[IMI-List] [0305] NATO-Übersetzungen / Solidarität mit Tobias Pflüger / Analyse SFB-700

Informationsstelle Militarisierung imi at imi-online.de
Di Mär 24 11:25:30 CET 2009


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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0305 .......... 13. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Christoph Marischka / Jürgen Wagner
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Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List finden sich:

1) Englische und französische Übersetzungen eines Teils der 
NATO-Broschürentexte

2) Eine Solidaritätserklärung zur Repression gegen IMI-Vorstand Tobias 
Pflüger

3) Eine Analyse zum Sonderforschungsbereich-700



1.) Übersetzungen NATO-Texte

Mittlerweile ist es gelungen, Teile der Texte der NATO-Broschüre ins 
englische und französische zu übersetzen.

Französisch: http://www.imi-online.de/2009.php3?id=1938

Englisch: http://www.imi-online.de/2009.php3?id=1930

Die Broschüre kann komplett auf deutsch hier heruntergeladen werden:
http://imi-online.de/download/webversion-imi-nato.pdf



2.) Repression gegen IMI-Vorstand Tobias Pflüger


Repression gegen Antikriegsaktivisten - Hammer-Urteil gegen IMI-Vorstand 
Tobias Pflüger

Am Montag den 2. März 2009 fand vor dem Amtsgericht München / 
Strafgericht ein Prozess gegen den Europaparlamentarier und Vorstand der 
Informationsstelle Militarisierung Tobias Pflüger statt. Dabei wurde er 
für eine angebliche Beleidigung während der Proteste gegen die Münchner 
Sicherheitskonferenz 2005 zur Zahlung von 60 Tagessätzen a 200 Euro - 
also 12.000 Euro! – verurteilt. Wir kritisieren dieses Urteil scharf, 
das zudem auch im Kontext einer langen Reihe sich immer weiter 
verschärfender Repressionsmaßnahmen nicht nur gegen Tobias Pflüger 
selbst, sondern gegen die gesamte antimilitaristische Bewegung zu sehen 
ist.

Zum Hintergrund: Drei Polizisten werfen Tobias Pflüger Beleidigung vor. 
Sie hatten den Europaabgeordneten bei der Münchner Sicherheitskonferenz 
2005 daran gehindert, Zugang zu einem brutal Festgenommenen zu bekommen. 
Auch gaben sie keine Informationen über den Festnahmevorgang heraus. 
Anscheinend weil Tobias Pflüger ankündigte, sie wegen Rechtsbeugung 
anzuzeigen, initiierten die Polizisten eine Anzeige gegen ihn. Eine 
Beleidigung ist von Seiten von Tobias Pflüger allerdings nicht gefallen. 
Die angeblich gefallenen Worte "Arschloch", "Arschkopf" sind frei 
erfunden. Tobias Pflüger kannte den Begriff "Arschkopf" bis dahin im 
Übrigen nicht.

Die Anfangs erhobenen abwegigen Vorwürfe der Körperverletzung und der 
verweigerten Ausweisung als Europaparlamentarier werden nicht mehr 
verfolgt. Das sollte bereits ausreichen, um die Seriosität der Aussagen 
der Polizisten in Frage zu stellen. Doch darüber hinaus dienten diese 
Vorwürfe wohl lediglich dazu, in einem fragwürdigen Verfahren mit einer 
breiten Koalition von Grünen bis Rechtsextremen eine Aufhebung der 
Immunität durch das Europäische Parlament zu erreichen.

Durch den Ablauf der Geschehnisse lässt sich genau nachweisen, dass der 
Vorwurf der Körperverletzung von der Staatsanwaltschaft erneut überprüft 
wurde, allerdings die Entscheidung, ihn de facto fallen zu lassen, erst 
mitgeteilt wurde, nachdem die Immunität aufgehoben war. Nach Befragung 
durch Tobias Pflügers Anwältin Angelika Lex waren die Widersprüche und 
Absprachen der Polizisten offensichtlich, doch die Richterin fand 
trotzdem alles glaubwürdig. Aus den Aussagen der Polizisten ergab sich 
weiterhin, dass die übergeordneten Behörden (genannt wurde die 
Bezirksregierung Düsseldorf) bei der Erstellung der Anzeige des 
Polizisten Michaelis behilflich waren. Dies gibt dem Verfahren eine 
weitere politische Dimension. Die Polizisten schrieben ihre Texte 
voneinander ab.

