[IMI-List] [0318] Bericht vom IMI-Kongress / IMI goes Web 2.0
Informationsstelle Militarisierung
imi at imi-online.de
Do Nov 26 14:23:53 CET 2009
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0318 .......... 13. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Christoph Marischka / Jürgen Wagner
Abo (kostenlos).. https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/imi-list
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List finden sich
1) Hinweise zu IMI bei Facebook und Twitter;
2) erste Berichte zum Kongress am vergangenen Wochenende.
1) IMI bei Facebook und Twitter
Die Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. hat im Internet zwei
neue Projekte gestartet, die erfolgreich angelaufen sind. Im so
genannten Web 2.0. (also dem interaktiven Internet) gibt es z.B.
Facebook und twitter.
IMI ist ab sofort in Facebook zu finden, hat dort eine eigene Seite:
http://www.facebook.com/IMI.FB
So können auch auf diesem Weg die Informationen und Publikationen von
IMI besser verbreitet werden und IMI selbst bekannter gemacht werden.
Man/Frau kann sich dort als Unterstützer/in von IMI eintragen, damit
werden Antexte zu den Standpunkten und Analysen der IMI-Homepage, die
automatisch auf Facebook gepostet werden, den Unterstützer/innen
angezeigt. Bisher hat IMI auf Facebook 383 Unterstützer/innen!
Außerdem hat IMI nun auch einen Twitter-Account. Über Twitter werden
Kurznachrichten gepostet oder Texte verlinkt. Mit Twitter ist es z.B.
möglich, von Veranstaltungen fast live zu berichten. Genau dies haben
Ferederico Elwing, Claudia Haydt und Tobias Pflüger vom IMI-Kongress am
Wochenende getan. Hier ist der Twitter-Account und die Kurzberichte vom
IMI-Kongress via Twitter: http://twitter.com/I_M_I Bei Twitter kann
man/frau sich als "Follower" eintragen, dann bekommt man/frau alle
geposteten Nachrichten des IMI-Twitter-Accounts, bisher sind dies 31
Personen.
http://twitter.com/I_M_I
2) Erste Berichte vom Kongress 2009 "Krisenmanagement!
"Sicherheitsarchitektur" im globalen Ausnahmezustand"
Sowohl das Schwäbische Tagblatt, als auch die junge welt und das Neue
Deutschland haben über den IMI-Kongress berichtet. Wir selbst haben
einen ausführlichen Bericht verfasst, der sich im Anschluss findet. Wir
hoffen, im nächsten Frühjahr eine ausführliche Dokumentation des
Kongresses zu veröffentlichen, die ab sofort unter imi at imi-online.de
bestellt werden kann.
Pressebericht - in: Neues Deutschland, 25.11.2009
Aufrüstung gegen Aufstände
http://www.imi-online.de/2009.php?id=2049
Pressebericht - Schwäbisches Tagblatt, 23.11.2009
Mehr Kapitalismuskritik - Zwei Tage ging die Informationsstelle
Militarisierung der ökonomischen Krise nach
http://www.imi-online.de/2009.php?id=2048
IMI-Standpunkt 2009/063 - in: junge Welt, 23.11.2009
»Einheimische Hilfstruppen für die Drecksarbeit«
http://www.imi-online.de/2009.php?id=2047
IMI-Standpunkt 2009/065
Krisenmanagement! "Sicherheitsarchitektur" im globalen Ausnahmezustand
Bericht über den IMI-Kongresses 2009
http://www.imi-online.de/2009.php?id=2052
IMI, 26.11.2009
Vom 20.-22. November veranstaltete die Informationsstelle
Militarisierung zum mittlerweile zwölften Mal ihren alljährlichen
Kongress in Tübingen. Thema des Kongresses war "Krisenmanagement!
'Sicherheitsarchitektur' im globalen Ausnahmezustand". Die
Veranstaltungen waren sehr gut besucht: über 200 Menschen nahmen an ihm
teil, sodass der Veranstaltungsort, das "Deutsch-Amerikanische
Institut", zeitweise aus allen Nähten platzte.
Inhaltliches Ziel des Kongresses war es, die gefährlichen Auswirkungen
der Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Frage von Krieg und Frieden
näher auszuleuchten, ein Aspekt, der in der gegenwärtigen Debatte nahezu
vollständig ausgeblendet wird. Vor allem drei Bereiche wurden dabei
näher betrachtet: die Auswirkungen auf die internationale
Machtkonstellation und mögliche Konflikte zwischen den Großmächten, die
Folgen der Krise für Konflikte in der sog. Dritten Welt und das
diesbezügliche "Krisenmanagement" in Form verschiedenster
Herrschaftstechniken des Westens sowie schließlich die weitere
Verschärfung der "inneren" Militarisierung in Deutschland. Beim
Abschlusspodium wurde schließlich diskutiert, wo die
Handlungsperspektiven sozialer Bewegungen in Zeiten permanenter Krisen
und sich verschärfender Repression liegen. Thematisch gelang es dadurch
zahlreiche, bislang zu wenig beachtete Aspekte herauszuarbeiten, sodass
der Kongress sowohl inhaltlich als auch vom Besuch rundum gelungen war.
Neue Mächte - Neue Kriege?
Den Auftakt am Samstag machte IMI-Vorstand Jürgen Wagner, indem er
beschrieb, wie sich die Krise als Katalysator für eine "Metamorphose der
Geopolitik" auswirken werde. Sowohl die US-Geheimdienste als auch der
BND kämen in ihren jüngsten Studien zu dem Ergebnis, die internationale
Machttektonik werde sich fundamental verändern, indem sie den
Machtverlust des Westens erheblich beschleunigen werde. Profitieren
würden davon vor allem China (und womöglich Russland), wobei die
westlichen Geheimdienste prognostizieren, dass diese Entwicklung zu
schweren, möglicherweise sogar militärischen Auseinandersetzungen führen
dürfte.
