[Grundeinkommen-Info] Kritik am BGE (BIG) in Namibia

jahnjepw at freenet.de jahnjepw at freenet.de
Do Mai 13 14:30:26 CEST 2010


Ein Dateianhang mit HTML-Daten wurde abgetrennt...
URL: <https://listi.jpberlin.de/pipermail/grundeinkommen-info/attachments/20100513/91713668/attachment.html>
-------------- nächster Teil --------------
Alle Artikel sind der Allgemeinen zeitung (Windhoek) entnommen.
Vom 28.04.2010Grundeinkommen: Von Deutschland nach Namibia und zurück? (Teil 1/2)Von Januar 2008 bis Dezember 2009 wurde in der SiedlungOtjivero/Omirata an etwa 1000 Bewohner ein Grundeinkommen (Basic IncomeGrant, BIG) in Höhe von monatlich 100 Namibia-Dollar gezahlt. DieRegierung hat sich bislang nicht dazu durchgerungen, das Projektlandesweit einzuführen. Es stellt sich die Frage nach den Gründen undob das Projekt überhaupt für Namibia gedacht war oder vor allem dazudienen sollte, die deutsche Diskussion über ein BedingungslosesGrundeinkommen (BGE) mit einem real existierenden Beispiel zu beleben.

Das auf zwei Jahre angelegte Pilot-Projekt ist Ende 2009 offiziellbeendet worden. Es wird den Menschen in Otjivero jedoch bis aufWeiteres ein geringerer Betrag gezahlt. Die Kosten wurden und werdenüberwiegend von der Evangelischen Kirche des Rheinlands getragen, aberauch das deutsche Entwicklungshilfe-Ministerium, dieFriedrich-Ebert-Stiftung, Brot für die Welt und Andere engagieren sich.

Die örtlichen Unterstützer des Projekts haben sich zu einer nach wievor bestehenden BIG-Koalition zusammengeschlossen. Dazu gehören derKirchenrat, der Dachverband der Gewerkschaften, das Forum fürNicht-Regierungsorganisationen, das Netzwerk vonAids-Hilfsorganisationen und die politische Partei SWANU.Hauptverantwortlich für das Projekt war ein deutsches evangelischesPfarrer-Ehepaar, entsandt von der Vereinten Evangelischen Mission inWuppertal, das jedoch jetzt aus Namibia abberufen wurde.

Das Pro-Kopf-Einkommen in Namibia ist mit ca. 3000 Euro jährlichdeutlich höher als in den meisten anderen Ländern Afrikas südlich derSahara. Aber die Einkommensungleichheit ist so groß, dass derDurchschnittswert wenig aussagekräftig ist. Mit einemGini-Koeffizienten um 0,6 herum liegt Namibia in der Spitzengruppe vonLändern ähnlich hoher Einkommensungleichheit, wie Brasilien, China undIndien – allerdings ohne deren hohes Wirtschaftswachstum zu erreichen.Fast 30% der Bevölkerung liegen mit ihrem Einkommen unter dernationalen Armutsgrenze. Die BIG-Koalition berichtet für den OrtOtjivero – bevor das Pilotprojekt startete – von einem monatlichenPro-Kopf-Einkommen von 118 N$, also etwa 12 Euro. Daran gemessen stelltdie monatliche Zahlung von 100 N$ eine beträchtliche Summe dar, vorallem für kinderreiche Familien.

Ziel der BIG-Koalition war und ist es, das Pilotprojekt auf das ganzeLand ausgedehnt zu sehen – und zwar finanziert durch eineSteuererhöhung. Sie ist daher darum bemüht zu zeigen, dass a) dieWirkungen des BIG außerordentlich und ausschließlich positiv sind unddass b) die Finanzierung eines landesweiten – und selbstverständlichpermanenten – BIG kein Problem darstellen würde.

Wie die BIG-Koalition in ihrem Jahresbericht für 2008 ausführt, hättensich folgende positive Entwicklungen in Otjivero innerhalb von 12Monaten ergeben:
Der Bevölkerungsanteil unter der nationalen Armutsgrenze habe sichhalbiert (von 76% auf 37%). Ohne Zuwanderung wäre die Entwicklung sogarnoch günstiger gewesen. Der Anteil untergewichtiger Kinder sei von 42%auf 10% gefallen. Der (kostenpflichtige!) Schulbesuch habe sichverdoppelt und liege nun bei 90%. Die ebenfalls kostenpflichtigeInanspruchnahme der örtlichen Gesundheitsstation sei erheblichgestiegen. Gemäß Aufzeichnungen der örtlichen Polizei habe sich dieKriminalität (vor allem Wilderei und Rinderdiebstahl auf denumliegenden kommerziellen Farmen) nahezu halbiert. Der AnteilErwachsener, die ein Erwerbseinkommen erzielen, habe sich von 44% auf55% erhöht. Die Pro-Kopf-Einkommen in Otjivero seien von Januar bisDezember 2008 um 29% gestiegen – und zwar ohne die BIG-Zahlung selbstzu berücksichtigen. Diese Entwicklung sei von Dauer (sustained).

