[Gen-Info] Fw: [WOZ] Schweiz: Forscher/innen unterlaufen das Gentech-Moratorium (fwd)
Klaus Schramm
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Sa Dez 9 19:10:13 CET 2006
Hallo Leute!
Hier ein sehr interessanter Artikel aus der Schweizer 'WOZ' zum dortigen
Gen-Moratorium.
Ciao
Klaus Schramm
klaus.schramm at bund.net
AGRO-GENTECHNIK
Die Weichen sind gestellt
Das Nationale Forschungsprogramm 59 hätte das Freisetzungs-Moratorium nutzen
können, um Risiken zu evaluieren. Aber das war wohl gar nie erwünscht.
Von Marcel Hänggi
Die Weichen für die offizielle Schweizer Biosicherheitsforschung der nächsten
Jahre sind gestellt. Ende Oktober entschied die Leitung des Nationalen
Forschungsprogramms 59 «Chancen und Risiken der Freisetzung gentechnisch
veränderter Pflanzen» (NFP 59), wer zur Einreichung eines Projektantrags
eingeladen wird.
Das Forschungsprogramm, längst überfällig, wurde zu Beginn des Abstimmungskampfs
um das Gentech-Moratorium im März 2005 angekündigt. Nach dem unerwartet klaren
Abstimmungsresultat vom 27. November des letzten Jahres hofften viele, dass nun
die Sorgen der Bevölkerung wissenschaftlich ernst genommen würden. Das NFP 59
wird die Hoffnungen enttäuschen.
Im Sommer wurden 92 Projektskizzen mit einem Volumen von 36 Millionen Franken
eingereicht. Lediglich 10 Millionen können vergeben werden. Nun hat die
Leitungsgruppe einige Forschungsgruppen eingeladen, eigentliche Projektanträge
auszuarbeiten. Es sollen noch 12 Millionen im Rennen sein; die Sache ist also -
aufgrund von Skizzen - so gut wie entschieden.
Allein die beiden grössten sogenannten Projekt-Cluster, die sich um
Freisetzungsversuche gruppierten, hätten die 10 Millionen schon ausgeschöpft.
Der eine (rund 6 Millionen) um die Institute für Pflanzenwissenschaft von ETH
und Uni Zürich sowie die Forschungsanstalt für Landwirtschaft (ART) will
transgenen Weizen freisetzen. Er bleibt, mit wenigen Abstrichen, im Rennen, wie
Recherchen der WOZ ergaben. Der andere (rund 4 Millionen) um das Institut für
Integrative Biologie der ETH, mit Beteiligung der Forschungsanstalt Posieux und
des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL), hätte mit transgenem
Mais im Feld und mit Raps im Gewächshaus arbeiten wollen. Seine Kernexperimente
sind abgelehnt.
Es geht hier um zwei grundverschiedene Konzeptionen von Risikoforschung. Die
eine will Informationen über Risiken liefern, aufgrund derer ein Entscheid
getroffen werden kann, ob eine Technologie erwünscht sei. Die andere, wie sie in
der Industrie zum Einsatz kommt (und dort auch sinnvoll ist), will untersuchen,
wie mit den Risiken umzugehen sei. Das ist Produktentwicklung.
Man kann den Entscheid vom letzten November falsch finden, aber er war
eindeutig: Die SchweizerInnen wollen beim jetzigen Wissensstand keine
gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in der Landwirtschaft. Eine
Wissenschaft, die sich als Teil einer demokratischen Gesellschaft begreift, muss
in dieser Situation Grundlagen liefern, die weitere Entscheide ermöglichen;
entscheiden muss die Gesellschaft selber. Produktentwicklung ist jetzt nicht
gefragt.
Aber das Ziel des Projekt-Clusters, der den Kern des NFP bilden wird, ist:
Produktentwicklung. Mehltauresistenter Weizen wurde in den Labors entwickelt und
wartet auf die Freisetzung. Risikoforschung wird dann eben auch noch betrieben.