In der Strategiedebatte würde hieraus die Forderung abgeleitet, der
Westen müsse sich gegen die neuen Herausforderer enger
zusammenschließen, teils würde bereits einer neuen Blockkonfrontation
zwischen "Demokratien" und "Autokratien" – für die sich der Westen
dementsprechend (militärisch) wappnen müsse - offen das Wort geredet.
"Der Kampf um die Vormachtstellung im internationalen System ist in
vollem Gange. Die westlichen Staaten setzen alle Mittel ein, um ihre
Dominanz aufrechtzuerhalten, weshalb wir derzeit tatsächlich bereits die
Konturen eines Neuen Kalten Krieges beobachten können", so Wagner.
Am deutlichsten sichtbar werde dies im Energiebereich, wo bereits erste
Stellvertreterkriege zwischen China und USA/EU in Afrika, etwa im Sudan,
zu beobachten seien, aber auch in den zunehmenden Energie-Konflikten
zwischen der EU und Russland. Während der Westen die NATO immer offener
gegen Russland in Stellung bringe, habe Moskau mit der Stärkung einer
"Anti-NATO", der Schanghaier Vertragsorganisation, begonnen, in der u.a.
auch China Mitglied ist. Die Infragestellung des Dollars als
Weltreservewährung durch Russland, China, Indien und Brasilien auf ihrem
Gipfeltreffen im Juni 2009 würde in westlichen Elitenzirkel teils
bereits als offene Kriegserklärung bezeichnet, da dies den USA einen
überaus harten ökonomischen Schlag versetzen würde.
Ohnehin seien die Vereinigten Staaten angesichts ihrer massiven
Verschuldung nicht mehr in der Lage, die westliche Dominanz im
internationalen System im Alleingang zu gewährleisten, geschweige denn,
dem stattfinden Machttransfer effektiv etwas entgegensetzen zu können.
Aus diesem Grund seien sie dringend auf Partner angewiesen und die
Europäische Union sei hierfür der nahe liegendste Adressat. Vor diesem
Hintergrund biete der neue US-Präsident Barack Obama den EU-Verbündeten
einen "Transatlantischen New Deal" an, der im wesentlichen wie folgt
aussehe: Washington biete eine deutliche machtpolitische Aufwertung der
EU-Staaten innerhalb der NATO an – die vielfach eingeforderte, aber nie
eingelöste "Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe" -, fordere hierfür im
Gegenzug jedoch eine deutlich stärkere Beteiligung der EU an der
(militärischen) Aufrechterhaltung der Weltordnung. "Mehr mitkämpfen und
dafür auch mehr mitbestimmen, das ist das Kernelement des
Transatlantischen New Deals", so das IMI-Vorstandsmitglied.
Dieser Transatlantische New Deal werde derzeit auf vielen Ebenen
implementiert – etwa durch die Übergabe eines der wichtigsten
Oberkommandos der NATO von den USA an Frankreich. In jedem Fall stehe zu
befürchten, dass die Europäische Union auf die Verschärfung der
Machtkonflikte ihrerseits mit einer drastischen Militarisierung ihrer
Außenpolitik reagieren werde. Künftig werde noch stärker als bisher die
Durchsetzung von Interessen ins Zentrum rücken. Der in Kürze in Kraft
tretende Lissabon-Vertrag liefere hierfür die erforderliche rechtliche
Grundlage. "Die Krise könnte sich somit als Brandbeschleuniger auf dem
Weg in eine neue Blockkonfrontation erweisen. Mit seiner aggressiven
Politik riskiert der Westens aber, dass der Neue Kalte Krieg zu einer
self-fullfilling prophecy wird", so Wagners Résumée.
Ökonomie, Krise und Krieg
Die Krise habe gezeigt, dass der Kapitalismus nicht funktioniere, so
eine der Kernaussagen des Politikprofessors Elmar Altvaters gleich zu
Beginn seines Beitrags. Die gegenwärtige Krise sei in zentralen
Bereichen sogar schlimmer als die von 1929. Aus diesem Grund sei es
besonders beängstigend, dass damals trotz aller Versuche gegenzusteuern,
erst der Zweite Weltkrieg und der damit einhergehende Nachfrageschub die
Krise beendet habe. Die Gefahr einer militärischen Krisenverregelung sei
real, so Altvater und zitierte hierfür den bekannten Historiker Eric
Hobsbawm, der unlängst prophezeite, im Zuge der Krise werde "sehr viel
Blut fließen." Oberste Priorität der Friedens- und Antikriegsbewegung
sei es deshalb, eine solche Entwicklung zu verhindern.
Anschließend beschrieb Altvater die kurzfristigen Ursachen der
Wirtschafts- und Finanzkrise. Sie sei vor allem auf die Politik des
billigen Geldes zurückzuführen, die Finanzspekulationen massiv befördert
habe. Die staatlicherseits bewusst nicht unterbundene Spekulation habe
zu einer immensen Masse nicht gedeckter – „toxischer“ – Papiere geführt,
die mittlerweile wertlos seien und zahlreiche Banken an den Rand der
Pleite (oder darüber hinaus) gebracht hätten. Mittlerweile habe die
Krise zudem auch die Realwirtschaft erfasst, womit sie zusätzlich
verschärft würde. Trotzdem werde mit der Politik des billigen Geldes
weitergemacht, obwohl damit die nächste Krise vorprogrammiert sei.