Dies war bereits das vierte Ermittlungsverfahren (1999, 2003, 2004, 
2005) der Staatsanwaltschaft München I gegen Tobias Pflüger anlässlich 
der Beteiligung an Protesten gegen die Münchener Sicherheitskonferenz. 
Ein Gericht in Tübingen sprach den Friedensaktivisten wegen des Aufrufs 
zur Desertion 1999 frei. Das Verfahren 2003 wurde eingestellt, und für 
die brutale Festnahme im Jahr 2004 hat sich die Polizei später sogar 
entschuldigt.

Weder die Staatsanwaltschaft (Frau Lux) noch die Richterin (Frau 
Birkhofer-Hoffmann) waren bereit, den politischen Kontext des Verfahrens 
ernsthaft zu würdigen und etwa die Möglichkeit unlauterer Gründe der 
Polizisten zu bedenken, sondern sie schenkten den Polizisten 
uneingeschränktes Vertrauen. In Ihren Augen liegt es bei Tobias Pflüger, 
den Vorwurf der Beleidigung zu entkräften. Diese Umkehr der Beweislast 
kann unmöglich beibehalten werden.

Leider ist dieser Fall nur einer unter vielen, die zeigen, wie die 
Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Deutschland wie auch in der EU 
immer weiter ausgehöhlt wird. Die Versuche, das bayrische und 
baden-württembergische Versammlungsgesetz zu verschärfen sind weitere 
Beispiele. Auch die mit Einschränkungen und Stigmatisierung durch 
staatliche Behörden konfrontierten Proteste gegen den NATO-Gipfel zum 
60.Jahrestag in Strassburg, Kehl und Baden-Baden im April sind in diesem 
Zusammenhang zu sehen.

Wir, die Unterzeichner, erklären uns deshalb hiermit solidarisch mit 
Tobias Pflüger und unterstützen ihn in seinem Vorhaben, gegen dieses 
Urteil in Berufung zu gehen. Wir rufen alle FriedensfreundInnen und 
AntimilitaristInnen auf, sich nicht durch solche Verfahren einschüchtern 
zu lassen. Proteste gegen NATO und Bundeswehr sind nicht nur legitim, 
sondern auch notwendig!

Solidaritätserklärungen bitte an: Solidaritaetmittobias at web.de

(Wir würden uns darüber freuen, wenn dieser Solidaritätsaufruf möglichst 
breit weitergeleitet und unterzeichnet würde. Wer weiter über den 
Fortgang des Verfahrens informiert werden und/oder bei Aktionen 
mitmachen möchte, den bitten wir um einen kurzen Hinweis in seiner Mail.)



3.) IMI-Analyse zum SFB-700

IMI-Analyse 2009/018 - in: AUSDRUCK (April 2009)
Interventionsforschung
Der SFB 700 will Lösungen anbieten für den weltweiten Zugriff auf die 
Menschen – und trifft auf Widerstand vor der eigenen Haustüre
http://www.imi-online.de/2009.php3?id=1944
24.3.2009, Mechthild Exo


Die Arbeit des Sonderforschungsbereichs 700 zur Governanceforschung für 
Räume begrenzter Staatlichkeit ist gekennzeichnet durch die Ausblendung 
von Kontroversen, von Widerspruch und den handelnden Menschen, die nicht 
für die Stabilisierung der Herrschaftsverhältnisse und der lückenlosen 
Regierbarkeit der Welt relevant erscheinen oder bereits daran mitwirken.

