[IMI-List] [0307] Neue EU-Broschüre / IMI-Analyse Heidelberger Sicherheitsforum
Informationsstelle Militarisierung
imi at imi-online.de
Mi Mai 27 14:46:34 CEST 2009
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0307 .......... 13. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Christoph Marischka / Jürgen Wagner
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Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
mit dieser IMI-List finden sich Hinweise zu folgenden Themen:
1) Eine neue Broschüre zur Militarisierung der EU
2) Hinweise zu neuen Texten auf der IMI-HP
3) Eine Analyse zum Heidelberger Sicherheitsforum, einem Treffen von
Eliten aus Politik, Wirtschaft und Militär
1.) Broschüre: "Militärmacht EUropa: Eine Zwischenbilanz"
Soeben ist die Broschüre "Militärmacht EUropa: Eine Zwischenbilanz"
erschienen, die von IMI-Vorstand Tobias Pflüger und dem IMI-Büro in
Tübingen erstellt wurde. In der 64seitigen Broschüre sind zahlreiche
Texte enthalten, die im letzten Jahr vor allem im IMI-Magazin AUSDRUCK
erschienen sind und einen umfassenden Überblick zum Stand der
Militarisierung der Europäischen Union bieten sollen.
Die Broschüre kann kostenlos (gern auch in größerer Stückzahl zur
Verwendung auf Infoständen, etc.) unter folgender Adresse bezogen werden:
eu-broschueren-bestellung at gmx.de
Sie kann auch komplett hier heruntergeladen werden:
http://www.imi-online.de/download/bilanz2009-web.pdf
INHALT
GRUNDLAGEN UND STRATEGIEN:
-- Tobias Pflüger:
Empire Europa: Das militärische Fundament der Wirtschaftsmacht EU
-- Jürgen Wagner:
Lissabon-Vertrag hin oder her -- das militärische Kerneuropa soll kommen!
-- Tobias Pflüger:
Transatlantisches Kriegsbündnis - Militaristische Zweckallianz: Die
Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen NATO und EU
-- Christoph Marischka:
Frontex: Im Netz des EU-Sicherheitssektors
-- Malte Lühmann:
Aus dem All in alle Welt. Weltraumpolitik für die Militärmacht Europa
-- Tobias Pflüger:
Verquastete Weltbilder und EU-Militarisierungskataloge
DIE EU IM EINSATZ:
-- Claudia Haydt:
Kanonenboote und Piraten: Die EU am Horn von Afrika
-- Christoph Marischka:
Piraten oder Flüchtlinge. Wen jagt die internationale Gemeinschaft im
Golf von Aden?
-- Jürgen Wagner:
Gas-OPEC und Afrikanische Nabucco
-- Tobias Pflüger:
Die ESVP-Mission in Georgien: "Vom Wasserträger zum Führungsspieler"
oder der Krieg in Georgien als Geburtsstunde des neuen Imperiums EU?
-- Christoph Marischka:
Tschad: Die EUFOR als Brandbeschleuniger
-- Jürgen Wagner:
Risiken und Nebenwirkungen: Neoliberaler Kolonialismus und
NATO/EU-Aufstandsbekämpfung im Kosovo
NACHWORT
-- Tobias Pflüger
Militarismus und Antimilitarismus -- immer zuerst gegen die eigene
Regierung!
http://www.imi-online.de/download/bilanz2009-web.pdf
2) Neue Texte auf der IMI-Homepage
An neuen Texten ist auf der IMI-Homepage ist in letzter Zeit u.a. ein
Beitrag über Flüchtlinge am Horn von Afrika erschienen, denen im Rahmen
der Pirateriebekämpfung droht, sprichwörtlich zwischen die Fronten zu
geraten (mehr dazu hier: http://imi-online.de/2009.php3?id=1967). Ein
weiterer Text beschäftigt sich mit der nahezu unbeachtet gebliebenen
Spezialeinheit der Bundespolizei für Auslandseinsätze, die jüngst
aufgestellt wurde (http://www.imi-online.de/2009.php3?id=1966). Außerdem
haben wir anlässlich der Tatsache, dass Klimawandel der Schwerpunkt des
diesjährigen BUKO-Kongresses war, an dem sich die IMI mit vier
Veranstaltungen beteiligte, die Analyse über Klimawandel und
Militarisierung aktualisiert (http://www.imi-online.de/2009.php3?id=1969).