Die unmittelbare Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens durch BIG isterheblich, so dass beträchtliche Steigerungen von Konsumausgaben fürdie Familie und positive Wirkungen daraus durchaus plausibel sind.Darüber hinaus aber sind Zweifel angebracht.

Die BIG-Koalition wählt die zur Veröffentlichung freigegebenen Datenoffenbar sorgfältig aus. Anfragen wegen weiterer Informationen zu Datenund Erhebungsmethoden werden i.d.R. abgelehnt, jedenfalls wenn derAnfragende kein ausgewiesener BIG-Befürworter ist. Als Begründung fürdie Ablehnung heißt es dann etwa: „Es geht hier nicht um Wissenschaft,sondern um den Menschen.“

Die angeblich günstige Entwicklung der Kriminalität wird von denumliegenden kommerziellen Farmern (weißer Hautfarbe) bestritten. DieEntwicklung der Ausgaben für Alkohol in Otjivero ist unklar. DieBIG-Koalition hält sich hier bedeckt, obwohl es eigentlich leicht seinmüsste, den Alkoholumsatz der ca. 10 örtlichen Shebeen zu überprüfen.

Das angebliche (dauerhafte) Wachstum der Pro-Kopf-Einkommen um 29% in12 Monaten (ohne die BIG-Zahlung selbst) ist nicht nur wenigglaubwürdig, sondern unterminiert auch die Forderung der BIG-Koalitionnach einem permanenten BIG. Wenn BIG – wie behauptet – derartigschnell, stark und dauerhaft dynamisierend auf das Wirtschaftslebenwirkt, wäre es ausreichend, es auf ein oder zwei Jahre zu begrenzen, ummit BIG dann in anderen Ortschaften dieselbe Wirkung auszulösen. Diesefür sie ungünstige Konsequenz der eigenen Aussage hat die BIG-Koalitionschließlich dazu geführt, öffentlich nur noch von 10% Pro-Kopf-Wachstumin Otjivero zu sprechen. Da es ja hier um den Menschen geht, kommt esauf die Zahlen anscheinend nicht so genau an.

Obwohl die BIG-Koalition das Ziel hatte, die Wirkung spezifisch einesBIG zu demonstrieren, hat sie es nicht verstanden (oder nicht gewollt),ein kontrolliertes oder wenigstens kontrollierbares Experimentdurchzuführen. Auch erlauben die veröffentlichten Daten nur einenbegrenzten Vergleich mit Ortschaften ohne BIG, die in dersystematischen Haushaltserhebung des namibischen Statistikamtes erfasstsind. Außerdem ist BIG nicht die einzige Veränderung in Otjivero.Vielmehr hat die BIG-Koalition die Regierung dazu bewogen, 2008Nahrungsmittelhilfe bereitzustellen, obwohl es in Otjivero, anders alsin anderen Landesteilen, in dem Jahr weder Überschwemmung noch Dürregab.

Die mangelnde Nachvollziehbarkeit der angeblich in Otjivero erzieltenErgebnisse liegt auch daran, dass sich der Jahresbericht für 2008 überdie Methoden der Datenerhebung weitgehend ausschweigt. Spezifischunklar ist, inwieweit die Angaben der Befragten durch Beeinflussungseitens der BIG-Koalition sowie aufgrund wohlverstandenenEigeninteresses – nämlich BIG zu behalten – verzerrt wurden.

Die BIG-Koalition ist der Ansicht, dass die Kosten eines landesweitenBIG – ca. 3% des Bruttosozialprodukts – ohne Probleme über erhöhteSteuern aufgebracht werden könnten. Allerdings bedeuten diese 3%, dassdie Staatseinnahmen um 12% erhöht werden müssten.