Deshalb ist es wichtig, zuerst vom Widerstand zu erzählen. Das Handeln 
von AktivistInnen gegen den SFB 700 hat einen Kern der Arbeit des SFB 
getroffen: Nicht-integrierbare Haltungen gegen die vorherrschende bzw. 
in den sogenannten Failed States zu rekonstruierende Ordnung werden 
allein als Störungen für die Gewährleistung von Governance-Funktionen 
wahrgenommen. Diese „Störungen“ müssen kontrolliert und geschwächt 
werden – daran wirken die Forschungsprojekte des SFB 700 mit.

„Bitte haltet die Eingangstür zum SFB-Gebäude in den nächsten Tagen 
besonders sorgfältig geschlossen (...) [es] hat heute Vormittag eine 
Aktion von sog. Antimilitaristen am OSI stattgefunden, die sich gegen 
die sog. Interventionsforschung des SFB richtet.“

In dieser warnenden Rundmail vom 12.11.08 fordert Lars Brozus, Managing 
Director des SFB 700 an der Freien Universität Berlin, dazu auf, die 
Kameraüberwachung der Tür für den selektiven Einlass zu benutzen, „eine 
Hinterlassenschaft der Krupp-Stiftung“, wie er hervorhebt.[1]


Söldnerintellektuelle „entbettet“

Die antimilitaristische Aktion fand nicht bei der repräsentativen 
Krupp-Villa statt, sondern am politikwissenschaftlichen 
Otto-Suhr-Institut (OSI) der FU Berlin, wo der SFB 700 die meisten 
seiner MitarbeiterInnenbüros und Veranstaltungsräume hat. Die kleine, 
symbolische Aktion[2] wurde als massiver Angriff aufgenommen. „[D]as 
Bild eines Anschlags im Schlafzimmer“[3] wurde hinein interpretiert in 
die Puppe des „embedded scientist“, die in tarnfarbenen, Federn lassende 
Kissen und Decken gebettet im Eingangsbereich des OSI postiert wurde. 
Auch von ausgesprochenen Drohungen gegen WissenschaftlerInnen war die 
Rede.[4] Rotbefleckte Kissen sind an die Türen der Büros genagelt 
worden. Seitdem wird auf Studierenden-Foren, in Fachkreisen der 
Internationalen Beziehungen und auf Veranstaltungen der KritikerInnen 
wie auch der SFB 700-Vertreter aggressiv gestritten, eine Radio-Sendung, 
ein Film, Zeitungsartikel und eine Broschüre „Wider den SFB 700“[5] sind 
produziert worden.

Neben der Empörung über den „exzellenten SFB-Klüngel“ am 
politikwissenschaftlichen Institut der FU, exemplarisch sichtbar bei der 
Berufung von Chojnacki und Zürcher für SFB 700 Professuren ohne 
öffentliche Ausschreibung[6], stehen vor allem vier Bereiche der Arbeit 
der SFB-ForscherInnen derzeit in der Kritik: Die Auswertung von 
historischen Erfahrungen unter dem Blickwinkel des „Colonial 
Governance“[7], die Zuarbeit für Interventionskriege, die 
Afghanistan-Studie im Auftrag des Verteidigungsministeriums sowie die 
Entwicklung von Strategien und Sozialtechniken für „unregierbare Räume“ 
auch in den Metropolen. Diese Kritik wird im Folgenden kurz dargestellt.


Colonial Governance

Bei der Aufarbeitung von Kolonialerfahrungen, die als historische Räume 
begrenzter Staatlichkeit einbezogen werden, findet eine Identifikation 
mit der Macht und dem modernisierungsstrategischen Forschungsparadigma 
statt – lautet die Kritik. Die unter „Colonial Governance“ 
veröffentlichten Texte[8] analysieren koloniale Herrschaftsverhältnisse 
unter Einbeziehung einer Vielzahl von Akteuren - und schaffen es doch, 
dabei die antikolonialen Kämpfe außen vor zu lassen. Es geht um Wissen 
über Steuerung, das für die aktuelle Anwendbarkeit brauchbar ist. 
Aufstände, Eigensinnigkeit und Kämpfe um Befreiung werden nur als 
Störung dessen erwähnt, was als koloniale Governance ausgewertet wird. 
Sie werden zu Beeinträchtigungen umgewertet. Stattdessen findet eine 
Orientierung auf die lokalen Eliten hin statt, die als Garanten 
„informeller“ Governanceleistungen eingebunden wurden.[9]

