[IMI-List] [0318] Bericht vom IMI-Kongress / IMI goes Web 2.0

Informationsstelle Militarisierung imi at imi-online.de
Do Nov 26 14:23:53 CET 2009


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0318 .......... 13. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Christoph Marischka / Jürgen Wagner
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List finden sich

1) Hinweise zu IMI bei Facebook und Twitter;

2) erste Berichte zum Kongress am vergangenen Wochenende.


1) IMI bei Facebook und Twitter

Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. hat im Internet zwei 
neue Projekte gestartet, die erfolgreich angelaufen sind. Im so 
genannten Web 2.0. (also dem interaktiven Internet) gibt es z.B. 
Facebook und twitter.

IMI ist ab sofort in Facebook zu finden, hat dort eine eigene Seite: 
http://www.facebook.com/IMI.FB
So können auch auf diesem Weg die Informationen und Publikationen von 
IMI besser verbreitet werden und IMI selbst bekannter gemacht werden. 
Man/Frau kann sich dort als Unterstützer/in von IMI eintragen, damit 
werden Antexte zu den Standpunkten und Analysen der IMI-Homepage, die 
automatisch auf Facebook gepostet werden, den Unterstützer/innen 
angezeigt. Bisher hat IMI auf Facebook 383 Unterstützer/innen!

Außerdem hat IMI nun auch einen Twitter-Account. Über Twitter werden 
Kurznachrichten gepostet oder Texte verlinkt. Mit Twitter ist es z.B. 
möglich, von Veranstaltungen fast live zu berichten. Genau dies haben 
Ferederico Elwing, Claudia Haydt und Tobias Pflüger vom IMI-Kongress am 
Wochenende getan. Hier ist der Twitter-Account und die Kurzberichte vom 
IMI-Kongress via Twitter: http://twitter.com/I_M_I Bei Twitter kann 
man/frau sich als "Follower" eintragen, dann bekommt man/frau alle 
geposteten Nachrichten des IMI-Twitter-Accounts, bisher sind dies 31 
Personen.
http://twitter.com/I_M_I


2) Erste Berichte vom Kongress 2009 "Krisenmanagement! 
"Sicherheitsarchitektur" im globalen Ausnahmezustand"

Sowohl das Schwäbische Tagblatt, als auch die junge welt und das Neue 
Deutschland haben über den IMI-Kongress berichtet. Wir selbst haben 
einen ausführlichen Bericht verfasst, der sich im Anschluss findet. Wir 
hoffen, im nächsten Frühjahr eine ausführliche Dokumentation des 
Kongresses zu veröffentlichen, die ab sofort unter imi at imi-online.de 
bestellt werden kann.

Pressebericht - in: Neues Deutschland, 25.11.2009
Aufrüstung gegen Aufstände
http://www.imi-online.de/2009.php?id=2049

Pressebericht - Schwäbisches Tagblatt, 23.11.2009
Mehr Kapitalismuskritik - Zwei Tage ging die Informationsstelle 
Militarisierung der ökonomischen Krise nach
http://www.imi-online.de/2009.php?id=2048

IMI-Standpunkt 2009/063 - in: junge Welt, 23.11.2009
»Einheimische Hilfstruppen für die Drecksarbeit«
http://www.imi-online.de/2009.php?id=2047

IMI-Standpunkt 2009/065
Krisenmanagement! "Sicherheitsarchitektur" im globalen Ausnahmezustand
Bericht über den IMI-Kongresses 2009
http://www.imi-online.de/2009.php?id=2052
IMI, 26.11.2009

Vom 20.-22. November veranstaltete die Informationsstelle 
Militarisierung zum mittlerweile zwölften Mal ihren alljährlichen 
Kongress in Tübingen. Thema des Kongresses war "Krisenmanagement! 
'Sicherheitsarchitektur' im globalen Ausnahmezustand". Die 
Veranstaltungen waren sehr gut besucht: über 200 Menschen nahmen an ihm 
teil, sodass der Veranstaltungsort, das "Deutsch-Amerikanische 
Institut", zeitweise aus allen Nähten platzte.

Inhaltliches Ziel des Kongresses war es, die gefährlichen Auswirkungen 
der Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Frage von Krieg und Frieden 
näher auszuleuchten, ein Aspekt, der in der gegenwärtigen Debatte nahezu 
vollständig ausgeblendet wird. Vor allem drei Bereiche wurden dabei 
näher betrachtet: die Auswirkungen auf die internationale 
Machtkonstellation und mögliche Konflikte zwischen den Großmächten, die 
Folgen der Krise für Konflikte in der sog. Dritten Welt und das 
diesbezügliche "Krisenmanagement" in Form verschiedenster 
Herrschaftstechniken des Westens sowie schließlich die weitere 
Verschärfung der "inneren" Militarisierung in Deutschland. Beim 
Abschlusspodium wurde schließlich diskutiert, wo die 
Handlungsperspektiven sozialer Bewegungen in Zeiten permanenter Krisen 
und sich verschärfender Repression liegen. Thematisch gelang es dadurch 
zahlreiche, bislang zu wenig beachtete Aspekte herauszuarbeiten, sodass 
der Kongress sowohl inhaltlich als auch vom Besuch rundum gelungen war.


Neue Mächte - Neue Kriege?

Den Auftakt am Samstag machte IMI-Vorstand Jürgen Wagner, indem er 
beschrieb, wie sich die Krise als Katalysator für eine "Metamorphose der 
Geopolitik" auswirken werde. Sowohl die US-Geheimdienste als auch der 
BND kämen in ihren jüngsten Studien zu dem Ergebnis, die internationale 
Machttektonik werde sich fundamental verändern, indem sie den 
Machtverlust des Westens erheblich beschleunigen werde. Profitieren 
würden davon vor allem China (und womöglich Russland), wobei die 
westlichen Geheimdienste prognostizieren, dass diese Entwicklung zu 
schweren, möglicherweise sogar militärischen Auseinandersetzungen führen 
dürfte.