Unabhängig von der Finanzierbarkeit müsste eine seriöse Argumentation,die die Regierung hätte überzeugen können, mehrere alternativeAusgabenprojekte im Hinblick auf ihre Kosten und ihre Armutswirkungvergleichen. Das findet jedoch nicht statt. Von solchen möglichen neuenAusgabenprojekten gibt es indes viele in Namibia – und viele von ihnenhaben eine mehr oder weniger starke und mehr oder weniger rascheWirkung auf Einkommen, Lebensstandard und Entwicklungsmöglichkeiten derÄrmsten: Verbesserung des Erziehungswesens, größere Reichweite derGesundheitsdienste, Zuzahlungsfreiheit für den Schulbesuch und dieInanspruchnahme von Krankenstationen, Anschluss aller Bewohner an dieWasser- und Stromversorgung, dichteres Netz vonLandwirtschaftsberatern, Ausbau des öffentlichen Verkehrswesens in derFläche und vieles mehr.

Aber auch im engeren Bereich der Sozialpolitik und Armutsbekämpfunggibt es Alternativen zu BIG, die die BIG-Koalition weitgehendausblendet. Beispielsweise laufen in Lateinamerika seit einigen Jahrenkontrollierte armutspolitische Experimente, die auch Barzahlungeneinschließen, aber meist auf bedürftige Personen beschränkt sind undüberdies – im Unterschied zum BIG – Gegenleistungen verlangen. InIndien gibt es seit einigen Jahren ein Bundesgesetz, das dieUnionsstaaten verpflichtet, ländlichen Familien wenigstens 100 Tagebezahlte Arbeit pro Jahr anzubieten. Nicht zuletzt ist hier die Ideeder Mikrokredite zu erwähnen, die seit dem Nobelpreis für MohammedYunus geradezu einen Siegeszug in Entwicklungsländern angetreten hat.

Nicht nur sind die Methoden der Datengewinnung in Otjiverointransparent und die angeblich dort vom BIG initiierten Ergebnisseteilweise schwer nachvollziehbar – die BIG-Koalition versucht auch,einer offenen Diskussion, die auch BIG-kritische Argumente zu Wortkommen lässt, auszuweichen. Kritiker des BIG-Projekts werdenstattdessen beschimpft. Sie werden „unethischer Forschung“ beschuldigtund als „rechtsradikal“ bezeichnet.

Die namibische Regierung hat sich bereits vor Anlauf des Pilotprojektshöflich aber klar in dem Sinne geäußert, dass ein landesweites BIGgegenwärtig nicht in Frage komme. Seitdem hielt sich die Regierung mitweiteren Äußerungen zu dem Thema zurück.

Im Vergleich mit anderen afrikanischen Ländern ist die Sozialquote inNamibia bereits recht hoch. Es gibt eine universelle und beitragsfreieRente ab 60 sowie Kindergeld, Waisenrente, Veteranenrente. Im Fall vonÜberschwemmungen und Dürren leistet die Regierung Nahrungsmittelhilfeund stellt Notunterkünfte.

Gemäß der 2003 verabschiedeten „Vision 2030“ strebt Namibia danach, imJahre 2030 eine wissensbasierte Gesellschaft zu sein, die dann übereinen Lebensstandard verfügt, wie er heute in den entwickelten Ländernerreicht ist. Wenn ein BIG tatsächlich wirtschaftlich so dynamisierendwirkt, wie die BIG-Koalition behauptet, könnte BIG sogar ein wichtigerSchritt auf dem Weg zur Vision 2030 sein – allerdings könnte er dannzeitlich eng begrenzt sein und müsste nicht dauerhaft gezahlt werden.Aber eine zeitliche Befristung liegt nicht auf der Linie derBIG-Koalition.

Die Regierung kann schon allein deshalb nicht daran glauben, weil ihrjegliches „amtliches“ – also selbst erhobenes – Wissen über dieVeränderungen fehlt, die in Otjivero eingetreten sind oder eingetretensein sollen. Denn sie ist in das Projekt nicht involviert, auch nichtals Beobachter.

In manchen Sektoren herrschen gesetzliche, in vielen BereichenDe-facto-Mindestlöhne. Die Erfahrung in vielen Ländern zeigen, dassMindestlöhne für Gering-Qualifizierte den Zugang dieses Personenkreiseszum formalen Arbeitsmarkt erschweren und so deren Arbeitslosigkeiterhöhen und verlängern können. BIG würde nun dazu führen, dass die vonden Gewerkschaften – unbeabsichtigt aber de facto -- zu „Outsidern“gemachten Arbeitskräfte von anderer Seite Hilfe erhalten. Der Druck aufdie Gewerkschaften, sich auch der Outsider anzunehmen, würde dahervermindert. Die Weiterführung der bisherigen Gewerkschaftspolitik würdedagegen erleichtert und belohnt werden.