"Jetzt baut sich schon wieder eine Spekulationsblase auf, aber wenn die
platzt, hat man nicht mehr wie jetzt die Möglichkeit des billigen
Geldes", so Altvater.
Um dem Fall der Profitrate entgegenzuwirken, würden zahlreiche
Auspressmanöver in Gang gesetzt. Einerseits betreffe dies die – teils
militärisch erzwungene – Erschließung neuer Absatz- und
Investitionsgebiete in der ganzen Welt, ein Bereich in dem die
Europäische Union mit ihrer aggressiven neoliberalen Außenhandelspolitik
der derzeit bedenklichste Akteur sei. Andererseits nehme die Ausbeutung
der Natur weiter zu. Dabei werde weiterhin auf ein – nicht zuletzt wegen
des Klimawandels – vollkommen unhaltbares fossiles Projekt gesetzt, etwa
mit der Abwrackpämie. Stattdessen sei dringend eine Dekarbonisierung
erforderlich, ansonsten steuere man unweigerlich auf eine
Klimakatastrophe zu, die ihrerseits massive Auswirkungen auf die Frage
von Krieg und Frieden haben werde.
Aber selbst Projekte, die auf den ersten Blick positiv erscheinen, da
sie auf erneuerbare Energien setzten, seien teils überaus problematisch.
Als Beispiel führte Altvater Desertec an, ein Projekt bei dem auf einer
riesigen in Afrika befindlichen Fläche Sonnenenergie für den
europäischen Markt gewonnen werden soll. Das Projekt erfordere riesige
Investitionen, die allein von Großkonzernen aufgebracht werden könnten
und aller Voraussicht nach eine militärische Absicherung der Anlagen
nach sich ziehen wird. Generell kritisierte der Politikprofessor den
"Energieimperialismus" der westlichen Staaten, die ihr unhaltbares
Produktions- und Wachstumsmodell unter anderem durch den militärischen
Zugriff auf Ressourcen aufrechterhalten wollten. Auch Biomasse als
alternative zu Benzin sei alles andere als unproblematisch. Das dabei
bebaute Land fehle für die Nahrungsmittelproduktion, womit die Zunahme
von Hungeraufständen billigend in Kauf genommen werde.
Hauptkritik Altvaters war, dass die zugrunde liegenden Krisen- und
Konfliktursachen ("Root Causes of Conflict") nicht angegangen würden.
Weder sei die EU bereit, an ihrer neoliberalen Außenwirtschaftspolitik
etwas zu ändern – womit sie sehenden Auges weitere Armutskonflikte in
Kauf nimmt - noch existiere die Bereitschaft, das eigentliche
Hauptproblem aus dem Weg zu räumen: das unhaltbare Produktions- und
Wachstumsmodell der westlichen Staaten: "Unsere politische Aufgabe ist
es, die Katastrophe zu verhindern. Dabei müssen wir uns wieder mehr der
Kapitalismuskritik zuwenden wie in der Vergangenheit. Wir haben uns
eines Instruments beraubt, das wir dringender benötigen denn je." Mit
diesem Satz nahm Altvater ein wichtiges Fazit des Kongresses vorweg und
lieferte damit gleichsam die Basis für die beiden folgenden Beiträge,
die sich mit den neuen Techniken des westlichen Krisenmanagements in der
sog. Dritten Welt beschäftigten.
Risikobevölkerungen, Lagebilder und Prävention
Christoph Marischka beschrieb Krisenmanagement als globales Pendant zum
nationalen Katastrophenschutz. Beide antizipieren den unvermeidbaren
Ausnahmezustand und definieren für diesen Zielvorgaben und
Handlungsweisen. Anhand von deutschen Katastrophenschutzübungen verwies
er auf eine Verschiebung dieser Zielvorgaben weg von der medizinischen
Hilfe beim Massenanfall von Verletzten hin zur Anwendung unmittelbaren
Zwangs und der Aufstandsbekämpfung. Zivilpersonen tauchen in den
gängigen Szenarien nahezu ausschließlich als hysterische, irrationale,
plündernde oder protestierende Menschenmengen – als Störer – auf,
niemals aber als souveräne, rational handelnde Subjekte mit Fähigkeiten
der Selbsthilfe. Die Rolle der Behörden und Organisationen mit
Sicherheitsaufgaben bestünde vorwiegend in der Kontrolle dieser
Menschen, im Schutz kritischer Infrastruktur und in der Gewährleistung
eines pulsierenden Handels und Transits. Hierfür müssten Menschen- und
Bürgerrechte im Katastrophenfall suspendiert werden.
Global Governance als Krisenmanagement im globalen Maßstab sei Ausdruck
der Tatsache, dass die Herrschenden die Ursachen der permanenten
Konflikte, periodischer Wirtschaftskrisen und zunehmender
Umweltkatastrophen nicht aus dem Weg räumen, sondern auch gegen
Widerstand in der Bevölkerung aufrecht erhalten wollen. Auf globaler
Ebene ist deshalb der Ausnahmezustand permanent und die Global
Governance produziert deshalb eine „überschüssige Bevölkerung“, der
keine Rechte zuerkannt werden sondern lediglich als Bedrohung für
politische Autorität und den freien Welthandel wahrgenommen wird, wie es
beispielsweise zum Ausdruck kommt, wenn in Sicherheitsstrategien
erhöhter „Migrationsdruck“ als Bedrohung definiert wird. Die wenigen,
die aber tatsächlich die abenteuerliche Reise in die Metropolen der
Weltgemeinschaft unternehmen, werden entsprechend auch militärisch
abgewehrt, können in Europa von der Straße weg für 18 Monate inhaftiert
und anschließend abgeschoben und enteignet werden. Die wesentlich höhere
Zahl derer die innerhalb ihrer eigenen Region in Flüchtlingslager
fliehen, bezeichnete Christoph Marischka hingegen als Protagonisten der
Welt-Nicht-BürgerInnen und beschrieb, wie die BewohnerInnen von
Flüchtlingslagern des UNHCR biopolitisch kontrolliert und zugleich
sicherheitspolitisch problematisiert werden.