3) Analyse zum Heidelberger Sicherheitsforum
IMI-Analyse 2009/023
Krieg und Profit: Das Heidelberger Sicherheitsforum -- Schulterschluss
von Militär-, Wirtschaft und Politik
http://imi-online.de/2009.php3?id=1968
17.5.2009, Jürgen Wagner
Lange gab es in Deutschland drei große sicherheitspolitische
Veranstaltungen: die Konferenzen von Handelsblatt und Behördenspiegel
sowie vor allem die Münchner Sicherheitskonferenz. Der Bedarf für solche
Stelldicheins der Kriegseliten scheint jedoch zu wachsen: Seit 2007
organisiert die Commerzbank zusammen mit dem Verteidigungsministerium
nun noch den Celler Trialog und am 15. Mai fand erstmals das
"Heidelberger Sicherheitsforum" statt. Ziel des Veranstalters, des
"Instituts für Management GmbH", war es laut Einladung, "eine
anspruchsvolle Plattform für Regierungs- und Militärvertreter sowie die
Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer der Verteidigungsindustrie
anzubieten."
Während die Vertreter der politisch-militärischen Ebene vor allem
darüber debattierten, wie militärische Besatzungen (Afghanistan, Kosovo
usw.) künftig effizienter gestaltet werden können, ging es den
Rüstungsleuten -- wen wundert's -- primär um mehr Geld. Recht unverblümt
wurde dies in der Einladung auch eingeräumt: "Die Wirtschaftskrise hat
längst auch das Militär erfasst. Mögliche Einsparmaßnahmen könnten nicht
nur die Auftragslage der wehrtechnischen Industrie, sondern auch
Militäreinsätze im Ausland tangieren. Die Branche beobachtet diese
Entwicklung mit Sorge. Mit ungefähr 80.000 Menschen in den rund 200
Firmen im wehrtechnischen Bereich wird in Deutschland bislang ein
jährlicher Umsatz von über 15 Mrd. € erwirtschaftet." Während mehr und
mehr Menschen angesichts der Wirtschaftskrise die nackte Existenzangst
umtreibt, zielte das Heidelberger Sicherheitsforums darauf ab, mit einem
Schulterschluss aus Politik, Militär und Wirtschaft Kürzungen im
Rüstungshaushalt zu verhindern -- oder besser noch, sogar noch mehr Geld
in diesen Bereich zu pumpen, damit die Auftragsbücher und damit die
Kassen der Rüstungskonzerne auch künftig gut gefüllt bleiben.
So verwundert es nicht, dass neben einigen Politikern, allen voran
Verteidigungsminister Franz-Josef Jung und zahlreichen hochrangigen
Militärs auch nahezu jeder große Rüstungskonzern eine Person nach
Heidelberg abbeordert hatte. Und die ließen sich das einiges kosten: die
Tagungsgebühr belief sich auf 1190€ - exklusive Mehrwertsteuer! Doch
dies ist aus Sicht der Rüstungskonzerne in jedem Fall "gut" angelegtes
Geld, denn vor allem bei den informellen Gesprächen während der
Kaffeepausen lässt sich immer der ein oder andere Deal einfädeln.
Kriegstreiber? Kriegstreiber!
Erfreulicherweise fanden sich bereits um 8h30 zahlreiche Demonstranten
vor dem Veranstaltungsort, dem Crowne Plaza in Heidelberg, ein, was die
Forumsteilnehmer sichtlich verärgerte -- über Krieg und Profit spricht
man naturgemäß lieber im stillen Kämmerlein und unter vollständigem
Ausschluss der Öffentlichkeit.
Nachdem das nun nicht mehr möglich war, ging man zum "Gegenangriff"
über: "Dies ist keine Veranstaltung von Kriegstreibern, sondern von
Friedensmachern", mit diesen Worten eröffnete der
CDU-Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des
Verteidigungsausschusses Karl Lamers das Heidelberger Sicherheitsforum,
um gleich darauf noch einen draufzusatteln: man solle doch einsehen,
"dass die Demonstranten, draußen demonstrieren dürfen, haben sie nicht
zuletzt der NATO zu verdanken." Wie weit es mit dem Zusammenhang von
NATO und Demonstrationsrecht her ist, konnte man kürzlich beim
NATO-Gipfel in Kehl und Straßburg erleben, aber klappern gehört ja
schließlich zum Geschäft.