Dr. Rigmar Osterkamp

Der Autor ist Senior Lecturer an der Universität von Namibia (UNAM),volkswirtschaftliche Abteilung, und dort als integrierter CIM-Expertetätig. Bis 2007 war er Abteilungsleiter im ifo-Institut fürWirtschaftsforschung (München) und hatte einen Lehrauftrag an derHochschule für Politik der Universität München.

Vom 29.04.2010Präsident lehnt BIG-Zahlung abPohamba gegen Grundeinkommen – BIG-Koalition enttäuscht – Ökonom: Pilotprojekt nur ein Vorwand?PräsidentHifikepunye Pohamba hat sich gegen die landesweite Einführung einesGrundeinkommens (Basic Income Grant, BIG) ausgesprochen, weil dies dieFaulheit stärken würde. Die BIG-Koalition zeigt sich enttäuscht davon.Indes wittert der Ökonom Dr. Rigmar Osterkamp eine abgekartete Aktion. Windhoek - Die Zahlung eines Grundeinkommenswürde Menschen dazu animieren, nichts zu machen, argumentierte dasStaatsoberhaupt auf eine Frage von Ignatius Shixwameni (APP) imParlament nach seiner Rede zur Lage der Nation am Dienstag. DieAuszahlung von 100 N$ pro Monat an jeden Namibier, darunter auch an denPräsidenten, sei „keine gute Sache“, sagte Pohamba. Ähnlich hatte sichauch Premierminister Nahas Angula im Oktober 2009 geäußert, als er dieflächendeckende BIG-Einführung kritisierte. Der Präsident stellte nundie Frage, ob die BIG-Auszahlung nicht zur Ausnutzung führen würde. Eskönnte als Ausnutzung derjenigen, die arbeiten, von denen, die nichtarbeiten, gedeutet werden.

Als „sehr enttäuschend“ bezeichnete Pastor Dirk Haarmann von derBIG-Koalition die Äußerung des Staatsoberhauptes gestern aufAZ-Nachfrage. „Das zeigt, dass sich der Präsident von der BIG-Ideedistanziert“, stellte er fest und argumentierte wiederum: „Gerade dieneuen Arbeitslosenzahlen zeigen, dass die Paradigmen der Regierung zurBekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut nicht funktionieren.“

Haarmann empfindet es auch als „schade, dass die guten Ergebnisse desPilotprojekts ignoriert werden“. Denn dieses habe gezeigt, dass damitUnternehmertum gefördert werde. „Wo bekommen die vielen arbeitslosenJugendlichen sonst eine Chance?“, fragt Haarmann. Das Pilotprojekt seiein Beispiel dafür, dass man eine Wirtschaft „von unten aufbauen“ könne– mit der Gründung von Kleinstunternehmen sowie entsprechenderKaufkraft bei den (potenziellen) Kunden. „Dieses Modell darf nichteinfach so abgetan werden, dass man Menschen einfach nur Bargeld gibt –das ist zu billig“, so der Pastor abschließend.

In den Jahren 2008 und 2009 hat man rund 1000 Bewohnern des OrtesOtjivero/Omitara im Rahmen eines Pilotprojekts ein Grundeinkommen inHöhe von 100 N$ pro Monat gezahlt. Die BIG-Koalition, die diesorganisiert und die Finanzen dafür aus Deutschland und Namibia besorgthatte, setzte sich von Anfang an für die landesweite Einführung von BIGein, konnte aber die Regierung noch nicht überzeugen. Deshalb werden inForm einer „Brückenfinanzierung“ die Bewohner des genannten Ortes seitJanuar 2010 bis auf Weiteres mit 80 N$ pro Person und Monat unterstützt.

Nach Ende der zweijährigen Pilotphase hat der Ökonom Dr. RigmarOsterkamp, der an der Volkswirtschaftlichen Abteilung der namibischenUniversität (UNAM) lehrt, das Projekt analysiert und kommt zu demSchluss, dass die BIG-Idee gescheitert ist. Er stellt die Behauptungauf, dass das Projekt nur als konkretes Beispiel und Bestätigung fürdie Lobby zur Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) inDeutschland dienen sollte. Die dortige Situation und Diskussion seiaber für ein Entwicklungsland wie Namibia nicht anwendbar.

Überdies erklärt Osterkamp, dass das Argument der Armutsbekämpfungebenfalls nicht greifen könne, weil man sich mit BIG nur denAuswirkungen der Armut widmen würde. Viel nachhaltiger sei es hingegen,deren Ursachen zu bekämpfen und dabei „sozial- undarbeitsmarktpolitische Erfahrungen zu berücksichtigen, die die heutereichen Länder und die heute wirtschaftlich schnell wachsenden Ländergemacht haben und machen“. Andernfalls könne sich die Sozialpolitik inForm der BIG-Idee als „Armutsfalle“ erweisen.

