afghanistankonferenz am 26. Februar 2010 unter Ignorierung der 
öffentlichen Meinung beschloss.

Die öffentliche Ablehnung wird von Militärbefürwortern deutlich als 
Achillesferse dieser militarisierten Außen- und Sicherheitspolitik 
erkannt, da "die Bekämpfung von Aufständen (...) in der Regel nicht 
militärisch, sondern politisch verloren werden, wenn die Unterstützung 
zur Fortführung der Operation in den Heimatländern und bei der 
Bevölkerung im Einsatzland schwindet. Dies ist aus politischer Sicht 
sicherlich der strategische Schwachpunkt der deutschen Beteiligung an 
der ISAF-Operation."[18] So lautete die Einschätzung von Vertretern der 
die Bundesregierung beratenden Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Diese Diskrepanz von öffentlicher Meinung und politischer Praxis, die 
getrost als interfraktioneller Kriegskonsens bezeichnet werden kann, 
benennt der scheidende Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, 
Reinhold Robbe (SPD), als "schizophrene Situation", da der Bundestag "in 
der Regel den Mandaten mit breiter Mehrheit zugestimmt [hat]. (...) 
Zugleich zeigen alle Umfragen, dass der überwiegende Teil der 
Bevölkerung die Mandate nicht mitträgt."[19]

Das Völkerstrafgesetzbuch

Durch die Einordnung des Afghanistankriegs als "nicht internationaler 
bewaffneter Konflikt" ist für die strafrechtliche Beurteilung nicht mehr 
das Strafgesetzbuch (StGB), sondern das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) 
einschlägig. Dies hat wesentliche Auswirkungen auf die 
Kriegsführungsfähigkeit der Bundeswehr, auch was die Inkaufnahme von 
sog. zivilen Begleitschäden betrifft. Mit anderen Worten: können 
Soldaten erwarten, im Normalfall nicht strafrechtlich für ihre 
Handlungen belangt zu werden, auch wenn sie dabei voraussichtlich 
Zivilisten töten, so erhöht sich ungemein die Wahrscheinlichkeit solcher 
Aktionen. Der Göttinger Strafrechtsprofessor, Kai Ambos, bringt dies 
folgendermaßen auf den Punkt: "Die Annahme eines bewaffneten Konflikts 
hat für das Militär den Vorteil, dass es Dinge tun darf, die im Frieden 
untersagt sind."[20] Der Kölner Völkerrechtsprofessor Claus Kreß 
konkretisiert dies: "Wenn die Regeln des bewaffneten Konflikts gelten, 
dann sind die Eingriffsbefugnisse deutscher Soldaten zu Lasten 
feindlicher Kämpfer beträchtlicher - sowohl in zeitlicher Hinsicht als 
auch in der Frage, was zivile Begleitschäden angeht."[21]

Im Hinblick auf das nun anzuwendende Völkerstrafgesetzbuch bedeutet dies 
Folgendes: Bisher zog aller Wahrscheinlichkeit nach der Vorwurf der 
Tötung von Zivilpersonen für den betreffenden Soldaten eine Ermittlung 
der Staatsanwaltschaft wegen Totschlags (§ 212 I StGB) nach sich. Diese 
Norm sieht im Falle einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe von nicht 
unter fünf Jahren vor. Die entscheidende Voraussetzung zur Bejahung der 
Strafbarkeit wegen Totschlags ist, dass die Tötung nach ständiger 
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) mit dem hier ausreichenden 
Eventualvorsatz geschah. Dabei muss der Täter die Tötung der 
Zivilpersonen für möglich halten und billigend in Kauf genommen haben.[22]

Diese Definition beispielsweise auf den Fall des Luftschlags nahe Kundus 
angewandt, würde demnach voraussichtlich zu einer Verurteilung des 
Betreffenden führen. Betrachtet man diesen Fall im Licht des 
Völkerstrafgesetzbuchs, könnte das Ergebnis gänzlich anders aussehen. 
Der Wortlaut des wohl hier einschlägigen § 11 I Nr. 3 VStGB lautet: "Wer 
in Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen 
bewaffneten Konflikt (...) mit militärischen Mitteln einen Angriff 
durchführt und dabei als sicher erwartet, dass der Angriff die Tötung 
oder Verletzung von Zivilpersonen (...) in einem Ausmaß verursachen 
wird, das außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und 
unmittelbaren militärischen Vorteil steht, (...) wird mit 
Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft." Die Voraussetzungen 
der Norm sehen hierbei hinsichtlich der Vorsatzform direkten Vorsatz 
vor, da die Tötung von Zivilpersonen als sicher erwartet werden muss. 
Zweitens wird zudem noch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung gefordert. Im 
Ergebnis bestehen also höhere Hürden für eine Verurteilung nach dem 
Völkerstrafgesetzbuch als nach dem Strafgesetzbuch. Dies bestätigt auch 
eine Pressemitteilung der Generalbundesanwaltschaft vom 6. November 2009 
bezüglich des Kundus-Luftschlags: "Nach vorläufiger Bewertung der 
Erkenntnisse aus allgemein zugänglichen Quellen ergeben sich bisher 
keine tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat 
deutscher Soldaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch."

