[IMI-List] [0308] IMI-Analyse: Militarisierter Kirchentag / Neuer AUSDRUCK
Informationsstelle Militarisierung
imi at imi-online.de
Di Jun 16 13:32:57 CEST 2009
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0308 .......... 13. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Christoph Marischka / Jürgen Wagner
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Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
mit dieser IMI-List finden sich Hinweise zu folgenden Themen:
1) AUSDRUCK – Das IMI-Magazin (Juni 2009) mit vielen neuen Texten
2) IMI-Analyse zum Auftreten der Bundeswehr auf den Kirchentagen
1) AUSDRUCK – Das IMI-Magazin (Juni 2009)
Soeben ist die neueste Ausgabe des IMI-Magazins AUSDRUCK erschienen. Mit
dieser IMI-List stellen wir sämtliche dort enthaltenen Texte sowie die
Gesamtausgabe kostenlos zum Download zu Verfügung. IMI-Mitglieder
erhalten den AUSDRUCK auf Wunsch in Print zugesendet (Formulare:
http://www.imi-online.de/download/mitglied.pdf).
Im AUSDRUCK sind u.a. die vor Kurzem erschienenen Studien zu
Rüstungsforschung an den Hochschulen sowie dem Umbau der chinesischen
Sicherheitsstrukturen enthalten. Ganz frisch erschienen sind darüber
hinaus noch Analysen über nationalpazifistische Positionen, neue
Überlegungen einer geostrategisch ausgerichteten EU-Maritimstrategie und
die EU-Politik in Westafrika.
Kurz nach Redaktionsschluss des AUSDRUCK haben wir zudem noch eine
Analyse zu den im Mai wieder aufgeflammten Kämpfen zwischen dem Tschad
und Sudan veröffentlicht: http://www.imi-online.de/2009.php3?id=1972
INHALTSVERZEICHNIS
DEUTSCHLAND UND DIE BUNDESWEHR
-- Sarah Nagel
Hochschulen forschen für den Krieg
http://imi-online.de/download/SN-Juni2009-Hochschulen.pdf
-- Christoph Marischka
Die neueste Truppe: Spezialeinheit der Bundespolizei für
Auslandseinsätze aufgestellt
http://imi-online.de/download/CM-Juni2009-BP.pdf
-- Uwe Reinecke
Der militarisierte Kirchentag
http://imi-online.de/download/UW-Juni2009-Kirchentag.pdf
-- Michael Schulze von Glaßer
Briten üben den Krieg: „Kampfdörfer“ in Senne
http://www.imi-online.de/download/MSG-Juni2009-Briten.pdf
-- Lucius Teidelbaum
Über braune Friedensengel: Nazis auf der Suche nach ihrem Frieden
http://imi-online.de/download/LT-Juni2009-BrauneEngel.pdf
EU-MILITARISIERUNG
-- Andreas Seifert
Die Front ist da, wo wir sind: Europäische Marinestrategie
http://imi-online.de/download/AS-Juni2009-EUMarine.pdf
-- Christoph Marischka
Die europäische Sicherheitspolitik in Westafrika
http://imi-online.de/download/CM-juni2009-Westafrika.pdf
CHINA
-- Andreas Seifert
Stabilität um jeden Preis? Umbau der Sicherheitsstruktur in der VR China
http://imi-online.de/download/AS-Juni-2009-China.pdf
2) IMI-Analyse: Militarisierter Kirchentag
IMI-Analyse 2009/028, in: AUSDRUCK (Juni 2009)
Der militarisierte Kirchentag: Die Bundeswehr auf den Kirchentagen und
Proteste dagegen
http://www.imi-online.de/2009.php3?id=1975
http://imi-online.de/download/UW-Juni2009-Kirchentag.pdf
16.6.2009, Uwe Reinecke
Als der 32. Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) im Mai 2009
fragte, „Mensch, wo bist du?“, antwortete die Bundeswehr laut und
zackig: „Hier, mitten unter Euch!“ Auf Einladung der Kirchentagsleitung
bekamen die Bundeswehr und Abgeordnete, die der Bundeswehr in den
letzten Jahren zahlreiche Einsätze im In- und Ausland verschafft hatten,
reichlich Werbemöglichkeiten. Ob die Bundeswehr-Bigband auftrat oder die
Militärseelsorge den „Markt der Möglichkeiten“ besetzte, immer ging es
um Werbung für den Beruf des Soldaten bzw. der Soldatin. Über solche
Auftritte der „Armee im Einsatz“ hinaus sponserte die Bundeswehr auch
direkt den Kirchentag, der vom 20. bis 24. Mai 2009 in Bremen mit weit
mehr als 100.000 TeilnehmerInnen stattfand.
