[Gen-Streitfall] Blühende Gen-Landschaften in den neuen EU-Staaten (taz)

Sabine altmann.tent at t-online.de
Do Jun 3 22:09:27 CEST 2004


taz Nr. 7370 vom 29.5.2004, Seite 4, 190 Zeilen (TAZ-Bericht), GABRIELE
LESSER,
BLÜHENDE GEN-LANDSCHAFTEN

Polen, Tschechien, Bulgarien und Rumänien sind Einfallstore für
genmanipulierte Pflanzen. Gesetze werden nicht eingehalten,
kommerzieller Anbau wird als Versuch getarnt, und es fehlt an Labors,
die  Genspuren nachweisen können. Vor allem US-Genkonzerne haben bereits
Investiert. In Polen gelten die EU-Gesetze gegen Gentech. Kein Handel
ohne Kennzeichnung, kein Anbau. Aber überprüft wird das nicht. Und
eingehalten auch nicht.             

Polen könnte das größte Ökoland Europas sein. Wenn es nur wollte. Denn
da die meisten Bauern viel zu arm sind, um sich teuren Kunstdünger oder
Insektenvernichtungsmittel zu leisten, versprühen sie wesentlich weniger
Gift als ihre Kollegen in Westeuropa. Die Folge: Tomaten schmecken noch
wie Tomaten, Äpfel wie Äpfel, und auch das Fleisch schmurgelt in der
Pfanne nicht zu einem Winzsteak zusammen. Doch die Not der Bauern macht
sie auch offen für Erfindungen. Statt auf Bio setzen sie lieber auf
Gentechnik. Kurz hintereinander schlugen jetzt mehrere
Öko-Organisationen Alarm: Genmanipulierte Lebensmittel sind auch in
Polen auf dem Vormarsch.

Im Februar rüttelte ein Artikel des Londoner Guardian die polnische
Öffentlichkeit auf. Das britische Blatt zitierte Geert Ritsema von den
Aktivisten Friends of the Earth mit den Worten: "Polen hat den Anbau von
GMO-Soya [GMO - genmanipulierte Organismen] erlaubt […]. Leute
können diese Sachen kaufen und verkaufen, können kontaminierte Saat
ausbringen, ohne dass sie Angst vor Verfolgung oder Entdeckung haben
müssten."

Diese Narrenfreiheit liegt allerdings nicht daran, dass Anbau von
Genmais oder Handel mit Genweizen ohne Kennzeichnung erlaubt wäre. Schon
vor dem Beitritt Polens zur EU Anfang Mai mussten alle Lebensmittel, die
mehr als 1 Prozent GMO enthalten, entsprechend gekennzeichnet werden. Da
es aber kein Labor gab, das Lebensmittel systematisch auf gentechnische
Veränderungen hin hätte untersuchen können, gehörte die Regelung zu den
berüchtigten Papiertigern, von den es Polen eine ganze Reihe gibt.
Genaue Zahlen über das Ausmaß fehlen. Die Regierung stellt sich taub.
Doch es gibt eine Menge Indizien dafür, dass in Polen großflächig
gentechnisch veränderte Organismen auf dem Acker und im Regal stehen.
Experten sprechen von Gentech-Experimente auf freiem Feld, Gen-Saatgut
im Handel, keine funktionierende staatliche Kontrolle und offenbar
überall GMO-Lebensmittel und Futtermittel im Handel.

Schon 2001 hatte Professor Jan Szopa-Skorkowski auf einer seiner
Radtouren rund um Wroclaw (Breslau) ein Maisfeld erspäht, das anders
aussah, als die benachbarten Felder. Er brach ein paar Maiskolben ab,
untersuchte sie in seinem Labor und sah seinen Verdacht bestätigt: das
Mais war genmanipuliert. Der Biologe, der selbst gentechnische
Experimente durchführt und die Gefahr der Wind- oder Bienenbestäubung
von Naturmais durch GMO-Mais kennt, informierte sofort das nächste
Bezirksamt und schrieb sogar direkt an den Wojewoden von Breslau. Aber
es waren Wahlen, und so verlief die Sache im Sand.

Iza Kruszewska, die seit Jahren für Greenpeace und die Northern Alliance
of Sustainability (Anped) forscht, befürchtet, dass diese Lücke im
System ausgenützt wird. Gentech-Konzerne haben die EU-Neumitglieder und
hier insbesondere Polen als Hintertür entdeckt, um genmanipulierte
Lebensmittel in den Wirtschaftskreislauf der EU einzuschleusen, so
Kruszewska.

Tony Combes von der britischen Firma Monsanto, die in den letzten Jahren
in Polens Biotech-Forschung investiert hat und auch - wie aus der
Monsanto-Website hervorgeht - Versuchsfelder in Polen angelegt hat, wies
den Vorwurf zurück, die osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten als
trojanischen Pferd missbraucht zu haben. "Jedes Beitrittsland muss alle
EU-Regelungen voll übernehmen und erfüllen. Dies schließt auch die
Kennzeichnungspflicht von Produkten in jeder Industrie ein."

