[IMI-List] [0290] EUFOR-Einsatz im Tschad / EU-Sicherheitsforschung
Informationsstelle Militarisierung
imi at imi-online.de
Fr Jul 25 15:21:20 CEST 2008
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Online-Zeitschrift "IMI-List"
Nummer 0290 .......... 12. Jahrgang ........ ISSN 1611-2563
Hrsg.:...... Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Christoph Marischka / Jürgen Wagner
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Archiv: ....... http://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,
in dieser IMI-List finden sich
1. Hinweise zum Umzug der IMI-List;
2. Ein Link auf die Sonderseite der IMI zum irischen Nein zum Vertrag
von Lissabon;
3. Den Hinweis auf eine Studie zum EU-Militäreinsatz im Tschad und wie
dieser die Region destabilisiert;
4. Eine Analyse zur EU-Sicherheitsforschung als Subventionsprogramm für
die Rüstungsindustrie.
1. Umzug der IMI-List
Wir waren zunehmend unzufrieden insbesondere mit der Werbung und den
Anmeldeformalitäten der IMI-List, deshalb haben wir nun den Anbieter
gewechselt. Wir hoffen, dass dabei keine Probleme oder
Unannehmlichkeiten für die AbonnentInnen entstehen. Falls doch, bitten
wir um Mitteilung und entschuldigen uns schon einmal im Voraus.
2. Sonderseite zum irischen Nein zum Vertrag von Lissabon
Wir haben eine Sonderseite zum irischen Referendum über den Vertrag von
Lissabon und die Bemühungen der EU-Eliten, den Vertrag dennoch
umzusetzen, eingerichtet. Sie findet sich unter:
http://www.imi-online.de/2008.php3?id=1790
3. EUFOR Tschad
Mittlerweile haben sich sowohl die irische, als auch die polnische
Militärführung dafür ausgesprochen, den EU-Militäreinsatz im Tschad und
der Zentralafrikanischen Republik (EUFOR) zu verlängern. Dabei sprechen
selbst EU-nahe Thinktanks davon, dass die EUFOR immer mehr selbst zum
Problem in der Region wird. Die Fakten sprechen für sich, die IMI hat
diese in einer Studie zusammengefasst:
IMI-Studie 2008/06
Tschad: Die EUFOR als Brandbeschleuniger
http://www.imi-online.de/2008.php3?id=1795
http://www.imi-online.de/download/CM-Chad-Studie-06-08.pdf
22.7.2008, Christoph Marischka
4. Analyse zur EU-Sicherheitsforschung und den ersten geförderten Projekten
Der Albtraum Sicherheit
Europäische Sicherheitsforschung als Subventionsprogramm für die
Rüstungsindustrie
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/28/28390/1.html
25.07.2008, Christoph Marischka
Der Albtraum Sicherheit
Europäische Sicherheitsforschung als Subventionsprogramm für die
Rüstungsindustrie
"Die Entscheidung, ein EU-Programm zur Sicherheitsforschung (ESRP)
einzurichten, wurde von der Europäischen Kommission 2003 informell
gefällt. Es gab keinen offiziellen Vorschlag für einen Rechtsakt, wie es
sonst bei der Schaffung von Budgets üblich ist, und somit unterblieb
auch jede Beratung mit dem Europäischen und den nationalen Parlamenten
in dieser Angelegenheit… Die Europäische Kommission beschloss, eine
"Group of Personalities einzuberufen, welche die Entwicklung der
europäischen Sicherheitsforschung begleiten sollte".
So beschrieb Ben Hayes die Entstehung der Europäischen
Sicherheitsforschung in seiner Studie Arming Big Brother. In dieser wird
deutlich, wie sich die Rüstungskonzerne intensiv bemühten, die
Sicherheitsagenda der EU zu beeinflussen und eine Förderung durch die EU
zu forcieren, um für eine "nachhaltige und konkurrenzfähige
technologische und industrielle Basis" der europäischen Rüstung Sorge zu
tragen.
Die EU ihrerseits begrüßt im Bereich der Sicherheitspolitik so genannte
Public-Private-Partnerships (PPPs), also die massive Einflussnahme der
Wirtschaft auf die Politik und bezieht die Anbieter von
Sicherheitsdienstleistungen und -technologien, ebenso wie deren private
Nachfrager, gerne in ihre Politikgestaltung ein. Das Resultat dieser
Kooperation ist eine Vorstellung von Sicherheit, die lediglich den
Interessen großer Konzerne dient und sich in Zeiten asymmetrischer
Kriegsführung und fehlender militärischer Gegner v.a. gegen
ImmigrantInnen und die eigene Bevölkerung richtet.
