[Gen-Streitfall] WG: Grüne Gentechnik? Nicht auf dem Acker vor meiner Haustür! Kampagnenaufruf
Rasmus Grobe
grobe at uni-lueneburg.de
Fr Sep 26 13:44:01 CEST 2003
Grüne Gentechnik?
Nicht auf dem Acker vor meiner Haustür!
Aufruf zur Beteiligung an einer Kampagne des Deutschen Naturschutzrings
(DNR)
Eines der drängendsten umweltpolitischen Themen ist der Einsatz von
Gentechnik in der Landwirtschaft. Diese wird irreführend auch als "grüne"
Gentechnik bezeichnet, im Gegensatz zur "roten Gentechnik" im medizinischen
Bereich. Das gegenwärtig bestehende Moratorium auf EU-Ebene, das die Einfuhr
von genmanipulierten Produkten (auch gentechnisch veränderte Organismen
(GVO) genannt) verhindert, könnte im Zuge der gesetzlichen Neuregelung bald
wegfallen. Dann würden gentechnisch veränderte Produkte trotz aller Proteste
letztlich doch auf unserem Teller landen, Gesundheits- und Haftungsfragen
wären weiterhin unbefriedigend geregelt. Als Dachverband der deutschen
Umwelt- und Naturschutzverbände will der DNR möglichst viele Menschen in den
Natur- und Umweltschutzverbänden und darüber hinaus motivieren, sich in die
politischen Prozesse einzumischen, um diese Gefahr für Mensch und Natur doch
noch abzuwenden.
Erinnern Sie sich an die Schilder "Atomwaffen-freie Zone", die in den 1980er
Jahren meist unterhalb der Ortsschilder angebracht waren? Zwanzig Jahre
später greifen internationale Umweltorganisationen und lokale Initiativen
auf dieses Mittel zurück und fordern "gentechnik-freie Zonen", um so Druck
von unten gegen eine schleichende Verunreinigung unserer Äcker mit
gentechnisch veränderten Pflanzen zu machen. Dabei ist es unerheblich, ob es
sich um ein konventionell oder ein ökologisch bewirtschaftetes Feld handelt:
Gentechnisch veränderter Pollen kann sich durch Insekten und Wind
ausbreiten, sich an Kleidung heften und teilweise weite Strecken überwinden.
Auch beim Transport, bei der Lagerung und bei der gemeinsamen Nutzung von
Maschinen kann es zu Verunreinigungen kommen. Gentechnisch verändertes
Saatgut kann auf Jahre im Boden überwintern und sich ausbreiten (z.B. bei
Raps) und auch auf wilde Verwandte auskreuzen.
Daraus folgt, dass es eine rechtsverbindliche Garantie für
Gentechnik-Freiheit nicht mehr geben kann, wenn in einer Region erst einmal
gentechnisch veränderte Pflanzen derselben Kulturart angebaut werden.
Verbraucher/innen und Landwirte sollen aber auch in Zukunft zwischen
Produkten mit und ohne Gentechnik wählen können.
"Wahlfreiheit" fordern alle - doch was bedeutet das in der Praxis?
Während die Agrar- und Saatgut-Industrie unter "Wahlfreiheit" ein
Verschmutzungsrecht - d.h. "freie Wahl von GVO" - verstanden wissen will,
verstehen wir darunter ein Schutzrecht - d.h. der Verzicht auf GVO muss
Landwirten wie Verbraucher/innen weiterhin möglich sein.
Diese Möglichkeit besteht in der Praxis allerdings nur dann, wenn
1) in ausreichend weiträumigen Anbaugebieten auf den Einsatz von GVO
verzichtet wird,
2) konventionelles und biologisches Saatgut weiterhin frei bleibt
von
gentechnischen Verunreinigungen.
Um dies durchzusetzen, bedarf es außerdem klarer Haftungsbestimmungen,
vollständiger Transparenz (Register aller GVO-Anbauflächen) und
verbindlicher sorten- und standortspezifischer Anbau-Vorschriften für GVO,
die eine Verunreinigung der benachbarten Flächen und gemeinsam genutzter
Maschinen und Lager unterbinden.