Dem Ökonom zufolge hat die Regierung auch deshalb von der landesweitenBIG-Einführung Abstand genommen, weil dies ein „Eingeständnis derErfolglosigkeit der bisherigen armutspolitischen Bemühungenimplizieren“ würde. Das würde „einer Kapitulation vor der Aufgabegleichkommen, die Armut in ihren Ursachen und nicht nur in ihrenErscheinungsformen zu bekämpfen“, schreibt er in seiner Analyse, die inzwei Teilen in der gestrigen und heutigen AZ abgedruckt ist.
Von Stefan FischerGrundeinkommen: Von Deutschland nach Namibia und zurück? (Teil 2/2)VonJanuar 2008 bis Dezember 2009 wurde in der Siedlung Otjivero/Omirata anetwa 1000 Bewohner ein Grundeinkommen (Basic Income Grant, BIG) in Höhevon monatlich 100 Namibia-Dollar gezahlt. Die Regierung hat sichbislang nicht dazu durchgerungen, das Projekt landesweit einzuführen.Es stellt sich die Frage nach den Gründen und ob das Projekt überhauptfür Namibia gedacht war oder vor allem dazu dienen sollte, die deutscheDiskussion über ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) mit einem realexistierenden Beispiel zu beleben.
BischofZephania Kameeta ist Vorsitzender der BIG-Koalition in Namibia. Diesehat nach Ablauf des Pilotprojekts (2008 - 2009) eine Fortsetzung derZahlung (80 anstelle 100 N$ pro Person und Monat) an die rund 1000Bewohner des Ortes Otjivero/Omirata eingeleitet und finanziert dies ausSponsorengeldern. Die evangelische Kirche im Rheinland, der Hauptsponsor des BIG-Projektsin Namibia, war anscheinend von Anfang an im Zweifel, ob die Ausdehnungdes Projekts auf ganz Namibia gelingen würde. Jedenfalls äußerteOberkirchenrat Wilfried Neusel, der Ökumene-Chef der EvangelischenKirche im Rheinland im August 2008, dass sich „mit dem Pilotprojektzeigen werde, ob Namibia das neoliberale Wirtschaftssystem aufgezwungenwird oder ob für den jungen namibischen Staat ein Weg gefunden wird zueiner sozialstaatlichen Entwicklung“.

Der Generalsekretär der evangelisch-lutherischen Kirche in Namibia,Wilfried Diergaardt, machte Anfang 2008, eigenartigerweise nach Startdes Projekts, den Internationalen Währungsfonds (IWF) für eine„Blockade“ des Projekts verantwortlich und meinte: „Der IWF hatschlicht Angst, dass selbst ein maßvolles Umverteilungsprogramm diegegenwärtige globale Wirtschaftsordnung in Frage stellt.“

Kapitulation vor der Armut

Zwar scheint die Armutsquote in Namibia zu sinken, allerdings geschiehtdies nur sehr langsam. Daher ist es korrekt zu sagen, dass die Armenvon dem (eher bescheidenen) Wirtschaftswachstum kaum profitieren. Eindynamisches Wirtschaftswachstum und flexiblere Arbeitsmärkte wären wohlwichtige Komponenten einer – zumindest langfristigen – Lösung derProbleme. Diese Entwicklung findet heute in Brasilien, China oderIndien statt und hat sich früher bereits in vielen anderen Ländernvollzogen. (In Afrika südlich der Sahara wächst die Wirtschaft nur inwenigen Ländern dynamisch, darunter in Mauritius.) Wenn aber einesolche dynamische Wirtschaftsentwicklung in Namibia einfach nichtgelingen will, auch weil die Arbeitsmarktpolitik die geringQualifizierten benachteiligt – ist dann ein BIG nicht einfach nur fairgegenüber den Benachteiligten und wenigstens so etwas wie einezweitbeste Lösung?

Diese Ansicht impliziert zweierlei: Erstens würde dies eineKapitulation der nationalen Entwicklungspolitik vor derArmutsproblematik bedeuten – wozu eine Regierung kaum bereit seindürfte. Zweitens aber, und weit wichtiger: BIG übertüncht die Armut,beseitigt aber nicht ihre Wurzeln. Die eigentliche Lösung desArmutsproblems in Namibia kann nur in einer neuenwirtschaftspolitischen Weichenstellung gefunden werden, die die Armenzur Einkommenserzielung befähigt und das Land auf einen höherenWachstumspfad bringt. BIG aber würde den Druck in Richtung einersolchen wirtschaftspolitischen Neuorientierung vermindern.