Die Masse der Menschen würde jedoch dort „überflüssig“ wo sie lebt oder
ziehe in die nächstgelegenen Großstädte. Sie steht im Mittelpunkt
sicherheitspolitischer Erwägungen, wie Marischka anhand von
Strategiepapieren der NATO und der EU darlegte. In diesen
Strategiepapieren wird auch die Organisierung und Selbsthilfe der
„Überflüssigen“ durch Handys und Internet als Gefahr gesehen und diesen
jegliche Rationalität abgesprochen. Die Abwertung der Staatsbürgerschaft
führe neben der Hinwendung zu irrationalen kollektiven Identitäten (hier
nennt die NATO den Nationalsozialismus, den Kommunismus und den Islam
[sic!]), auch zu einer abnehmenden Bereitschaft der Bevölkerung ihr
Leben oder auch ihr Geld für sicherheitspolitische Maßnahmen zu opfern.
Auch deshalb könne gegen die „neuen Bedrohungen“ kein herkömmlicher
Krieg geführt werden. Vielmehr müssten die als Risiko identifizierten
Gesellschaften durchdrungen und militärische Gewalt sehr gezielt
eingesetzt werden, die EU-Rüstungsagentur spreche in diesem Kontext von
„Kriegführung als Kombination von Aufklärung und kinetischer Energie“.
Anschließend stellte Marischka einige deutsche und europäische
Rüstungsprojekte vor, die der Aufklärung auf der Ebene von einzelnen
Personen und der Bekämpfung „weicher und halbharter Ziele“ dienen.
Abschließend verwies Marischka auch auf humanitäre Diskurse, welche
leider die sicherheitspolitischen Risikodefinitionen reproduzieren und
einen Beitrag zur Durchdringung als gefährlich oder gefährdet
definierter Bevölkerungsgruppen leisten. Als Beispiele nannte er hier
Untersuchungen über den Klimawandel, die einen erhöhten Migrationsdruck
prognostizieren oder Modelle von Ernährungswissenschaftlern, welche die
Wahrscheinlichkeit, dass Hunger in Proteste umschlägt, ermitteln sollen.
Aus den Versuchen der Friedens- und Konfliktforschung, Frühwarnsysteme,
„Early Warning“, für Konflikte zu erstellen, seien jedoch auch
interessante Lehren zu ziehen. Hier verweisen einige Forscher und
Praktiker mittlerweile darauf, das Frühwarnsysteme nur dann eine
rechtzeitige, effiziente und von den Betroffenen als legitim erachtete
Reaktion hervorbrächten, wenn die Betroffenen selbst – und nicht
entfernte Hauptstädte – gewarnt und zum Handeln befähigt würden. Dieses
Handeln sei dann nicht militärisch, sondern basiere eher auf Prinzipien
der zivilen Verteidigung, der Selbsthilfe und der kollektiven Verwaltung
öffentlicher Güter. Genau dem, was NATO und EU als Bedrohung wahrnehmen.
"Boots on the Ground"
Wie stattdessen die Konzepte des globalen Nordens aussehen um trotz
nachlassender Opferbereitschaft in der Bevölkerung schnell und umfassend
militärisch auf Risiken zu antworten stellte Jonna Schürkes im folgenden
Vortrag dar. Sie beschrieb darin die Programme von EU und NATO-Staaten
zur Ausbildung und Ausrüstung von Soldaten, Polizisten und
Militärpolizisten des Südens. Diese Programme wären angesichts der
Tatsache, dass heutige Kriege nicht mehr gegen Staaten, sondern gegen
Bevölkerungsgruppen geführt werden von steigender Bedeutung.
Am Beispiel Afghanistan zeigte Schürkes, dass das Ziel der Ausbildung
und Ausrüstung afghanischer Sicherheitskräfte ist, der Regierung in
Kabul einen riesigen Repressionsapparat an die Hand zu geben, mit der
sie auch in Zukunft die eigene Bevölkerung im Sinne der NATO
kontrollieren könne. Zum anderen seien die afghanischen Soldaten und
Polizisten schon heute Bodentruppen für die internationalen Truppen, die
bei Kampfhandlungen nach vorne geschickt, somit der wesentlich größeren
Gefahr ausgesetzt und der Besatzung ein „afghanisches Gesicht“ geben
würden. Dies steigere zum einen die Legitimität des Einsatzes in den
NATO Staaten, zum anderen würde dadurch versucht selbst weniger als
Besatzer wahrgenommen zu werden.
Doch es würden nicht nur nationale Sicherheitskräfte ausgebildet,
sondern auch multinationale Truppen, die - unter Kontrolle des globalen
Nordens - zum Management von Krisen vor allem in Afrika eingesetzt
werden sollen. Hierzu knüpfte Schürkes an den Vortrag vom Freitagabend
an, mit dem der IMI Kongress eröffnet worden war. Am Freitagabend hatten
Kevin Gurka, Christoph Marischka und Jonna Schürkes die verschiedenen
Aktivitäten der EU, ihrer Mitgliedsstaaten und der USA in Afrika in Form
eine Bildervortrags vorgestellt und verdeutlicht, wie militärisch auf
die Krisen in Afrika reagiert wird. Das Thema Ausbildung und Ausrüstung
von Soldaten, Polizisten und Militärpolizisten war hier bereits
angesprochen worden.
