[Grundeinkommen-Info] Grundeinkommen - elegant und emanzipatorisch - Erfahrungen in Namibia
rblaschke at aol.com
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Di Mai 11 01:03:27 CEST 2010
http://www.neues-deutschland.de/artikel/170759.das-grundeinkommen-hat-eine-emanzipatorische-wirkung.html
»Das Grundeinkommen hat eine emanzipatorische Wirkung«
Der Gewerkschafter Herbert Jauch zu den Erfahrungen mit einem
Pilotprojekt in Namibia
In Namibia, das vor kurzem seine 20-jährige Unabhängigkeit feierte,
sind die sozialen Probleme riesig. Eine Erwerbslosenquote von über 50
Prozent (bei Jugendlichen sogar 70 Prozent) und die – laut
UN-Entwicklungsbericht – weltweit größten Einkommensunterschiede machen
neue Methoden zur Armutsbekämpfung wie ein bedingungsloses
Grundeinkommen (BGE) sehr attraktiv. Mit Herbert Jauch, Gewerkschafter
und Mitinitiator des BGE-Pilotprojekts im Dorf Otjivero, sprach für ND
Robert Krüger-Kassissa.
ND: Herr Jauch, was ist das für ein Pilotprojekt in Otjivero?
Jauch: In dem sehr armen 1000-Einwohner-Ort, 120 Kilometer von der
Hauptstadt Windhoek entfernt, erhalten alle Menschen unter 60 Jahren
ein bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von 100 Namibia-Dollar, also
etwa 10 Euro pro Monat. Um die Dimension zu verdeutlichen: Auf dem Land
verfügen viele Namibier über ein Jahreseinkommen von lediglich 65 Euro.
Menschen über 60 Jahre erhalten in Namibia eine staatliche garantierte
Rente von 45 Euro pro Monat. Auch die Kinder haben Anspruch aufs BGE,
allerdings bekommen die Mütter oder Personen, die die Kinder betreuen,
das Geld ausgezahlt. Dieses Projekt entstand, nachdem die Regierung in
Namibia zwar das Grundeinkommen als Mittel zur Armutsbekämpfung
diskutierte, aber nicht den Mut hatte, es durchzusetzen.
Weil die Regierung nicht den Mut hatte, haben Sie es gemacht?
Ja, nach dem Scheitern auf Regierungsebene im Jahre 2003 haben Kirchen,
Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen zwei, drei Jahre über
dieses Thema debattiert und dann ganz formell die Koalition BIG (Basic
Income Grant) gegründet. Die Kirchen kamen auf die Idee, das BIG oder
BGE einfach mal irgendwo zu praktizieren, und dafür wurde der Ort
Otjivero, eine Kommune mit großen sozialen Problemen, ausgewählt.
Im Dezember lief das zweijährige Pilotprojekt aus. Wie geht es jetzt
weiter?
Wir haben das Projekt nun noch mal um zwei Jahre verlängert, allerdings
erhalten die Bewohner jetzt nur noch 80 Namibia-Dollar. Jetzt muss der
Druck auf die Regierung wachsen. Wir wollen das Grundeinkommen in ganz
Namibia einführen. Die Resonanz ist im ganzen Land gut.
Die Ergebnisse klingen gut. Kinder gehen wieder zur Schule, manche
Erwachsene gründen ihr eigenes Geschäft und vieles mehr. Gibt es gar
nichts Nachteiliges? Keine Kehrseite?
Nein. In einer neoliberalen Wirtschaftstheorie müsste man denken, dass
die Inflation steigt, wenn die Kaufkraft gestärkt wird. Aber bei diesem
kleinen Betrag spielt das keine Rolle. Eine Befürchtung war zuvor, dass
das Geld zum Beispiel für Alkohol ausgegeben wird. Doch sind es
überwiegend Frauen, auch wegen der Kinderfürsorge, die das Geld
bekommen. Sie gehen sehr sorgsam damit um. So hat das Grundeinkommen
auch emanzipatorische Wirkung. Die Stellung der Frauen wird gestärkt.
Ein Farmer berichtete, dass seine Hausangestellte davongelaufen sei.
Diese Frau ist aber nicht wegen des Grundeinkommens davongelaufen,
sondern weil die Arbeitsbedingungen so schlecht waren, dass sie sich
eine andere Arbeit gesucht hat. Das kleine Grundeinkommen hat dafür
gesorgt, dass sie nicht ins Nichts fällt. Für uns ist dies eine sehr
gute Entwicklung. Für Arbeitgeber, die gewohnt sind, dass ihre Arbeiter
fast alles akzeptieren, und ihren Angestellten teilweise nur 15 Euro im
Monat zahlen, ist das natürlich ein Problem.
Sie als Gewerkschafter in Namibia sind fürs Grundeinkommen. Haben Sie
eine Erklärung dafür, dass in Deutschland viele Gewerkschafter dagegen
sind?
Interessanterweise ist die Diskussion zum Grundeinkommen unter unseren
Mitgliedern viel weniger kontrovers als in der Führungsebene. Es gibt
in Europa stark bürokratisierte Strukturen. Zudem sehen sich die
Gewerkschaften in Europa ganz im alten Modell als Interessenvertretung
der Arbeiterschaft. Wenn man sich auf Verhandlungen über die Lohnhöhe
beschränkt, ist das Grundeinkommen natürlich als Gefährdung der eigenen
Macht zu sehen.
Ist das Selbstverständnis der Gewerkschaften in Namibia ein anderes?
Wenn man Gewerkschaften als soziale Bewegung versteht und sich soziale
Gerechtigkeit auf die Fahnen schreibt und somit das Grundeinkommen
unterstützt, dann kann man damit auch die Gewerkschaften stärken. Und
zwar unter den Menschen, die nicht Gewerkschaftsmitglieder sind und
keinen Arbeitsplatz haben. Viele Gewerkschafter in Namibia erkennen das
Grundeinkommen als politische Chance auf strukturelle Veränderungen und
als ersten Schritt zur Umverteilung. Es wäre übrigens das erste Mal,
dass in Namibia von oben nach unten und nicht umgekehrt umverteilt
würde. Die sich wandelnde Rolle der Arbeit in den Industrienationen
wird sicherlich irgendwann auch von Gewerkschaften wahrgenommen und
damit die eigene Rolle hinterfragt.
Wäre eine soziale Grundsicherung statt Grundeinkommen wie in
Deutschland nicht erstmal der bessere Weg für Namibia?
Die Bedürftigkeitsprüfung einer Grundsicherung ist das Problem. Namibia
ist ein Land mit zwei Millionen Einwohnern und etwa so groß wie
Deutschland, Frankreich und die Schweiz zusammen. Man müsste eine
Heerschar von Bürokraten anstellen, um zu überprüfen, wer denn nun
bedürftig ist und wer nicht. Abgesehen von der Korruptionsanfälligkeit
eines solchen Apparats. Von denen, die es nicht brauchen, holt man es
sich durchs Steuersystem wieder zurück. Unser Steuersystem ist schon
ziemlich effizient, es erfasst einen Großteil der Menschen, die Steuern
zahlen sollten. Das ist die viel elegantere Lösung.
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