Wer sich jedenfalls die einzelnen Beiträge der selbsternannten
"Friedensmacher" angehört hat, der kann ihnen eigentlich nur entgegnen:
wenn jemand sich verhält wie ein Kriegstreiber und redet wie ein
Kriegstreiber, dann ist er wohl auch ein Kriegstreiber.
"Eisernes Kreuz in aller Welt"
Nach dem Aufschlag von Karl Lamers folgte der als Hauptredner
eingeladene Verteidigungsminister Franz-Josef Jung, der sich überaus
stolz zeigte, den Kriegskurs der Bundeswehr weiter forciert zu haben:
"Wir sind von der reinen Verteidigungsarmee über die Armee der Einheit
zu einer Armee im Einsatz für den Frieden geworden."
Noch blumiger und nicht minder zufrieden äußerte sich anschließend
Johann. Dora, Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr: "das
Eiserne Kreuz ist mittlerweile ein ganz selbstverständlicher Teil
internationaler Einsätze geworden." Man habe es hierbei nicht nur mit
der größten Veränderung seit 1945 zu tun, die Transformation -- sprich:
Kriegsausrichtung -- der Bundeswehr sei vielmehr der "größter Wandel in
der Geschichte der bewaffneten Streitkräfte in Deutschland."
Sämtliche Vertreter auf dem "Sicherheitsforum" wurden nicht müde zu
betonen, Deutschland sei aus allen Ecken Bedrohungen ausgesetzt: zu
Lande, auf See, in der Luft, im Weltraum, im Cyberspace, im In- wie im
Ausland, einfach überall lauerten Gefahren, die es offensiv zu bekämpfen
gelte. Beispielhaft sprach Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und
Politik, der derzeit wichtigsten deutschen Denkfabrik, von einer
"Heterogenisierung der sicherheitspolitischen Bedrohungen." Jung ließ
keine Zweifel aufkommen, was das bedeutet: Angesichts der postulierten
neuen Bedrohungslage sei es erforderlich aktiv, also militärisch, "die
Gefahr dort zu beseitigen, wo sie entsteht."
Als wichtiges Beispiel in diesem Zusammenhang erwähnte
Verteidigungsminister Jung die Einsätze der Europäischen Union
(ATALANTA) und der NATO (Allied Provider) zur Pirateriebekämpfung am
Horn von Afrika. Mit keinem Wort erwähnt wird natürlich, dass diese
Piraten erst entstanden, nachdem Somalia von den Internationalen
Finanzinstitutionen derart zugrunde gerichtet wurde, dass der Staat
faktisch zusammenbrach. Da u.a. keine funktionierende Küstenwache mehr
existierte, konnten anschließend EU-Schiffe ungeniert die Küstenzone
ausplündern, womit zahlreichen Fischern die Lebensgrundlage entzogen
wurde. Aus diesen beiden Gruppen -- Küstenwache und verarmte Fischer --
setzten sich dann die ersten Piratengruppen zusammen, deren Bekämpfung
nunmehr weit oben auf der militärischen Prioritätenliste steht. Völlig
offen benannte Jung den Grund hierfür: natürlich habe ATALANTA auch
etwas mit "unserer Interessenskonstellation zu tun." Schließlich sei
Deutschland "Exportweltmeister" und da Somalis an einer wichtigen
Handelsroute liege, müsse man die "Geißel der Piraterie" bekämpfen.
Bedrohlich klingt in diesem Zusammenhang Jungs folgende Feststellung:
"allein von See werden wir das Problem nicht in den Griff bekommen."
Zwar betonte der Politiker, dass hierfür nicht-militärische Maßnahmen
ergriffen werden müssten - was nicht ist, kann ja noch kommen, dürften
sich die Vertreter der Rüstungsindustrie jedoch hier gedacht haben.
Angesichts der Tatsache aber, dass es sich hierbei sowohl um den
wichtigsten Einsatz der NATO als auch Deutschlands handelt, ist es nicht
weiter verwunderlich, dass dem Krieg in Afghanistan die meiste
Aufmerksamkeit gezollt wurde.
Skurrile Logik: Afghanistan und der Krieg für Terror
Sichtlich ins schwimmen geriet der ohnehin nicht sonderlich eloquente
Verteidigungsminister beim Thema Afghanistan. Nicht nur wegen der
öffentlichen Wahrnehmung, auch weil sich hieraus andere
versicherungstechnische Folgekosten für im Einsatz verletzte oder
getötete Soldaten ergeben, vermeidet Jung es bislang konsequent von
einem Kampfeinsatz zu sprechen.
