[Grundeinkommen-Info] Lesenswerter Beitrag im Freitag

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Mo Jan 12 09:10:15 CET 2009


Lesetipp:

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(http://freitag.de/2009/02/09020601.php)   

Wolfgang Storz im freitag 2/ 2009

Schön  praktisch

Mindestlohn, Grundeinkommen und sozial-ökologische  Infrastruktur - das
müssten die Themen der deutschen Linken im Wahljahr  sein

Was hat die Finanzmärkte und die produzierende Wirtschaft so  tief
erschüttert? Wie kann die Doppelkrise gedeutet werden?  Gewerkschafter,
Manager und Politiker haben jeder für sich klare Antworten  auf diese
Fragen. Aber keine davon ist bisher so stark, dass sie "herrscht"  und
die öffentliche Debatte prägt.

Die einen sagen: Wir haben es mit  einer Zeitenwende zu tun. Erst ist der
Realsozialismus untergegangen und nun  der Marktradikalismus; der eine
ist an der Frage der Demokratie und der  andere an der sozialen Frage
gescheitert. Die anderen sagen: Wir haben es im  Kern mit einer
klassischen Überproduktionskrise zu tun. Marktradikale zucken  lakonisch
mit den Schultern und sagen, das wird sich wieder einrenken.  Geschulte
Marxisten sehen Verwerfungen voraus. Dazwischen liegen viele  Varianten.
Der Kampf um die Deutungshoheit ist noch lange nicht  entschieden.

Was macht diese doppelte Krise aus? Sie ist jedenfalls mehr  als eine
Wirtschaftskrise. Der Marktradikalismus der letzten Jahrzehnte hat  nicht
nur die ökonomischen Regeln auf den Kopf gestellt, er hat auch die  Köpfe
vieler Menschen erobert. Es wurde nicht gewirtschaftet, um Gewinn  zu
erzielen. Es wurde vorher eine Maximal-Rendite festgelegt und dann  so
gewirtschaftet, dass sie erreicht wird. Der republikanische  Bürger
verschwand nach und nach in der Figur des Unternehmers, des Kunden  und
des Konkurrenten. Politik wurde zum Vollstrecker  von
betriebswirtschaftlichen Sachzwängen, Demokratie zur Bürokratie.  Der
Marktradikalismus, der sich bisher nur blamiert und noch nicht  abgedankt
hat, war und ist also mehr als eine verwerfliche Art von  Wirtschaften,
er ist eine Lebens- und Denkform. Mit einer Unbeirrbarkeit  durchgesetzt
von wirtschaftlichen und politischen Eliten, die denen von  fanatischen
Glaubenskriegern gleichkommt. Insofern haben jene recht, die  diese Krise
als eine im Kern geistige Krise charakterisieren. Zu ihrer  Bewältigung
gehören mehr als nur Investitionen und neue Eigenkapitalquoten  für Banken.

Die gegenwärtige Krise kann als Folge anhaltender  Ungerechtigkeiten
gedeutet werden. Mit der (Teil-)Privatisierung der  Sozialsysteme,
Renditewahn und Steuersenkungen einerseits und der Zunahme von  Dumping-
und Niedriglöhnen andererseits floss immer weniger Geld in  öffentliche
und immer mehr Geld in wenige private Hände, von dort an die  Börsen, wo
es rentierliche Anlagen suchte und zunehmend keine fand, weshalb  neue
riskante Finanzprodukte erfunden wurden. Wenn das die Ursache ist,  dann
ist die Wiederherstellung von materieller Gerechtigkeit das  beste
Krisenmanagement. Und wenn Gerechtigkeit die Antwort ist, dann steht  das
Ziel fest: Es geht um eine Politik der Rückverteilung; von oben  nach
unten, von den privaten in die öffentlichen Hände.

