[IMI-List] [0307] Neue EU-Broschüre / IMI-Analyse Heidelberger Sicherheitsforum

Informationsstelle Militarisierung imi at imi-online.de
Mi Mai 27 14:46:34 CEST 2009


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0307 .......... 13. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Christoph Marischka / Jürgen Wagner
Abo (kostenlos)........ IMI-List-subscribe at yahoogroups.com
Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,

mit dieser IMI-List finden sich Hinweise zu folgenden Themen:

1) Eine neue Broschüre zur Militarisierung der EU

2) Hinweise zu neuen Texten auf der IMI-HP

3) Eine Analyse zum Heidelberger Sicherheitsforum, einem Treffen von 
Eliten aus Politik, Wirtschaft und Militär



1.) Broschüre: "Militärmacht EUropa: Eine Zwischenbilanz"


Soeben ist die Broschüre "Militärmacht EUropa: Eine Zwischenbilanz" 
erschienen, die von IMI-Vorstand Tobias Pflüger und dem IMI-Büro in 
Tübingen erstellt wurde. In der 64seitigen Broschüre sind zahlreiche 
Texte enthalten, die im letzten Jahr vor allem im IMI-Magazin AUSDRUCK 
erschienen sind und einen umfassenden Überblick zum Stand der 
Militarisierung der Europäischen Union bieten sollen.

Die Broschüre kann kostenlos (gern auch in größerer Stückzahl zur 
Verwendung auf Infoständen, etc.) unter folgender Adresse bezogen werden:
eu-broschueren-bestellung at gmx.de

Sie kann auch komplett hier heruntergeladen werden:

http://www.imi-online.de/download/bilanz2009-web.pdf

INHALT

GRUNDLAGEN UND STRATEGIEN:
-- Tobias Pflüger:
Empire Europa: Das militärische Fundament der Wirtschaftsmacht EU

-- Jürgen Wagner:
Lissabon-Vertrag hin oder her -- das militärische Kerneuropa soll kommen!

-- Tobias Pflüger:
Transatlantisches Kriegsbündnis - Militaristische Zweckallianz: Die 
Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen NATO und EU

-- Christoph Marischka:
Frontex: Im Netz des EU-Sicherheitssektors

-- Malte Lühmann:
Aus dem All in alle Welt. Weltraumpolitik für die Militärmacht Europa

-- Tobias Pflüger:
Verquastete Weltbilder und EU-Militarisierungskataloge


DIE EU IM EINSATZ:

-- Claudia Haydt:
Kanonenboote und Piraten: Die EU am Horn von Afrika

-- Christoph Marischka:
Piraten oder Flüchtlinge. Wen jagt die internationale Gemeinschaft im 
Golf von Aden?

-- Jürgen Wagner:
Gas-OPEC und Afrikanische Nabucco

-- Tobias Pflüger:
Die ESVP-Mission in Georgien: "Vom Wasserträger zum Führungsspieler" 
oder der Krieg in Georgien als Geburtsstunde des neuen Imperiums EU?

-- Christoph Marischka:
Tschad: Die EUFOR als Brandbeschleuniger

-- Jürgen Wagner:
Risiken und Nebenwirkungen: Neoliberaler Kolonialismus und 
NATO/EU-Aufstandsbekämpfung im Kosovo

NACHWORT

-- Tobias Pflüger
Militarismus und Antimilitarismus -- immer zuerst gegen die eigene 
Regierung!

