[IMI-List] [0297] EU-Militäreinsatz vor der Küste Somalias / IMI-Kongress / Neue Texte
Informationsstelle Militarisierung
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Do Okt 23 14:46:05 CEST 2008
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0297 .......... 12. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Christoph Marischka / Jürgen Wagner
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List finden sich
1) die Einladung zum diesjährigen IMI-Kongress;
2) Links auf neue Texte auf der IMI-Homepage;
3) eine Analyse zu dem EU-Militäreinsatz vor der Küste Somalias.
1) Einladung zum IMI-Kongress "Kein Frieden mit der NATO"
Wir möchten nochmals alle zu unserem IMI-Kongress vom 7. bis zum 9.
November 2008 nach Tübingen einladen. Wer Übernachtungsmöglichkeiten
sucht, kann sich gerne im Büro der Informationsstelle Militarisierung
melden. Neben Flugblättern und Plakaten haben wir nun auch eine
Pressemitteilung zum Kongress auf unserer Homepage veröffentlicht:
http://www.imi-online.de/2008.php3?id=1821
2) Neue Texte auf der IMI-Homepage
In den vergangenen Tagen sind IMI-Analysen und -Standpunkte zur
EU-Beteiligung an der EULEX-Mission im Kosovo, dem Verhältnis von
Burschenschaften zur Bundeswehr, der Einbindung ziviler
Hilfsorganisationen in den Sanitätsdienst der Truppe und die Werbung für
den Soldatenberuf in Jugendmedien erschienen.
IMI-Standpunkt 2008/056
Hand in Hand beim Völkerrechtsbruch: EU und USA mit EULEX im Kosovo
22.10.2008, Tobias Pflüger
http://www.imi-online.de/2008.php3?id=1835
IMI-Analyse 2008/035
Stahlhelm und Schmisse - Über das Verhältnis Korporierter zu Armee und Krieg
http://www.imi-online.de/2008.php3?id=1834
21.10.2008, Lucius Teidelbaum
IMI-Standpunkt 2008/055 - in: Telepolis (18.10.2008)
Ab jetzt werden Gefangene gemacht - Neues Gesetz regelt die Beteiligung
von DRK, Johannitern und Maltesern im Sanitätsdienst der Bundeswehr
http://www.imi-online.de/2008.php3?id=1833
21.10.2008, Christoph Marischka
IMI-Analyse 2008/034
Skrupellos: Bundeswehr-Marketing in Jugendmedien
http://www.imi-online.de/2008.php3?id=1832
17.10.2008, Michael Schulze von Glaßer
3) Analyse zu dem EU-Militäreinsatz vor der Küste Somalias
IMI-Analyse 2008/036 - in: Junge Welt, 23.10.08
Gefährliche Gewässer - Einsatz von Kriegsschiffen gegen Piraten vor
Somalias Küste
http://www.imi-online.de/2008.php3?id=1836
23.10.2008, Tobias Pflüger
Gefährliche Gewässer
Das Europäische Parlament legitimiert heute den Einsatz von
Kriegsschiffen gegen Piraten vor Somalias Küste. Selbstverständlich
werden humanitäre Gründe für den militärischen Schutz wichtiger
Handelswege vorgeschoben
Agenturmeldung vom 21. Oktober 2008: »Das Hörstück ›Die abenteuerliche
Welt der Piraten‹ erhält in diesem Jahr den mit 5000 Euro dotierten
Deutschen Kinderhörspielpreis. Bearbeiter und Regisseur Volker Präkelt
male mit seinem Stück ›ein buntes Bild der abenteuerlichen Piratenzeit‹
und nehme seine Hörer mit auf eine spannende Verfolgungsjagd über die
sieben Weltmeere.« Dies ist die Verklärung der historischen Piraterie.
Doch die Realität der Piraterie war damals und ist heute viel brutaler,
brutaler heute vor allem von seiten des Westens.
Allmählich wird es eng vor der Küste Somalias. Dort tummeln sich
mittlerweile Kriegsschiffe zahlreicher Einzelstaaten. Vor Ort ist z.B.
neuerdings die NATO, schon länger vor Ort ist die »Task Force 150«, ein
multinationaler Militäreinsatz unter wechselnder Führung verschiedener
Staaten, darunter Deutschland und Pakistan, im Rahmen des US-geführten
»Krieges gegen den Terror« (Operation Enduring Freedom, OEF).