In der Strategiedebatte würde hieraus die Forderung abgeleitet, der 
Westen müsse sich gegen die neuen Herausforderer enger 
zusammenschließen, teils würde bereits einer neuen Blockkonfrontation 
zwischen "Demokratien" und "Autokratien" – für die sich der Westen 
dementsprechend (militärisch) wappnen müsse - offen das Wort geredet. 
"Der Kampf um die Vormachtstellung im internationalen System ist in 
vollem Gange. Die westlichen Staaten setzen alle Mittel ein, um ihre 
Dominanz aufrechtzuerhalten, weshalb wir derzeit tatsächlich bereits die 
Konturen eines Neuen Kalten Krieges beobachten können", so Wagner.

Am deutlichsten sichtbar werde dies im Energiebereich, wo bereits erste 
Stellvertreterkriege zwischen China und USA/EU in Afrika, etwa im Sudan, 
zu beobachten seien, aber auch in den zunehmenden Energie-Konflikten 
zwischen der EU und Russland. Während der Westen die NATO immer offener 
gegen Russland in Stellung bringe, habe Moskau mit der Stärkung einer 
"Anti-NATO", der Schanghaier Vertragsorganisation, begonnen, in der u.a. 
auch China Mitglied ist. Die Infragestellung des Dollars als 
Weltreservewährung durch Russland, China, Indien und Brasilien auf ihrem 
Gipfeltreffen im Juni 2009 würde in westlichen Elitenzirkel teils 
bereits als offene Kriegserklärung bezeichnet, da dies den USA einen 
überaus harten ökonomischen Schlag versetzen würde.

Ohnehin seien die Vereinigten Staaten angesichts ihrer massiven 
Verschuldung nicht mehr in der Lage, die westliche Dominanz im 
internationalen System im Alleingang zu gewährleisten, geschweige denn, 
dem stattfinden Machttransfer effektiv etwas entgegensetzen zu können. 
Aus diesem Grund seien sie dringend auf Partner angewiesen und die 
Europäische Union sei hierfür der nahe liegendste Adressat. Vor diesem 
Hintergrund biete der neue US-Präsident Barack Obama den EU-Verbündeten 
einen "Transatlantischen New Deal" an, der im wesentlichen wie folgt 
aussehe: Washington biete eine deutliche machtpolitische Aufwertung der 
EU-Staaten innerhalb der NATO an – die vielfach eingeforderte, aber nie 
eingelöste "Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe" -, fordere hierfür im 
Gegenzug jedoch eine deutlich stärkere Beteiligung der EU an der 
(militärischen) Aufrechterhaltung der Weltordnung. "Mehr mitkämpfen und 
dafür auch mehr mitbestimmen, das ist das Kernelement des 
Transatlantischen New Deals", so das IMI-Vorstandsmitglied.

Dieser Transatlantische New Deal werde derzeit auf vielen Ebenen 
implementiert – etwa durch die Übergabe eines der wichtigsten 
Oberkommandos der NATO von den USA an Frankreich. In jedem Fall stehe zu 
befürchten, dass die Europäische Union auf die Verschärfung der 
Machtkonflikte ihrerseits mit einer drastischen Militarisierung ihrer 
Außenpolitik reagieren werde. Künftig werde noch stärker als bisher die 
Durchsetzung von Interessen ins Zentrum rücken. Der in Kürze in Kraft 
tretende Lissabon-Vertrag liefere hierfür die erforderliche rechtliche 
Grundlage. "Die Krise könnte sich somit als Brandbeschleuniger auf dem 
Weg in eine neue Blockkonfrontation erweisen. Mit seiner aggressiven 
Politik riskiert der Westens aber, dass der Neue Kalte Krieg zu einer 
self-fullfilling prophecy wird", so Wagners Résumée.


Ökonomie, Krise und Krieg

Die Krise habe gezeigt, dass der Kapitalismus nicht funktioniere, so 
eine der Kernaussagen des Politikprofessors Elmar Altvaters gleich zu 
Beginn seines Beitrags. Die gegenwärtige Krise sei in zentralen 
Bereichen sogar schlimmer als die von 1929. Aus diesem Grund sei es 
besonders beängstigend, dass damals trotz aller Versuche gegenzusteuern, 
erst der Zweite Weltkrieg und der damit einhergehende Nachfrageschub die 
Krise beendet habe. Die Gefahr einer militärischen Krisenverregelung sei 
real, so Altvater und zitierte hierfür den bekannten Historiker Eric 
Hobsbawm, der unlängst prophezeite, im Zuge der Krise werde "sehr viel 
Blut fließen." Oberste Priorität der Friedens- und Antikriegsbewegung 
sei es deshalb, eine solche Entwicklung zu verhindern.

Anschließend beschrieb Altvater die kurzfristigen Ursachen der 
Wirtschafts- und Finanzkrise. Sie sei vor allem auf die Politik des 
billigen Geldes zurückzuführen, die Finanzspekulationen massiv befördert 
habe. Die staatlicherseits bewusst nicht unterbundene Spekulation habe 
zu einer immensen Masse nicht gedeckter – „toxischer“ – Papiere geführt, 
die mittlerweile wertlos seien und zahlreiche Banken an den Rand der 
Pleite (oder darüber hinaus) gebracht hätten. Mittlerweile habe die 
Krise zudem auch die Realwirtschaft erfasst, womit sie zusätzlich 
verschärft würde. Trotzdem werde mit der Politik des billigen Geldes 
weitergemacht, obwohl damit die nächste Krise vorprogrammiert sei. 
"Jetzt baut sich schon wieder eine Spekulationsblase auf, aber wenn die 
platzt, hat man nicht mehr wie jetzt die Möglichkeit des billigen 
Geldes", so Altvater.