Nach ihren Analysen des semi-kolonialen China kommt Mechthild Leutner zu 
dem Schluss, dass ein sehr viel differenzierterer Politikbegriff 
gebraucht wird, um die vielfältigen Formen von Kooperation und Regelung 
zu beschreiben und, dass angesichts der zahlreichen Vermischungen die 
Trennung von öffentlich und privat neu gedacht werden muss. Für eine 
flexiblere Erfassung handelnder Akteure und politischer Prozesse sei ein 
Abrücken von klassischen Staatsvorstellungen nötig.[10] Soweit so gut. 
Doch bleibt sie allein im Blickwinkel der herrschaftlichen Steuerung 
verhangen. Auf nicht-staatlicher Ebene werden von ihr ein angeblich 
„relativ breites Spektrum von Akteuren integriert, wobei insbesondere 
korporative Akteure eine große Rolle spielen: Neben der lokalen Elite, 
die (...) Händler und Kaufleute einschloss, (...) die Dorfvorsteher und 
die Clan- und Bruderschaftsoberhäupter".[11] Mit dem Wissen über 
koloniale Herrschaftsformen beabsichtigt sie in heutigen Räumen 
begrenzter Staatlichkeit „Anregungen für die weitere Konzeptualisierung 
von Governance zu geben“[12]. Die Überwindung kolonialer Herrschaft und 
anti-koloniale Kämpfe kommen bei ihr ebenso wenig vor wie in Ursula 
Lehmkuhls Studien über das koloniale Amerika.[13] Entsprechend wird auch 
nicht die Frage gestellt, wie in den gegenwärtigen Kämpfen um soziale 
Rechte und Gerechtigkeit, gegen Fremdbestimmung und die Auswirkungen 
kapitalistischer Globalisierung ein anderes Verständnis von Politik 
entwickelt wird, das nicht auf die Steuerung zur Stabilisierung des 
Bestehenden abzielt. Auch bei Sebastian Conrad ist diesbezüglich kein 
anderer Umgang zu finden. Wie kann es sein, dass er den „enge[n] 
Zusammenhang von Herrschaftspraxis mit geographischem, juristischem, 
linguistischem oder ethnologischem Wissen, d.h. mit einem kolonialen 
Archiv“[14] detailliert analysiert, dabei die Rolle der 
(Kolonial-)Wissenschaft einbezieht, und doch keine kritische Reflexion 
heutiger Wissensproduktion und der eigenen Rolle in der Erhaltung der 
Macht- und Herrschaftsverhältnisse aufwirft? Wo sind die ethischen 
Fragen zur Verantwortlichkeit wissenschaftlicher Forschung, wo wird die 
Politik der Erkenntnisgewinnung thematisiert?


Interventionsforschung als Politikpartner

Wie bei den historischen Analysen, werden auch gegenwärtige Kontroversen 
um die Sicht auf und die Steuerung der Weltpolitik selbst nicht sichtbar 
gemacht. Die Berechtigung von militärischen Interventionen durch die 
mächtigen Staaten in ehemalige Kolonialgebiete, die als Failed States 
bezeichnet und als Sicherheitsrisiko wahrgenommen werden, wird 
vorausgesetzt. „Mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit – wir könnten 
auch sagen mit skrupelloser Dreistigkeit – kürzt der SFB 700 den Weg der 
Debatte über die Berechtigung globaler, militärischer 
Interventionspolitik ab. Der SFB fängt seine Studien just beim 'Wie' der 
Interventionsausführung an. Ganz so als gehörte die kriegerische (und 
nicht 'nur' die finanzielle) Teilnahme an solchen Kriegen nicht erst 
seit dem Jugoslawienkrieg 1999 ganz selbstverständlich zum politischen 
Alltag der BRD – alternativlos.“[15] Ausgeblendet werden sowohl 
akademische Debatten als auch gesellschaftliche Widersprüche, die unter 
anderem von der Friedens- und globalisierungskritischen Bewegung, von 
linken und linksradikalen AktivistInnen, AnarchistInnen und Autonomen 
auf die Straße getragen werden.