Nun hat die Europäische Union am 19. September die sogenannte
NAVCO-Mission im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik (ESVP) beschlossen. Damit sollen die bereits vor
Ort befindlichen unterschiedlichen Einsatzverbände aus EU-Staaten
militärisch koordiniert werden. Das Ganze stützt sich auf die Resolution
1816 des UN-Sicherheitsrates. Diese Resolution vom 2. Juni 2008 stellt,
so der Völkerrechtler Norman Paech, ein absolutes Novum dar, denn sie
»autorisiert erstmals (…) alle willigen Staaten auch innerhalb der
somalischen Hoheitsgewässer (also innerhalb der Zwölf-Meilen-Zone) (…)
aktiv Jagd auf Piraten zu machen«. Der NAVCO-Einsatz ist vor allem
deshalb brisant, weil er die Vorstufe für den ersten maritimen
EU-Militäreinsatz überhaupt darstellt, der Ende des Jahres vor der Küste
Somalias (und womöglich auch Kenias) beginnen soll. Am heutigen
Donnerstag will das Europäische Parlament einen Resolutionsentwurf
verabschieden, mit dem der Einsatz politisch unterstützt werden soll.
Staatliche Souveränität ausgehebelt
Nachdem die Union Islamischer Gerichte (UIC) die Kontrolle in Somalia
übernommen hatte und in dem Land in der Folge erstmals seit langem so
etwas wie Stabilität herrschte, ging die Zahl der Piratenüberfälle
substantiell zurück. Der jetzige Anstieg hatte sich erst eingestellt,
nachdem die UIC Ende Dezember 2006 nach einer von den USA tatkräftig
unterstützen Invasion Äthiopiens, an der mindestens 15000 Soldaten
beteiligt waren, durch eine im kenianischen Exil aus dem Angebot
somalischer Warlords zusammengeklaubte Übergangsregierung (TFG) ersetzt
wurde. Genau diese Übergangsregierung ist jedoch nicht in der Lage, dem
Problem Piraterie in den eigenen Hoheitsgewässern Herr zu werden, so
entsandten mittlerweile zahlreiche Staaten Militärschiffe zum Schutz
ihrer wirtschaftlich-politischen Interessen in die Region.
Während das geltende Seerechtsabkommen (Artikel 105) jedoch jederzeit
die Bekämpfung von Piraten auf hoher See gestattet, gilt dies nicht für
die Zwölf-Meilen-Zone in Küstennähe, wo diese Aufgabe zum
Souveränitätsbereich des jeweiligen Landes gehört. Da die ins Visier
geratenen Piraten aber vorwiegend im somalischen Hoheitsgewässer agieren
(bzw. sich dorthin zurückziehen), benötigten die interessierten Staaten
eine Rechtsgrundlage, um aktiv gegen sie vorgehen zu dürfen. Hierfür
verabschiedete der UN-Sicherheitsrat auf Initiative der Vereinigten
Staaten und Frankreichs am 2. Juni 2008 die Resolution 1816, auf die
sich auch die EU-NAVCO-Mission beruft.
Bei der Piratenjagd muß die somalische Regierung zwar dem zuvor
zustimmen, da sie sich aber ohne westliche Unterstützung kaum an der
Macht halten könnte, stellt sie kein Hindernis dar. Im Wortlaut wurde in
Artikel 7 beschlossen, »daß die Staaten (…) a) in die Hoheitsgewässer
Somalias einlaufen dürfen, um seeräuberische Handlungen und bewaffnete
Raubüberfälle auf See in einer Weise zu bekämpfen, die den nach dem
einschlägigen Völkerrecht auf Hoher See zulässigen Maßnahmen gegen
Seeräuberei entspricht; b) innerhalb der Hoheitsgewässer Somalias alle
notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung seeräuberischer Handlungen und
bewaffneter Raubüberfälle in einer Weise anwenden dürfen, die den nach
dem einschlägigen Völkerrecht auf Hoher See zulässigen Maßnahmen gegen
Seeräuberei entspricht«.