Um dem Fall der Profitrate entgegenzuwirken, würden zahlreiche 
Auspressmanöver in Gang gesetzt. Einerseits betreffe dies die – teils 
militärisch erzwungene – Erschließung neuer Absatz- und 
Investitionsgebiete in der ganzen Welt, ein Bereich in dem die 
Europäische Union mit ihrer aggressiven neoliberalen Außenhandelspolitik 
der derzeit bedenklichste Akteur sei. Andererseits nehme die Ausbeutung 
der Natur weiter zu. Dabei werde weiterhin auf ein – nicht zuletzt wegen 
des Klimawandels – vollkommen unhaltbares fossiles Projekt gesetzt, etwa 
mit der Abwrackpämie. Stattdessen sei dringend eine Dekarbonisierung 
erforderlich, ansonsten steuere man unweigerlich auf eine 
Klimakatastrophe zu, die ihrerseits massive Auswirkungen auf die Frage 
von Krieg und Frieden haben werde.

Aber selbst Projekte, die auf den ersten Blick positiv erscheinen, da 
sie auf erneuerbare Energien setzten, seien teils überaus problematisch. 
Als Beispiel führte Altvater Desertec an, ein Projekt bei dem auf einer 
riesigen in Afrika befindlichen Fläche Sonnenenergie für den 
europäischen Markt gewonnen werden soll. Das Projekt erfordere riesige 
Investitionen, die allein von Großkonzernen aufgebracht werden könnten 
und aller Voraussicht nach eine militärische Absicherung der Anlagen 
nach sich ziehen wird. Generell kritisierte der Politikprofessor den 
"Energieimperialismus" der westlichen Staaten, die ihr unhaltbares 
Produktions- und Wachstumsmodell unter anderem durch den militärischen 
Zugriff auf Ressourcen aufrechterhalten wollten. Auch Biomasse als 
alternative zu Benzin sei alles andere als unproblematisch. Das dabei 
bebaute Land fehle für die Nahrungsmittelproduktion, womit die Zunahme 
von Hungeraufständen billigend in Kauf genommen werde.

Hauptkritik Altvaters war, dass die zugrunde liegenden Krisen- und 
Konfliktursachen ("Root Causes of Conflict") nicht angegangen würden. 
Weder sei die EU bereit, an ihrer neoliberalen Außenwirtschaftspolitik 
etwas zu ändern – womit sie sehenden Auges weitere Armutskonflikte in 
Kauf nimmt - noch existiere die Bereitschaft, das eigentliche 
Hauptproblem aus dem Weg zu räumen: das unhaltbare Produktions- und 
Wachstumsmodell der westlichen Staaten: "Unsere politische Aufgabe ist 
es, die Katastrophe zu verhindern. Dabei müssen wir uns wieder mehr der 
Kapitalismuskritik zuwenden wie in der Vergangenheit. Wir haben uns 
eines Instruments beraubt, das wir dringender benötigen denn je." Mit 
diesem Satz nahm Altvater ein wichtiges Fazit des Kongresses vorweg und 
lieferte damit gleichsam die Basis für die beiden folgenden Beiträge, 
die sich mit den neuen Techniken des westlichen Krisenmanagements in der 
sog. Dritten Welt beschäftigten.


Risikobevölkerungen, Lagebilder und Prävention

Christoph Marischka beschrieb Krisenmanagement als globales Pendant zum 
nationalen Katastrophenschutz. Beide antizipieren den unvermeidbaren 
Ausnahmezustand und definieren für diesen Zielvorgaben und 
Handlungsweisen. Anhand von deutschen Katastrophenschutzübungen verwies 
er auf eine Verschiebung dieser Zielvorgaben weg von der medizinischen 
Hilfe beim Massenanfall von Verletzten hin zur Anwendung unmittelbaren 
Zwangs und der Aufstandsbekämpfung. Zivilpersonen tauchen in den 
gängigen Szenarien nahezu ausschließlich als hysterische, irrationale, 
plündernde oder protestierende Menschenmengen – als Störer – auf, 
niemals aber als souveräne, rational handelnde Subjekte mit Fähigkeiten 
der Selbsthilfe. Die Rolle der Behörden und Organisationen mit 
Sicherheitsaufgaben bestünde vorwiegend in der Kontrolle dieser 
Menschen, im Schutz kritischer Infrastruktur und in der Gewährleistung 
eines pulsierenden Handels und Transits. Hierfür müssten Menschen- und 
Bürgerrechte im Katastrophenfall suspendiert werden.

Global Governance als Krisenmanagement im globalen Maßstab sei Ausdruck 
der Tatsache, dass die Herrschenden die Ursachen der permanenten 
Konflikte, periodischer Wirtschaftskrisen und zunehmender 
Umweltkatastrophen nicht aus dem Weg räumen, sondern auch gegen 
Widerstand in der Bevölkerung aufrecht erhalten wollen. Auf globaler 
Ebene ist deshalb der Ausnahmezustand permanent und die Global 
Governance produziert deshalb eine „überschüssige Bevölkerung“, der 
keine Rechte zuerkannt werden sondern lediglich als Bedrohung für 
politische Autorität und den freien Welthandel wahrgenommen wird, wie es 
beispielsweise zum Ausdruck kommt, wenn in Sicherheitsstrategien 
erhöhter „Migrationsdruck“ als Bedrohung definiert wird. Die wenigen, 
die aber tatsächlich die abenteuerliche Reise in die Metropolen der 
Weltgemeinschaft unternehmen, werden entsprechend auch militärisch 
abgewehrt, können in Europa von der Straße weg für 18 Monate inhaftiert 
und anschließend abgeschoben und enteignet werden. Die wesentlich höhere 
Zahl derer die innerhalb ihrer eigenen Region in Flüchtlingslager 
fliehen, bezeichnete Christoph Marischka hingegen als Protagonisten der 
Welt-Nicht-BürgerInnen und beschrieb, wie die BewohnerInnen von 
Flüchtlingslagern des UNHCR biopolitisch kontrolliert und zugleich 
sicherheitspolitisch problematisiert werden.