Die "Group of Personalities" (GoP) bestand beispielsweise aus vier
Vertretern der EU-Kommission und 16 Vertretern der Industrie - darunter
zwölf der großen europäischen Rüstungskonzerne EADS, Thales, Diehl, BAE
Systems, Finmeccanica und INDRA sowie Mitarbeitern der
Telekommunikationsanbieter Siemens und Ericcson. Neben acht Mitgliedern
des Europäischen Parlaments waren noch sieben weitere Institutionen
vertreten, darunter neben einigen Forschungsinstituten auch das
griechische und das belgische Verteidigungsministerium.
Im Februar 2004 machte sich die Kommission die Vorschläge der GoP zu
eigen und beschloss, 65 Mio. Euro für "Vorbereitungsmaßnahmen zur
Förderung des Europäischen technologischen Potentials in der
Sicherheitsforschung" zwischen 2004 und 2006 bereit zu stellen. 30 Mio.
Euro hierfür flossen in 24 Projekte, Marktanalysen und
Machbarkeitsstudien, von denen 17 von Rüstungsunternehmen geleitet
wurden. Die GoP definierte die Schwerpunkte der Sicherheitsforschung,
die im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm (RFP7) für die Jahre 2007 bis 2013
unter dem Posten "Sicherheit und Weltraum" (insgesamt 570 Mio. Euro) mit
jährlich 235 Mio. Euro gefördert werden sollen.
Im Anschluss wurden nationale [extern] Kontaktstellen für
Sicherheitsforschung benannt, die gemeinsam mit den jeweiligen
Forschungsministerien sehr breit gestreut mögliche Antragsteller
informierten. Dabei griffen sie auf private und öffentliche
Institutionen zurück, welche zuvor einen Überblick über die Rüstungs-
und Sicherheitsunternehmen boten. In Deutschland wurden vom
Bundesforschungsministerium eine Karte und eine schriftliche
Zusammenfassung sowie vom Verteidigungsministerium eine Broschüre über
mögliche Projektpartner angefertigt.
Die Gutachter
Mittlerweile sind die ersten zwölf Projekte zur Sicherheitsforschung im
Rahmen des RFP7 bewilligt worden. Um diese auszuwählen, wurde eigens ein
Gutachterkreis für den Bereich Sicherheit eingerichtet, bestehend aus
143 Personen, von denen lediglich 38 Frauen waren (für den nächsten
Gutachterkreis wird ein Frauenanteil von 40% angestrebt). Die meisten
GutachterInnen stammten aus privaten Unternehmen wie etwa dem Hersteller
für Kleinwaffen FN Herstal oder Forschungseinrichtungen, die staatlich
bezuschusst werden. Von den öffentlichen Einrichtungen, die vertreten
waren, kommen ebenfalls viele aus dem Bereich der Rüstung – vertreten
waren die Verteidigungsministerien mehrerer Länder und staatliche Ämter,
die mit der Strategieplanung und Ausrüstung der Streitkräfte beauftragt
sind, wie etwas das deutsche Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung.
Die EU war insbesondere durch 4 Mitglieder der EU-Rüstungsagentur und
einen Vertreter der EU-Grenzschutzagentur Frontex beteiligt. Selbst die
NATO hat über einen Mitarbeiter des George C. Marshall Centers in
Garmisch-Partenkirchen Einfluss auf die Bewilligung der Projekte nehmen
können. An "zivilen" Einrichtungen waren neben zahlreichen
Beratungsfirmen und Universitäten v.a. Polizeibehörden und
Innenministerien sowie einige Forschungsministerien vertreten.
Deutschland ist mit 16 GutachterInnen am stärksten präsent, gefolgt von
Italien mit zwölf und Frankreich und Großbritannien mit jeweils 10.
Außereuropäische Einrichtungen sind lediglich durch drei türkische und
vier israelische GutachterInnen vertreten.
Erste Recherchen zum Gutachterkreis haben zweierlei offenbart: Erstens
ist es im Bereich der Sicherheitsforschung schwierig, zwischen
öffentlichen und privaten Institutionen zu unterscheiden, da PPPs in
diesem Bereich weit vorangeschritten sind. So finden sich Firmen wie die
MoD Electronics, Logistics and Property Management Cooperation, die sich
vollständig oder teilweise im Besitz der Verteidigungsministerien
befinden, oder Forschungsgesellschaften, die nur durch staatliche
Aufträge entstanden sind oder fortbestehen können. Zweitens haben sich
mittlerweile zahlreiche Unternehmen gegründet, deren vorrangige
Dienstleistung darin besteht, Lobbyarbeit für die Rüstungsindustrie zu
betreiben, die Sicherheitsunternehmen zu vernetzen oder die Umsetzung
des RFP7 zu befördern, also die gemeinsame Sicherheitsagenda voranzutreiben.