Den polnischen Öko-Organisationen ging sofort die Brisanz dieses Satzes
auf. Sollten die ersten systematischen Kontrollen den Verdacht
bestätigen, dass in Polen mit nicht gekennzeichneten GMO-Lebensmitteln
gehandelt wird, würde dies nicht nur für Polens Verbraucher eine
Katastrophe bedeuten. Es wäre auch eine große Gefahr für Polens
Agrarexporte in die westlichen EU-Staaten.

Polens Landwirte und die ganze Lebensmittelindustrie leben vom Export
nach Westen. Dort aber wollen über 70 Prozent der Verbraucher keine
gentechnisch manipulierten Lebensmittel essen, und viele Produzenten und
Lebensmittelketten haben sich verpflichtet, keine GMO-Produkte zu
verarbeiten.

Tage nach der Veröffentlichung des Guardian-Artikels flatterte
Umweltminister Czeslaw Sleziak der "Genetische Albtraum" auf den Tisch.
Den offenen Brief hatten 24 Öko-Organisationen und Parteien
unterschrieben. "Seit wann werden in Polen genetisch manipulierte
Pflanzen angebaut? Wo? In welchen Mengen?" Und: "Woher sollen die Bauern
wissen, ob der Samen, den sie guten Glaubens erwerben, von GMO-Pflanzen
stammt? Wer zahlt ihnen Entschädigung, wenn sich bei einer Kontrolle
herausstellt, dass auf dem Acker GMO-Pflanzen wachsen?"

Der Minister ließ sich knapp einen Monat Zeit und antwortete dann, dass
es in Polen Gesetze und Verordnungen gebe, die das ganze Problem im
Sinne größtmöglicher Sicherheit für die Verbraucher regelten. Es sei
also alles in bester Ordnung. Für die Umsetzung des Rechts in die Praxis
sei er nicht zuständig. Kontrollen würde die Haupt-Sanitär-Inspektion
durchführen. Fazit des Ministers: "In Polen wird kein genetisch
veränderter Mais oder Soja angebaut."

Nicht die Haupt-Sanitär-Inspektion, sondern die Inspektion der
Handelsqualität von landwirtschaftlichen Produkten, sorgte dann
allerdings für eine Überraschung. Sie veröffentlichte Anfang März das
Ergebnis ihrer Stichprobenkontolle bei 85 Unternehmen, die Soja oder
Mais einführen und verarbeiten - im letzten Jahr rund 170.000 Tonnen.
Davon waren bei der Ankunft in Polen 99 Prozent als GMO gekennzeichnet.
Zwar gaben zahlreiche Firmen diese Information an die Konsumenten
weiter, allerdings oft missverständlich. 34 der untersuchten 85
Unternehmen verkauften ihre Ware als GMO-freie Produkte.

Greenpeace, das Mitte Mai sein erstes Büro in Polen eröffnete, schob
einen weiteren offenen Brief nach: "NEIN gegen die alten GMO-Regelungen
im NEUEN EUROPA". Greenpeace sowie zahlreiche andere polnische
Öko-Organisationen forderten Umweltminister Sleziak auf, die alten
EU-Regelungen für GMO mit einem Moratorium außer Kraft zu setzen.
Zunächst sollte eine genaue Bestandsaufnahme von GMO-Anbau und -Handel
in Polen gemacht werden. Zudem müsse eine EU-weite
Entschädigungsregelung für Bauern gefunden werden, deren Saat durch
herumfliegende GMO-Pollen verunreinigt wurde.

Maciej Muskat, der Leiter des Greenpeacebüros in Warschau, übt sich in
Geduld:
"Noch warten wir auf die Antwort." Am 2. Mai ist in Polen die Regierung
zurückgetreten, und auch die neue führt nur kommissarisch die Geschäfte.
Es kann also noch etwas dauern. "Uns interessiert nicht das Recht", sagt
Muskat. "Die Gesetze sind eigentlich ganz gut. Uns interessiert die
Praxis. Wie sieht es im Land aus? Gibt es illegale GMO-Felder? Werden
die Konsumenten korrekt informiert, oder wissen sie gar nicht, was sie
essen?" Entscheidend sei der politische Wille: "Wollen wir gesunde
Lebensmittel? Oder wollen wir Mais mit eingebautem
Insektenvernichtungsmittel?"