In Afrika würden neben zahlreichen Sicherheitssektorreformen, von den
USA und der EU bzw. ihren Mitgliedsstaaten multinationale Truppen
ausgebildet und ausgerüstet, die in Afrika intervenieren sollen. Derzeit
würden so fünf regionale Brigaden aufgestellt, die unter Kommando der
Afrikanischen Union bei Konflikten auf dem Kontinent intervenieren
sollen. Die Aufstellung der Regionalbrigaden werde va. von der EU und
den USA finanziert, in den Ausbildungszentren für afrikanische Soldaten
hätten meist europäische Militärs die wichtigsten Positionen inne. Die
bisherigen Einsätze der AU, die meist nur formell das Kommando inne
gehabt habe, wären ohne die Finanzierung aus dem Entwicklungshilfefond
der EU, die Bereitstellung von Logistik und Aufklärung durch die EU oder
die USA nicht möglich gewesen. Dies wird auch auf absehbare Zeit so
bleiben, weshalb sich der globale Norden hiermit Hilfstruppen geschaffen
hat, deren Einsätze sie durch finanzielle Mittel, Hilfe bei Ausbildung,
Aufklärung und Logistik de facto kontrollieren kann.
Anhand der beiden Beispiele wollte Schürkes aufzeigen, wie - im
Allgemeinen mit Entwicklungshilfegeldern - der globale Norden
Repressionsorgane in den Ländern des Südens aufbaue, um die als
Bedrohung wahrgenommenen Menschen in den verschiedensten Teilen dieser
Welt zu kontrollieren.
Militarisierung von Forschung und Lehre
Am Sonntag eröffneten Sarah Nagel und Mechthild Exo den Kongress mit
ihrem Beitrag zur Militarisierung von Forschung und Lehre an deutschen
Hochschulen. Von der Grundschule bis zum Studium bemühe sich die
Bundeswehr an Bildungseinrichtungen um Akzeptanzgewinnung, Rekrutierung
und Kooperation. Hierfür stellen sowohl die NATO, als auch das
Forschungs- , das Verteidigungsministerium und die EU in ihrem
vermeintlich zivilen Forschungsrahmenprogramm Gelder zur Verfügung. So
habe eine Reihe von kleinen Anfragen der Linkspartei im vergangen Jahr
offenbart, dass 2008 an mindestens 27 Hochschulen in zehn Bundesländern
„wehrrelevante“ Forschung und Sicherheitsforschung betrieben würde. An
den betreffenden Unis sei das selbst im Mittelbau der jeweiligen
Institute häufig unbekannt, würde aber auch selten problematisiert,
beschrieb Sarah Nagel ihren Eindruck, den sie gewann, als sie versuchte,
telefonisch mehr über die einzelnen, vom Verteidigungsministerium
geförderten Projekte zu erfahren. Offensichtlich überwöge an den
Hochschulen Wehrmedizinische und sozialwissenschaftliche
Begleitforschung, die sich häufig mit Fragen der Ethik und der
Legitimierung beschäftigen würden, während an konkreten Waffensystemen
oft in An-Instituten oder anderen, oft der Uni nahestehenden
Einrichtungen wie den Fraunhofer-Instituten und der FGAN geforscht werde.
Die so genannte „Sicherheitsforschung“ sei seit 2001 neben die
wehrtechnische Forschung getreten, habe aber – entsprechend der
aktuellen Konfliktlage, wie sie Christoph Marischka zuvor beschrieb –
ähnliche und ergänzende Inhalte, obwohl sie aus zivilen Mitteln
finanziert wird. So basiert sie auf europäischer Ebene auf Programmen
mit Titeln wie „Auf dem Weg zu einer EU-Ausrüstungspolitik“ und
„Forschung für ein sicheres Europa“, findet sich aber heute vor allem
unter dem Titel „Kooperation“ im Forschungsrahmenprogramm der EU.
Geforscht wird dabei etwa an Technologien für den Schutz von Flughäfen
und anderer kritischer Infrastrukturen und zur Überwachung öffentlicher
Plätze. Sozialwissenschaftliche Forschung beträfe auch hier einerseits
Fragen etwa der „Krisenprävention [sic] in Afghanistan“, Untersuchungen,
wie es um das Vertrauen in Polizei und öffentliche Autoritäten steht und
wie dieses gesteigert werden könnte und ethische Fragestellungen, die
letztlich „ausloten sollen, wie weit man gehen kann“, so Nagel. Zur
Konzeption des Forschungsprogramms und seiner Ausschreibungen und für
die Entscheidung über die Bewilligung von Forschungsmitteln wurden
eigens Gremien geschaffen, in denen v.a. Vertreter der Rüstungsindustrie
sowie Sicherheitspolitiker vertreten sind (aus Deutschland etwa
Vertreter von EADS, Diehl, BKA und der Fraunhofer-Gesellschaft).
Insofern sei klar, dass diese Forschung anwendungsorientiert sei und von
freier Wissenschaft keine Rede sein könne. Tatsächlich werden diese
vermeintlich zivilen Forschungsprogramme neben sicherheitspolitischen
Notwendigkeiten stets auch mit dem „großen Markt für Sicherheit
begründet, für den die europäische Industrie gut aufgestellt sein soll“,
so Nagel.