Die Masse der Menschen würde jedoch dort „überflüssig“ wo sie lebt oder 
ziehe in die nächstgelegenen Großstädte. Sie steht im Mittelpunkt 
sicherheitspolitischer Erwägungen, wie Marischka anhand von 
Strategiepapieren der NATO und der EU darlegte. In diesen 
Strategiepapieren wird auch die Organisierung und Selbsthilfe der 
„Überflüssigen“ durch Handys und Internet als Gefahr gesehen und diesen 
jegliche Rationalität abgesprochen. Die Abwertung der Staatsbürgerschaft 
führe neben der Hinwendung zu irrationalen kollektiven Identitäten (hier 
nennt die NATO den Nationalsozialismus, den Kommunismus und den Islam 
[sic!]), auch zu einer abnehmenden Bereitschaft der Bevölkerung ihr 
Leben oder auch ihr Geld für sicherheitspolitische Maßnahmen zu opfern. 
Auch deshalb könne gegen die „neuen Bedrohungen“ kein herkömmlicher 
Krieg geführt werden. Vielmehr müssten die als Risiko identifizierten 
Gesellschaften durchdrungen und militärische Gewalt sehr gezielt 
eingesetzt werden, die EU-Rüstungsagentur spreche in diesem Kontext von 
„Kriegführung als Kombination von Aufklärung und kinetischer Energie“. 
Anschließend stellte Marischka einige deutsche und europäische 
Rüstungsprojekte vor, die der Aufklärung auf der Ebene von einzelnen 
Personen und der Bekämpfung „weicher und halbharter Ziele“ dienen.

Abschließend verwies Marischka auch auf humanitäre Diskurse, welche 
leider die sicherheitspolitischen Risikodefinitionen reproduzieren und 
einen Beitrag zur Durchdringung als gefährlich oder gefährdet 
definierter Bevölkerungsgruppen leisten. Als Beispiele nannte er hier 
Untersuchungen über den Klimawandel, die einen erhöhten Migrationsdruck 
prognostizieren oder Modelle von Ernährungswissenschaftlern, welche die 
Wahrscheinlichkeit, dass Hunger in Proteste umschlägt, ermitteln sollen. 
Aus den Versuchen der Friedens- und Konfliktforschung, Frühwarnsysteme, 
„Early Warning“, für Konflikte zu erstellen, seien jedoch auch 
interessante Lehren zu ziehen. Hier verweisen einige Forscher und 
Praktiker mittlerweile darauf, das Frühwarnsysteme nur dann eine 
rechtzeitige, effiziente und von den Betroffenen als legitim erachtete 
Reaktion hervorbrächten, wenn die Betroffenen selbst – und nicht 
entfernte Hauptstädte – gewarnt und zum Handeln befähigt würden. Dieses 
Handeln sei dann nicht militärisch, sondern basiere eher auf Prinzipien 
der zivilen Verteidigung, der Selbsthilfe und der kollektiven Verwaltung 
öffentlicher Güter. Genau dem, was NATO und EU als Bedrohung wahrnehmen.


"Boots on the Ground"

Wie stattdessen die Konzepte des globalen Nordens aussehen um trotz 
nachlassender Opferbereitschaft in der Bevölkerung schnell und umfassend 
militärisch auf Risiken zu antworten stellte Jonna Schürkes im folgenden 
Vortrag dar. Sie beschrieb darin die Programme von EU und NATO-Staaten 
zur Ausbildung und Ausrüstung von Soldaten, Polizisten und 
Militärpolizisten des Südens. Diese Programme wären angesichts der 
Tatsache, dass heutige Kriege nicht mehr gegen Staaten, sondern gegen 
Bevölkerungsgruppen geführt werden von steigender Bedeutung.

Am Beispiel Afghanistan zeigte Schürkes, dass das Ziel der Ausbildung 
und Ausrüstung afghanischer Sicherheitskräfte ist, der Regierung in 
Kabul einen riesigen Repressionsapparat an die Hand zu geben, mit der 
sie auch in Zukunft die eigene Bevölkerung im Sinne der NATO 
kontrollieren könne. Zum anderen seien die afghanischen Soldaten und 
Polizisten schon heute Bodentruppen für die internationalen Truppen, die 
bei Kampfhandlungen nach vorne geschickt, somit der wesentlich größeren 
Gefahr ausgesetzt und der Besatzung ein „afghanisches Gesicht“ geben 
würden. Dies steigere zum einen die Legitimität des Einsatzes in den 
NATO Staaten, zum anderen würde dadurch versucht selbst weniger als 
Besatzer wahrgenommen zu werden.

Doch es würden nicht nur nationale Sicherheitskräfte ausgebildet, 
sondern auch multinationale Truppen, die - unter Kontrolle des globalen 
Nordens - zum Management von Krisen vor allem in Afrika eingesetzt 
werden sollen. Hierzu knüpfte Schürkes an den Vortrag vom Freitagabend 
an, mit dem der IMI Kongress eröffnet worden war. Am Freitagabend hatten 
Kevin Gurka, Christoph Marischka und Jonna Schürkes die verschiedenen 
Aktivitäten der EU, ihrer Mitgliedsstaaten und der USA in Afrika in Form 
eine Bildervortrags vorgestellt und verdeutlicht, wie militärisch auf 
die Krisen in Afrika reagiert wird. Das Thema Ausbildung und Ausrüstung 
von Soldaten, Polizisten und Militärpolizisten war hier bereits 
angesprochen worden.