Der Sprecher des Projekt-Clusters Wilhelm Gruissem ist als Berater für
zahlreiche Agrotech-Firmen tätig, darunter Syngenta und Monsanto. Das ist, als
unterhielte ein Richter Geschäftsbeziehungen zum Angeklagten. Dirk Dobbelaere,
Präsident der NFP-Leitungsgruppe, sagt auf die Frage, ob solche
Interessenverbindungen bei der Projektbeurteilung eine Rolle gespielt hätten,
nach langem Zögern: «Beziehungen von Wissenschaftlern der Hochschulen zu
Industrieunternehmen sind durchaus üblich und in keiner Weise verboten. Die
NFP-Leitung und der Nationale Forschungsrat werden projektweise beurteilen, ob
entsprechende Verbindungen ein Projekt tangieren oder nicht.» Die beteiligte ART
wiederum scheint das Resultat der Forschung schon zu kennen: In einer
Medienmitteilung vom 31. Oktober schrieb sie, es gebe «keine wissenschaftlich
begründeten Hinweise auf negative Auswirkungen» des GVO-Anbaus.
Eigenständige Risikoforschung, die nicht einfach mit der Produktentwicklung
mitläuft, hätte der abgelehnte Cluster gebracht. Unter anderem hätte der
unkontrollierte Fluss von bt-Transgenen und bt-Giften, mit dem bt-Mais
Schadinsekten abwehrt, in benachbarten Pflanzen, im Boden und bei der Fütterung
studiert werden sollen. Es ist ein Fall aus Deutschland bekannt, bei dem Kühe
starben, nachdem sie bt-Mais gefressen hatten - oder Gras, das mit Jauche von
solchen Kühen gedüngt worden war. Ob sie am bt-Gift zugrunde gingen, wurde nie
geklärt (deshalb kann die Gentech-Lobby sagen, es gebe keine wissenschaftlichen
Belege für Schäden aus GVO-Fütterung); Syngenta, die Herstellerin des Maises,
wollte den betroffenen Bauer zum Schweigen bringen. Die NFP-Leitung beschied den
AntragstellerInnen, sehr erfahrenen Biosicherheitsfachleuten, es seien von ihrem
Projekt nur ungenügende neue und relevante Erkenntnisse zu erwarten.
Es sind zwar auch ein paar Projekte im Rennen geblieben, die von
Gentech-KritikerInnen eingereicht wurden. Gegen den mächtigen Weizen-Cluster
werden sie das Gesamtbild des NFP 59 aber kaum prägen können. Wollte man in der
Risikoforschung kein Risiko eingehen? Die Unabhängigkeit mindestens eines
Mitglieds der NFP-Leitung ist jedenfalls prekär. Detlef Bartsch, Mitarbeiter im
deutschen Ministerium für Verbraucherschutz, wurde von der damaligen
Bundesministerin Renate Künast gerügt, weil er 2003 in einem Propagandavideo der
Gentech-Industrie aufgetreten war.
Die Entscheide der NFP-Leitung waren gefallen, offiziell aber noch vertraulich,
als am 3. November an der ETH Zürich eine Pflanzenbiotechnologie-Tagung
stattfand, an der auch die NFP-Leitung auftrat. Eingeladen hatte das an sich
neutrale Plant Science Center der ETH und der Universitäten Zürich und Basel; es
waren auch ein paar gentech-kritische Stimmen vertreten. Verantwortlich für das
Programm waren allerdings zwei Berufsbefürworter der Gentechnologie: Christoph
Sautter von der ETH, Wilhelm Gruissems Mitarbeiter, der 2004 den
Freisetzungsversuch von Lindau durchgeführt hatte, und Rechtsanwalt Stefan
Kohler, der seinerzeitige Vertreter der ETH gegen das Bundesamt für Umwelt in
Sachen Lindau.
Die Tagung war ein Abbild des wissenschaftspolitischen Establishments der
Schweiz. Dieses will die GVO-Entwicklung vorantreiben und fürchtet um den
Wissenschaftsstandort Schweiz. In einer verlesenen Stellungnahme sagte
ETH-Ratspräsident Alexander Zehnder, nach Ablauf des Moratoriums müsste die
Schweiz «bereit sein». Als wäre das Moratorium ein Auftrag, ja keine Zeit zu
verlieren. Wer so denkt, will Risikoforschung nur als Produktentwicklung.
Am Ende der Tagung fragte der Moderator die im Publikum anwesende grüne
Nationalrätin und Gentech-Gegnerin Maya Graf maliziös: «Was tun Sie in vier
Jahren, wenn das NFP nicht ergeben sollte, dass GVO gefährlich sind?» Es war,
als brächte er die Erwartungen des wissenschaftlichen Establishments an das NFP
59 auf den Punkt. Diese Erwartungen wird das NFP kaum enttäuschen.
(c) Die Wochenzeitung; 23.11.2006; Nummer 47; Seite 1
http://www.woz.ch/inhalt/2006/nr47.html
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