Da es aber auch innerhalb dieses Marktes noch nationale Konkurrenz gibt,
unterhält Deutschland mittlerweile ebenfalls ein „ziviles“ Programm zur
Sicherheitsforschung, das zwar vom Forschungsministerium finanziert
wird, an dem aber das Verteidigungsministerium nach eigenen Aussagen
beteiligt ist und von dem es sich „Synergien“ erhofft. Wie auch beim
EU-Programm wird hier v.a. an so genannten Dual-Use-Technologien
geforscht, die sich sowohl zivil als auch militärisch einsetzen lassen.
Problematisiert wird das nur insofern, dass diese Technologien nicht in
die Hände von Kriminellen oder Terroristen fallen dürften.
Mechtild Exo zitierte zunächst die US-Strategie zur Aufstandsbekämfung,
wonach es notwendig sei „in die Bevölkerung und ihre Lebensweise
einzutauchen“ um siegreich zu sein. Deshalb habe das Pentagon 60 Mio.
US$ bereitgestellt, um zivile Anthropologen und Sozialwissenschaftler
ins Militär zu integrieren. Schockierend sei auch, dass die NATO-eigenen
Institute mittlerweile zu einem stark erweiterten Themenfeld, etwa
Fragen der Migration, der Ernährungs- und Umweltsicherheit forschen,
damit offensiv und erfolgreich in die zivile Forschung vordrängen und
dabei das Militär als universellen Problemlöser präsentierten. Genau
besehen ginge es aber auch hier v.a. um die Analyse von Unruhe- und
Widerstandspotential und die „Sicherheit und Stabilität der
Euro-Atlantischen Zone“ wie Mechthild Exo aus dem NATO-Programm
„Wissenschaft für Frieden und Sicherheit“ zitierte. So beschäftige sich
die NATO unter dem Titel der Ernährungssicherheit nahezu ausschließlich
mit der Verarbeitung und Logistik von Nahrungsmitteln in den Norden und
der Möglichkeit für Terroristen, diese zu stören oder Nahrungsmittel zu
vergiften. Wissenschaftler aus dem globalen Süden, die von Themen wie
Umweltsicherheit und Wasserknappheit am ehesten betroffen sind, seien
ohnehin von den NATO-Programmen ausgeschlossen.
Auch in Deutschland sei die Tendenz festzustellen, dass militärische
Annahmen von der Wissenschaft integriert würden, während etwa
postkoloniale Ansätze kaum Förderung erhielten. So sei der dominierende
Ansatz in der Friedens und Konfliktforschung, dass „Gescheiterte
Staaten“ durch Marktöffnung und militärische Intervention zu
restrukturieren seien. Ein ehemaliger Mitarbeiter der UNMIK und heutiger
Regierungsberater in Afghanistan, Michael Daxner, hätte beispielsweise
an der Universität Oldenburg einen „Forschungsverbund
Interventionskultur“ gegründet, der sowohl die Gesellschaften, in denen
interveniert wird, als auch den „Heimatdiskurs“ in den truppenstellenden
Staaten untersuchen soll. Auch der Sonderforschungsbereich (SFB) 700
„Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“ dem etwa 50
Wissenschaftler und 30 Doktoranten angehören sei „anwendungsorientiert“
und greife unter anderem auf die Kolonialherrschaft zurück, um diese für
heutige Einsätze nutzbar zu machen. Als „Räume begrenzter Staatlichkeit“
würden dabei durchaus auch Pariser Vorstädte und Stadtteile wie Neukölln
identifiziert.
Gegen den SFB 700 hätte es an der FU schon mehrere Protestaktionen
gegeben, auf welche die Betroffenen heftig reagiert hätten, so Exo
weiter. „Seit dem findet dort aber immerhin eine intensive Debatte
statt, an der sich viele Studierende beteiligen“. Das bestätigte auch
Sarah Nagel, häufig reiche es schon die Rüstungsforschung öffentlich zu
machen, wodurch die Universitäten in Erklärungsnot kämen. Dies sei etwa
an der TU Berlin so gewesen, die aufgrund ihrer einschlägigen Geschichte
eigentlich eine Zivilklausel hat, welche Rüstungsforschung ablehnt, wo
diese aber dennoch mindesten seit 2000 betrieben wird. Solche
Zivilklauseln seien zwar rechtlich nicht bindend, dennoch seien sie ein
guter Hebel, um Rüstungsforschung zu unterbinden oder zumindest zu
kritisieren. In Karlsruhe bemühe sich z.B. gegenwärtig ein Bündnis aus
Gewerkschaft, Studierenden und kritischen Naturwissenschatlern darum,
die Zivilklausel des dortigen Kernforschungszentrums bei dessen Fusion
mit der Universität auf das neu entstehende Karlsruher Institut für
Technologie (KIT) auszudehnen. In Niedersachsen hätte es einen Antrag im
Landtag gegeben, eine solche Zivilklausel im Landeshochschulgesetz zu
verankern. Auch die Studenten, welche in Tübingen zum Zeitpunkt des
IMI-Kongress einen Hörsaal besetzt hielten, stellten die Forderung an
die Uni-Leitung, eine Friedensklausel zu verabschieden, zu
veröffentlichen und zu befolgen.
Militärischer "Heimatschutz"
Anschließend ging der prominente Bürgerrechtler Rolf Gössner auf die
Barbarisierung der Innenpolitik ein. Spätestens seit den
Terroranschlägen des 11. September 2001 sei eine "Periode des
permanenten Ausnahmezustands" auch und vor allem in Deutschland
eingetreten. Seitdem habe sich der Trend zur "Erhöhung der
Kontrolldichte" massiv verstärkt, eine "neue Sicherheitsarchitektur"
befinde sich im Aufbau, die eine "Strukturveränderung im Staatsgefüge"
bedeute. Insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte seien
dabei zwei Tabubrüche vorgenommen worden.
