[Gen-Streitfall] NRW-Ministerin Höhn: "Genfood-Risiken noch völlig ungeklärt"
Sabine
altmann.tent at t-online.de
Do Mai 27 22:02:00 CEST 2004
Berliner Zeitung, Montag, 24. Mai 2004, Interview
"Die Risiken sind noch völlig ungeklärt"
NRW-Ministerin Höhn über Gen-Food, die Macht der EU und die Gegenmacht
des Kunden
Frau Höhn, soeben hat die EU erstmals wieder eine Sorte Gen-Mais
zugelassen. Gleichzeitig forcieren in Deutschland einige Bundesländer
den großflächigen Probeanbau von Gen-Pflanzen. Wann wird Gen-Food im
großen Stil in den Läden auftauchen?
Nicht in absehbarer Zeit. Die meisten Lebensmittelkonzerne wollen kein
Gen-Food in ihr Sortiment aufnehmen. Denn mehr als zwei Drittel der
deutschen Verbraucher lehnen genveränderte Nahrung ab. Es fehlt also der
Markt.
Trotzdem wird Gen-Food über kurz oder lang im Handel auftauchen. Warum
verhindert die Politik nicht die Markteinführung?
Das müssen Sie die EU fragen. Die ist dafür verantwortlich und hat sich
für die Markteinführung entschieden. Der weltweite Druck ist immens.
Insbesondere die USA drängen seit langem auf eine Marktöffnung und
drohen mit Klage wegen unerlaubter Handelsbeschränkung. Dem konnte sich
Brüssel auf Dauer wohl nicht entziehen.
Halten Sie die Entscheidung der EU denn für richtig, nach über fünf
Jahren jetzt wieder genveränderte Pflanzen zuzulassen?
Ich sehe mehr Risiken als Chancen. Sollten irgendwann Probleme mit
Gen-Food auftauchen, dann sind sie in der Welt, und man kann die
Entscheidung nicht mehr rückgängig machen. Das ist hoch problematisch.
Sie hätten die Gen-Pflanzen also nicht zugelassen?
So ist es.
Bislang sind aber noch keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen
nachgewiesen worden. Welche Gefahren sehen Sie denn?
Die gesundheitlichen Risiken sind noch völlig ungeklärt. Man kann nicht
wie die EU-Kommission behaupten, dass Gen-Food ganz und gar unbedenklich
ist. Das gilt besonders für Allergiker. Ein Beispiel: Wenn man ein
Erdnuss-Gen in eine artfremde Pflanze einbaut, dann kann der Verbraucher
das nicht erkennen. Beim Verzehr dieser Pflanze kann es dann bei
denjenigen zu negativen Reaktionen kommen, die gegen Erdnüsse allergisch
sind. Außerdem erhöht die Gentechnik die Abhängigkeit von Landwirten und
Verbrauchern von wenigen großen Agrokonzernen aus Amerika, die den
weltweiten Handel mit ihren Patenten dominieren.
Was raten Sie verunsicherten Verbrauchern?
Seit April müssen Gen-Produkte gekennzeichnet sein. Jeder Kunde kann sie
also auf dem Etikett erkennen und braucht sie nicht zu kaufen.
Da gibt es aber einen Schönheitsfehler: Die Kennzeichnungspflicht gilt
nicht für Fleisch, Milch und Eier.
Das kritisiere ich auch. Hier war die EU nicht konsequent genug. Wenn
die Verbraucher ganz sicher gehen wollen, dann sollten sie zu
Öko-Produkten greifen. Ihre Hersteller sind gesetzlich verpflichtet,
keine Gentechnik im Produktionsprozess einzusetzen.
Hat sich die Bundesregierung in Brüssel vehement genug gegen die
Zulassung von Gen-Mais gewehrt?
Renate Künast hat im Agrarrat nicht zugestimmt und hält die Entscheidung
für verfrüht. Im Sinne des vorsorgenden Verbraucherschutzes hielt sie
angesichts der geäußerten Bedenken eine erneute Prüfung für
erforderlich.
Die Bundesregierung plant ein Gentechnik-Gesetz, das den Anbau von
Gen-Pflanzen regeln soll. Halten Sie das Gesetz für gelungen?
Im Großen und Ganzen ja. In einigen Punkten hätte ich mir allerdings
mehr gewünscht. So ist nicht einzusehen, dass sich nur die Verwaltung
und die Landwirte, nicht aber die Verbraucher erkundigen können, wo
genau Gen-Pflanzen angebaut werden. Außerdem werden Öko-Bauern
benachteiligt. Sie müssen auf eigene Kosten nachweisen, dass ihre
Produkte Gentechnik-frei sind. Viel absurder ist allerdings, was jetzt
die Union fordert. Sie will im Bundesrat durchsetzen, dass der
Steuerzahler für Schäden durch Gen-Pflanzen aufkommt. Das ist
unakzeptabel.
Das Gesetz hängt noch im Bundesrat. Trotzdem haben einige Bundesländer
einen großflächigen Versuchsanbau gestartet. Halten Sie das für richtig?
Nein. Das kann ich nicht gutheißen. Es handelt sich dabei um die
gleichen Kollegen, die die geplanten Auskunftspflichten im Bundesrat
blockieren. Die meist Unions-regierten Länder sorgen damit für einen
rechtsfreien Raum, den sie in der Zwischenzeit schamlos ausnutzen. Hier
sollen Gen-Pflanzen durch die Hintertüre eingeführt werden. Damit
gewinnt man kein Vertrauen.
Was wollen Sie unternehmen?
Ich fordere die beteiligten Länder auf, entweder den Anbau sofort zu
stoppen oder ihre Blockade im Bundesrat aufzugeben. Außerdem sollten sie
der Öffentlichkeit endlich sagen, wo der Testanbau genau statt findet.
Die Geheimniskrämerei der letzten Wochen muss ein Ende haben.
In vielen Dörfern stehen sich Befürworter und Gegner der Gentechnik
mittlerweile unversöhnlich gegenüber. Wer ist für diesen Krieg der
Bauern verantwortlich?
Die EU, weil sie keine europaweit gültigen Regeln für das Nebeneinander
von gentechnikfreiem und gentechnisch-verändertem Anbau aufgestellt hat.
Ich kritisiere, dass sie sich aus der Verantwortung gestohlen hat und
dies jedem einzelnen Mitgliedsland überlässt. Außerdem die
Unions-Länder, die mit ihrer Blockade und dem Versuchsanbau die
Verunsicherung der Landwirte vor Ort weiter anheizen. Der Krieg auf den
Dörfern muss schleunigst beendet werden.
Das Gespräch führte Jörg Michel.
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