Science Fiction wird Realität
Aufschluss über diese Sicherheitsagenda liefern die ersten zwölf
bewilligten Projekte. Offensichtlich eingeflossen sind dabei die
Empfehlungen der Frontex-Agentur zum Einsatz von Drohnen an den
Außengrenzen und zu einer besseren Vernetzung der nationalen
Überwachungstechnologien, die zur Kontrolle der Küsten eingesetzt
werden. So wird am umfangreichsten das Projekt TALOS mit 12.9 Mio. Euro
unterstützt, das unbemannte Flugkörper und Fahrzeuge entwickelt, welch
die Grenze überwachen sollen. Die Fördersumme bezieht sich dabei v.a.
auf die Fahrzeuge, die "zugleich als Kontrollposten und first reaction
patrols dienen sollen. Sie informieren den Control and Command Centre
sowie den Eindringling über seine/ihre Lage und unternehmen nahezu
autonom unter der Aufsicht von Grenzschutzbeamten angemessene Maßnahmen,
um die illegale Handlung zu unterbinden."
4.5 Mio. fließen hingegen in das Projekt SECTRONIC, mit dem
Schiffahrtsrouten überwacht werden, indem Daten von Satelliten, Drohnen
und Aufklärungsflugzeugen sowie Sensoren auf See wie an der Küste
zusammengeführt werden. Mehr als 3.5 Mio. Euro erhält das Projekt AMASS,
das mit Bojen auf See ebenfalls die Gewässer überwachen soll. Am
dahinter stehenden Konsortium unter der Leitung der Carl Zeiss Optronics
GmbH sind neben dem Fraunhofer Institut für Informations- und
Datenverarbeitung und der deutschen Firma IQ Wireless die Streitkräfte
Maltas und die Universität Las Palmas auf Grand Canaria beteiligt. Neben
der Bekämpfung des Schmuggels soll es auch bei diesem Projekt ganz
offiziell um illegale Migration gehen.
Ein drittes Projekt zur Überwachung der See und der Vernetzung der
hiermit beauftragten Behörden unter der Leitung von Thales wird mit
knapp 700.000 Euro unterstützt. Auch das mit 2.5 Mio. Euro geförderte
Projekt COPE zielt unter Beteiligung von BAE Systems darauf ab, die
Zusammenarbeit zwischen militärischen, polizeilichen und zivilen
Behörden dadurch zu verbessern, dass sie international Bilddaten,
beispielsweise von Satelliten und Drohnen, besser austauschen können.
Mit 2.3 Mio. Euro wird IDETECT 4ALL dabei unterstützt, ein
kostengünstiges Gerät zu entwickeln, eine Art Bewegungsmelder, mit dem
so genannte Kritische Infrastrukturen weitläufig überwacht werden können.
Mehrere der restlichen geförderten Projekte mit einem Volumen von unter
3 Mio. Euro dienen der Vernetzung der Nachfrager und Anbieter von
Sicherheitstechnologie und der nationalen Forschungsförderung. Nur drei
der zwölf Projekte mit einer Gesamtfördersumme von weniger als 5.5 Mio.
Euro können ihrer Anlage nach auch der Sicherheit breiter
Bevölkerungsteile dienen. Im Rahmen des Projekts CRISCOMSCORE soll ein
Leitfaden für die Mitarbeiter in Behörden für die Kommunikation im
Krisenfall entstehen, also Richtlinien für den Umgang mit Presse,
Angehörigen, Überlebenden etc. SICMA soll medizinischem Personal auf der
Grundlage von Simulationen computergestützte Entscheidungshilfen bieten
und BESECU beinhaltet eine "interkulturelle" Studie in sieben
europäischen Ländern zum Verhalten der Bevölkerung in Krisenfällen, die
Hilfskräften und Architekten hilfreich sein sollen. Zahlreiche der rund
150 begünstigten Unternehmen, Institute und Behörden waren im
Gutachterkreis vertreten. Auch unter den geförderten außereuropäischen
Unternehmen befinden sich fast nur israelische und türkische Rüstungsfirmen.