Damit rief der UN-Sicherheitsrat nicht nur erstmals unter Kapitel VII
zur gewaltsamen Bekämpfung der Piraterie auf, sondern er beendete
faktisch Somalias Souveränität über seine Zwölf-Meilen-Zone. Auf
Grundlage dieser Resolution können fremde Staaten innerhalb des
somalischen Hoheitsgewässers nahezu schalten und walten wie sie wollen:
»Also: Boote und Schiffe sowie deren Besatzung können nach frischer Tat,
aber auch bei Verdacht, daß es sich um Piraten handelt, bis an den
Strand und in die Häfen Somalias verfolgt, bekämpft und aufgebracht
werden, egal, wo sie zuerst angetroffen worden sind.«[1]
Interessanterweise bezieht sich die Resolution 1816 nicht nur auf die
Küstengewässer, sondern auch auf den »Luftraum vor der Küste Somalias«
und hebelt damit die Souveränität des Landes auch in diesem Bereich aus.
Die ursprünglichen Planungen gingen sogar noch viel weiter, wie eine
Meldung der BBC vom 2.Juni 2008 offenbart: »Unser Korrespondent in
Frankreich gibt an, daß Frankreich ursprünglich den Antrag zur
Berechtigung einer Bekämpfung der Piraterie auf andere Gebiete wie
Westafrika, ausdehnen wollte.« Auch im Unterausschuß »Sicherheit und
Verteidigung« (SEDE) des Europäischen Parlaments wurde diesbezüglich
Klartext geredet. So betonte der konservative griechische Abgeordnete
Giorgos Dimitrakopoulos (EPP-ED) bei der Sitzung am 15. Oktober, der nun
beschlossene Einsatz vor Somalia sei für die EU lediglich der
Ausgangspunkt für einen weiter gefaßten Plan zum Schutz (bzw. der
Kontrolle) anderer wichtiger Schiffahrtsregionen.
Dies scheiterte jedoch am Widerstand Chinas, Vietnams und Libyens, die
einen solchen Blankoscheck für die ganze Welt, »über die sieben
Weltmeere«, nicht unterzeichnen wollten. Deshalb wird in der
UN-Resolution 1816 explizit bekräftigt, hierdurch würde kein neues
Völkergewohnheitsrecht geschaffen. Am 9. Oktober verabschiedete der
Sicherheitsrat eine weitere Resolution (1838) zum Thema, in der dieser
Aspekt nochmals unmißverständlich unterstrichen wurde. Dort wird
»bekräftigt, daß diese Resolution ausschließlich auf die Situation in
Somalia Anwendung findet und die Rechte, Pflichten oder
Verantwortlichkeiten der Mitgliedstaaten nach dem Völkerrecht,
einschließlich der Rechte oder Pflichten nach dem
Seerechtsübereinkommen, in bezug auf jedwede Situation unberührt läßt,
und unterstreicht insbesondere, daß diese Resolution nicht so anzusehen
ist, als werde dadurch Völkergewohnheitsrecht geschaffen.«
Dennoch steht zu befürchten, daß die UN-Resolution 1816 künftig als
Präzedenzfall herangezogen wird, wie die der Bundesregierung
zuarbeitende »Stiftung Wissenschaft und Politik« erläutert: »Zwar wird
in der UN-Resolution explizit erklärt, daß damit kein neues
völkerrechtliches Gewohnheitsrecht geschaffen wird und die Souveränität,
territoriale Integrität sowie politische Unabhängigkeit und Einheit
Somalias nicht ausgehöhlt werden sollen. Aber für die internationale
Debatte über Sicherheit auf See wird damit ein völlig neues Instrument
geschaffen. Es könnte sich in Zukunft erweisen, daß sich dieses
Instrument auch in anderen Gefahrenlagen anwenden läßt« (SWP-Aktuell
56/Juni 2008, S. 3).