In Afrika würden neben zahlreichen Sicherheitssektorreformen, von den 
USA und der EU bzw. ihren Mitgliedsstaaten multinationale Truppen 
ausgebildet und ausgerüstet, die in Afrika intervenieren sollen. Derzeit 
würden so fünf regionale Brigaden aufgestellt, die unter Kommando der 
Afrikanischen Union bei Konflikten auf dem Kontinent intervenieren 
sollen. Die Aufstellung der Regionalbrigaden werde va. von der EU und 
den USA finanziert, in den Ausbildungszentren für afrikanische Soldaten 
hätten meist europäische Militärs die wichtigsten Positionen inne. Die 
bisherigen Einsätze der AU, die meist nur formell das Kommando inne 
gehabt habe, wären ohne die Finanzierung aus dem Entwicklungshilfefond 
der EU, die Bereitstellung von Logistik und Aufklärung durch die EU oder 
die USA nicht möglich gewesen. Dies wird auch auf absehbare Zeit so 
bleiben, weshalb sich der globale Norden hiermit Hilfstruppen geschaffen 
hat, deren Einsätze sie durch finanzielle Mittel, Hilfe bei Ausbildung, 
Aufklärung und Logistik de facto kontrollieren kann.

Anhand der beiden Beispiele wollte Schürkes aufzeigen, wie - im 
Allgemeinen mit Entwicklungshilfegeldern - der globale Norden 
Repressionsorgane in den Ländern des Südens aufbaue, um die als 
Bedrohung wahrgenommenen Menschen in den verschiedensten Teilen dieser 
Welt zu kontrollieren.


Militarisierung von Forschung und Lehre

Am Sonntag eröffneten Sarah Nagel und Mechthild Exo den Kongress mit 
ihrem Beitrag zur Militarisierung von Forschung und Lehre an deutschen 
Hochschulen. Von der Grundschule bis zum Studium bemühe sich die 
Bundeswehr an Bildungseinrichtungen um Akzeptanzgewinnung, Rekrutierung 
und Kooperation. Hierfür stellen sowohl die NATO, als auch das 
Forschungs- , das Verteidigungsministerium und die EU in ihrem 
vermeintlich zivilen Forschungsrahmenprogramm Gelder zur Verfügung. So 
habe eine Reihe von kleinen Anfragen der Linkspartei im vergangen Jahr 
offenbart, dass 2008 an mindestens 27 Hochschulen in zehn Bundesländern 
„wehrrelevante“ Forschung und Sicherheitsforschung betrieben würde. An 
den betreffenden Unis sei das selbst im Mittelbau der jeweiligen 
Institute häufig unbekannt, würde aber auch selten problematisiert, 
beschrieb Sarah Nagel ihren Eindruck, den sie gewann, als sie versuchte, 
telefonisch mehr über die einzelnen, vom Verteidigungsministerium 
geförderten Projekte zu erfahren. Offensichtlich überwöge an den 
Hochschulen Wehrmedizinische und sozialwissenschaftliche 
Begleitforschung, die sich häufig mit Fragen der Ethik und der 
Legitimierung beschäftigen würden, während an konkreten Waffensystemen 
oft in An-Instituten oder anderen, oft der Uni nahestehenden 
Einrichtungen wie den Fraunhofer-Instituten und der FGAN geforscht werde.

Die so genannte „Sicherheitsforschung“ sei seit 2001 neben die 
wehrtechnische Forschung getreten, habe aber – entsprechend der 
aktuellen Konfliktlage, wie sie Christoph Marischka zuvor beschrieb – 
ähnliche und ergänzende Inhalte, obwohl sie aus zivilen Mitteln 
finanziert wird. So basiert sie auf europäischer Ebene auf Programmen 
mit Titeln wie „Auf dem Weg zu einer EU-Ausrüstungspolitik“ und 
„Forschung für ein sicheres Europa“, findet sich aber heute vor allem 
unter dem Titel „Kooperation“ im Forschungsrahmenprogramm der EU. 
Geforscht wird dabei etwa an Technologien für den Schutz von Flughäfen 
und anderer kritischer Infrastrukturen und zur Überwachung öffentlicher 
Plätze. Sozialwissenschaftliche Forschung beträfe auch hier einerseits 
Fragen etwa der „Krisenprävention [sic] in Afghanistan“, Untersuchungen, 
wie es um das Vertrauen in Polizei und öffentliche Autoritäten steht und 
wie dieses gesteigert werden könnte und ethische Fragestellungen, die 
letztlich „ausloten sollen, wie weit man gehen kann“, so Nagel. Zur 
Konzeption des Forschungsprogramms und seiner Ausschreibungen und für 
die Entscheidung über die Bewilligung von Forschungsmitteln wurden 
eigens Gremien geschaffen, in denen v.a. Vertreter der Rüstungsindustrie 
sowie Sicherheitspolitiker vertreten sind (aus Deutschland etwa 
Vertreter von EADS, Diehl, BKA und der Fraunhofer-Gesellschaft). 
Insofern sei klar, dass diese Forschung anwendungsorientiert sei und von 
freier Wissenschaft keine Rede sein könne. Tatsächlich werden diese 
vermeintlich zivilen Forschungsprogramme neben sicherheitspolitischen 
Notwendigkeiten stets auch mit dem „großen Markt für Sicherheit 
begründet, für den die europäische Industrie gut aufgestellt sein soll“, 
so Nagel.