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taz Nr. 7370 vom 29.5.2004, Seite 4, 137 Zeilen (TAZ-Bericht), BERNHARD
PÖTTER
In Osteuropa wachsen die Designpflanzen - mit Hilfe von US-Dollars

Hier eine gentechfreie Zone, dort großflächiger Gen-Anbau: Nicht alle
neuen EU-Länder nutzen Gentechnik. Wer es aber tut, der pflanzt in
großem Stil - gegen die EU-Regeln

BERLIN taz  Die Zuhörer schwankten zwischen Begeisterung und Skepsis:
Ist Slowenien das "gentechfreie Paradies", wie es am 23. April auf der
Jahrestagung des Öko-Instituts zur "Umweltpolitik im neuen Europa" hieß?
Mira Zupanc-Kos vom slowenischen Ministerium für Landwirtschaft
erklärte: Es gebe "genfreie Regionen", in denen der Anbau von Gentech
verboten sei und eine Haftungsregel, wonach der "Verschmutzer zahlt".

Solche strengen Regeln konnte sich Slowenien bis zum EU-Beitritt
erlauben. Doch staatlich verordnete "gentechfreie Zonen" sind in der EU
verboten. Das ist einer der vielen Punkte beim Thema Gentechnik, die nun
nach der EU-Osterweiterung geklärt werden müssen - zum Teil vor den
Gerichten. Denn die Haltung der osteuropäischen EU-Beitrittsländer zur
grünen Gentech ist je nach Land sehr unterschiedlich.

Vor dem EU-Beitritt der Länder im Osten haben vor allem die
US-Genkonzerne versucht, dort Fuß zu fassen. Im Herbst 2000 bewilligte
der US-Senat 30 Millionen Dollar, um die US-Konzerne bei der Einführung
von Gentech in den Ländern Osteuropas zu unterstützen. Die ersten
Freisetzungsversuche fanden Anfang der 90er-Jahre in Bulgarien statt,
ohne dass es eine gesetzliche Grundlage dafür gab.

Inzwischen sind überall Gesetze erlassen worden, doch manche Staaten
haben nicht einmal zertifizierte Labors, die untersuchen können, ob
Gentech in Futter- und Lebensmitteln enthalten ist. "Problematisch
bleibt die Kontrolle", bilanziert ein Gutachten des Freiburger
Öko-Instituts zur "Agrogentechnik in den EU-Beitrittsländern". In
welchem Ausmaß Genfood, Genfutter und Gensaaten zirkulierten, sei
"weitgehend unbekannt" - und die Information der Öffentlichkeit über die
grüne Gentechnik sei "in einigen Beitrittsstaaten noch mangelhaft".

In Ungarn wurden seit 1996 noch vor einer gesetzlichen Regelung die
ersten Freisetzungsversuche unternommen. Kartoffeln, Mais, Raps, Tabak,
Tomaten und Luzerne wurden angebaut. Staatliche Labors überwachen das
Saatgut auf Gentechnik
- schließlich wollen die Ungarn nicht den Markt für gentechfreien Mais
in der EU verlieren.

Auch in Tschechien hat es nach dem Gutachten des Öko-Instituts zwischen
1997 und 2000 viele Freisetzungen gegeben - vor allem von Mais, Raps und
Zuckerrüben. Gentechnisch veränderte Nahrungsmittel sind in Tschechien
auf dem Markt - über große Lebensmittelkonzerne wie Nestle, Danone,
Unilever oder Tesco.

Slowenien und die Slowakei betreiben offiziell eine restriktive Politik
gegenüber der Gentechnik. In Slowenien ist der Import verboten, doch bei
Stichproben wurden Genspuren in Lebensmitteln gefunden. Das gleiche gilt
für Proben in Estland. Die baltischen Staaten bauen gerade ein
gemeinsames Testlabor für die Lebensmittelsicherheit auf, denn in
welchem Maß die Kennzeichnungspflicht eingehalten wird, ist gänzlich
unbekannt.

Rumänien und Bulgarien schließlich sind mit Blick auf die Gentechnik der
wilde Osten der EU. In Rumänien wurden großflächig mit Mais und
Kartoffeln experimentiert, die Unterlagen dazu sind geheim. Seit 1999
werden transgene Sojabohnen kommerziell angebaut. Rumänien besitzt die
drittgrößte Anbaufläche für Soja in Europa - mehr als die Hälfte davon
ist nach Informationen der "Northern Alliance for Sustainability"
(Anped) mit Gensoja bepflanzt.

Bulgarien dagegen baut großflächig auf 20.000 Hektar transgenen Mais -
und nennt das Versuchsanbau. Da der Mais aber kommerziell angeboten
wird, vermutet das Öko-Institut, dass es sich "trotz der Behauptungen
der Behörden um einen kommerziellen Anbau handelt". Die Genpflanzen
gelangen in die Nahrungskette, weil sie verfüttert werden. Ein
Expertengremium zur Genehmigung von Gen-Versuchen ist mit
Wissenschaftlern besetzt, die teilweise selbst an diesen Versuchen
beteiligt sind. Die Politik Bulgariens verstößt unter anderem gegen das
Cartagena-Protokoll zur Biosicherheit, das strenge Regeln für den Import
und Export von Gen-Organismen festlegt - obwohl Bulgarien das erste Land
der Welt war, das das Cartagena-Protokoll ratifizierte. 
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