Dies betreffe erstens das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten,
etwa im Rahmen der neuen Befugnisse für das BKA. Schwerpunkt des
Beitrags war jedoch der zweite Bereich, die zunehmenden Militäreinsätze
im Inneren. Auch hier seien im Grundgesetz einer Verwendung des Militärs
im Inland – eigentlich – enge Grenzen gesetzt, nicht zuletzt wegen der
Erfahrungen mit der Reichswehr, die während des Kaiserreichs auf
brutalste Weise gegen demokratische Bewegungen vorging. Eine
Brutalisierung der Innenpolitik sei die logische Folge einer solchen
Entwicklung. Denn das Militär unterliege nicht dem Prinzip der
Verhältnismäßigkeit, womit ja schon die Polizei häufig ihre Probleme hätte.
Nach gegenwärtigem Rechtsstand dürfe die Bundeswehr entweder im
Verteidigungsfall im Innern eingesetzt werden, wofür eine 2/3 Mehrheit
des Bundestages erforderlich wäre oder nach Artikel 87a, Absatz 4 des
Grundgesetzes im Falles eines inneren Notstands. Ferner könne zur
Katastrophenabwehr im Rahmen von Artikel 35 logistische Amtshilfe der
Bundeswehr geleistet werden, sollten zivile Stellen nicht über
ausreichend Kapazitäten verfügen. Allerdings beschränkte sich diese
"Amtshilfe" – eigentlich – auf nicht-militärische Aspekte. Gerade
Artikel 35 werde derzeit jedoch als Einfallstor missbraucht, um eine
flächendeckende Militarisierung der Innenpolitik in die Wege zu leiten.
Was eine Fußballweltmeisterschaft oder ein G8-Gipfel mit einem
Katastrophenereignis gemein hätten, sei ebenso unklar wie die Frage, wie
denn die dabei eingesetzten AWACS-Flugzeuge oder Fennek-Spürpanzer als
nicht-militärisches Gerät gewertet werden könnten, so Gössner.
Die Weichen für die Aufweichung des Trennungsgebotes seien bereits 2004
unter der Rot-Grünen Bundesregierung gestellt worden. Das damalige
Luftsicherheitsgesetz, das den Abschuss entführter Flugzeuge und damit
die Tötung Unschuldiger billigend in Kauf genommen hätte, sei moralisch
wie auch rechtlich vollkommen inakzeptabel: "Damit wurden Menschen gegen
Menschen verrechnet", erklärte Gössner. Das Gesetz sei jedoch vom
Bundesverfassungsgericht in einer Deutlichkeit verworfen worden. Ein
vernichtenderes Urteil über die Menschenrechtspolitik der
Bundesregierung hätte kaum gefällt werden können. Dennoch sei dies dann
als Auftrag zu einer Grundgesetzänderung uminterpretiert worden, um die
rechtlichen Barrieren für Bundeswehreinsätze im Inland zu beseitigen.
Schon in den Verteidigungspolitischen Richtlinien 2003 und später im
Weißbuch der Bundeswehr aus dem Jahr 2006 sei die Forderung erhoben
worden, dass künftig zwischen äußerer und innerer Sicherheit nicht mehr
getrennt werden solle. Zudem erlaube Artikel 222 des Vertrags von
Lissabon (Solidaritätsklausel) endgültig den Militäreinsatz zur
Terrorabwehr im EU-Inland. Aufgrund der weiten EU-Terrordefinition falle
darunter aber beispielsweise. auch ein politischer Generalstreik. Eine
"flächendeckende Militarisierung Deutschlands" erfolge derzeit vor allem
über die Zivil-Militärische Zusammenarbeit im Inland (ZMZ-I). Derzeit
würden 480 Verbindungskommandos aufgebaut, in denen Reservisten säßen,
die für eine Koordination ziviler Stellen mit der Bundeswehr im Falle
von "Großschadensereignissen" zuständig seien. Dabei handele es sich um
eine Reservearmee von 5.000 Soldaten, die darüber hinaus auf bis zu
100.000 aufgestockt werden könne. Diese neue Struktur sei u.a. beim
NATO-Gipfel eingesetzt worden, was deutliche Hinweise darauf gäbe,
wogegen hier "geschützt" werden solle.
Es sei geradezu zynisch, wenn eingestanden würde, dass die
Bundeswehreinsätze im Ausland eine Vergrößerung der Gefahr für
Terroranschläge nach sich ziehe, dies jedoch dann wiederum als Anlass
und Rechtfertigung für eine Militarisierung der Innenpolitik
herangezogen würde. "Wer Notstand predigt, der wird Krieg ernten", der
"Ausnahmezustand als Normalzustand" sei zum neuen "Paradigma des
Regierens geworden", so der Bürgerrechtler. Offensichtlich bereite man
sich hier auf die Niederschlagung von Protesten vor: "Der
Sicherheitsstaat wird in dem Maße aufgerüstet, in dem der Sozialstaat
abgetakelt wird", so Gössners Fazit. Es bedürfe deshalb dringend der
Etablierung eines neuen Sicherheitsbegriffs, der sich nicht an den
Präferenzen des Kapitals und seiner Vertreter, sondern den Bedürfnissen
der Bevölkerung orientiere. Unmittelbar müsse jedoch zunächst alles
daran gesetzt werden, die Anti-Terror-Sondergesetzregelungen wieder
rückgängig zu machen, um so die rasante Brutalisierung der Innenpolitik
schrittweise zurückzudrängen, so Gössners abschließendes Plädoyer.