Begründungen fürs Grundeinkommen

Das Projekt „Grundeinkommen in ganz Namibia“ wird es also vermutlich sobald nicht geben. Aber war BIG in Namibia überhaupt das eigentlicheZiel der Aktion? Daran sind Zweifel angebracht. Zunächst einmal stammtdie Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) aus den reichenLändern – wobei dort allerdings ganz unterschiedlich argumentiert wird.Die pragmatische Begründung eines BGE betrachtet die historischgewachsenen Sozialversicherungssysteme als unfair, intransparent undnicht mehr finanzierbar. Sie sollen daher schrittweise durch ein BGEersetzt werden. Diese Argumentation ist sicherlich nicht ganz abwegig,obwohl der deutsche Wirtschafts-Sachverständigenrat in einem seinerletzten Jahresgutachten in einer ausführlichen Analyse eines konkretenBGE-Vorschlags die Behauptung zurückgewiesen hat, dass dieser Vorschlagbudgetneutral sein würde.

Daneben gibt es eine ideologische Begründung für ein BGE. Diese gehtdavon aus, dass in einer Welt des angeblichen Überflusses Arbeit undArbeitsethik keine Werte an sich mehr darstellten. Vielmehr solltejeder berechtigt sein und mittels eines BGE auch dazu befähigt werden,sein Leben nach seinen Wünschen, Fähigkeiten und Neigungen auszurichten– auch ohne seine Arbeitskraft als Ware auf dem Arbeitsmarkt feilbietenzu müssen.

Es ist offensichtlich, dass keine der beiden Begründungen auf einEntwicklungsland wie Namibia anwendbar ist. Daher wird hier ein drittesArgument bemüht: die Armutsbekämpfung. In einer zumindestvordergründigen Weise kann man sich diesem Ziel dadurch annähern, dassdie Pro-Kopf-Einkommen, wie in Otjivero, durch BIG auf einen Schlagverdoppelt werden. Die für eine nachhaltige Überwindung der Armutentscheidende Frage ist jedoch, wie sich die Fähigkeit, selbst einEinkommen zu erzielen, unter dem Einfluss von BIG entwickelt. Letztlichlautet die Frage: Wie wird es den Kindern und Enkeln gehen – mit undohne BIG? Bei der Antwort auf diese Frage ist es wohl sinnvoll, sozial-und arbeitsmarktpolitische Erfahrungen zu berücksichtigen, die dieheute reichen Länder und die heute wirtschaftlich schnell wachsendenLänder gemacht haben und machen: Bestimmte Formen der Sozialpolitikkönnen sich als Falle erweisen, als Armutsfalle. Und BIG gehörtvermutlich in diese Kategorie von Sozialpolitik.

BIG als Beispiel für Deutschland

So darf man im BIG-Projekt in Namibia – und seiner deutschenUnterstützung – wohl eine andere Begründung und Zielsetzung vermuten:Für die Forderung nach einem Grundeinkommen in Deutschland soll esendlich ein konkretes Beispiel geben, das der deutschen BGE-GemeindeMut machen kann. Auf dieses Beispiel hatten es deutsche Parlamentarierabgesehen, die Anfang 2008 Namibia besuchten. Sie bekannten ganz offen:Wir unterstützen BIG in Namibia, um für die BGE-Diskussion inDeutschland auf ein real existierendes Projekt verweisen zu können.

Die BIG-Koalition, die ihr namibisch-deutsches Projekt schon immer inDeutschland gut „vermarktet“ hat, hat diese Bemühungen in derSchlussphase des Projekts noch verstärkt und etliche deutscheJournalisten nach Otjivero eingeladen. Den Start machte „Brand eins“mit einem (durchaus kritischen) Bericht im Juni 2008. Im August 2008zeigte dann das ARD im „Frühstücksfernsehen“ einen Film über Otjivero.Anfang 2009 organisierte die evangelische Kirche im Rheinland einenWorkshop in Wuppertal, zu dem auch Repräsentanten der BIG-Koalition undein Regierungsmitglied aus Namibia eingeflogen wurden. Die meistenTeilnehmer des Workshops waren Anhänger der BGE-Gemeinde inDeutschland. Die „taz“ brachte im Juli 2009 eine ganze Beilage über dasGrundeinkommen und ging speziell auch auf den BIG in Namibia ein. Im„Spiegel“ erschien ein langer Artikel im Augst 2009. Aber auchJournalisten kleinerer deutscher Zeitungen, z.B. von der „HildesheimerAllgemeinen“, besuchten das Projekt. Auch das ZDF sendete schließlicheinen Beitrag über Otjivero. Meist sind es Jubelberichte, die diedeutschen Journalisten abliefern, ganz so wie es sich die einladendeBIG-Koalition wünscht. Für einen Besuch beim Finanzministerium, beieinem Wirtschaftforschungsinstitut oder der Universität haben dieJournalisten während ihres Aufenthalts in Namibia anscheinend keineZeit.