Besteuerte man  Millionäre mit einem Prozent höher, dann würden pro Jahr
knapp 20 Milliarden  Euro mehr in die öffentlichen Kassen fließen. Wäre
das die Sofortmaßnahme, um  die Schäden der jetzigen Krise von den
Richtigen und nicht von der Mehrheit  bezahlen zu lassen, so böte das von
Attac und der Gewerkschaft Verdi vor  Jahren ausgearbeitete Konzept der
solidarischen Einfachsteuer die Grundlage  für ein künftiges gerechtes
Steuersystem.

Die Doppelkrise weist jedoch  noch eine Besonderheit auf. In ihrem
schrillen Licht glänzen die aktuellen  (Krisen-)Instrumente nicht, die
bei den Linken so beliebt sind. Vielmehr  wirken sie matt und stumpf.
Daran ändert sich auch nichts, wenn heute  überwältigende Mehrheiten,
einschließlich der vereinigten Marktradikalen von  Gerhard Schröder bis
Josef Ackermann, für Konsumgutscheine,  Investitionsprogramme,
Verschrottungsprämien und vieles mehr plädieren. Zu  groß ist die Gefahr,
damit große Enttäuschungen zu produzieren. Was ist, wenn  der Staat alle
Vorschläge umsetzt - und alles weniger wirkt als erhofft? Dann  sind die
Marktradikalen wieder fein raus und die Anhänger von Staat und  Keynes
kauern im tiefen Glaubwürdigkeitsloch.

Deshalb sollte die Linke  - ob Anhänger der Linkspartei, der Grünen, der
SPD, der Gewerkschaften, von  sozialen Verbänden, der christlichen
Soziallehre - um ihrer Glaubwürdigkeit  willen offen über die engen
Grenzen dieser Strategie reden.

Grenze  eins: Wird eine solche Politik nationalstaatlich organisiert,
dann wirkt sie  viel weniger als noch vor zwei Jahrzehnten. Das heißt,
sie entwickelt nur  ihre Kraft, wenn sie mindestens im Rahmen der
Europäischen Union umgesetzt  würde.

Grenze zwei: Es dürfen nur die Investitionen und  Konsumausgaben
gefördert werden, die zugleich die andere Krise, die  Klimakatastrophe,
nicht mehren, sondern mildern. Die Zeiten, in denen  Investitionen in
Beton und Asphalt per se als Lösung und nicht als Problem  galten, sind
vorbei. Es trägt nicht weit, wenn bedeutende Teile der Linken  -
beispielsweise die IG Metall und ihr verbundene Politiker - für  eine
Subventionierung der Automobilindustrie fechten, die längst  zum
Dinosaurier der Industriegesellschaft geworden ist.  Öffentliche
Finanzmittel sollten strikt nur in Investitionen und Konsum  fließen, die
unzweideutig den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft  befördern.

Grenze drei: Wir haben es in den hochproduktiven  Industriestaaten im
Kern mit einer klassischen Überproduktionskrise zu tun.  Einerseits sind
viele Menschen zu arm, als dass sie auch mit Hilfe des  Staates
nennenswert mehr konsumieren können. Andererseits besitzt die  obere
Hälfte der Gesellschaften alles. Anders gesagt: Wenn weltweit  die
Produktionskapazitäten der Autoherstellung halbiert werden, dann  haben
viele hunderttausende Menschen ihren Arbeitsplatz verloren; aber  kein
Bedürfnis bleibt deshalb unbefriedigt.

Angesichts dieser Fesseln  und Grenzen rückt zwangsläufig eine vergessene
Idee nach vorn: kürzere  Arbeitszeiten, das Arbeitsvolumen umverteilen.
Das wiederum führt zu der  Frage, wie sich ein solches Instrument so mit
der sozialen Absicherung  koppeln lässt, dass es auch leb- und
finanzierbar wird? Die Periode, in denen  kürzere Arbeitszeiten bei
vollem Lohnausgleich gefordert werden, ist vorbei.  Außerdem erzwingt die
neue Arbeitswelt andere Formen der sozialen Sicherung,  das traditionelle
Normalarbeitsverhältnis ist unter jüngeren Menschen bereits  eine
Rarität, prekäre Jobs nehmen zu. So landen wir bei dem Konzept  des
Grundeinkommens, das ebenso viele Vorteile bietet, wie es  grundsätzliche
Vorbehalte überall, aber vor allem auch in der Linken  hervorruft.

