[IMI-List] [0291] Dossier: Sozialabbau + Militarisierung / Neuer EU-Flyer / Militär und EM
Informationsstelle Militarisierung
imi at imi-online.de
Mi Aug 6 17:36:32 CEST 2008
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0291 .......... 12. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Christoph Marischka / Jürgen Wagner
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Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List finden sich
1) der Hinweis auf ein neues Dossier: "Sozialabbau und
Rekrutierungsstrategien der Bundeswehr“
2) Ein neuer Flyer: "Irland: Nein heißt Nein! Den Militärvertrag von
Lissabon endgültig beerdigen!"
3) Ein Text zum Einsatz von Soldaten bei der Fußball-EM.
1) Dossier: Sozialabbau und Rekrutierungsstrategien der Bundeswehr
In Zusammenarbeit mit Bundeswehr Wegtreten hat die IMI soeben das
Dossier Nr. 58 der Zeitschrift Wissenschaft und Frieden mit dem Titel
"Sozialabbau und Rekrutierungsstrategien der Bundeswehr" veröffentlicht.
Das Thema "Sozialabbau und Militarisierung", beschäftigt uns schon seit
längerer Zeit. Dabei haben sind wir insbesondere der Frage nachgegangen,
wie sich die Bundeswehr die soziale Situation Jugendlicher zu Nutze
macht, um an neue Rekruten zu kommen und wie die Arbeitsagenturen dabei
mit dem Militär kollaborieren.
Nun haben wir einige der bislang dazu erschienen Texte erweitert,
aktualisiert und in einer einheitlichen Publikation veröffentlicht.
Das 20seitige Dossier (A4) kann zum Preis von 2 Euro das Stück (plus
Porto) unter imi at imi-online.de bestellt werden oder unter folgender
Adresse (mit anderem Layout) heruntergeladen werden:
http://www.imi-online.de/download/Militarisierung-und-Sozialabbau.pdf
2) Neuer Flyer zum Militärvertrag von Lissabon nach dem irischen NEIN
Trotz des irischen NEIN beim Referendum am 12. Juni soll der Vertrag von
Lissabon unter allen Umständen durchgeboxt werden – selbst ein
Rausschmiss aus der Europäischen Union wird Irland offen angedroht.
Nun ist es wichtig, das irische NEIN zu verteidigen und sich mit der
irischen Ablehnung zu solidarisieren. Soeben haben wir ein neues
Flugblatt hierfür erstellt. Es kann unter folgender Adresse
heruntergeladen werden:
http://www.imi-online.de/download/euflyer2008-irland.pdf
Der Flyer kann auch unter imi at imi-online.de gegen Porto und Verpackung
bestellt werden.
3) Text zum Einsatz von Soldaten bei der Fußball-EM.
IMI-Analyse 2008/026
Sicher ins Finale
Der Einsatz von Soldaten bei der Fußball-EM
http://www.imi-online.de/2008.php3?id=1803
6.8.2008, Uwe Reinecke
Das österreichische Bundesheer gab sich im April für die UEFA-EM im Juni
2008 das Motto „Sicher ins Finale.“
Bekanntlich schied Österreich als schlechtester Gastgeber der
EM-Geschichte bereits in der Vorrunde aus und verfehlte die
Finalteilnahme, aber militärisch betrachtet, bedeutet die Fußball-EM ein
Sieg der verordneten „Sicherheit.“
Auch in der Schweiz, dem zweiten Gastgeber, setzte schon lange vor
Beginn der EM eine Ausweitung der Armeebefugnisse für Einsätze im Innern
ein. Sowohl in Österreich als auch in der Schweiz wurde dabei ein
Schritt der Sicherheitspolitik nachvollzogen, den die meisten EU-Staaten
bereits hinter sich haben.