Nachdem von Militärseite hierüber recht deutlicher Unmut laut geworden
ist und angesichts der zahlreichen anwesenden Soldaten, versuchte Jung
auf dem Heidelberger Sicherheitsforum einen nicht wirklich gelungenen
Formelkompromiss. Der zuletzt in Afghanistan gestorbene Soldat sei im
Einsatz "gefallen", so Jung, der damit auf eine harsche Kritik des
Bundeswehrverbandes reagierte, nachdem er lange den Begriff "ums Leben
gekommen" verwendete. Noch besser wurde es aber im nächsten Satz, als
Jung verkündete, in Afghanistan handele es sich "um einen
"Kampfeinsatz", der allerdings im Rahmen eines
"Stabilisierungseinsatzes" erfolge.
Wie auch immer: allen Anwesenden war klar, dass es sich beim
Bundswehreinsatz in Afghanistan um einen Krieg handelt, noch dazu um
einen, der aus militärischer Sicht alles andere als gut verläuft. Er
wolle "nichts beschönigen", so Generalleutnant Dora, Sicherheitslage
habe sich "nicht verbessert." Man sei sogar dabei "bereits Erreichtes im
Bereich der Sicherheit zu verlieren." Er halte das "organisierte und
professionelle Vorgehen der Aufständischen für beachtenswert"
Seit Jahren intensivieren die NATO und Deutschland den Krieg in
Afghanistan -- die Truppenanzahl stieg von Anfangs 5.000 auf
mittlerweile knapp 70.000 - und eskalieren damit die Situation immer
weiter. Anstatt aber endlich einen Abzug ins Auge zu fassen, habe die
NATO, so Dora, der diesen Schritt befürwortet, auf dem April-Gipfel in
Kehl und Straßburg ein "Signal der Entschlossenheit für ein
langfristiges Engagement in Afghanistan gesetzt." Hierzu gehört vor
allem die unter der neuen US-Regierung betriebene Ausweitung der
Kampfhandlungen auf Pakistan, was von Franz Josef Jung ausdrücklich
begrüßt wurde. Er begründete dies mit folgenden Worten: "Pakistan ist
Rückzugsraum und Rekrutierungsgebiet für die Taliban."
Generell wurde an der Sinnhaftigkeit des Afghanistan-Krieges keinerlei
Zweifel geäußert, schließlich werde dort der Terrorismus bekämpft und
damit Deutschlands Sicherheit gewährleistet. Dieses omnipräsente
Legitimationskonstrukt für den Krieg, fällt aber zusammen wie ein
Kartenhaus, wenn man sich die Aussage des Hamburger Innensenators
Christoph Ahlhaus beim Heidelberger Sicherheitsforum näher betrachtet:
"Ein entscheidender Faktor, dass Deutschland im Fokus islamistischer
Terroristen ist, bleibt das Engagement Deutschlands in Afghanistan." Um
den Terrorismus zu bekämpfen, sei es also erforderlich in Afghanistan
(und nun auch Pakistan) alles kurz und klein zu schießen. Blöderweise
sei dies aber gerade der Grund dafür, dass die Terrorgefahr in
Deutschland steige (zu dieser Schlussfolgerung gelangen im Übrigen auch
BND und Verfassungsschutz), weshalb die Axt an wesentlichen
Bürgerrechten angelegt werden müsse, um "uns" hiervor zu schützen. Bravo
-- wirklich beruhigend, wenn ein Land solche "Eliten" hat!
Vernetzte Sicherheit oder die Tücken des Kolonialismus
Wer sich die letzten großen Kriegseinsätze der westlichen Staaten
genauer betrachtet, der stellt fest, dass hier eine grundlegende
Veränderung eingetreten ist. Es geht bei ihnen nicht mehr allein um den
Sieg über einen militärischen Gegner, sondern auch darum, die Länder --
Bosnien, Kosovo, Irak, Afghanistan - anschließend solange unter
militärischer Besatzung zu halten, bis die im Rahmen des Nation Building
aufgebauten neoliberalen Staatswesen halbwegs wie gewünscht funktionieren.
Ebenso süffisant wie präzise beschrieb Holger Mey auf dem Heidelberger
Sicherheitsforum den Neoliberalen Kolonialismus des Westens mit
folgenden Worten: "Wo immer wir intervenieren, bleiben wir mit
zigtausend Mann, um eine Nation aufzubauen, wo vorher noch nie eine
war." Mey ist im Übrigen ein gutes Beispiel für die Drehtür zwischen
Wirtschaft und Politik -- er war früher im Planungsstab des
Verteidigungsministers und arbeitet heute bei EADS, einem der weltweit
wichtigsten Rüstungskonzerne.