Ohne solche Bestimmungen sind nicht nur ökologische Landwirte in ihrer
Existenz gefährdet, sondern auch über 70 Prozent aller Landwirte, die nach
einer Studie aus dem Jahr 2002 keine Gentechnik auf ihren Äckern einsetzen
wollen.
Die schleichende Ausbreitung von gentechnisch veränderten Sorten, nicht nur
auf bestellten Feldern, sondern auch in der Natur, würde mittelfristig die
jetzt beschlossenen Grenzwerte in Frage stellen. Die Gentechnik-Unternehmen
scheinen darauf zu setzen, dass langfristig gentechnik-freier Anbau kaum
bzw. überhaupt nicht mehr möglich sein wird.
Wir fordern, dass der Schutz der Umwelt und die Kosten eines strikt
getrennten Anbaus von jenen verantwortet und getragen werden müssen, die GVO
anbauen, nicht von denen, die darauf verzichten wollen. Solange dies nicht
gewährleistet ist, darf der Anbau von Gentech-Sorten generell nicht
zugelassen werden.
Hintergrund:
EU-Kommission, Europaparlament und Ministerrat haben nach langen
kontroversen Diskussionen die beiden EG-Verordnungen zur Zulassung,
Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebens- und
Futtermittel auf den Weg gebracht. Der Wirtschaft wurde für die
Kennzeichnung eine Übergangsfrist von sechs Monaten eingeräumt. Im Frühjahr
2004 werden die Verordnungen ohne Einschränkung gelten. Verstöße werden
bestraft.
Unter die neue Verordnung fallen Futter- und Lebensmittel und Zutaten,
- die selber gentechnisch verändert sind (z.B. die Gentomate) oder
GVO
enthalten (z.B. Joghurt mit gentechnisch veränderten Milchsäurebakterien),
- die aus GVO hergestellt sind (z.B. Ketchup, Stärke, Öl aus
gentechnisch
veränderten Sojabohnen etc.) und
- Zusatzstoffe und Aromen, wenn sie aus GVO hergestellt sind.
Nicht darunter fallen Zusatzstoffe, die durch gentechnisch veränderte
Mikroorganismen hergestellt wurden (z.B. Glutamat, Enzyme); sowie tierische
Produkte (Fleisch, Milch, Eier), die von Tieren stammen, die mit GVO
gefüttert wurden.
Generell ausgenommen von dieser Kennzeichnungspflicht sind "zufällige und
unvermeidbare" Verunreinigungen, die pro Zutat einen Schwellenwert von 0,9 %
GVO-Anteil nicht überschreiten dürfen.
Bis zuletzt war die Höhe dieses Schwellenwerts umstritten. Kaum waren die
Werte verabschiedet, kündigte die EU-Kommission an, dass sie im Herbst nun
auch Grenzwerte für die Verunreinigung von Saatgut erlassen wolle, die so
bemessen sein sollen, dass der Grenzwert von 0,9% in den Produkten (der
Ernte) nach ihren eher zweifelhaften Berechnungen gerade nicht überschritten
wird (0,3-0,7%). Jede 200ste Maispflanze in sämtlichem Saatgut, auf allen
vermeintlich gentechnik-freien Äckern, könnte dann ein GVO sein, ohne dass
der Bauer/die Bäuerin etwas davon weiß.
Was können Sie tun:
- Sich ausführlich informieren: Der DNR hat ein Grundsatzpapier
zum Thema
Grüne Gentechnik publiziert, das in Bonn bestellt werden kann. Außerdem gibt
es zahlreiche Internet-Adressen, z.B. www.transgen.de,
www.gen-ethisches-netzwerk.de, www.saveourseeds.org
- Unter der Internetadresse www.saveourseeds.org befindet sich
eine Petition
zum Schutz vor gentechnischer Verunreinigung von Saatgut zum
Online-unterschreiben. Unter der Telefonnummer 030/24047146 oder der Adresse
Zukunftsstiftung Landwirtschaft, Marienstraße 19-20, 10117 Berlin
(info at saveourseeds.org) können Informationsflyer und Plakate bestellt
werden.
- Nennen Sie uns eine/n Ansprechpartner/in in Ihrem Verband,
damit wir ein
"Netzwerk der Aktiven" aufbauen können. Ein Kontakt, der/die eine
Multiplikatoren-Funktion wahrnehmen und Infomaterial etc. weiterverteilen
könnte, wäre hilfreich.