Erfahrungen aus Deutschland während der FIFA-WM 2006 wurden
aufgegriffen. Wenn es auch in den betroffenen Staaten Kritik von
unterschiedlichsten Seiten gab, bekamen und bekommen die Armeen
Befugnisse und Waffen zur Verfügung gestellt, die nicht der
Landesverteidigung gegen äußere Angreifer, sondern allein dem Zweck der
„Aufstandsbekämpfung“ gegen im Innern des eigenen Staates entdeckte
Feinde dienen. Kritik daran von unerwarteter Seite sprach Jean Pierre
Monti, der Generalsekretär des Verbandes Schweizerischer Polizeibeamter
(VSPB), bereits im November 2002 aus:
„Es kann nicht angehen, dass Kräfte mit kombattantem Status zivile
polizeiliche Aufgaben übernehmen und die Polizei belasten, nur weil die
Landesregierung im Streit um die innere Sicherheit offenbar nicht mehr
den politischen Willen hat, eine klare Trennung zwischen dem
Gewaltenmonopol von Polizei und Militär aufrechtzuerhalten. Der VSPB
verlangt vom Bundesrat, dass der polizeiliche Bereich der inneren
Sicherheit nach wie vor von Polizistinnen und Polizisten wahrgenommen
wird, die dafür ausgebildet sind und nebst den beruflichen auch über
entsprechende soziale Kompetenzen verfügen.“ Diese Kritik wurde von den
Regierungen schnell verworfen und nicht weiter beachtet.
Übungen wie „Wachhund 99“ im Jahr 1999 in Österreich und reale Einsätze
der Armee zur Erlangung von Erfahrungen, wie während der FIFA-WM 2006 in
Deutschland, dienen dagegen der „Verbesserung der Einsatzmöglichkeiten“
von Armeen im Innern gegen eigene Staatsbürger und damit der Gewöhnung
an militärische Einsätze im zivilen Leben.
Grundlagen
Während das deutsche Grundgesetz der Bundeswehr im Art. 87a einem
Einsatz im Innern strikte Grenzen setzt, gibt das Österreichische
Verfassungsgesetz dem Militär diesbezüglich mehr Freiheiten (Art. 79b VG):
(1) Dem Bundesheer obliegt die militärische Landesverteidigung. Es ist
nach den Grundsätzen eines Milizsystems einzurichten
(2) Das Bundesheer ist, soweit die gesetzmäßige zivile Gewalt seine
Mitwirkung in Anspruch nimmt, ferner bestimmt
1. auch über den Bereich der militärischen Landesverteidigung hinaus
a) zum Schutz der verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihrer
Handlungsfähigkeit sowie der demokratischen Freiheiten der Einwohner
b) zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Inneren überhaupt;
2. zur Hilfeleistung bei Elementarereignissen und Unglücksfällen
außergewöhnlichen Umfanges.
Die Schweiz benennt in ihrer Bundesverfassung der österreichischen sehr
ähnliche Befugnisse der Armee (Art. 58):
(1) Die Schweiz hat eine Armee. Diese ist grundsätzlich nach dem
Milizprinzip organisiert.
(2) Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung
des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie
unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender
Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer
ausserordentlicher Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen.
Im schweizerischen Militärgesetz von 1995 (§§ 67, 70, 92) und in der
Verordnung über Polizeibefugnisse der Armee von 1994 (Art. 4) wurde
detailliert geregelt, dass zum Erhalt der "Inneren Sicherheit" der Armee
verschiedene Maßnahmen wie Passkontrollen, Vernehmungen, Durchsuchung
der mitgebrachten Gegenstände, Platzverweise und Festnahmen bis hin zum
Waffengebrauch erlaubt sind. Diese gesetzlichen Regelungen wurden im
Zusammenhang mit den Weltwirtschaftsforen in Davos eingeführt.
Die Erfahrungen der Schweizer Armee im Bereich der „Inneren Sicherheit“
konnten durch die Erfahrungen der deutschen Polizeien und der Bundeswehr
während der FIFA-WM 2006 ergänzt werden. Denn Fußballfans sind nicht per
se systemkritisch und wollen auch nicht protestieren. Sie wollen in
erster Linie feiern und gemeinsam Spaß haben. Das gilt es staatlich zu
kanalisieren. Polizei und Bundeswehr haben vor zwei Jahren „gut zusammen
gearbeitet,“ wie in einer Mitteilung des deutschen
Bundesinnenministeriums bilanziert wurde. Etwa 2.000 Soldaten waren
damals in die Stadien der WM (in ziviler Kleidung) kommandiert worden.
Auch kam die NATO mit ihren AWACS-Kriegsfliegern zum Einsatz. Das sollte
sich nun alles wiederholen.
Der kooperative Einsatz im Innern
Schon lange vor Beginn der EM wurden zur Koordination mehr oder weniger
regelmäßige Treffen der Organisatoren der EM mit Polizei- und
Militärkräften organisiert. Vertreter der Polizeien und der Armeen
Österreichs, der Schweiz und Deutschlands nahmen daran teil.