Ist das Modell - zum Beispiel 750 Euro für jeden Erwachsenen,  250 Euro
für jedes Kind - deshalb der falsche Weg? Nein. Fest verbunden mit  einem
Mindestlohn kann die Gefahr des Lohndumpings ausgeschlossen werden.  Die
Gesetze der Erwerbsgesellschaft bleiben in Kraft, wenn es mit  der
negativen Einkommenssteuer kombiniert wird. Wer arbeitet, verdient  mehr
als jene, die "nur" von Grundeinkommen leben. Je nach Höhe  des
Einkommens wird der Betrag der Grundsicherung nach und  nach
"weg-besteuert". So wird das Konzept finanzierbar, erhält doch nur  eine
Minderheit den vollen Betrag.

Was bietet die Idee mehr als andere  Systeme? Mit ihr lässt die
Gesellschaft endlich die enge Vorstellung von  Arbeit als reiner
Erwerbsarbeit hinter sich. Erstmals würden alle Tätigkeiten  honoriert
und respektiert - auch Erziehung, Pflege, Familienarbeit. Da  diese
Arbeiten meist von Frauen geleistet werden, rückte die Gesellschaft  mit
dem Grundeinkommen auch der Gleichberechtigung einen  Riesenschritt
näher. Der Zwang, jeden dreckigen Job anzunehmen, wird  beträchtlich
gemildert. Es würde ohne entwürdigende Prüfungen  ausbezahlt.

Das Grundeinkommen wäre eine Antwort auf die neuen  Unsicherheiten des
Arbeitsmarktes: Teilzeitarbeit, befristete Jobs,  Projektarbeiten. Die
Übergänge von einer Lebensphase in die andere ließen  sich mit weniger
Verletzungen bewerkstelligen. Das Austarieren von Familie  und Beruf wäre
für Paare und Alleinerzieher viel leichter möglich. Zahlreiche  Varianten
von verkürzten Erwerbsarbeitszeiten wären für viele Arbeitnehmer  auf
diese Weise überhaupt erst finanzierbar. Mit anderen Worten: Diese  Art
von Grundsicherung könnte kombinieren, was bisher  gegeneinander
ausgespielt wurde. Sie stärkt die Freiheit des Einzelnen und  zugleich
den Gedanken der gesellschaftlichen Solidarität. Wer allerdings  dem
Menschen nur Faulheit und Schlechtes unterstellt, wer denkt, der  jeweils
andere funktioniert nur unter Druck und Zwang, der muss strikt  dagegen
sein. Aus dieser Spannung rührt wohl das Charisma dieser Idee: Sie  ist
so schön praktisch, zugleich grundsätzlich und so entwaffnend naiv  dem
Menschen zugewandt.

Gerechtigkeit als moralische und  wirtschaftlich wirksame Antwort auf die
Krise. Mindestlohn plus sicheres  Grundeinkommen plus soziale und
ökologische öffentliche Infrastruktur - das  könnte im Wahljahr 2009 der
Stoff für eine Themen-Koalition der deutschen  Linken sein. Einer Linken,
der es wichtiger ist, die Idee einer neuen Politik  für ein gerechtes
Leben zu entwickeln, denn auf überholte Parteigrenzen zu  achten.

Zuletzt veröffentlichte Wolfgang Storz mit Hans-Jürgen Arlt und  Wolfgang
Kessler: Alles Merkel? Schwarze Risiken. Bunte  Revolutionen.
Publik-Forum Verlag, 253 S., 15,80  Euro.

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