Das Erkenntnisinteresse im SFB 700 zielt auf die Anwendbarkeit in der 
Regierungspolitik. Lars Brozus geht es um einen „Beitrag (den) die im 
vorliegenden Band präsentierte Forschung zu Governance in Räumen 
begrenzter Staatlichkeit leisten kann, um die Wahrscheinlichkeit 
erfolgreichen internationalen Engagements zu steigern“.[16] Brozus 
betont die Bedeutung der Forschung für die praktische Politik, zur 
Legitimierung politischer Strategien und für die Verlässlichkeit und 
Beständigkeit des internationalen Engagements.[17] Der Teilbereich zu 
„weicher Steuerung“ strebt an, dass die Forschung „ein für begrenzte 
Staatlichkeit taugliches und empirisch anschlussfähiges 
Steuerungsverständnis erbringt.“[18] Angesichts solcher Aussagen wundert 
es weniger, wenn Thomas Risse im Februar 2008 bei der medienwirksamen 
Präsentation der SFB-Afghanistan-Studie mit den Ergebnissen exakt jeden 
Schwenk gegenwärtiger Afghanistan-Politik der Bundesregierung bestätigen 
und stützen kann.[19] Ein besonderes Augenmerk der Proteste fand die 
Enthüllung, dass Jan Koehler als Ausführender der Studie „parallel“ 
einen Auftrag „nur für den Dienstgebrauch“ des Verteidigungsministeriums 
zur Optimierung von Akzeptanzstrategien des Bundeswehreinsatzes in 
Afghanistan bearbeitet hat.[20] Der eindeutig militärstrategische 
Auftrag wurde sich zu eigen gemacht. Das Untersuchungsdesign beruht auf 
einer Gegenüberstellung der afghanischen Gemeinden nach militärischen 
Sicherheitskriterien in „problematische“ und „unproblematische“, 
eingeteilt unter Mithilfe von Bundeswehrexperten. Die „militärische 
Notwendigkeit“ der Akzeptanzerhaltung für die internationale Präsenz bei 
der Bevölkerung durch zivil-militärische Zusammenarbeit ist der Grund 
für den Auftrag zu dieser Studie.[21]

Die Zielsetzung eines solchen Auftrags ergänzt sich gut mit der 
Legitimationsargumentation (nicht nur) von Bernd Ladwig (SFB 700). 
„Streitkräfte mögen erforderlich sein, um ein Feld für politische 
Rekonstruktionsprozesse äußerlich zu sichern.“[22] Ladwig befürwortet 
„gerechte Kriege“ und auf Dauer angelegte liberale (neokoloniale) 
Protektorate aufgrund der Pflicht zur Durchsetzung von Menschenrechten 
durch Staatsaufbau - unter der Bedingung „sensiblen Regierens“, das 
Gefühle der Demütigung, die unter Fremdbestimmung entstehen, beachtet 
(!). Sein Festhalten am Idealtyp der Staatlichkeit mag ihn in Konflikt 
bringen mit anderen SFB 700-ForscherInnen. Doch seine vehemente, 
moralische Argumentation für die Notwendigkeit externer, auch 
militärischer Eingriffe und die begleitende Hierarchisierung von Staaten 
in berechtigtere, dem Staatsideal „verwirklichter Moralität“ näher 
stehende, und „illegitimen“ Rekonstruierungsbedürftigen unterstützen 
hervorragend die Forschung für (neo-)liberale Interventions- und 
Governancepolitik. „Mit den Grundfunktionen von Staatlichkeit steht ein 
zivilisatorisches und menschenrechtliches Minimum auf dem Spiel. Das 
legt externe Eingriffe und Aufbauhilfen nahe.“[23] „Zum Eingreifen 
autorisiert sind alle Akteure, die zum Staatsaufbau in der Lage und zur 
unbedingten Selbstbindung an Grundnormen des Völkerrechts bereit 
sind.“[24] Zum letztgenannten Aspekt erläutert Ladwig, dass die 
UN-Charta den menschenrechtlichen Ansprüchen im Völkerrecht nicht 
gerecht wird und deshalb auch ohne UN-Sicherheitsratsbeschluss 
militärische Interventionen – selbstverständlich nur in dringenden 
Fällen – möglich sein müssen. Einmischung ist bei Ladwig eine Frage der 
Pflicht, die mit dauerhaften Protektoratsaufgaben verbunden ist. 
„Normativ wie tatsächlich ist die Annahme irrig, man könne Ruinen von 
Staatlichkeit nach einem militärischen Eingriff zur Rettung von 
Menschenleben rasch wieder verlassen.“[25]