Erfahrungsaustausch und gemeinsame Planung für die EM wurden als Ziele
benannt. Konkret wurden dabei Amtshilfen abgesprochen. Dies geschah von
der Öffentlichkeit fast unbemerkt, obwohl die Tatsache der Treffen nicht
verheimlicht wurde. Einige Ergebnisse der Treffen wurden noch vor Beginn
der EM veröffentlicht. Allerdings sind die Informationen über den
finanziellen Aufwand und über die eingesetzte Ausrüstung in den Staaten
unterschiedlich genau.
So stellte die deutsche Bundeswehr im grenznahen Raum Kasernen zur
Unterbringung von Kräften der Bundespolizei und/oder Sanitätsdiensten
zur Verfügung (z.B. Prinz-Eugen-Kaserne München aber auch Liegenschaften
in Kempten und Mühlheim).
In Klagenfurt und Wien (Spielorte des DFB in der Vorrunde) sowie in
Basel (Spielort des DFB im Viertel- und Halbfinale) war ein massives
Aufgebot deutscher Polizei zu sehen. Die Bundeswehr war wohl in beiden
Staaten nicht öffentlich aktiv. Allerdings stellte die Bundeswehr in
Meßstetten (Zollernalbkreis/Ba-Wü) zwei Verbindungsoffiziere für den
Polizei-Hubschraubereinsatz zur Verfügung. Ferner half die Bundeswehr
beim Abgleich von Halterinformationen für KfZs und im taktischen
Bereich im Radar- und Funkdienst während der EM. Davon und besonders von
den Luftlageinformationen der Bundeswehr profitierten absprachegemäß
auch entsprechende Stellen in Österreich und der Schweiz.
Einsatzbeispiele
Die NATO stellte wieder ihre AWACS-Kriegsflieger zur Überwachung des
Luftraums zur Verfügung. In diesen Kriegsflugzeugen „arbeiten“
größtenteils Bundeswehr-Soldaten.
In Österreich wurden von der Bundesregierung 3.000 Soldaten für den
Einsatz im Innern abgestellt. 1,7 Millionen EUR wendete das Bundesheer
auf, um den österreichischen Bundesländern finanziell zu helfen, die
„Sicherheit“ zu gewährleisten (Presseeinlassung des
Verteidigungsministers).
Österreichs Armee trat hier besonders mit Helikoptern und Abfangjägern
zur Überwachung des weiträumigen Überflugverbotes (zwei Stunden vor
Spielbeginn bis ebenso lange nach Spielschluss) in Erscheinung. Nach
Informationen des Verteidigungsministers Norbert Darabos kamen dabei zum
Einsatz: Flugzeuge der Typen F-5E "Tiger" II, Eurofighter "Typhoon",
Saab 105 Ö und Pilatus PC-7 "Turbo Trainer", Hubschrauber der Typen S-70
"Black Hawk", Bell OH-58 B "Kiowa", Augusta Bell 212 und Alouette III
sowie das Radarsystem "Goldhaube".
Das Militärkommando Kärnten hatte am ersten Spieltag in Klagenfurt nach
eigenen Angaben 600 Soldaten im Einsatz: Krankenträger,
Fernmeldespezialisten, Sanitätskräfte, Versorgungseinheiten,
Fliegerkräfte und ABC-Abwehrkräfte (sic!) hielt das Militärkommando für
die Sicherheit rund um die EM bereit und war damit (Zitat) „auf jede
Eventualität vorbereitet.“
Mehrere Polizeieinheiten wurden in insgesamt vier Kärntner Kasernen
untergebracht. Das Catering für diese Polizeikräfte und das
Österreichische Rote Kreuz wurde durch das Bundesheer organisiert.
Ähnlich war es an allen anderen Spielorten in Österreich.
Da die österreichische Armee über keine unbemannten Drohnen zur
Überwachung des Luftraums verfügt, übernahm die Schweizer Armee diese
Aufgabe alleine. Kurz vor Beginn des Spiels Österreich gegen Deutschland
überflogen zwei Abfangjäger (Länderkennung unklar, aber wahrscheinlich
Österreich) die Millionenstadt Wien und das Ernst-Happel-Stadion. Der
Sinn dieser Aktion konnte nicht geklärt werden, denn einen
Luftzwischenfall (Angriff feindlicher Flugzeuge oder eine
Flugzeugentführung), der den Start der Abfangjäger erforderlich gemacht
hätte, gab es laut offizieller Presseeinlassung nicht.