Amtshilfe für Laien
Seit seiner ersten Ausgabe (28.07. bis 01.08.1949 in Hannover) verstand
sich der Kirchentag als große Laienbewegung. Ohne „Amtskirche“ und ohne
„Staat“ läuft aber offenbar auch bei den Laien nichts. Die Bundeswehr
verlieh im Rahmen eines „Amtshilfeeinsatzes“ (Artikel 35,1 GG) auf
Antrag des Ev. Kirchenamtes dem Kirchentag in Bremen 400 Betten und die
dazu gehörende Bettwäsche (siehe Bundestagsdrucksache 16/12975).
Die berühmt-berüchtigte „Gulaschkanone“ aus der Bw-Feldküche und
Sanitätssoldaten kamen in früheren Jahren schon mal zum Einsatz. Auch
einzelne Transporte wurden gelegentlich von der Bundeswehr für den
Kirchentag organisiert. Ferner leisteten Soldaten Hilfe beim Auf- und
Abbau von Massenunterkünften in Schulen beispielsweise.
Solche und ähnliche Sponsortätigkeiten haben eine lange Tradition. Im
offiziellen Programmheft für den „Ökumenischen Kirchentag 2003“ in
Berlin wurde der Bundeswehr ausdrücklich für die Unterstützung gedankt.
Obwohl diese Bundeswehrunterstützung 2003 nicht erstmals stattfand und
für spätere Kirchentage beibehalten wurde, fehlen in den darauf
folgenden Jahren Danksagungen in den Programmheften.
Militärische Seelsorge auf dem Kirchentag
Auf dem „Abend der Begegnung“, der stets den Beginn eines Kirchentages
markiert, stellen sich die örtlichen Gemeinden der gastgebenden Stadt
und kirchliche Initiativen vor. Seit einigen Jahren ist es üblich
geworden, dass auch die Militärseelsorge dort einen breiten Raum
bekommt. Armeepriester in Flecktarn-Kampfuniformen (Kirchensprache:
„Schutzanzüge“) verteilen dann eifrig Propagandamaterial.
Die Katholische Militärseelsorge schätzt die wahre Situation richtig ein
und nennt sich „Kirche unter Soldaten“, denn tatsächlich steht die
Bundeswehr über der Kirche. Die ArmeepfarrerInnen werden nicht von den
Kirchen, sondern vom Verteidigungsministerium besoldet.
Getreu dem Motto „Wess’ Brot ich ess, dess’ Lied ich sing.“ werden vom
Militärpfarrer Grundsätze der Exegese und der wissenschaftlichen Empirie
vergessen. So kann Jesus schnell zum Befürworter von Kriegseinsätzen
werden, denn schließlich lobte Jesus nach Matth. 8, 5-13
(Einheitsübersetzung) den „Hauptmann von Kafarnaum“ mit den Worten:
„Einen solchen Glauben habe ich in Israel noch bei niemand gefunden.“
Nur zu dumm, dass Jesus den Hauptmann nicht für das Plündern,
Vergewaltigen und Schießen oder das Abwerfen von Bomben auf Belgrad
lobt, sondern im Gegenteil für sein menschliches und damit
unsoldatisches Eintreten für einen Dritten. Dem Kirchensoldaten ist das
egal. Der kritisch fragende Kirchentagsbesucher bleibt angesichts
solcher Kirchenideologie ratlos zurück.
Soldatenmusik auf dem Kirchentag
Bekanntlich geht mit Musik alles besser – auch der Krieg. Die Musikkorps
der Bundeswehr unterstehen direkt verschiedenen Kampfeinheiten. Die
MusiksoldatInnen können im Bedarfsfall auch in der kämpfenden Truppe
eingesetzt werden. Die Bundeswehr-Bigband durfte diesmal die
KirchentagsbesucherInnen am Bremer Hauptbahnhof begrüßen. Die
Militärseelsorge Hannover nutzte den Bremer Kirchentag zur Aufführung
eines „Musical-Gottesdienstes zum Auslandseinsatz der Bundeswehr“. Ob
darin die „neue positive Konnotation zum Soldatentod“ eingebunden wurde,
die die Evangelische Akademie Loccum im Sommer 2008 gemeinsam mit der
Bundeswehr ausgearbeitet hatte, ist in den Kirchentagsprotokollen
bislang nicht nachzulesen.