Sozialmanagement

Über die Aufgabenstellung des SFB 700 sagt schon dessen Titel „Regieren 
ohne Staat? Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit“ recht 
deutlich etwas aus: Regierbarkeit muss herstellt werden, auch dort, wo 
begrenzte Staatlichkeit noch Hindernisse stellt. „Begrenzte 
Staatlichkeit“ ist nach dem Verständnis des SFB auch in den Pariser 
Vorstädten, in weiten Teilen Süditaliens und in Berlin-Neukölln 
vorzufinden.[26] Das heißt, es geht nicht nur im globalen Süden, sondern 
auch hier um die Durchdringung von Räumen, deren soziale Gefüge und 
Handlungsweisen nicht (mehr) verstanden und nicht kontrolliert werden 
können. Die Möglichkeit der Ausnutzung ethnologischer Forschungsansätze 
ist erkannt worden. Nicht nur das Pentagon beschäftigt seit einigen 
Jahren aus der Erkenntnis heraus Ethnologen, dass für die Optimierung 
der Kontrolle der Welt äußere Machtdemonstration, Bedrohung und 
Zerstörung mit Waffengewalt allein nicht zum Ziel führen. Die 
ethnologischen Forschungsansätze des SFB 700 sollen Einblick in die 
tieferen sozialen Netzwerke geben, um Partner für Partizipationsprojekte 
identifizieren und Konzepte der „weichen“ Steuerung durch Anreiz-, 
Diskurs- und Selbststeuerung entwickeln zu können. „[U]m die 
Verweigerungshaltung und die selbstorganisierten sozialen Netzwerke zu 
bekämpfen, müssen diese erst erkannt und ausgespäht werden. Hier ist die 
Parallele zu den Forschungsfeldern des SFB 700 (...) deutlich. Die neuen 
Regierungsformen zielen genau darauf, diese 'nonkonformen Netzwerke' zu 
erforschen und dann zu sortieren: Unterwerfung und 'Gewöhnung' an die 
gegenwärtigen Produktions- und Arbeitsprozesse, oder Repression bis hin 
zu Abschiebung und Knast.“[27]


Gerichtet auf Machtsicherung (?)