http://www.imi-online.de/download/bilanz2009-web.pdf



2) Neue Texte auf der IMI-Homepage

An neuen Texten ist auf der IMI-Homepage ist in letzter Zeit u.a. ein 
Beitrag über Flüchtlinge am Horn von Afrika erschienen, denen im Rahmen 
der Pirateriebekämpfung droht, sprichwörtlich zwischen die Fronten zu 
geraten (mehr dazu hier: http://imi-online.de/2009.php3?id=1967). Ein 
weiterer Text beschäftigt sich mit der nahezu unbeachtet gebliebenen 
Spezialeinheit der Bundespolizei für Auslandseinsätze, die jüngst 
aufgestellt wurde (http://www.imi-online.de/2009.php3?id=1966). Außerdem 
haben wir anlässlich der Tatsache, dass Klimawandel der Schwerpunkt des 
diesjährigen BUKO-Kongresses war, an dem sich die IMI mit vier 
Veranstaltungen beteiligte, die Analyse über Klimawandel und 
Militarisierung aktualisiert (http://www.imi-online.de/2009.php3?id=1969).



3) Analyse zum Heidelberger Sicherheitsforum

IMI-Analyse 2009/023
Krieg und Profit: Das Heidelberger Sicherheitsforum -- Schulterschluss 
von Militär-, Wirtschaft und Politik
http://imi-online.de/2009.php3?id=1968
17.5.2009, Jürgen Wagner


Lange gab es in Deutschland drei große sicherheitspolitische 
Veranstaltungen: die Konferenzen von Handelsblatt und Behördenspiegel 
sowie vor allem die Münchner Sicherheitskonferenz. Der Bedarf für solche 
Stelldicheins der Kriegseliten scheint jedoch zu wachsen: Seit 2007 
organisiert die Commerzbank zusammen mit dem Verteidigungsministerium 
nun noch den Celler Trialog und am 15. Mai fand erstmals das 
"Heidelberger Sicherheitsforum" statt. Ziel des Veranstalters, des 
"Instituts für Management GmbH", war es laut Einladung, "eine 
anspruchsvolle Plattform für Regierungs- und Militärvertreter sowie die 
Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer der Verteidigungsindustrie 
anzubieten."

Während die Vertreter der politisch-militärischen Ebene vor allem 
darüber debattierten, wie militärische Besatzungen (Afghanistan, Kosovo 
usw.) künftig effizienter gestaltet werden können, ging es den 
Rüstungsleuten -- wen wundert's -- primär um mehr Geld. Recht unverblümt 
wurde dies in der Einladung auch eingeräumt: "Die Wirtschaftskrise hat 
längst auch das Militär erfasst. Mögliche Einsparmaßnahmen könnten nicht 
nur die Auftragslage der wehrtechnischen Industrie, sondern auch 
Militäreinsätze im Ausland tangieren. Die Branche beobachtet diese 
Entwicklung mit Sorge. Mit ungefähr 80.000 Menschen in den rund 200 
Firmen im wehrtechnischen Bereich wird in Deutschland bislang ein 
jährlicher Umsatz von über 15 Mrd. € erwirtschaftet." Während mehr und 
mehr Menschen angesichts der Wirtschaftskrise die nackte Existenzangst 
umtreibt, zielte das Heidelberger Sicherheitsforums darauf ab, mit einem 
Schulterschluss aus Politik, Militär und Wirtschaft Kürzungen im 
Rüstungshaushalt zu verhindern -- oder besser noch, sogar noch mehr Geld 
in diesen Bereich zu pumpen, damit die Auftragsbücher und damit die 
Kassen der Rüstungskonzerne auch künftig gut gefüllt bleiben.

So verwundert es nicht, dass neben einigen Politikern, allen voran 
Verteidigungsminister Franz-Josef Jung und zahlreichen hochrangigen 
Militärs auch nahezu jeder große Rüstungskonzern eine Person nach 
Heidelberg abbeordert hatte. Und die ließen sich das einiges kosten: die 
Tagungsgebühr belief sich auf 1190€ - exklusive Mehrwertsteuer! Doch 
dies ist aus Sicht der Rüstungskonzerne in jedem Fall "gut" angelegtes 
Geld, denn vor allem bei den informellen Gesprächen während der 
Kaffeepausen lässt sich immer der ein oder andere Deal einfädeln.


Kriegstreiber? Kriegstreiber!

