[Gen-Info] Stammzellpatent in Teilen nichtig
Klaus Schramm
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Sa Dez 9 21:03:13 CET 2006
Hallo Leute!
Hier mal eine (teils) positive Nachricht.
Ciao
Klaus Schramm
klaus.schramm at bund.net
Süddeutsche Zeitung
Wissen, Seite 18
Mittwoch, 6. Dezember 2006
Stammzellpatent in Teilen nichtig
Gericht gibt einer Klage von Greenpeace statt
Das Bundespatentgericht in München hat am Dienstag ein Patent des Bonner
Stammzellforschers Oliver Brüstle in Teilen für nichtig erklärt. Soweit
menschliche Embryonen für das Verfahren geklont oder zerstört werden
müssen, dürfe es dafür kein Patent und damit keinen wirtschaftlichen
Anreiz geben, schloss das Gericht. Die Umweltschutzorganisation
Greenpeace hatte gegen das Patent über die Herstellung von Nervengewebe
aus embryonalen Stammzellen geklagt.
Die Sitzung hatte um 9:30 Uhr begonnen, und anfangs sah alles nach einem
sehr langen Sitzungstag aus. Dass das Gericht Zweifel an der
Zulässigkeit des Patents hege, machte die Vorsitzende des 3. Senats,
Eva-Maria Schermer, aber schon vor der Mittagspause deutlich.
Bevor es in den Gerichtssaal ging, herrschte gereizte
Biertischatmosphäre: Kläger Greenpeace befürchtete den "Ausverkauf des
Lebens" und einen generellen Sittenverfall, wenn das Patent nicht für
ungültig erklärt werde. Forscher Brüstle sah Patienten als Verlierer und
die Biotech-Industrie aus Deutschland abwandern, wenn man Innovationen
in Deutschland nicht mehr schützen könne. "Dann werden Andere die
Geschäfte machen." In der Verhandlung selbst ging es deutlich sachlicher zu.
Ende der 90er-Jahre hatte Oliver Brüstle nach einem Forschungsaufenthalt
in den USA das Verfahren mitgebracht, mit dem sich Nervenzellen aus
embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) züchten lassen. Um die Methode zu
schützen, reichte er 1997 den Antrag beim Deutschen Patentamt ein. Zwei
Jahre später erteilte die Behörde das Patent DE19756864 für das
Verfahren zur Herstellung "in unbegrenzter Menge" und die Verwendung
"zur Therapie von neuralen Defekten", gegen das Greenpeace im Oktober
2004 Klage erhoben hat.
Patente, so argumentierte die Umweltschutzorganisation unter Berufung
auf europäisches und deutsches Schutzrecht, können nur vergeben werden,
wenn deren Verwertung nicht den guten Sitten zuwider laufe. Genau das
sei bei Brüstles Patent jedoch der Fall, da die ES-Zellen als
Ausgangsmaterial für die Nervenreparatur zuvor aus Embryonen gewonnen
werden müssen. Das ist laut deutschem Embryonenschutzgesetz jedoch
verboten. Laut europäischen Vorschriften werden solche Patente nicht
vergeben, wenn es um die Verwendung von menschlichen Embryonen für
industrielle oder kommerzielle Zwecke geht. Greenpeace bezeichnete es
als "abstrus, dass die Herkunft der Stammzellen nicht beachtet wurde",
als das deutsche Patentamt das Verfahren schützte. Man könne die Augen
nicht davor verschließen, dass dafür Embryonen getötet werden müssen,
sagte auch die Vorsitzende Schermer während der Verhandlung.
"Das Bundespatentgericht ist wahrscheinlich nicht die richtige Instanz,
um darüber zu entscheiden," sagte Oliver Brüstle am Rande der
Verhandlung. "Es stellt sich Fragen, die schon durch das deutsche
Stammzellgesetz hinreichend beantwortet werden". Weder gegen dieses
Regelwerk noch gegen den Embryonenschutz verstoße sein Patent. Das hat
ihm das Patentgericht sogar bestätigt, es argumentierte jedoch, es sei
zwar laut Gesetz zulässig, importierte Stammzellen zu verwenden, aber
dennoch unmoralisch. Brüstle betonte, es gehe ihm mehr um das Recht als
um die Verwertungsmöglichkeiten: Man könne noch gar nicht von einem
konkreten kommerziellen Nutzen sprechen. Mit zwei Hilfsanträgen
versuchten er und sein Anwalt während der Verhandlung, die Patentschrift
ethisch zu entschärfen.
Was sich als zähes Ringen anbahnte, wurde schließlich um 15:27 Uhr von
Richterin Schermer beendet. Das Gericht erklärte jene Ansprüche des
Patents für nichtig, die die Verwertung von menschlichen ES-Zellen
betreffen, für die Embryonen zerstört werden müssten. Das Schutzrecht
gilt jedoch weiterhin für die Verwendung von tierischen Zellen. Gericht
und Kläger machten deutlich, dass es ihnen nicht um die Beschränkung der
Grundlagenforschung gehe, sondern sie lediglich die kommerzielle Nutzung
menschlichen Lebens unterbinden wollten. "Wir werden in Berufung gehen",
kündigte Brüstle an. In nächster Instanz muss dann der Bundesgerichtshof
entscheiden. K. BLAWAT, H. CHARISIUS
Süddeutsche Zeitung
Meinungsseite, Seite 4
Mittwoch, 6. Dezember 2006
* *
*Forschung und Moral*
Es war ein Scheingefecht von hohem Symbolwert. Unmittelbare Konsequenzen
folgen nicht aus dieser Auseinandersetzung. Trotzdem gibt es einen
vorläufigen Sieger. Das Bundespatentgericht in München hat das Patent
des Bonner Stammzellforschers Oliver Brüstle teilweise für nichtig
erklärt. Greenpeace, der Kläger, darf sich damit bestätigt fühlen im
Kampf gegen eine ausufernde Forschung, die ethische Grenzen zu
überschreiten droht. Brüstle, ruheloser Vorreiter der Stammzellforschung
in Deutschland, wird in Berufung gehen und weiter für eine liberalere
Regelung werben, indem er Hoffnung auf die Therapie bisher unheilbarer
Leiden macht.
Bei der Verhandlung in München ging es um prinzipielle Abwägungen.
Schließlich hätte Brüstle sein Patent in Deutschland praktisch nicht
nutzen können. Er müsste dazu nämlich neue embryonale Stammzellen
<http://abo.szarchiv.de/Portal/restricted/#highl2> gewinnen oder Zellen
verwenden, die vor 2002 entstanden sind. Ersteres ist nach der
Embryonenschutzregelung verboten. Letzteres würde keine Ethikkommission
genehmigen, da alte Zellen eher zu Krebszellen entarten.
Das Patentgericht hat eine wichtige Richtungsentscheidung getroffen,
denn derzeit wird in Deutschland wieder massiv um die Deutungshoheit in
der Stammzellfrage gerungen. Erst vor wenigen Wochen hatte die Deutsche
Forschungsgemeinschaft vorgeschlagen, die Regelung zu lockern. Fast
jeder neue Forschungsartikel, der vage die Therapieaussichten preist,
wird von Wissenschaftlern dazu benutzt, den Kompromiss von 2002
anzugreifen. Das Patentgericht hat Brüstles Pläne als "unmoralisch"
bezeichnet. Diese Wortwahl und die Entscheidung tragen dazu bei, die
Regelung von 2002 wieder zu festigen.
bart
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