Es fällt schwer, die Arbeiten des SFB 700 nicht als in einer 
intentionalen Gerichtetheit als Beiträge zu den neuen Strategien der 
Herstellung von Macht und Steuerung zu begreifen, wie es u.a. Detlef 
Hartmann an verschiedenen Stellen[28] dargelegt hat. Sicherlich ist es 
nicht möglich, mit einer Beschreibung und Einschätzung des SFB 700 
jeder/m beteiligten Wissenschaftler/in gerecht zu werden. Es gibt auch 
Kritik an anderen Bereichen der SFB-Projekte, beispielsweise gegen die 
bedenkenlose Aufwertung von privatwirtschaftlichen Akteuren als 
Kooperationspartner für Governance-Funktionen wie Sicherheit oder 
Wohlfahrt und, dass gleiche Rechte auf Versorgung für alle nicht mehr 
zur Grundlage genommen, sondern kollektive Güter nur mehr „für eine 
bestimmte soziale Gruppe“[29] bereitgestellt werden. Es wird aber auch 
darauf verwiesen, es gäbe beim SFB 700 auch ForscherInnen mit kritischen 
Beiträgen. Die wenigen kritischen Impulse scheinen vom SFB aufgesaugt zu 
werden und bleiben ohne Konsequenz. Sehr vorsichtig deutet Sebastian 
Conrad an, dass die Problemlagen in den heutigen Failing States „nicht 
ohne Bezug auf die koloniale Vergangenheit verstanden werden können“[30] 
und zeigt beispielhaft, dass gegenwärtige Konflikte in Ruanda und Kongo 
gerade auch in der deutschen kolonialen Praxis der 
„verwaltungstechnische[n] und im Dienste der indirekten Herrschaft 
stehende[n] Separierung ethnischer Gruppen“[31] angelegt wurden. Würden 
diese oder andere kritische Aspekte weiterentwickelt, müsste der SFB 
beispielsweise die Berechtigung ausgerechnet der ehemaligen 
Kolonialstaaten und Wirtschaftsmächte zur gegenwärtigen militärisch 
eingreifenden Steuerung im Rest der Welt, gründlich hinterfragen. Das 
wäre jedoch unvereinbar mit ihrer Ausrichtung auf Politikberatung, die 
sich unter anderem mit der Beteiligung der 
Regierungsberatungsinstitution Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) 
ausdrückt. Insofern kann die in Gang gekommene kritische 
Auseinandersetzung mit dem SFB 700 auch eine Aufforderung sein, 
verständlich zu machen, welche anderen Ziele WissenschaftlerInnen denken 
verfolgen zu können und wie das im Rahmen dieser 
Großforschungseinrichtung mit den benannten Zielsetzungen möglich sein soll.


Anmerkungen:

[1] Im Alfried-Krupp-Haus in Berlin, benannt nach dem 
Rüstungsindustriellen, hat der Sonderforschungsbereich 700 seinen Sitz. 
Krupp - förderndes SS-Mitglied seit 1931 und ab 1937 
„Wehrwirtschaftsführer“ - nutze während des Zweiten Weltkriegs die 
Erhebungen und Datensammlungen von Wissenschaftlern, um sich mit 
Plünderungen von Wirtschaftsgütern in den von Deutschland besetzten 
Gebieten zu bereichern. Vgl. Peer Heinelt: Herrschaftswissen. „SFB 700“: 
Ein Institut an der FU Berlin liefert Informationen und 
Strategiekonzepte für bundesdeutsche Großmachtpolitik. 15.09.2008 junge 
Welt.

[2] http://de.indymedia.org/2008/11/232400.shtml und 
http://de.indymedia.org/2008/11/231649.shtml

[3] Marcel Heberlein: Im Schützengraben. Studierende üben heftige Kritik 
am SFB 700 und seiner Forschung – die WissenschafterInnen fühlen sich 
unfair behandelt. OSI-Zeitung. Studierendenzeitung des 
Otto-Suhr-Instituts. 7. Ausgabe, Febr. 2009: 1.

[4] Studierenden-Forum FuWatch, 
http://fuwatch.wordpress.com/2008/12/11/offener-brief-von-ib-affinen-studierenden-gegen-den-anti-sfb-protest/ 


[5] 
http://fachschaftsinitiativen.files.wordpress.com/2009/01/embedded-stakeholders1.pdf 


[6] Rosa Rot: Bildungsprivatisierung. Version OSI, In: Failing Sciences, 
Embedded Stakeholders. Wider den SFB 700. 
http://fachschaftsinitiativen.files.wordpress.com/2009/01/embedded-stakeholders1.pdf; 
2009: 18-23.

[7] Thomas Risse/ Ursula Lehmkuhl (Hrsg.): Regieren ohne Staat? 
Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit. 2007.

[8] Risse/Lehmkuhl 2007.

[9] Detlef Hartmann: Für eine postmoderne Erneuerung des antikolonialen 
Kampfes. In: Failing Sciences, Embedded Stakeholders. Wider den SFB 700. 
http://fachschaftsinitiativen.files.wordpress.com/2009/01/embedded-stakeholders1.pdf: 
11.