Der Schweizer Bundesrat hatte vor Beginn der EM bis zu 15.000 Soldaten
für den Einsatz im Innern während des Fußballturniers bewilligt, die
wohl doch nicht alle abgerufen wurden. Neben den bereits erwähnten
Drohnen kamen an den Spielorten zahlreich Helikopter zur Überwachung der
Menschenströme zum Einsatz und Abfangjäger zur großräumigen
Luftraumüberwachung. Darüber hinaus wurden um die offiziellen Fanzonen
und um die Stadien herum besondere „Sicherheitszonen“ eingerichtet, die
das unbegründete Aussprechen von Platzverweisen und den Gebrauch
polizeilicher sowie militärischer Gewalt gegen Privatpersonen
erleichterten. Ferner wurden an allen Spielorten und Spieltagen jeweils
100 bis 150 Sanitätskräfte abgestellt.
Fazit
Der militärische Aufwand für die Durchführung der UEFA-EM war riesig und
entsprach einer abstrusen Gefahrenprognose. So wurde - ohne die Quellen
zu nennen - von österreichischen Sicherheitskräften in Klagenfurt
behauptet, dass „wir leider ganz andere Erkenntnisse über Gewalt haben.
Auch bei der WM in Deutschland gab es viel Gewalt und alles wurde
verschwiegen! Deswegen sind wir hier.“ Zusätzlich wurde von Behörden und
Polizei unter Mithilfe einer bereitwilligen Presse in Österreich ein
Gewaltszenario entworfen, das „600 zusätzliche Vergewaltigungen“ während
der EM erwarten ließ. So sei es jedenfalls bei der WM vor zwei Jahren
gewesen (die Quelle für diese Behauptung wurde nicht genannt).
Die derart erzeugte Gewaltangst und das daraus resultierende staatlich
erwünschte „Sicherheitsverlangen“ der Bevölkerung bereiteten den Boden
für diese massive Militärpräsenz – auch wenn völlig unklar ist, was
Soldaten etwa gegen Vergewaltigungen, die ja häufig eher abseits des
Geschehens stattfinden, für eine Wirksamkeit haben.
Das zumeist besonnene Verhalten der Fans und der anderen Touristen
ließen Polizei und Armee aber wenig Möglichkeiten, die vorher herbei
geredeten Gewalttaten auch zu bekämpfen.
Die Fußball-EM wurde von den drei Regierungen Österreichs, der Schweiz
und Deutschlands genutzt, das Militärische wieder einmal als normal und
notwendig erscheinen zu lassen. Dies scheint offenbar auch gelungen zu
sein. Außer ein paar Fan-Organisationen, die unter dem Motto
„Fußballfans sind keine Verbrecher“ sich zu wehren versuchten, gab es
wenig Protest gegen den massiven Polizei- und Armee-Einsatz während der
EM. Ganz im Gegenteil, es wurde meistens Verständnis geäußert und
zaghafte Versuche, sich dem Kontrollzwang zu entziehen, wurden von den
anderen Passanten mit Unmut beantwortet. Das war besonders an den
Eingängen zu den Fanzonen zu beobachten.
Insofern hat die staatliche „Sicherheit“ 3 : 0 gegen die Freiheit
gewonnen. Österreichs Verteidigungsminister Darabos bilanziert, „Für die
Sicherheit der EURO war unter großer Mitwirkung des Österreichischen
Bundesheeres gesorgt!"
Aussicht
Das Militär ergreift zunehmend das Zepter auch im internationalen Sport.
So ist in Deutschland zwar der für den Sport zuständige Minister der
Bundesinnenminister. Aber trotzdem unterstehen viele Sportler und
Sportlerinnen der Olympia-Mannschaft nicht als Bundespolizisten dem
Innen-, sondern als so genannte Sportsoldaten dem Verteidigungsminister.
Auch wurde das deutsche Olympia-Team bis zum 31. Juli nicht zufällig in
der „Kurmainz-Kaserne“ (Mainz) für Peking ausgestattet. Dafür wurden 40
Soldaten eingesetzt.
Militärs erheben nicht nur den Anspruch, sportlich zu sein, sondern der
Sport selbst wird zunehmend militärisch. Dies geschieht ganz im Sinne
der Tradition des „Turnvaters“ Jahn. Die Olympischen Spiele in Peking
werden den geschilderten Trend zur Militarisierung des Sports verstärkt
fortführen.
Dagegen und überhaupt gegen die zunehmende Militarisierung der
Gesellschaft im Allgemeinen und des Sports im Speziellen gilt es sich zu
wehren. Dazu sind Vernetzungen der antimilitaristischen Bewegung mit
Sportfans möglich und nötig.