NAVCO I und NAVCO II
Am 19. September verabschiedete die Europäische Union die »Gemeinsamen
Aktion/Joint Action 2008/749«. Sie ist eine »militärische
Koordinierungsmaßnahme zur Unterstützung der Resolution 1816 (2008) des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. (…) Durch die Einrichtung einer
Koordinierungszelle in Brüssel (sollen) die Tätigkeiten der
Mitgliedstaaten unterstützt werden, die militärische Mittel im
Einsatzgebiet einsetzen, damit diese leichter verfügbar und operativ
einsetzbar sind.« Konkret heißt das, daß alle Kriegsschiffe der
verschiedenen EU-Mitgliedstaaten, die vor Ort sind, damit koordiniert
werden sollen. Damit sind sowohl die Kriegsschiffe gemeint, die
EU-Staaten zur Piratenbekämpfung vor Ort geschickt haben, als auch jene,
die schon länger im Rahmen der OEF-Mission »Task Force 150« vor Ort
operieren. Hinzu kommt noch die Koordinierung mit den Schiffen des
»Ständigen Maritimen Einsatzsverbandes 2« der NATO, von dem Teile seit
kurzem ebenfalls in die Region beordert wurden.
Die Leitung des NAVCO-Einsatzes übernimmt der Spanier Andrès Beijo
Claúr, die Kosten in Höhe von zunächst 60000 Euro werden vollständig
über den »Athena-Mechanismus« bezahlt. Das Koordinationszentrum soll
dabei laut der »Gemeinsamen Aktion« nicht nur als »Ansprechpartner
insbesondere für die Reederverbände« fungieren, sondern auch für »die im
Rahmen der Operation ›Dauerhafte Freiheit‹ agierende Seestreitkraft
›Combined Task Force 150‹«. Eine enge Abstimmung mit dem US-geführten
»Krieg gegen den Terror« ist demzufolge also gegeben, obwohl der heute
zur Abstimmung stehende Resolutionsentwurf des Europäischen Parlaments
»den Rat auffordert, klar zwischen dem künftigen ESVP-Mandat und den
Anti-Piraterie-Maßnahmen einzelner EU-Mitglieder im Rahmen der
›Operation Dauerhafte Freiheit‹ zu unterscheiden«.[2] Sogar eine
Zusammenarbeit mit der »Operation Iraqi Freedom« (OIF), also mit dem
völkerrechtswidrigen Irak-Krieg, ist möglich.
Die Europäische Union läßt keine Zweifel daran aufkommen, daß die
militärische Koordinierung im Rahmen von NAVCO nur einen Anfang
darstellen soll: »Parallel dazu wird der Rat weiter daran arbeiten, eine
maritime EU-Militäroperation zu starten.«[3] Geplant ist mit einem neu
zu beschließenden Mandat die Entsendung von fünf bis sechs Schiffen
nebst Hubschraubern, das Hauptquartier soll in Northwood
(Großbritannien) liegen, das Kommando wird der britische Vizeadmiral
Philip Jones übernehmen. Bis zu neun Länder wollen sich an dem Einsatz
beteiligen, u. a. auch Deutschland, das bereits mindestens eine Fregatte
zugesagt hat. Ein Erkundungsteam ist Presseberichten zufolge schon vor
Ort, auch verbal stimmt man sich bereits auf den Einsatz ein: »Wir
wollen Ende dieses Jahres oder Anfang 2009 beginnen, nachhaltig dieser
Piraterie den Garaus zu machen«, wird ein hoher EU-Beamter von der
Nachrichtenagentur ddp am 21.September zitiert.
Brisant ist dabei, daß »Verteidigungs«minister Franz Josef Jung (CDU)
von einem »europäischen Einsatz vor der Küste Somalias und Kenias«
spricht. Von Kenia ist aber in der UN-Resolution überhaupt nicht die
Rede. Höchstwahrscheinlich beabsichtigen BRD und EU aber dennoch, auch
innerhalb der Zwölf-Meilen-Hoheitszone Kenias auf Piratenjagd zu gehen,
so auch interne Planungen in Brüssel.
In diesem Zusammenhang stellt sich darüber hinaus die Frage, weshalb die
Europäische Union krampfhaft einen eigenen Einsatzverband vor die
somalische Küste beordern will, wo doch dort ohnehin mit der Task Force
150 und den NATO-Schiffen Hochbetrieb herrscht. Bei der SEDE-Sitzung am
15. Oktober nannte dies der britische konservative EU-Abgeordnete
Geoffrey van Orden (EPP-ED) »militärischen Unfug« und einen
»verzweifelten Versuch« der französischen Ratspräsidentschaft, »während
ihrer Amtszeit die EU-Flagge über einer weiteren Militärmission hissen
zu können«. Betrachtet man sich die Lage jedoch genauer, so wird
durchaus deutlich, weshalb sich die Europäische Union zu diesem Schritt
entschieden hat.