[10] Mechthild Leutner: Kooperationsnetze und Akteure im semi-kolonialen 
China, 1860-1911. In: Risse/Lehmkuhl 2007: 172-173.

[11] ebd.: 161.

[12] ebd.: 157.

[13] Ursula Lehmkuhl: Regieren im kolonialen Amerika. Colonial 
Governance und koloniale Gouvernementalité in französischen nd 
englischen Siedlungskolonien. In: Risse/Lehmkuhl 2007: 111-133. Zur 
Kritik: Detlef Hartmann: Für eine postmoderne Erneuerung des 
antikolonialen Kampfes. In: Failing Sciences, Embedded Stakeholders. 
Wider den SFB 700, 2009.

[14] Sebastian Conrad: Wissen als Ressource des Regierens in den 
deutschen und japanischen Kolonien des 19. Jahrhunderts. In: 
Risse/Lehmkuhl 2007: 134.

[15] Zitrofa Ochi/ Nivis Derva: Wider die Waffen der Realitätsschmiede 
SFB 700. In: Failing Sciences, Embedded Stakeholders. Wider den SFB 700: 15.

[16] Lars Brozus: Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit als 
Problem der Politik. In: Risse/ Lehmkuhl 2007: 374.

[17] ebd.: 386-387.

[18] Projektantrag SFB 700 Teilprojekt A2 - Weiche Steuerung: 
Sozialwissenschaftliche Machttheorien und das Regieren in Räumen 
begrenzter Staatlichkeit. 
http://www.sfb-governance.de/teilprojekte/projektbereich_a/a2/langfassung.html 


[19] vgl. Studierenden-Forum FuWatch, 
http://fuwatch.wordpress.com/2008/04/25/sfb-governance-in-der-kritik/

[20] Zur Auseinandersetzung mit der Afghanistan-Studie: Ralf Hutter: Im 
Afghanistan-Einsatz für Uni und Militär. In: Out of Dahlem. Januar 2009, 
Nr. 8; Ralf Hutter: SFB 700 – Ein Tiefpunkt ist erreicht. 
http://fachschaftsinitiativen.wordpress.com Beitrag vom 24.01.2009; 
Detlef Hartmann: Die systemische Aggressivität des Clusters SFB 700. In: 
Out of Dahlem. Januar 2009, Nr. 8; Die geheime Afghanistan Studie von 
Zürcher/Köhler wurde im Kommentar-Anhang zu einem Indymedia-Feature 
veröffentlicht: http://de.indymedia.org/2008/11/231649.shtml

[21] Jan Koehler und Christoph Zürcher: Quick Impact Projects in 
Nordost-Afghanistan. Eine Studie im Auftrag des BMVg, 2007, 
http://de.indymedia.org/2008/11/231649.shtml

[22] Bernd Ladwig: Gebotene Fremdbestimmung? Normative Überlegungen zum 
Umgang mit zerfallen(d)er Staatlichkeit. In: Thomas Risse/ Ursula 
Lehmkuhl (Hrsg.): Regieren ohne Staat? Governance in Räumen begrenzter 
Staatlichkeit. 2007: 359.

[23] ebd.: 354.

[24] ebd.: 362.

[25] ebd.: 371.

[26] Risse/Lehmkuhl 2007: 17.

[27] Steen Thorsson: No Go Areas in Berlin. Anmerkungen zu Governance in 
Räumen begrenzter Staatlichkeit in den Metropolen. In: Failing Sciences, 
Embedded Stakeholders. Wider den SFB 700. 2009: 36.

[28] Detlef Hartman: Für eine postmoderne Erneuerung des antikolonialen 
Kampfes. 2009: 9; Detlef Hartmann: Die Knarre in der einen Hand, den 
Bleistift in der anderen. www.materialien.org/texte/hartmann/700-2-2.pdf.

[29] Risse/Lehmkuhl 2007: 20.

[30] Sebastian Conrad: Wissen als Ressource des Regierens in den 
deutschen und japanischen Kolonien des 19. Jahrhunderts. In: 
Risse/Lehmkuhl 2007: 148.

[31] ebd.: 148.



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