- Kaufen Sie gezielt gentechnikfreie Produkte und erkundigen Sie
sich bei
Ihren Händler/innen. ob sie Produkte mit genmanipulierten Zutaten/Inhalten
führen.
- Schreiben Sie an Stadt- und Landräte, Kreis- und Ortsvorstände,
Ihre
Kommunen und Gemeindevertretungen, damit diese in Ihren Sitzungen sich mit
dem Thema befassen und eine "gentechnik-freie Zone" ausrufen können.
Informieren Sie die Presse über Ihr Vorhaben. Der BUND hat ein Aktionspaket
auf seiner Homepage veröffentlicht, das gute Vorlagen liefert: www.bund.net,
® Agrarwende ® Gentechnik. Dort finden sich Musterbrief, Musterantrag,
Muster-Presseerklärung und eine Argumentationshilfe Grüne Gentechnik für die
Aktion "Keine Gentechnik auf kommunalen Flächen/ Keine Gentechnik auf
Kirchenland".
- Schreiben Sie an Saatgutfirmen, dass Sie als Verbraucher/innen
sauberes
Saatgut wollen.
- Sprechen Sie mit Landwirten über die Situation und was diese
für sie
bedeutet. Schreiben Sie Leserbriefe an die Bauernzeitschriften und
Wochenblätter, wenden Sie sich an die Landfrauen, die Landjugend und die
örtlichen Bauernvereinigungen und gehen Sie möglichst zusammen vor.
- Wer in Kirchenkreisen engagiert ist, kann den 5.10.
(Erntedankfest)
nutzen, um die "Zehn An-Gebote zum Erntedank"(hrsg. u.a. von der
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und der BUKO AGRAR
Koordination) von aufgeschlossenen Kirchengemeinden verlesen zu lassen. Es
werden freier Zugang zu gentechnikfreiem Saatgut, Umweltverträglichkeit,
Recht auf Nahrung, Land und Wasser, artgerechte Tierhaltung und vieles mehr
gefordert. Kontaktadresse: Georg Janssen, AbL, Heiligengeiststraße 28, 21335
Lüneburg. Tel: 04131/ 4077-57, Fax: -58.
Anhang
Aus dem DNR-Grundsatzprogramm (Stand Juli 2002)
7. Gentechnik
Der DNR lehnt die Anwendung der Gentechnik in Lebensmitteln und
Landwirtschaft und deren Vermarktung ab. Das auf EU-Ebene zur Zeit
bestehende De-facto-Moratorium für Produktanträge muss in geltendes Recht
umgesetzt werden. Bis zum Erlass des geforderten Verbotes muss eine
lückenlose und von der Nachweisbarkeit im Endprodukt unabhängige
Kennzeichnungspflicht für sämtliche Produkte gelten, die gentechnisch
veränderte Organismen enthalten oder mit ihnen hergestellt wurden. Die
Verwendung gentechnisch veränderter Organismen muss lückenlos verfolgt
werden können. Soweit gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden, muss
das Auskreuzen dieser Pflanzen in andere Wildpflanzen oder konventionell
gezüchtete Pflanzen verhindert werden.
Für Schäden, die durch gentechnisch veränderte Organismen verursacht wurden,
muss der Hersteller haften. Die Bundesregierung ist aufgefordert, durch
Schaffung der in § 36 Gentechnikgesetz vorgesehenen
Deckungsvorsorgeverordnung die Hersteller zu verpflichten, Vorsorge zur
Deckung solcher Schäden zu leisten.
Der DNR lehnt die Patentierung von Organismen und Teilen solcher Organismen
ab. Das internationale TRIPS-Übereinkommen über den Schutz geistigen
Eigentums, die Biopatent-Richtlinie der Europäischen Union sowie das
Europäische Patentübereinkommen müssen entsprechend geändert werden.
Ohne die vorherige Zustimmung des Importlandes dürfen keine gentechnisch
veränderten Organismen aus der Bundesrepublik exportiert werden.
Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an die
Berliner Geschäftsstelle des Deutschen Naturschutzrings, Juliane Grüning,
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin
Tel.: 030/ 44339181 Fax: 030/ 44339180 Email: juliane.gruening at dnr.de
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