Erfreulicherweise fanden sich bereits um 8h30 zahlreiche Demonstranten 
vor dem Veranstaltungsort, dem Crowne Plaza in Heidelberg, ein, was die 
Forumsteilnehmer sichtlich verärgerte -- über Krieg und Profit spricht 
man naturgemäß lieber im stillen Kämmerlein und unter vollständigem 
Ausschluss der Öffentlichkeit.

Nachdem das nun nicht mehr möglich war, ging man zum "Gegenangriff" 
über: "Dies ist keine Veranstaltung von Kriegstreibern, sondern von 
Friedensmachern", mit diesen Worten eröffnete der 
CDU-Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des 
Verteidigungsausschusses Karl Lamers das Heidelberger Sicherheitsforum, 
um gleich darauf noch einen draufzusatteln: man solle doch einsehen, 
"dass die Demonstranten, draußen demonstrieren dürfen, haben sie nicht 
zuletzt der NATO zu verdanken." Wie weit es mit dem Zusammenhang von 
NATO und Demonstrationsrecht her ist, konnte man kürzlich beim 
NATO-Gipfel in Kehl und Straßburg erleben, aber klappern gehört ja 
schließlich zum Geschäft.

Wer sich jedenfalls die einzelnen Beiträge der selbsternannten 
"Friedensmacher" angehört hat, der kann ihnen eigentlich nur entgegnen: 
wenn jemand sich verhält wie ein Kriegstreiber und redet wie ein 
Kriegstreiber, dann ist er wohl auch ein Kriegstreiber.


"Eisernes Kreuz in aller Welt"

Nach dem Aufschlag von Karl Lamers folgte der als Hauptredner 
eingeladene Verteidigungsminister Franz-Josef Jung, der sich überaus 
stolz zeigte, den Kriegskurs der Bundeswehr weiter forciert zu haben: 
"Wir sind von der reinen Verteidigungsarmee über die Armee der Einheit 
zu einer Armee im Einsatz für den Frieden geworden."

Noch blumiger und nicht minder zufrieden äußerte sich anschließend 
Johann. Dora, Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr: "das 
Eiserne Kreuz ist mittlerweile ein ganz selbstverständlicher Teil 
internationaler Einsätze geworden." Man habe es hierbei nicht nur mit 
der größten Veränderung seit 1945 zu tun, die Transformation -- sprich: 
Kriegsausrichtung -- der Bundeswehr sei vielmehr der "größter Wandel in 
der Geschichte der bewaffneten Streitkräfte in Deutschland."

Sämtliche Vertreter auf dem "Sicherheitsforum" wurden nicht müde zu 
betonen, Deutschland sei aus allen Ecken Bedrohungen ausgesetzt: zu 
Lande, auf See, in der Luft, im Weltraum, im Cyberspace, im In- wie im 
Ausland, einfach überall lauerten Gefahren, die es offensiv zu bekämpfen 
gelte. Beispielhaft sprach Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und 
Politik, der derzeit wichtigsten deutschen Denkfabrik, von einer 
"Heterogenisierung der sicherheitspolitischen Bedrohungen." Jung ließ 
keine Zweifel aufkommen, was das bedeutet: Angesichts der postulierten 
neuen Bedrohungslage sei es erforderlich aktiv, also militärisch, "die 
Gefahr dort zu beseitigen, wo sie entsteht."