Auch nach dem offiziellen Ende des BIG-Projekts sind Vertreter derBIG-Koalition in Deutschland unvermindert aktiv. Sie halten dortVorträge zum Thema „BIG in Namibia und Deutschland – kann der Nordenvom Süden lernen“? Nach dem Scheitern des BIG in Namibia eigentlicheine eher seltsame Frage.

Dass es den Sponsoren des Projekts vermutlich mehr um Deutschland alsum Namibia geht, mag auch die namibische Regierung erkannt haben.Angesichts des unübersehbar hohen Eigeninteresses der deutschenSponsoren an dem Projekt hatte die namibische Regierung einen weiterenGrund, das Projekt nicht zu übernehmen. Zur Ablehnung mag schließlichauch beigetragen haben, dass sich die Regierung instrumentalisiertgefühlt haben könnte.

Umdenken bei der Kirche?

Die erkennbar geringe Aussicht, BIG in Namibia landesweitdurchzusetzen, die mangelnde professionelle Qualität derProjektdurchführung sowie die aggressive Haltung der deutschenBIG-Beauftragten gegenüber Kritikern scheint bei den Hauptsponsoren inDeutschland – der evangelischen Kirche im Rheinland und der VereintenEvangelischen Mission – ein Umdenken eingeleitet zu haben. Das legtjedenfalls ein Artikel nahe, der in der Zeitschrift der Missionsanstalt„In die Welt für die Welt“ veröffentlicht wurde. Darin wird über einBIG-ähnliches Projekt aus Indonesien berichtet, BLT genannt, das diedortige Regierung nun allerdings wohl einstellen wird. Der Autor,Pastor Dr. Deonai Sinaga, schließt sich den Kritikern des Projekts anund schreibt unverblümt, dass das Projekt in Indonesien „zu mehrFaulheit und Abhängigkeit von anderen geführt“ habe. Und: „Anstatt hartzu arbeiten, würden sie (die Begünstigten, der Autor) viel Zeit damitverbringen, auf die Auszahlung von BLT zu warten.“ Der Vergleich zu BIGin Namibia wird in dem Artikel ausdrücklich gezogen. Statt BLT oder BIGempfiehlt der Artikel die Nutzung von Mikrokrediten als Methode derArmutsbekämpfung. 

In der deutschen GTZ, der staatlichen Durchführungsorganisation vonBeratungsprojekten in Entwicklungsländern, gibt es anscheinend eineernsthafte Diskussion darüber, ob BIG-Projekte in armen Ländernunterstützt werden sollten. Dies ist erstaunlich. Denn ähnlich wie dieZuflucht zu BIG der bisherigen nationalen Entwicklungspolitik einschlechtes Zeugnis ausstellen würde, würde dies für die ausländischeEntwicklungsberatung gelten. Es würde nicht nur das Eingeständnis derErfolglosigkeit der bisherigen armutspolitischen Bemühungenimplizieren, sondern darüber hinaus auch einer Kapitulation vor derAufgabe gleichkommen, die Armut in ihren Ursachen und nicht nur inihren Erscheinungsformen zu bekämpfen. Statt wie bisher den mühsamenWeg zu gehen, die Fähigkeit der Einkommenserzielung zu fördern, würdedas Einkommen einfach durch Barzahlung aufgestockt. Armutsproblemgelöst.

Eine solche Herangehensweise an das Problem wäre vermutlich nicht nurkontraproduktiv, sondern auch unhistorisch, weil sie die Erfahrungender Armutsüberwindung missachtet, die die heute reichen Länder und dieheute schnell reicher werdenden Länder im Zuge ihrer wirtschaftlichenund sozialen Entwicklung gemacht haben und laufend noch machen.

Für die deutsche BGE-Gemeinde ist der Verlust des lebendenBIG-Beispiels in Otjivero sicher schmerzlich. Aber vielleicht bestehtAussicht, dass es mit staatlicher deutscher Unterstützung künftig vieleBIGs in armen Ländern geben wird. Sollen diese Beispiele dann, wie zuerwarten, als Beleg für die Funktionsfähigkeit eines BGE in Deutschlanddienen, sei allerdings zur Vorsicht geraten: Man sollte es nichtversäumen, die Begründung rechtzeitig von Armut auf Überflussumzustellen.