Trotz der flammenden Bekenntnisse, den Krieg in Afghanistan koste es die
Afghanen was es wolle fortsetzen zu wollen -- es ist offensichtlich,
dass sich das Militär in der Bemühung Afghanistan (aber auch die anderen
quasi-Kolonien des Westens) zu "stabilisieren" verhoben hat. Dies wird
inzwischen auch völlig offen eingestanden: "das kann die Bundeswehr eben
nicht alleine", so Generalleutnant Dora. Aus diesem Grund werden derzeit
neue Strategien debattiert und teils bereits implementiert, um solche
Militärbesatzungen künftig effizienter gestalten zu können. "Vernetzte
Sicherheit" (oder, im NATO-Jargon: "Comprehensive Approach") heißt hier
das Zauberwort.
Die Idee ist simpel: um eine Kolonie am Laufen zu halten, benötigt man
allerlei zivile Kompetenzen, vom Verwaltungsfachmann, über den
Brunnenbauer bis hin zum Juristen -- alles Kompetenzen, die im Militär
schlicht nicht vorhanden sind. Deshalb will man im Rahmen der Vernetzten
Sicherheit über die "Zivil-militärische Zusammenarbeit" zivile Akteure
für die Effektivierung solcher Besatzungen nutzbar machen, damit diese
in enger Abstimmung Hand in Hand mit dem Militär den kolonisierten
Menschen die Form von Staat aufbauen, die der Westen für richtig erachtet.
Erfreulicherweise regt sich hiergegen massiver Widerstand, vor allem auf
Seiten der Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die -- zurecht --
fürchten, hierdurch zu einem integralen Bestandteil westlicher
Kriegseinsätze zu werden. Sie verlieren damit für den Widerstand vor Ort
die Neutralität und werden deshalb als Teil der Besatzung und damit als
Gegner betrachtet -- die Folge sind zunehmende Angriffe auf
NGO-Mitarbeiter, die es mittlerweile eben wegen jener
Zivil-militärischen Zusammenarbeit für viele nahezu unmöglich gemacht
haben, weiter humanitäre Hilfe zu leisten. Aus diesem Grund hat VENRO,
der Dachverband der deutschen entwicklungspolitischen
Nichtregierungsorganisationen, Anfang 2009 einen flammenden Verriss auf
die Zivil-militärische Zusammenarbeit veröffentlicht. In dieselbe
Richtung ging kurze Zeit später ein gemeinsames Papier zehn der weltweit
größten Hilfsorganisationen (u.a. Oxfam und Action Aid).
Ziemlich verärgert äußerte sich Generalleutnant Dora über diesen
erfreulichen Widerstand: von den NGOs würde er sich mehr "Zurückhaltung
in der Kritik wünschen." Konsequenterweise stellte auch John Koenig,
derzeit der höchste US-Diplomat in Deutschland, auf dem Sicherheitsforum
fest: "Das schwierigste Problem ist, wie wir NGOs in diesen Prozess
einbinden."
Krieg ist gut fürs Geschäft
Gebetsmühlenartig beklagten nahezu alle Anwesenden den aus ihrer Sicht
deutlich zu niedrigen Rüstungsetat. Den Vogel schoss dabei General a.D.
Klaus Reinhardt ab, der die Tagung leitete. Auch wenn er wisse, dass
dies gegenwärtig leider nicht realistisch sei, plädierte er für eine
etwa 30%ige Erhöhung der Rüstungsausgaben. Dennoch äußerte sich der
CDU-Abgeordnete Karl Lamers, der Verteidigungshaushalt habe sich
"erfreulich" entwickelt. Und in der Tat: während an Sozialausgaben
gespart wird, ist der Rüstungsetat von 29,5 Mrd Euro im Jahr 2008 auf
31,1 Mrd. 2009 erhöht worden -- eine Steigerung um 5.6%. Zwar gelang es
der deutschen Rüstungsindustrie darüber hinaus, ihren Weltmarktanteil in
den letzten fünf Jahren von 7% auf 10% zu steigern, nun gelte aber, so
Lamers weiter, die Voraussetzungen weiter zu verbessern, damit die
deutsche "Wehrtechnik im internationalen Bereich konkurrieren kann."