Videoüberwachung von Menschenansammlungen im Hinblick auf verdächtigtes
Verhalten
Im September 2007 hat die Europäische Kommission ein weiteres
informelles Gremium ins Leben gerufen, um die Sicherheitsforschung und
damit die Rüstungsindustrie zu fördern. Das Europäische Forum für
Sicherheitsforschung und Innovation (ESRIF). In der Pressemitteilung der
Kommission zu dessen Gründung heißt es:
"Das ESRIF ist eine informelle, beratende Plattform, an der die
Interessengruppen aus dem öffentlichen und dem privaten Sektor auf
freiwilliger Basis teilnehmen. Diese Interessengruppen sind die
Industrie, Forschungseinrichtungen, öffentliche und private Endnutzer,
Organisationen der Zivilgesellschaft, EU-Institutionen (insbesondere das
Europäische Parlament) und europäische Organisationen.
Ein öffentlich-privater Dialog im Bereich der Sicherheitsforschung ist
von zentraler Bedeutung für eine höhere Sicherheit der Infrastrukturen,
den Kampf gegen das organisierte Verbrechen und den Terrorismus, für die
Wiederherstellung der Sicherheit in Krisenzeiten sowie für eine
Verbesserung der Grenzüberwachung und -kontrolle. Bis Ende 2009 soll das
ESRIF eine gemeinsame Agenda für Sicherheitsforschung aufstellen, die
gegebenenfalls Empfehlungen an die Behörden enthalten wird. Das Forum
wird für eine begrenzte Zeit, bis Ende 2009, eingesetzt.
Die Europäische Union hat auf den Bedarf an mehr Sicherheitsforschung
mit zwei auf sieben Jahre ausgelegten Rahmenprogrammen im
Sicherheitsbereich reagiert, die mit insgesamt 2,135 Mrd. EUR für den
Zeitraum 2007-2013 ausgestattet wurden. Dabei handelt es sich um das 7.
Forschungsrahmenprogramm, in dem auch die Sicherheit ein Thema ist, und
um das EU-Rahmenprogramm ´Sicherheit und Schutz der Freiheitsrechte.´
Die Kommission hat kürzlich grünes Licht für neue, spezifische
Sicherheitsforschungsprojekte in folgenden Bereichen gegeben: optische
Technologien zur Kennzeichnung von Sprengstoffen, Aufspüren von
Sprengstoffen in städtischem Umfeld, Videoüberwachung von
Menschenansammlungen im Hinblick auf verdächtigtes Verhalten sowie
Terrorismusabwehr bei Großveranstaltungen."
Auch im ESRIF haben die Männer das Sagen: Den Vorsitz führt der
ehemalige EU-Koordinator für Terrorismusbekämpfung, Gijs de Vries,
stellvertretende Vorsitzende sind BKA-Vizepräsident Jürgen Stock und
Giancarlo Grasso von der italienischen Rüstungsfirma Finmeccanica. Hier
können Betreiber Kritischer Infrastrukturen, Anbieter von
Sicherheitstechnologie, Rüstungsfirmen und andere Wirtschaftsunternehmen
gemeinsam mit Sicherheitspolitikern und Praktikern Bedrohungsszenarien
entwickeln und ihre "Lösungen" anbieten, für welche die EU dann Geld
bereitstellt. Mit der Sicherheit der Bürger hat dies nicht viel zu tun
und eine kritische Evaluation der Risiken neuer Technologien wird
bislang nicht gefördert – noch nicht einmal in der Funktion eines
Feigenblattes.
Drohnen beispielsweise neigen um ein vielfaches häufiger zu Abstürzen
als bemannte Flugzeuge. Dabei können Menschen verletzt und getötet
werden. Wichtiger scheint aber zu sein, dass [extern] Kritische
Infrastruktur, Problemviertel und Grenzen kostengünstig überwacht
werden. Kostengünstig meint in diesem Falle Kapital- und nicht
Arbeitsintensiv. Auch die Rolle der Bürger- und Menschenrechte wird nur
dem Namen nach beachtet. So setzt sich das oben angesprochene
"Rahmenprogramm Sicherheit und Schutz der Freiheitsrechte" einem
[extern] Entwurf der Kommission nach folgendermaßen zusammen:
"Das Rahmenprogramm "Sicherheit und Schutz der Freiheitsrechte" soll für
den Zeitraum 2007-2013 mit 745 Mio. EUR (zu jeweiligen Preisen)
ausgestattet werden. Davon sind 597,6 Mio. € für das Programm
´Kriminalprävention und Kriminalitätsbekämpfung´ und 137,4 Mio. € für
das Programm ´Prävention, Abwehrbereitschaft und Folgenbewältigung im
Zusammenhang mit Terrorakten´ vorgesehen. Innerhalb dieser
Mittelausstattung sind 10 Mio. EUR für Verwaltungsausgaben hinzugefügt."
Christoph Marischka
Belege und weiterführende Links finden sich unter:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/28/28390/1.html