Dr. Rigmar Osterkamp

Der Autor ist Senior Lecturer an der Universität von Namibia (UNAM),volkswirtschaftliche Abteilung, und dort als integrierter CIM-Expertetätig. Bis 2007 war er Abteilungsleiter im ifo-Institut fürWirtschaftsforschung (München) und hatte einen Lehrauftrag an derHochschule für Politik der Universität München.
Leserbrief vom 11.05.2010Mit BIG zum Glück gezwungen    Betr.: „Grundeinkommen: Von Deutschland nach Namibia und zurück“ (AZ, 28. Und 29. April 2010)Drei Merkwürdigkeiten aus dem Artikel von Dr. Osterkamp zum Nachdenken:

1. „Die Kosten wurden und werden überwiegend von der EvangelischenKirche des Rheinlands getragen, aber auch das deutscheEntwicklungshilfe-Ministerium, die Friedrich-Ebert-Stiftung, Brot fürdie Welt und Andere engagieren sich.“ Wo bleibt die Erwähnung vomBRD-BIG-Papst und Drogerieketten-Milliardär Götz Werner in dieserAufzählung, der seit Jahren das BIG in Deutschland publik macht?Schließlich ist er der Mentor und Begründer dieser Initiative.Merkwürdig, diese Incognito-Haltung in Bezug auf Namibia, sovielBescheidenheit ist in der Branche doch sonst nicht üblich. Schließlichbekommt Namibia ansonsten auch etliche Millionen Euro Entwicklungshilfeaus Deutschland, und das ganz offiziell. Stattdessen wird die Kircheals Geldgeber vorgeschoben. Warum wird BIG-Brother nicht genannt? Wassoll warum nicht bekannt werden?

2. „Nicht nur sind die Methoden der Datengewinnung in Otjiverointransparent und die angeblich dort vom BIG initiierten Ergebnisseteilweise schwer nachvollziehbar – die BIG-Koalition versucht auch,einer offenen Diskussion, die auch BIG-kritische Argumente zu Wortkommen lässt, auszuweichen. Kritiker des BIG-Projekts werdenstattdessen beschimpft. Sie werden ,unethischer Forschung´ beschuldigtund als ,rechtsradikal´ bezeichnet.“ Man staune – wer Transparenzfordert, wird gleich in die rechte Ecke geschoben und mit derGesinnungskeule verprügelt. Das klingt in der Tat Deutsch, wie esheutzutage in der BRD üblich ist: Politische Korrektheit vor gesundemMenschenverstand; wer die Parteien hinter sich hat, braucht das Volknicht mehr. Ein wunderbarer deutscher Import, und ganz kostenlos – aber- aber genau das braucht Namibia nicht und davor sollte es bewahrtbleiben!

3. „Die Regierung kann schon allein deshalb nicht daran glauben, weilihr jegliches ,amtliches´ – also selbst erhobenes – Wissen über dieVeränderungen fehlt, die in Otjivero eingetreten sind oder eingetretensein sollen. Denn sie ist in das Projekt nicht involviert, auch nichtals Beobachter.“ Die Regierung sollte vermutlich daran glauben,immerhin ist die Kirche ja der offizielle Sponsor, und die muss eswissen, schließlich sind das die Glaubensfachleute. Wo gibt es denn soetwas? Da führt eine bestimmte Organisation (hier also angeblich dieKirche) in einem Land ein soziales Pilotprojekt durch und diezuständige Regierung hat keinerlei Kontrollmöglichkeit? Darf noch nichteinmal hingucken, also beobachten? Und schon gar nicht kritischkommentieren? Normalerweise schaut die namibische Regierung sehr wohlauf die Einhaltung von Regeln und Gesetzen, wer traut sich hier alsowas und warum nicht?

Es bleibt der unschöne Eindruck, dass hier ein Projekt nicht nurdurchgezogen, sondern dem Land aufgedrückt oder aufgemogelt werdensoll. Und spätestens wenn es so aussieht, als werde man zu seinem Glückgezwungen, muss den Dingen auf den Grund gegangen werden. Bevor manirgendjemandem auf den Leim geht und an mehr Fremdbestimmung klebenbleibt als nötig ist.

Klaus Weichhaus, Windhoek






Mehr Informationen über die Mailingliste Grundeinkommen-Info