Als wichtiges Beispiel in diesem Zusammenhang erwähnte 
Verteidigungsminister Jung die Einsätze der Europäischen Union 
(ATALANTA) und der NATO (Allied Provider) zur Pirateriebekämpfung am 
Horn von Afrika. Mit keinem Wort erwähnt wird natürlich, dass diese 
Piraten erst entstanden, nachdem Somalia von den Internationalen 
Finanzinstitutionen derart zugrunde gerichtet wurde, dass der Staat 
faktisch zusammenbrach. Da u.a. keine funktionierende Küstenwache mehr 
existierte, konnten anschließend EU-Schiffe ungeniert die Küstenzone 
ausplündern, womit zahlreichen Fischern die Lebensgrundlage entzogen 
wurde. Aus diesen beiden Gruppen -- Küstenwache und verarmte Fischer -- 
setzten sich dann die ersten Piratengruppen zusammen, deren Bekämpfung 
nunmehr weit oben auf der militärischen Prioritätenliste steht. Völlig 
offen benannte Jung den Grund hierfür: natürlich habe ATALANTA auch 
etwas mit "unserer Interessenskonstellation zu tun." Schließlich sei 
Deutschland "Exportweltmeister" und da Somalis an einer wichtigen 
Handelsroute liege, müsse man die "Geißel der Piraterie" bekämpfen. 
Bedrohlich klingt in diesem Zusammenhang Jungs folgende Feststellung: 
"allein von See werden wir das Problem nicht in den Griff bekommen." 
Zwar betonte der Politiker, dass hierfür nicht-militärische Maßnahmen 
ergriffen werden müssten - was nicht ist, kann ja noch kommen, dürften 
sich die Vertreter der Rüstungsindustrie jedoch hier gedacht haben.

Angesichts der Tatsache aber, dass es sich hierbei sowohl um den 
wichtigsten Einsatz der NATO als auch Deutschlands handelt, ist es nicht 
weiter verwunderlich, dass dem Krieg in Afghanistan die meiste 
Aufmerksamkeit gezollt wurde.


Skurrile Logik: Afghanistan und der Krieg für Terror

Sichtlich ins schwimmen geriet der ohnehin nicht sonderlich eloquente 
Verteidigungsminister beim Thema Afghanistan. Nicht nur wegen der 
öffentlichen Wahrnehmung, auch weil sich hieraus andere 
versicherungstechnische Folgekosten für im Einsatz verletzte oder 
getötete Soldaten ergeben, vermeidet Jung es bislang konsequent von 
einem Kampfeinsatz zu sprechen.

Nachdem von Militärseite hierüber recht deutlicher Unmut laut geworden 
ist und angesichts der zahlreichen anwesenden Soldaten, versuchte Jung 
auf dem Heidelberger Sicherheitsforum einen nicht wirklich gelungenen 
Formelkompromiss. Der zuletzt in Afghanistan gestorbene Soldat sei im 
Einsatz "gefallen", so Jung, der damit auf eine harsche Kritik des 
Bundeswehrverbandes reagierte, nachdem er lange den Begriff "ums Leben 
gekommen" verwendete. Noch besser wurde es aber im nächsten Satz, als 
Jung verkündete, in Afghanistan handele es sich "um einen 
"Kampfeinsatz", der allerdings im Rahmen eines 
"Stabilisierungseinsatzes" erfolge.

Wie auch immer: allen Anwesenden war klar, dass es sich beim 
Bundswehreinsatz in Afghanistan um einen Krieg handelt, noch dazu um 
einen, der aus militärischer Sicht alles andere als gut verläuft. Er 
wolle "nichts beschönigen", so Generalleutnant Dora, Sicherheitslage 
habe sich "nicht verbessert." Man sei sogar dabei "bereits Erreichtes im 
Bereich der Sicherheit zu verlieren." Er halte das "organisierte und 
professionelle Vorgehen der Aufständischen für beachtenswert"

Seit Jahren intensivieren die NATO und Deutschland den Krieg in 
Afghanistan -- die Truppenanzahl stieg von Anfangs 5.000 auf 
mittlerweile knapp 70.000 - und eskalieren damit die Situation immer 
weiter. Anstatt aber endlich einen Abzug ins Auge zu fassen, habe die 
NATO, so Dora, der diesen Schritt befürwortet, auf dem April-Gipfel in 
Kehl und Straßburg ein "Signal der Entschlossenheit für ein 
langfristiges Engagement in Afghanistan gesetzt." Hierzu gehört vor 
allem die unter der neuen US-Regierung betriebene Ausweitung der 
Kampfhandlungen auf Pakistan, was von Franz Josef Jung ausdrücklich 
begrüßt wurde. Er begründete dies mit folgenden Worten: "Pakistan ist 
Rückzugsraum und Rekrutierungsgebiet für die Taliban."