Da es aber auch innerhalb dieses Marktes noch nationale Konkurrenz gibt, 
unterhält Deutschland mittlerweile ebenfalls ein „ziviles“ Programm zur 
Sicherheitsforschung, das zwar vom Forschungsministerium finanziert 
wird, an dem aber das Verteidigungsministerium nach eigenen Aussagen 
beteiligt ist und von dem es sich „Synergien“ erhofft. Wie auch beim 
EU-Programm wird hier v.a. an so genannten Dual-Use-Technologien 
geforscht, die sich sowohl zivil als auch militärisch einsetzen lassen. 
Problematisiert wird das nur insofern, dass diese Technologien nicht in 
die Hände von Kriminellen oder Terroristen fallen dürften.

Mechtild Exo zitierte zunächst die US-Strategie zur Aufstandsbekämfung, 
wonach es notwendig sei „in die Bevölkerung und ihre Lebensweise 
einzutauchen“ um siegreich zu sein. Deshalb habe das Pentagon 60 Mio. 
US$ bereitgestellt, um zivile Anthropologen und Sozialwissenschaftler 
ins Militär zu integrieren. Schockierend sei auch, dass die NATO-eigenen 
Institute mittlerweile zu einem stark erweiterten Themenfeld, etwa 
Fragen der Migration, der Ernährungs- und Umweltsicherheit forschen, 
damit offensiv und erfolgreich in die zivile Forschung vordrängen und 
dabei das Militär als universellen Problemlöser präsentierten. Genau 
besehen ginge es aber auch hier v.a. um die Analyse von Unruhe- und 
Widerstandspotential und die „Sicherheit und Stabilität der 
Euro-Atlantischen Zone“ wie Mechthild Exo aus dem NATO-Programm 
„Wissenschaft für Frieden und Sicherheit“ zitierte. So beschäftige sich 
die NATO unter dem Titel der Ernährungssicherheit nahezu ausschließlich 
mit der Verarbeitung und Logistik von Nahrungsmitteln in den Norden und 
der Möglichkeit für Terroristen, diese zu stören oder Nahrungsmittel zu 
vergiften. Wissenschaftler aus dem globalen Süden, die von Themen wie 
Umweltsicherheit und Wasserknappheit am ehesten betroffen sind, seien 
ohnehin von den NATO-Programmen ausgeschlossen.

Auch in Deutschland sei die Tendenz festzustellen, dass militärische 
Annahmen von der Wissenschaft integriert würden, während etwa 
postkoloniale Ansätze kaum Förderung erhielten. So sei der dominierende 
Ansatz in der Friedens und Konfliktforschung, dass „Gescheiterte 
Staaten“ durch Marktöffnung und militärische Intervention zu 
restrukturieren seien. Ein ehemaliger Mitarbeiter der UNMIK und heutiger 
Regierungsberater in Afghanistan, Michael Daxner, hätte beispielsweise 
an der Universität Oldenburg einen „Forschungsverbund 
Interventionskultur“ gegründet, der sowohl die Gesellschaften, in denen 
interveniert wird, als auch den „Heimatdiskurs“ in den truppenstellenden 
Staaten untersuchen soll. Auch der Sonderforschungsbereich (SFB) 700 
„Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“ dem etwa 50 
Wissenschaftler und 30 Doktoranten angehören sei „anwendungsorientiert“ 
und greife unter anderem auf die Kolonialherrschaft zurück, um diese für 
heutige Einsätze nutzbar zu machen. Als „Räume begrenzter Staatlichkeit“ 
würden dabei durchaus auch Pariser Vorstädte und Stadtteile wie Neukölln 
identifiziert.

Gegen den SFB 700 hätte es an der FU schon mehrere Protestaktionen 
gegeben, auf welche die Betroffenen heftig reagiert hätten, so Exo 
weiter. „Seit dem findet dort aber immerhin eine intensive Debatte 
statt, an der sich viele Studierende beteiligen“. Das bestätigte auch 
Sarah Nagel, häufig reiche es schon die Rüstungsforschung öffentlich zu 
machen, wodurch die Universitäten in Erklärungsnot kämen. Dies sei etwa 
an der TU Berlin so gewesen, die aufgrund ihrer einschlägigen Geschichte 
eigentlich eine Zivilklausel hat, welche Rüstungsforschung ablehnt, wo 
diese aber dennoch mindesten seit 2000 betrieben wird. Solche 
Zivilklauseln seien zwar rechtlich nicht bindend, dennoch seien sie ein 
guter Hebel, um Rüstungsforschung zu unterbinden oder zumindest zu 
kritisieren. In Karlsruhe bemühe sich z.B. gegenwärtig ein Bündnis aus 
Gewerkschaft, Studierenden und kritischen Naturwissenschatlern darum, 
die Zivilklausel des dortigen Kernforschungszentrums bei dessen Fusion 
mit der Universität auf das neu entstehende Karlsruher Institut für 
Technologie (KIT) auszudehnen. In Niedersachsen hätte es einen Antrag im 
Landtag gegeben, eine solche Zivilklausel im Landeshochschulgesetz zu 
verankern. Auch die Studenten, welche in Tübingen zum Zeitpunkt des 
IMI-Kongress einen Hörsaal besetzt hielten, stellten die Forderung an 
die Uni-Leitung, eine Friedensklausel zu verabschieden, zu 
veröffentlichen und zu befolgen.


Militärischer "Heimatschutz"

Anschließend ging der prominente Bürgerrechtler Rolf Gössner auf die 
Barbarisierung der Innenpolitik ein. Spätestens seit den 
Terroranschlägen des 11. September 2001 sei eine "Periode des 
permanenten Ausnahmezustands" auch und vor allem in Deutschland 
eingetreten. Seitdem habe sich der Trend zur "Erhöhung der 
Kontrolldichte" massiv verstärkt, eine "neue Sicherheitsarchitektur" 
befinde sich im Aufbau, die eine "Strukturveränderung im Staatsgefüge" 
bedeute. Insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte seien 
dabei zwei Tabubrüche vorgenommen worden.