Natürlich kamen beim Heidelberger Sicherheitsforum auch die Vertreter
der Rüstungsindustrie zu Wort, u.a. Frank Haun, vom deutschen
Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann. Genauso wie Lamers kein Kriegstreiber
sein will, betonte Haun gleich zu Beginn: "Waffenhändler sind wir
nicht." Da es anschließend aber in seinem Beitrag nicht nur darum ging,
wie der Absatz in Deutschland gesteigert, sondern vor allem wie die
deutsche Rüstungsindustrie ihre Exporte erhöhen kann, wirken solche
Lippenbekenntnisse mehr als lachhaft.
Haun beklagte, die aktuelle Krise der neoliberalen Globalisierung habe
zu einer "Re-Nationalisierung" der europäischen Rüstungspolitik geführt.
Während man in Deutschland eine "adaptive Rüstungsindustrie" geschaffen
habe, würden andere Länder (u.a. Frankreich) ihre Konzerne
hochsubventionieren und damit den Wettbewerb verzerren. Deshalb
plädierte Haun für eine "leistungsorientierte Vorgehensweise" in Europa,
denn ihm sei "um die Leitungsfähigkeit der deutschen Wehrindustrie nicht
bange." Das Ziel ist offensichtlich: da sich die deutsche
Kriegsindustrie gegenüber anderen europäischen Konkurrenten besser
aufgestellt meint, plädiert sie für eine umfassende Liberalisierung, um
so die Führungsrolle in der europäischen Rüstungsindustrie zu übernehmen.
Den "Höhepunkt" seines Beitrags hob sich Haun jedoch für den Schluss
auf. Im Vergleich zur strategischen Kultur in Ländern wie den USA oder
Großbritannien herrsche in Deutschland eine "zu starke Zurückhaltung und
Berührungsängste, wenn es um den Export von Sicherheit geht." Dieser
Appell ist ebenso perfide wie durchsichtig: Krieg ist für die
Rüstungsindustrie seit eh und je gut fürs Geschäft.
Frieden, Recht und Freiheit für die Eliten
Mehrfach betonte Verteidigungsminister Jung, man könne heutzutage
"äußere und innere Sicherheit nicht mehr voneinander trennen." Mit
Penetranz sägt der Minister an dem verfassungsrechtlich eigentlich bis
auf einige sehr enge Ausnahmen eindeutigen Verbot von
Bundeswehreinsätzen im Inland: "wenn die Fähigkeiten der Polizei nicht
mehr ausreichen [...], dann muss es möglich sein, die Bundeswehr
einzusetzen."
Zum Abschluss der Konferenz durfte sich dann noch der Hamburger
Innensenator Christoph Ahlhaus austoben, der über "Neue Instrumente für
die Innere Sicherheit" sprach. Wie er tickt, wurde gleich zu Beginn
klar, als er betonte, er sei "stolz darauf" als "harter Hund" zu gelten.
Er beklagte lautstark "zunehmende Respektlosigkeiten" gegenüber den
Ordnungskräften. Deshalb müsse sich die Gesellschaft "schützend vor
unsere Polizisten und Soldaten stellen." Dass diese Respektlosigkeiten
nicht zuletzt damit zusammenhängen, was die Ordnungskräfte da schützen
-- einen immer asozialer von unten nach oben verteilenden Staat -- und
auf welche Weise sie das tun, nämlicher immer repressiver, eine solche
Erkenntnis ist von einem hohen Politiker sicher zu viel verlangt.
Selbstredend setzte sich Ahlhaus für den umfangreichen Überwachungsstaat
ebenso ein, wie für den Einsatz der Bundeswehr im Inland. Auch er
betonte, es sei eine "Binsenweisheit", dass eine Trennung zwischen
innerer und äußerer Sicherheit überholt sei. Er glaube, dass der
"verfassungsrechtliche und politische Ballast heute mit der aktuellen
Bedrohungssituation unvereinbar ist."
"Frieden, Recht und Freiheit für unser Vaterland", mit diesen Worten
schloss Kriegsminister Jung seinen Beitrag auf dem Heidelberger
Sicherheitsforum ab. Freiheit für wen? Für die Rüstungsindustrie und
andere Großkonzerne auf Kosten der Menschen hier und vor allem in
anderen Teilen der Welt, sich im Crowne Plaza den Bauch vollzuschlagen.
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