Das Bremer Konzert der Bundeswehr-Bigband war sehr gut besucht. Schon in
früheren Jahren beteiligten sich Musikkorps der Bundeswehr an
Kirchentagen. Kritik am Verherrlichen des Soldatentums durch
Bundeswehr-Musik wurde in der Bremer Öffentlichkeit nicht vernommen.
Die Foren der Kriegsbefürwortung
Traditionell bekommen PolitikerInnen, die „die ganze Welt als mögliches
Einsatzgebiet der Bundeswehr“ (Zitat Ex-Minister Struck) ansehen, viel
Redezeit in den Foren. Die gemeinen KirchentagsbesucherInnen lauschen
andächtig diesen Leuten, die sie schon unzählige Male bei Maischberger,
Kerner, Illner und Co. dasselbe sagen gehört hatten. Kritische Fragen
werden durch das Instrument der „Publikums-Anwälte“ geschickt gefiltert.
Das Forum „Kaukasus und Hindukusch – wer traut dem gerechten Frieden?“
soll hier als Beispiel dienen. Gernot Erler (MdB, SPD) durfte in Bremen
einen „gerechten Frieden“ in Frage stellen, um dann indirekt dem von den
Kirchen eigentlich überwundenen „gerechten Krieg“ erneut das Wort zu
reden. Ein Vertreter von Pax Christi kam ebenfalls zu Wort, aber das
Militärdekanat Kiel, das als Organisator auftrat, ließ einen
Oberstleutnant von der durch Einladungen an Rechtsextremisten
aufgefallenen Führungsakademie der Bundeswehr das Publikum auf Linie
bringen. Wie weit das Publikum in Bremen dieser Propaganda folgte, lässt
sich schwer sagen.
Erfahrungen der Vergangenheit lassen Schlimmes erahnen. Beim Kirchentag
im Juni 1999 in Stuttgart wurde der damalige SPD-Verteidigungsminister
Rudolf Scharping jubelnd in einer überfüllten Halle begrüßt. Wenige
Wochen zuvor hatte Scharping den angeblich serbischen „Hufeisenplan zur
Vertreibung und Vernichtung der Kosovo-Albaner“ quasi selber erfunden.
Ja, er ließ sich in einer Pressekonferenz sogar dazu hinreißen,
mittelalterliche Horrorbilder zu Zwecken der antiserbischen
Kriegspropaganda erneut entstehen zu lassen. Hatten im Mittelalter
Lügengeschichten über von Moslems ermordete schwangere Christinnen,
denen die Föten aus ihren Bäuchen geschnitten wurden, um sie zu essen,
noch die Begeisterung für einen erneuten Kreuzzug steigern sollen, so
wurden von Minister Scharping diesmal solche Horrorlügen über die Serben
verbreitet. Noch heute wartet die Weltöffentlichkeit auf die Beweise für
Scharpings Behauptungen und auf Angaben über seine Informationsquelle.
Da die nie kommen werden, wartet man jetzt - ebenso vergeblich - auf
eine Anklage wegen Volksverhetzung. Die KirchentagsbesucherInnen ließen
sich von der Nähe zur Macht, die sie durch den Besuch des Ministers
verspürten, in den Bann ziehen.
Duckmäusertum des Kirchentages
Nicht nur die eingeladenen ReferentInnen sagen etwas über die
Armeefreundlichkeit des DEKT aus, sondern auch und gerade die Liste der
nicht eingeladenen oder gar ausgeladenen ReferentInnen ist deutlich.
Martin Niemöller, damaliger Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in
Hessen und Nassau, war entschiedener Gegner einer Wiederbewaffnung
Deutschlands. Sein kompromissloses Festhalten am Beschluss der EKD
(Evangelische Kirche in Deutschland) vom August 1950, „einer
Remilitarisierung können wir das Wort nicht reden“, brachte ihm inner-
und außerhalb der Kirchen viel Feindschaft ein. Die EKD kassierte
bereits im November 1950 den August-Beschluss und redete von nun an der
Wiederbewaffnung das Wort.
So fiel es der Kirchentagsleitung nicht schwer, dem Wunsch des
Bundeskanzlers Adenauer zu folgen und Niemöller auf dem Kirchentag kein
Forum zu bieten. Niemöller, über den die hannoversche Landessynode im
Oktober 1950 eine kirchenhistorisch einmalige Verurteilung aussprach -
an der sie heute noch festhält, ist das berühmteste Opfer einer direkten
Einflussnahme durch die Bundesregierung auf das Programm eines
Kirchentages. In späteren Zeiten wurde nicht mehr so deutlich Druck
ausgeübt, aber das war auch nicht mehr nötig. Der Kirchentag hatte seine
Lektion gelernt.