Generell wurde an der Sinnhaftigkeit des Afghanistan-Krieges keinerlei 
Zweifel geäußert, schließlich werde dort der Terrorismus bekämpft und 
damit Deutschlands Sicherheit gewährleistet. Dieses omnipräsente 
Legitimationskonstrukt für den Krieg, fällt aber zusammen wie ein 
Kartenhaus, wenn man sich die Aussage des Hamburger Innensenators 
Christoph Ahlhaus beim Heidelberger Sicherheitsforum näher betrachtet: 
"Ein entscheidender Faktor, dass Deutschland im Fokus islamistischer 
Terroristen ist, bleibt das Engagement Deutschlands in Afghanistan." Um 
den Terrorismus zu bekämpfen, sei es also erforderlich in Afghanistan 
(und nun auch Pakistan) alles kurz und klein zu schießen. Blöderweise 
sei dies aber gerade der Grund dafür, dass die Terrorgefahr in 
Deutschland steige (zu dieser Schlussfolgerung gelangen im Übrigen auch 
BND und Verfassungsschutz), weshalb die Axt an wesentlichen 
Bürgerrechten angelegt werden müsse, um "uns" hiervor zu schützen. Bravo 
-- wirklich beruhigend, wenn ein Land solche "Eliten" hat!


Vernetzte Sicherheit oder die Tücken des Kolonialismus

Wer sich die letzten großen Kriegseinsätze der westlichen Staaten 
genauer betrachtet, der stellt fest, dass hier eine grundlegende 
Veränderung eingetreten ist. Es geht bei ihnen nicht mehr allein um den 
Sieg über einen militärischen Gegner, sondern auch darum, die Länder -- 
Bosnien, Kosovo, Irak, Afghanistan - anschließend solange unter 
militärischer Besatzung zu halten, bis die im Rahmen des Nation Building 
aufgebauten neoliberalen Staatswesen halbwegs wie gewünscht funktionieren.

Ebenso süffisant wie präzise beschrieb Holger Mey auf dem Heidelberger 
Sicherheitsforum den Neoliberalen Kolonialismus des Westens mit 
folgenden Worten: "Wo immer wir intervenieren, bleiben wir mit 
zigtausend Mann, um eine Nation aufzubauen, wo vorher noch nie eine 
war." Mey ist im Übrigen ein gutes Beispiel für die Drehtür zwischen 
Wirtschaft und Politik -- er war früher im Planungsstab des 
Verteidigungsministers und arbeitet heute bei EADS, einem der weltweit 
wichtigsten Rüstungskonzerne.

Trotz der flammenden Bekenntnisse, den Krieg in Afghanistan koste es die 
Afghanen was es wolle fortsetzen zu wollen -- es ist offensichtlich, 
dass sich das Militär in der Bemühung Afghanistan (aber auch die anderen 
quasi-Kolonien des Westens) zu "stabilisieren" verhoben hat. Dies wird 
inzwischen auch völlig offen eingestanden: "das kann die Bundeswehr eben 
nicht alleine", so Generalleutnant Dora. Aus diesem Grund werden derzeit 
neue Strategien debattiert und teils bereits implementiert, um solche 
Militärbesatzungen künftig effizienter gestalten zu können. "Vernetzte 
Sicherheit" (oder, im NATO-Jargon: "Comprehensive Approach") heißt hier 
das Zauberwort.