In der Bundeswehr wird der Umgang mit dem den Kundus-Luftschlag 
anfordernden Oberst Klein als ein Symbol für den Rückhalt der Politik 
für die Truppe insgesamt gesehen.[23] Bedauernswerterweise wird 
voraussichtlich von der Generalstaatsanwaltschaft dieser Rückhalt 
geliefert werden und damit eine brutalere Aufstandsbekämpfung in 
Afghanistan mit häufigen sog. zivilen Begleitschäden ermöglicht.

Anmerkungen:

[1] Jörg van Essen: Soldaten brauchen Rechtssicherheit, in: 
http://www.morgenpost.de, 07.12.2008.

[2] Vgl. Ursula Welter, Rolf Clement, Christiane Wirtz: Aufklärung in 
Raten. Eine Ereignischronologie des Luftangriffs von Kundus, in: 
http://www.dradio.de, 26.11.2009.

[3] Jürg Dedial: Dämmert es am Hindukusch?, in: http://www.nzz.ch, 
30.12.2009.

[4] Ulrich Kirsch: Wir erwarten viel von Regierung und Parlament, in: 
Die Bundeswehr, 10/2009, http://www.bundeswehrverband.de, 01.10.2009.

[5] Vgl. Jörg van Essen: Zivile Justiz einsatzfähig machen, S. 32-33, 
in: Homeland Security, 2/2009, S. 33.

[6] Vgl. Guido Westerwelle: Rede vor dem Deutschen Bundestag, 
10.02.2010, in: http://www.auswaertiges-amt.de

[7] Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP: Wachstum, Bildung, 
Zusammenhalt. Berlin, 26. Oktober 2009, 
http://www.cdu.de/doc/pdfc/091026-koalitionsvertrag-cducsu-fdp.pdf, S.126.

[8] Vgl. F. Arndt/ S. Fischer: Gerichtsorganisation und Auslandseinsätze 
der Bundeswehr, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, 
Aktueller Begriff Nr. 102/09 (20. November 2009).

[9] Helmut Kramer: Kriegsjustiz durch die Hintertür, S. 5-8, in: Blätter 
für deutsche und internationale Politik, 2/2010, S. 6.

[10] Vgl. F. Arndt/ S. Fischer, ebd.

[11] Vgl. Ulrich Kirsch: Interview "Eine Debatte, die im Parlament hätte 
geführt werden müssen", in: http://www.dradio.de, 13.02.2010.

[12] Vgl. Christiane Wolters: Auslandseinsatz in der Gesetzeslücke, in: 
http://www.spiegel.de, 08.04.2004.

[13] Henning Bartels, zitiert nach: Bombardement bei Kundus soll Taliban 
gegolten haben, in: http://www.nzz.ch, 12.12.2009.

[14] Gießmann, Hans J./ Wagner, Armin: Auslandseinsätze der Bundeswehr, 
S. 3-9, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 48/2009, S. 6.

[15] Ulrich Kirsch: Rechtssicherheit statt endloser Debatte, in: Die 
Bundeswehr, 1/2010, http://www.bundeswehrverband.de, 1.1.2010.

[16] Vgl. Gießman, Hans J./ Wagner, Armin, ebd., S. 4, 7.

[17] Vgl. ARD-DeutschlandTrend Januar 2010, in: 
http://www.infratest-dimap.de, 05.02.2010.

[18] Timo Noetzel/ Benjamin Schreer: Ende einer Illusion. Keine 
"Friedensdividende", nirgends: Die sicherheitspolitische Debatte macht 
einen großen Bogen um die Wirklichkeit, S. 96-101, in: Internationale 
Politik, Januar 2008, S. 99.

[19] Reinhold Robbe: Interview, in: http://www.tagesspiegel.de, 30.01.2010.

[20] Kai Ambos, in: 
http://www.department-ambos.uni-goettingen.de/index.php/News/interview-dpa.html, 
06.11.2009.

[21] Claus Kreß, in: Ursula Welter, Rolf Clement, Christiane Wirtz, ebd.

[22] Vgl. Johannes Wessels/ Werner Beulke: Strafrecht. Allgemeiner Teil, 
33. Auflage, Heidelberg 2003, Rn. 214 ff.

[23] Vgl. Thomas Steinmann: Justiz in Zeiten des Krieges, in: 
http://www.ftd.de, 25.03.2010.

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