Dies betreffe erstens das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten, 
etwa im Rahmen der neuen Befugnisse für das BKA. Schwerpunkt des 
Beitrags war jedoch der zweite Bereich, die zunehmenden Militäreinsätze 
im Inneren. Auch hier seien im Grundgesetz einer Verwendung des Militärs 
im Inland – eigentlich – enge Grenzen gesetzt, nicht zuletzt wegen der 
Erfahrungen mit der Reichswehr, die während des Kaiserreichs auf 
brutalste Weise gegen demokratische Bewegungen vorging. Eine 
Brutalisierung der Innenpolitik sei die logische Folge einer solchen 
Entwicklung. Denn das Militär unterliege nicht dem Prinzip der 
Verhältnismäßigkeit, womit ja schon die Polizei häufig ihre Probleme hätte.

Nach gegenwärtigem Rechtsstand dürfe die Bundeswehr entweder im 
Verteidigungsfall im Innern eingesetzt werden, wofür eine 2/3 Mehrheit 
des Bundestages erforderlich wäre oder nach Artikel 87a, Absatz 4 des 
Grundgesetzes im Falles eines inneren Notstands. Ferner könne zur 
Katastrophenabwehr im Rahmen von Artikel 35 logistische Amtshilfe der 
Bundeswehr geleistet werden, sollten zivile Stellen nicht über 
ausreichend Kapazitäten verfügen. Allerdings beschränkte sich diese 
"Amtshilfe" – eigentlich – auf nicht-militärische Aspekte. Gerade 
Artikel 35 werde derzeit jedoch als Einfallstor missbraucht, um eine 
flächendeckende Militarisierung der Innenpolitik in die Wege zu leiten. 
Was eine Fußballweltmeisterschaft oder ein G8-Gipfel mit einem 
Katastrophenereignis gemein hätten, sei ebenso unklar wie die Frage, wie 
denn die dabei eingesetzten AWACS-Flugzeuge oder Fennek-Spürpanzer als 
nicht-militärisches Gerät gewertet werden könnten, so Gössner.

Die Weichen für die Aufweichung des Trennungsgebotes seien bereits 2004 
unter der Rot-Grünen Bundesregierung gestellt worden. Das damalige 
Luftsicherheitsgesetz, das den Abschuss entführter Flugzeuge und damit 
die Tötung Unschuldiger billigend in Kauf genommen hätte, sei moralisch 
wie auch rechtlich vollkommen inakzeptabel: "Damit wurden Menschen gegen 
Menschen verrechnet", erklärte Gössner. Das Gesetz sei jedoch vom 
Bundesverfassungsgericht in einer Deutlichkeit verworfen worden. Ein 
vernichtenderes Urteil über die Menschenrechtspolitik der 
Bundesregierung hätte kaum gefällt werden können. Dennoch sei dies dann 
als Auftrag zu einer Grundgesetzänderung uminterpretiert worden, um die 
rechtlichen Barrieren für Bundeswehreinsätze im Inland zu beseitigen.

Schon in den Verteidigungspolitischen Richtlinien 2003 und später im 
Weißbuch der Bundeswehr aus dem Jahr 2006 sei die Forderung erhoben 
worden, dass künftig zwischen äußerer und innerer Sicherheit nicht mehr 
getrennt werden solle. Zudem erlaube Artikel 222 des Vertrags von 
Lissabon (Solidaritätsklausel) endgültig den Militäreinsatz zur 
Terrorabwehr im EU-Inland. Aufgrund der weiten EU-Terrordefinition falle 
darunter aber beispielsweise. auch ein politischer Generalstreik. Eine 
"flächendeckende Militarisierung Deutschlands" erfolge derzeit vor allem 
über die Zivil-Militärische Zusammenarbeit im Inland (ZMZ-I). Derzeit 
würden 480 Verbindungskommandos aufgebaut, in denen Reservisten säßen, 
die für eine Koordination ziviler Stellen mit der Bundeswehr im Falle 
von "Großschadensereignissen" zuständig seien. Dabei handele es sich um 
eine Reservearmee von 5.000 Soldaten, die darüber hinaus auf bis zu 
100.000 aufgestockt werden könne. Diese neue Struktur sei u.a. beim 
NATO-Gipfel eingesetzt worden, was deutliche Hinweise darauf gäbe, 
wogegen hier "geschützt" werden solle.

Es sei geradezu zynisch, wenn eingestanden würde, dass die 
Bundeswehreinsätze im Ausland eine Vergrößerung der Gefahr für 
Terroranschläge nach sich ziehe, dies jedoch dann wiederum als Anlass 
und Rechtfertigung für eine Militarisierung der Innenpolitik 
herangezogen würde. "Wer Notstand predigt, der wird Krieg ernten", der 
"Ausnahmezustand als Normalzustand" sei zum neuen "Paradigma des 
Regierens geworden", so der Bürgerrechtler. Offensichtlich bereite man 
sich hier auf die Niederschlagung von Protesten vor: "Der 
Sicherheitsstaat wird in dem Maße aufgerüstet, in dem der Sozialstaat 
abgetakelt wird", so Gössners Fazit. Es bedürfe deshalb dringend der 
Etablierung eines neuen Sicherheitsbegriffs, der sich nicht an den 
Präferenzen des Kapitals und seiner Vertreter, sondern den Bedürfnissen 
der Bevölkerung orientiere. Unmittelbar müsse jedoch zunächst alles 
daran gesetzt werden, die Anti-Terror-Sondergesetzregelungen wieder 
rückgängig zu machen, um so die rasante Brutalisierung der Innenpolitik 
schrittweise zurückzudrängen, so Gössners abschließendes Plädoyer.


"Die Lage ist ernst"

Wie das zu schaffen sei, war Thema des anschließenden Podiums, an dem 
neben Gössner auch Hedwig Krimmer von ver.di München und der Kampagne 
„Rettet die Grundrechte - gegen den Notstand der Republik sowie der 
ehemalige EU-Parlamentarier und IMI-Vorstand Tobias Pflüger teilnahmen.