Die Idee ist simpel: um eine Kolonie am Laufen zu halten, benötigt man 
allerlei zivile Kompetenzen, vom Verwaltungsfachmann, über den 
Brunnenbauer bis hin zum Juristen -- alles Kompetenzen, die im Militär 
schlicht nicht vorhanden sind. Deshalb will man im Rahmen der Vernetzten 
Sicherheit über die "Zivil-militärische Zusammenarbeit" zivile Akteure 
für die Effektivierung solcher Besatzungen nutzbar machen, damit diese 
in enger Abstimmung Hand in Hand mit dem Militär den kolonisierten 
Menschen die Form von Staat aufbauen, die der Westen für richtig erachtet.

Erfreulicherweise regt sich hiergegen massiver Widerstand, vor allem auf 
Seiten der Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die -- zurecht -- 
fürchten, hierdurch zu einem integralen Bestandteil westlicher 
Kriegseinsätze zu werden. Sie verlieren damit für den Widerstand vor Ort 
die Neutralität und werden deshalb als Teil der Besatzung und damit als 
Gegner betrachtet -- die Folge sind zunehmende Angriffe auf 
NGO-Mitarbeiter, die es mittlerweile eben wegen jener 
Zivil-militärischen Zusammenarbeit für viele nahezu unmöglich gemacht 
haben, weiter humanitäre Hilfe zu leisten. Aus diesem Grund hat VENRO, 
der Dachverband der deutschen entwicklungspolitischen 
Nichtregierungsorganisationen, Anfang 2009 einen flammenden Verriss auf 
die Zivil-militärische Zusammenarbeit veröffentlicht. In dieselbe 
Richtung ging kurze Zeit später ein gemeinsames Papier zehn der weltweit 
größten Hilfsorganisationen (u.a. Oxfam und Action Aid).

Ziemlich verärgert äußerte sich Generalleutnant Dora über diesen 
erfreulichen Widerstand: von den NGOs würde er sich mehr "Zurückhaltung 
in der Kritik wünschen." Konsequenterweise stellte auch John Koenig, 
derzeit der höchste US-Diplomat in Deutschland, auf dem Sicherheitsforum 
fest: "Das schwierigste Problem ist, wie wir NGOs in diesen Prozess 
einbinden."


Krieg ist gut fürs Geschäft

Gebetsmühlenartig beklagten nahezu alle Anwesenden den aus ihrer Sicht 
deutlich zu niedrigen Rüstungsetat. Den Vogel schoss dabei General a.D. 
Klaus Reinhardt ab, der die Tagung leitete. Auch wenn er wisse, dass 
dies gegenwärtig leider nicht realistisch sei, plädierte er für eine 
etwa 30%ige Erhöhung der Rüstungsausgaben. Dennoch äußerte sich der 
CDU-Abgeordnete Karl Lamers, der Verteidigungshaushalt habe sich 
"erfreulich" entwickelt. Und in der Tat: während an Sozialausgaben 
gespart wird, ist der Rüstungsetat von 29,5 Mrd Euro im Jahr 2008 auf 
31,1 Mrd. 2009 erhöht worden -- eine Steigerung um 5.6%. Zwar gelang es 
der deutschen Rüstungsindustrie darüber hinaus, ihren Weltmarktanteil in 
den letzten fünf Jahren von 7% auf 10% zu steigern, nun gelte aber, so 
Lamers weiter, die Voraussetzungen weiter zu verbessern, damit die 
deutsche "Wehrtechnik im internationalen Bereich konkurrieren kann."

Natürlich kamen beim Heidelberger Sicherheitsforum auch die Vertreter 
der Rüstungsindustrie zu Wort, u.a. Frank Haun, vom deutschen 
Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann. Genauso wie Lamers kein Kriegstreiber 
sein will, betonte Haun gleich zu Beginn: "Waffenhändler sind wir 
nicht." Da es anschließend aber in seinem Beitrag nicht nur darum ging, 
wie der Absatz in Deutschland gesteigert, sondern vor allem wie die 
deutsche Rüstungsindustrie ihre Exporte erhöhen kann, wirken solche 
Lippenbekenntnisse mehr als lachhaft.