"Die Lage ist ernst"
Wie das zu schaffen sei, war Thema des anschließenden Podiums, an dem
neben Gössner auch Hedwig Krimmer von ver.di München und der Kampagne
„Rettet die Grundrechte - gegen den Notstand der Republik sowie der
ehemalige EU-Parlamentarier und IMI-Vorstand Tobias Pflüger teilnahmen.
Hedwig Krimmer beschrieb zunächst, wie sie gemeinsam mit anderen
GewerschaftsaktivistInnen (unter anderem aufgrund eines Referates von
Rolf Gössner in München) begann, sich mit dem Thema Grundrechteabbau,
insbesondere auch dem Versammlungsrecht und eng damit verbunden auch der
Militarisierung der Innenpolitik zu beschäftigen. Dies führte unter
anderem dazu, dass ver.di München zu Protesten gegen das
Bundeswehrgelöbnis diesen Sommer aufrief, was Krimmer spontanen Applaus
auf dem IMI-Kongress, aber auch einiges an Kritik innerhalb der
Gewerkschaften einbrachte. Dennoch sei es notwendig, diese weiterhin auf
das Thema aufmerksam zu machen, auch wenn dies alltägliche Kompromisse
erfordere: „Wenn wir es schaffen, denen, um die es geht, deutlich zu
machen was hier gerade geschieht, wie das ihr Leben, ihren Frieden, ihre
Demokratie, ihre Rechte bedroht, dann haben wir das Gemisch, das wir
brauchen“, so Krimmer. Dabei verwies sie auf die Bewegung gegen die
Notstandsgesetze Ende der 1960er Jahre. Damals seinen die Gewerkschaften
gemeinsam mit der Bürgerrechtsbewegung und den Studenten auf die
Barrikaden gegangen und just in dem Moment, als sich die Gewerkschaften
zurückzogen, weil sie ein „Zuckerle“ erhielten (nämlich das Streiks
ausgenommen wurden) habe die Bewegung an Einfluß verloren.
Tobias Pflüger begann seinen Beitrag mit den Worten „die Lage ist
ernst“. Damit bezog er sich einerseits auf die bereits von Gössner
erwähnte „Solidaritätsklausel“ im Vertrag von Lissabon, aber auch auf
das Eingeständnis des neuen Verteidigungsministers, in Afghanistan
herrsche ein „kriegsähnlicher Zustand“. Damit versuche dieser, die
gezielte Tötung von Menschen mit militärischen Mitteln durch deutsche
Soldaten in Afghanistan legalisieren. Die Kriegführung im Ausland ginge
stets mit einem Grundrechteabbau im Innern einher und beides würde sich
im Zuge der aktuellen Krisen weiter verschärfen. Die sozialen Bewegungen
müssten deshalb nun den Schulterschluss suchen mit den Gewerkschaften,
mit Teilen der Kirchen, mit den Menschen innerhalb der
Bildungseinrichtungen. Die Einladung der Studenten, die einen Hörsaal in
Tübingen besetzt halten, den Kongress dorthin zu verlegen, sei ein gutes
Beispiel für einen solchen Schulterschluss. Leider konnte die IMI diese
Einladung technisch nicht annehmen, sie wurde aber durchaus begrüßt und
der Vortrag zur Militarisierung von Forschung und Lehre werde ja nun
auch im Hörsaal wiederholt. Als weiteres Beispiel nannte Pflüger die
Fuldaer Erklärung, die von Bekannten eines getöteten Soldaten gemeinsam
mit dem örtlichen DGB initiiert wurde und den Rückzug aus Afghanistan
sowie ein Ende aller Rekrutierungsbemühungen der Bundeswehr fordert.
Wichtig sei aber bei der Bündnispolitik, dass man dabei seine Positionen
nicht aufweiche und das bedeute, dass sich die Antikriegsbewegung
weiterhin allen Auslandseinsätzen entgegenstellt und er persönlich die
Rückkehr zum Grundgesetz von 1949 fordert, welches überhaupt keine
deutsche Armee vorsah. Als wichtige Kampagnen für die nächsten Monate,
bei denen solche Bündnisse geschaffen werden sollten, nannte Pflüger die
Proteste gegen die Verlängerung des Afghanistan-Mandates Anfang
Dezember, gegen die NATO-Sicherheitskonferenz im Februar 2010 und den
Celler Trialog im kommenden Sommer.
Rolf Gössner verwies darauf, dass nach dem Protest häufig die Repression
in Form von Strafverfahren kommt, die häufig mit einer
Individualisierung und Isolierung der Betroffenen einhergehen. Dann sei
natürlich auf der einen Seite professionelle Hilfe nötig, wie sie Rote
Hilfe, Legal Teams, Republikanischer AnwältInnenverein zur Verfügung
stellen können die häufig bei den Protest selbst vor Ort waren und die
Situation einschätzen können. Doch auch die Bewegung ist hier gefragt,
denn die Betroffen sehen sich ja meist als Teil dieser Bewegung und
diese muss dann auch Solidarität demonstrieren. Ein wichtiges Element
seien auch DemonstrationsbeobachterInnen wie sie das Komitee für
Grundrechte und Demokratie organisiert, die anschließend Taktik und
Verhalten der Polizei aufarbeiten und dokumentieren. Gössner verwies
auch auf Initiativen in den 1980er Jahren, wie „Bürger beobachten die
Polizei“, welche sowohl das praktische Vorgehen der Polizei, als auch
die rechtlichen und strategischen Verschiebungen auf denen dieses
basiert kontinuierlich beobachten und kommentieren. Heute müsse man sich
vielleicht auch noch ergänzende Initiativen wie „Bürger beobachten die
Bundeswehr“ ins Leben rufen, denn „wir treffen die ja inzwischen
häufiger“, so Gössner abschließend.
Informationsstelle Militarisierung
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