Hedwig Krimmer beschrieb zunächst, wie sie gemeinsam mit anderen 
GewerschaftsaktivistInnen (unter anderem aufgrund eines Referates von 
Rolf Gössner in München) begann, sich mit dem Thema Grundrechteabbau, 
insbesondere auch dem Versammlungsrecht und eng damit verbunden auch der 
Militarisierung der Innenpolitik zu beschäftigen. Dies führte unter 
anderem dazu, dass ver.di München zu Protesten gegen das 
Bundeswehrgelöbnis diesen Sommer aufrief, was Krimmer spontanen Applaus 
auf dem IMI-Kongress, aber auch einiges an Kritik innerhalb der 
Gewerkschaften einbrachte. Dennoch sei es notwendig, diese weiterhin auf 
das Thema aufmerksam zu machen, auch wenn dies alltägliche Kompromisse 
erfordere: „Wenn wir es schaffen, denen, um die es geht, deutlich zu 
machen was hier gerade geschieht, wie das ihr Leben, ihren Frieden, ihre 
Demokratie, ihre Rechte bedroht, dann haben wir das Gemisch, das wir 
brauchen“, so Krimmer. Dabei verwies sie auf die Bewegung gegen die 
Notstandsgesetze Ende der 1960er Jahre. Damals seinen die Gewerkschaften 
gemeinsam mit der Bürgerrechtsbewegung und den Studenten auf die 
Barrikaden gegangen und just in dem Moment, als sich die Gewerkschaften 
zurückzogen, weil sie ein „Zuckerle“ erhielten (nämlich das Streiks 
ausgenommen wurden) habe die Bewegung an Einfluß verloren.

Tobias Pflüger begann seinen Beitrag mit den Worten „die Lage ist 
ernst“. Damit bezog er sich einerseits auf die bereits von Gössner 
erwähnte „Solidaritätsklausel“ im Vertrag von Lissabon, aber auch auf 
das Eingeständnis des neuen Verteidigungsministers, in Afghanistan 
herrsche ein „kriegsähnlicher Zustand“. Damit versuche dieser, die 
gezielte Tötung von Menschen mit militärischen Mitteln durch deutsche 
Soldaten in Afghanistan legalisieren. Die Kriegführung im Ausland ginge 
stets mit einem Grundrechteabbau im Innern einher und beides würde sich 
im Zuge der aktuellen Krisen weiter verschärfen. Die sozialen Bewegungen 
müssten deshalb nun den Schulterschluss suchen mit den Gewerkschaften, 
mit Teilen der Kirchen, mit den Menschen innerhalb der 
Bildungseinrichtungen. Die Einladung der Studenten, die einen Hörsaal in 
Tübingen besetzt halten, den Kongress dorthin zu verlegen, sei ein gutes 
Beispiel für einen solchen Schulterschluss. Leider konnte die IMI diese 
Einladung technisch nicht annehmen, sie wurde aber durchaus begrüßt und 
der Vortrag zur Militarisierung von Forschung und Lehre werde ja nun 
auch im Hörsaal wiederholt. Als weiteres Beispiel nannte Pflüger die 
Fuldaer Erklärung, die von Bekannten eines getöteten Soldaten gemeinsam 
mit dem örtlichen DGB initiiert wurde und den Rückzug aus Afghanistan 
sowie ein Ende aller Rekrutierungsbemühungen der Bundeswehr fordert. 
Wichtig sei aber bei der Bündnispolitik, dass man dabei seine Positionen 
nicht aufweiche und das bedeute, dass sich die Antikriegsbewegung 
weiterhin allen Auslandseinsätzen entgegenstellt und er persönlich die 
Rückkehr zum Grundgesetz von 1949 fordert, welches überhaupt keine 
deutsche Armee vorsah. Als wichtige Kampagnen für die nächsten Monate, 
bei denen solche Bündnisse geschaffen werden sollten, nannte Pflüger die 
Proteste gegen die Verlängerung des Afghanistan-Mandates Anfang 
Dezember, gegen die NATO-Sicherheitskonferenz im Februar 2010 und den 
Celler Trialog im kommenden Sommer.

Rolf Gössner verwies darauf, dass nach dem Protest häufig die Repression 
in Form von Strafverfahren kommt, die häufig mit einer 
Individualisierung und Isolierung der Betroffenen einhergehen. Dann sei 
natürlich auf der einen Seite professionelle Hilfe nötig, wie sie Rote 
Hilfe, Legal Teams, Republikanischer AnwältInnenverein zur Verfügung 
stellen können die häufig bei den Protest selbst vor Ort waren und die 
Situation einschätzen können. Doch auch die Bewegung ist hier gefragt, 
denn die Betroffen sehen sich ja meist als Teil dieser Bewegung und 
diese muss dann auch Solidarität demonstrieren. Ein wichtiges Element 
seien auch DemonstrationsbeobachterInnen wie sie das Komitee für 
Grundrechte und Demokratie organisiert, die anschließend Taktik und 
Verhalten der Polizei aufarbeiten und dokumentieren. Gössner verwies 
auch auf Initiativen in den 1980er Jahren, wie „Bürger beobachten die 
Polizei“, welche sowohl das praktische Vorgehen der Polizei, als auch 
die rechtlichen und strategischen Verschiebungen auf denen dieses 
basiert kontinuierlich beobachten und kommentieren. Heute müsse man sich 
vielleicht auch noch ergänzende Initiativen wie „Bürger beobachten die 
Bundeswehr“ ins Leben rufen, denn „wir treffen die ja inzwischen 
häufiger“, so Gössner abschließend.

Informationsstelle Militarisierung



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