Öl und freier Welthandel
Zwar wird der NAVCO-Einsatz gerne mit der Notwendigkeit zum Schutz von
Nahrungsmittellieferungen begründet, allerdings geht es viel mehr um
deutlich handfestere Interessen. Nachdem sich Überfälle von Piraten vor
der Küste Somalias seit 2007 häufen, sind es nicht zuletzt die deutschen
Reeder, die auf ein bewaffnetes Eingreifen drängen, schließlich ist
Deutschland nicht nur Exportnation Nummer eins, sondern auch der Staat
mit der größten Container- und der drittgrößten Handelsflotte der Welt.
So ruft Hans-Heinrich Nöll, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher
Reeder, nach militärischem Begleitschutz: »Wir erwarten von der Politik,
daß sie der Marine ein klares Mandat gibt. Es ist eine Frage hier
unserer deutschen Zuständigkeiten, ob wir die Marine ermächtigen, auch
dabei einzugreifen – was andere längst dürfen.« Damit spielt Nöll auf
die Tatsache an, daß das Militär in Deutschland für einen derartigen
Einsatz überhaupt nicht zuständig ist, denn die Verbrechensbekämpfung
fällt – eigentlich – in den Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei.
Ganz offen wird die Interessenskonstellation von Militärs beschrieben.
In einem Artikel zum NAVCO-Einsatz, der im MarineForum erschien, heißt
es: »Auch die Europäische Kommission und das EU-Parlament haben
mittlerweile entdeckt, daß Piraterie die für Europa so lebenswichtigen
Warenströme bedroht – durch erhöhte Sicherheitsausgaben der Reedereien
und steigende Versicherungsprämien steigen letztlich die Frachtraten und
damit auch die Verbraucherpreise für importierte Güter sowie die
Verkaufspreise für europäische Exportgüter in den Empfängerstaaten.
Deutschland hat ein vitales Interesse an der Sicherheit der global
bedeutsamen Seestraßen – vom Import und Export hängen Wohlergehen der
Bürger und innere Stabilität des Landes ab. Schon deshalb – und erst
recht, weil wir Bestandteil der Staatengemeinschaft sind – steht die
Bundesrepublik in der Pflicht, auch gegen Piraten so vorzugehen, wie es
ihnen gebührt. Sie sind Verbrecher und müssen bestraft und im wahrsten
Sinne des Wortes aus dem (See-)Verkehr gezogen werden.«[4] Selbst im
offiziellen NAVCO-Mandat des EU-Rates wird festgehalten, man müsse gegen
die Piraten vorgehen, da diese eine Gefährdung für »die Sicherheit der
der gewerblichen Seeschiffahrt dienenden Schiffahrtswege und die
internationale Schiffahrt darstellen«.
Auch die Fischereiverbände machen Druck auf ein militärisches
Eingreifen. So berichtet das MarineForum, die französischen und
spanischen Schiffe seien nicht zuletzt zum Schutz ihrer Fangflotten vor
die somalische Küste beordert worden. Um was es aber bei dem
NAVCO-Einsatz wirklich geht, wird auch deutlich gesagt: die Kontrolle
der Energieversorgung (»Energiesicherheit«), insbesondere des wichtigen
Nadelöhrs am Golf von Aden, an dem Somalia liegt und den elf Prozent der
per Schiff verbrachten weltweiten Öllieferungen passieren. Ganz offen
sprach der CDU-Europaparlamentarier Karl von Wogau während der Sitzung
des Unterausschusses »Sicherheit und Verteidigung« davon, bei NAVCO gehe
es um den »Schutz der Handelswege« und der Kommandeur des Einsatzes,
Andrès Beijo Claúr, unterstrich wie selbstverständlich die »Interessen
der EU am Golf von Aden«.