Haun beklagte, die aktuelle Krise der neoliberalen Globalisierung habe 
zu einer "Re-Nationalisierung" der europäischen Rüstungspolitik geführt. 
Während man in Deutschland eine "adaptive Rüstungsindustrie" geschaffen 
habe, würden andere Länder (u.a. Frankreich) ihre Konzerne 
hochsubventionieren und damit den Wettbewerb verzerren. Deshalb 
plädierte Haun für eine "leistungsorientierte Vorgehensweise" in Europa, 
denn ihm sei "um die Leitungsfähigkeit der deutschen Wehrindustrie nicht 
bange." Das Ziel ist offensichtlich: da sich die deutsche 
Kriegsindustrie gegenüber anderen europäischen Konkurrenten besser 
aufgestellt meint, plädiert sie für eine umfassende Liberalisierung, um 
so die Führungsrolle in der europäischen Rüstungsindustrie zu übernehmen.

Den "Höhepunkt" seines Beitrags hob sich Haun jedoch für den Schluss 
auf. Im Vergleich zur strategischen Kultur in Ländern wie den USA oder 
Großbritannien herrsche in Deutschland eine "zu starke Zurückhaltung und 
Berührungsängste, wenn es um den Export von Sicherheit geht." Dieser 
Appell ist ebenso perfide wie durchsichtig: Krieg ist für die 
Rüstungsindustrie seit eh und je gut fürs Geschäft.


Frieden, Recht und Freiheit für die Eliten

Mehrfach betonte Verteidigungsminister Jung, man könne heutzutage 
"äußere und innere Sicherheit nicht mehr voneinander trennen." Mit 
Penetranz sägt der Minister an dem verfassungsrechtlich eigentlich bis 
auf einige sehr enge Ausnahmen eindeutigen Verbot von 
Bundeswehreinsätzen im Inland: "wenn die Fähigkeiten der Polizei nicht 
mehr ausreichen [...], dann muss es möglich sein, die Bundeswehr 
einzusetzen."

Zum Abschluss der Konferenz durfte sich dann noch der Hamburger 
Innensenator Christoph Ahlhaus austoben, der über "Neue Instrumente für 
die Innere Sicherheit" sprach. Wie er tickt, wurde gleich zu Beginn 
klar, als er betonte, er sei "stolz darauf" als "harter Hund" zu gelten. 
Er beklagte lautstark "zunehmende Respektlosigkeiten" gegenüber den 
Ordnungskräften. Deshalb müsse sich die Gesellschaft "schützend vor 
unsere Polizisten und Soldaten stellen." Dass diese Respektlosigkeiten 
nicht zuletzt damit zusammenhängen, was die Ordnungskräfte da schützen 
-- einen immer asozialer von unten nach oben verteilenden Staat -- und 
auf welche Weise sie das tun, nämlicher immer repressiver, eine solche 
Erkenntnis ist von einem hohen Politiker sicher zu viel verlangt.

Selbstredend setzte sich Ahlhaus für den umfangreichen Überwachungsstaat 
ebenso ein, wie für den Einsatz der Bundeswehr im Inland. Auch er 
betonte, es sei eine "Binsenweisheit", dass eine Trennung zwischen 
innerer und äußerer Sicherheit überholt sei. Er glaube, dass der 
"verfassungsrechtliche und politische Ballast heute mit der aktuellen 
Bedrohungssituation unvereinbar ist."

"Frieden, Recht und Freiheit für unser Vaterland", mit diesen Worten 
schloss Kriegsminister Jung seinen Beitrag auf dem Heidelberger 
Sicherheitsforum ab. Freiheit für wen? Für die Rüstungsindustrie und 
andere Großkonzerne auf Kosten der Menschen hier und vor allem in 
anderen Teilen der Welt, sich im Crowne Plaza den Bauch vollzuschlagen.



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