Kritische Stimmen werden an den Rand gedrängt. So erfand der Kirchentag
vor Jahren eine neue Programmstruktur. Neben dem Hauptprogramm gibt es
das Nebenprogramm, das unter der Bezeichnung „anlässlich des
Kirchentages“ firmiert. Beim Bremer Kirchentag reichte das
An-den-Rand-drängen nicht mehr und so wurden in offiziellen DEKT-
Veröffentlichungen zum Nebenprogramm willkürlich einzelne
Veranstaltungen nicht berücksichtigt. Der Kirchentag strich die
Veranstaltung des Versöhnungsbundes zum Thema „Kein Friede mit der
NATO“, das IMI e.V. mitorganisiert hatte, aus seinen Veröffentlichungen
über das „Programm anlässlich des Kirchentages“.
Veranstaltungen mit PolitikerInnen, die dem Militarismus das Wort reden,
bekamen von der Kirchentagsleitung dagegen höchste Aufmerksamkeit.
Vorauseilender Gehorsam mag dazu geführt haben, dass die kirchlichen
Laien sich dieser staatlichen Okkupation der Kirchenarbeit nicht
ernstlich widersetzen.
Kirchentag und Proteste
Sicherlich machte auf den Kirchentagen immer wieder die Friedensbewegung
auf sich aufmerksam. Die Wiederbewaffnung war in den 1950er Jahren ein
wichtiges Thema, und 1969 in Stuttgart wurde aus dem Protest lauter
Widerstand. Podien wurden besetzt, weil die eingeladenen Referenten als
Nazi-Täter und oder als Befürworter des Vietnam-Krieges bekannt waren.
Regierungsvertreter wurden mit Eiern beworfen, denn die Notstandsgesetze
waren noch nicht in Vergessenheit geraten. In den 1980er Jahren war die
NATO-Nachrüstung das beherrschende Thema der Kirchentage, und ebenso
wurde die Apartheid zum Hauptthema. Es wurden Beschlüsse gefasst, die
Kirchen-Konten bei Banken, die mit der damaligen südafrikanischen
Regierung zusammenarbeiteten, zu kündigen.
Minister, die die schon damals als unmenschlich und unchristlich
erkannte Asylpolitik, die sich in ihrer rassistischen Ausprägung in den
letzten Jahren noch verschärft hat, verteidigten, hatten auf
Kirchentagen einen schweren Stand. An den Friedensdemonstrationen
während der Kirchentage in Hamburg (1981) und Hannover (1983) nahmen
jeweils rund 100.000 Menschen teil. Lila Tücher mit dem Appell zur
Abschaffung der Atomraketen bestimmten zu dieser Zeit das Bild der
Kirchentage in der BRD.
In der DDR nutzten die Menschen die Kirchentage für ihre Forderung nach
Demokratie, Freiheit und Frieden. Aufnäher mit der Prophezeiung aus
Micha 4,3 „Schwerter zu Pflugscharen“ wurden getragen. Nicht nur der
DDR-Staatsführung ging das zu weit. Auch die Kirchenleitung beschränkte
die KirchentagsbesucherInnen, denn sie wollte die verbesserte Beziehung
zur Honecker-Regierung nicht gefährden. Die Laien antworteten mit der
Kvu –Bewegung (Kirche bzw. Kirchentag von unten).
Kumpanei der Kirchenleitungen mit den Regierenden hüben wie drüben. So
gesehen kann man schon damals von einer deutschen Einheit sprechen. Dem
Friedensgedanken auf Kirchentagen und deren Demos wurde dann aber von
den Kirchenlaien selber der Todesstoß versetzt, als 1999 in Stuttgart
das Rufen von Parolen gegen die deutsche Beteiligung am Angriff auf
Jugoslawien mit dem massenhaften Absingen eines Kirchenliedes übertönt
und verhindert wurde.
Zaghafte Versuche der Neubelebung des Protestes sind aber zu bemerken.
So registrierte die katholische Militärseelsorge Menschen, die „für
Kirchentage ohne Bundeswehr“ warben (Presseerklärung Berlin im Juni
2003). In Bremen kamen immerhin wieder 800 DemonstrantInnen zusammen, um
gegen die Auftritte der Bundeswehr beim Kirchentag und gegen
Auslandseinsätze der Bundeswehr zu protestieren.
München ist im Sommer 2010 Gastgeber des nächsten Ökumenischen
Kirchentages und könnte die neu entdeckte Protestkultur der Kirchentage
mit den positiven Erfahrungen beim Widerstand gegen die jährliche
„Sicherheitskonferenz“ verbinden. Ob es dazu kommt, liegt allein bei der
Basis.
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