Der EU-Ratsbeschluß zu NAVCO wurde im übrigen im Transport- und
Tourismusausschuß (TRAN) diskutiert ohne Einbeziehung des für
militärische Fragen zuständigen Unterausschusses »Sicherheit und
Verteidigung« (SEDE). Im heute zur Abstimmung stehenden
Resolutionsentwurf wird deshalb gefordert, künftig besser unterrichtet
zu werden. Viel interessanter ist jedoch, daß dort im gleichen Atemzug
der geostrategische Kontext des Einsatzes offen angesprochen wird. Der
Entwurf »fordert die EU-Kommission dazu auf, das Europäischen Parlament
über jede Entscheidung zur Finanzierung von Projekten zu informieren,
die im Zusammenhang mit kritischen Seewegen am Horn von Afrika, der
Straße von Bab Al-Mandab, und dem Golf von Aden stehen.«[5]
Fischer wurden Piraten
Zu einem nicht geringen Teil ist das Piraterieproblem vor der
somalischen Küste hausgemacht und zwar nicht nur, weil die USA
maßgeblich beteiligt waren, die einzige stabile somalische Regierung
seit vielen Jahren zu beseitigen. Denn die Frage der Piraterie ist ganz
generell nicht von der sozialen Situation in Somalia und dem Agieren
westlicher Akteure zu trennen. Dabei ist es geradezu zynisch, daß sich
die Fischfangflotten lange Jahre ausgerechnet genau die Schwäche des
somalischen Staates zunutze machten, die sie nun beklagen. »Seit dem
Sturz der Regierung 1991 wurden die Hoheitsgewässer Somalias kaum mehr
überwacht. Seither betreiben ausländische Schiffe in größerem Umfang
illegalen Fischfang vor Somalia und überfischten die Gewässer. Die
Piraten sind zum Teil frühere Fischer, die ihr Tun damit rechtfertigen,
daß die ausländischen Schiffe durch den Fischfang in den
Hoheitsgewässern Somalias ihren Lebensunterhalt gefährden. Diese Piraten
wollten also zunächst die Fanggründe vor Eindringlingen schützen, manche
gingen allerdings dazu über, auch Frachtschiffe oder Passagierschiffe zu
überfallen.«[6]
Greenpeace beschrieb das Problem in ihrem Magazin bereits lange vor den
jetzigen Überlegungen zu einem bewaffneten Eingreifen. Sie zitierten
dort unter anderem stellvertretend für die Sichtweise vieler somalischer
»Piraten« einen 33jährigen Familienvater: »›Wir haben es satt, daß uns
alle Welt als Piraten beschimpft‹, ärgert sich der Vater von vier
Kindern: ›Was sollen wir denn tun, wenn man uns alles nimmt, was wir zum
Leben brauchen?‹« (greenpeace magazin 1/2007). Nun mag man es vielleicht
nicht begrüßen, wenn Menschen mit einer solchen Argumentation zu den
Waffen greifen, um aber zu wirklichen Lösungen zu gelangen, muß man die
Konfliktursachen zumindest kennen. Maßnahmen, die die strukturellen
Ursachen der Piraterie angingen, wären sicher wesentlich
erfolgversprechender, als der Versuch, das Problem militärisch zu
bekämpfen. Meine entsprechenden heutigen Anträge für die Linksfraktion
GUE/NGL dürften aber abgelehnt werden. Das hieße nämlich auch, daß
zuallererst die Fischereifangflotten zurückbeordert werden müßten und
ein vernünftiges Reintegrationsprogramm für die verarmten Fischer
gestartet werden müßte. Dies kommt aber leider aufgrund der ökonomischen
Interessen für die EU-Staaten nicht in Frage. Vor allem dient die
Pirateriebekämpfung der EU als willkommener Anlaß, sich als maritimer
Global Player zu etablieren und ihre militärische Präsenz in einer
strategisch und ökonomisch wichtigen Weltregion deutlich auszubauen.
Anmerkungen
[1] Michael Stehr: VNSR-Resolution 1816 zur Bekämpfung von Piraterie und
die deutsche Rechtslage, MarineForum, Stand: 21. September 2008
[2] Paolo Costa: Motion for a Resolution, B6-0000/2008
[3] European Union military coordination of action against piracy in
Somalia (EU NAVCO), Fact Sheet, 19.9.2008
[4] Michael Stehr: Le Ponant – Folgen und Folgerungen, in: MarineForum
6/2008
[5] Paolo Costa: Motion for a Resolution 2008, a. a. O.
[6] de.wikipedia.org/wiki/Piraterie_in_Somalia
Tobias Pflüger