[Gen-Info] Argentinien
Klaus Schramm
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Fr Apr 14 21:28:51 CEST 2006
Hallo Leute!
Hier noch ein Artikel zur (verheerenden) Situation in Argentinien -
aus derselben Ausgabe der 'Le Monde diplomatique'. (Das wesentliche
war bereits in einem Artikel über Brasilien zu lesen, der über diese
Mailing-Liste lief.)
Ciao
Klaus Schramm
klaus.schramm at bund.net
Die Ölfrucht, die goldene Eier legt
In Argentinien boomt der Anbau von Gensoja
von Pierre-Ludovic Viollat*
Die Bevölkerung der argentinischen Stadt Puerto San Martin lebt im Rhythmus der
Sojaernte. Zwischen März und Juni kommt es in einigen Stadtteilen zu
gravierenden Verkehrsstörungen, weil die mit den kostbaren Ölfrüchten beladenen
Lastwagen die Hauptverkehrsadern verstopfen. Puerto San Martin liegt am Ufer des
Panama. Von hier aus werden 70 Prozent der Sojaexporte verschifft. Niemand
beklagt sich, denn die Sojawirtschaft fördert die Entwicklung der Region und
sichert Arbeitsplätze. Die mächtige Hafenbetriebskooperative denkt darüber nach,
wie in die Erweiterung der Hafenanlagen zu investieren sei. Ihr Vorsitzender
Herme Juarez weiß, was die Zukunft bringen wird: "Arbeit. Immer mehr Arbeit.
Wirklich beeindruckend!"
Soja ist die Erfolgsgeschichte des Landes. Besser gesagt: transgene Soja, denn
fast die gesamte Sojaproduktion Argentiniens besteht inzwischen aus genetisch
veränderten Varietäten. Die Geschichte begann 1996, als der US-Saatgutkonzern
Monsanto seine berühmt-berüchtigte "Roundup Ready" (RR) in Argentinien
einführte. Das Besondere an dieser Sojasorte ist ein Gen, das dafür sorgt, dass
die Pflanzen das ebenfalls von Monsanto entwickelte hochwirksame Herbizid
"Roundup" überleben. Das Verkaufsargument ist einfach: weniger Aufwand,
geringere Kosten, höhere Erträge.
In den Folgejahren verzeichnete RR-Soja exponentielle Wachstumsraten, ein
Aufschwung, der von der US-amerikanischen Firma gut geplant war. "Von Anfang an
hat sich Monsantos für seine umfangreichen Experimente mit transgenen Saaten
bewusst Argentinien ausgesucht", erklärt Jorge Rulli, Gründer der
Landwirtschaftlichen Reflexionsgruppe. "In unserem Land hat Monsanto sein
Saatgut nicht patentieren lassen. So haben die Leute den Samen untereinander
weitergeben können; deshalb hat sich die transgene Anbaufläche schnell
ausgedehnt."
Den Geschäften des US-Konzerns konnte das nicht schaden, da die Landwirte ja das
Herbizid kaufen mussten. Doch dies reichte Monsanto noch nicht, um den Erfolg
seines Saatguts zu sichern. "Sie verkauften das Herbizid zu einem Drittel des
Preises, der in anderen Ländern gilt. Die US-amerikanischen Bauernverbände
beschwerten sich, Monsanto würde uns Argentinier subventionieren. Was zutrifft:
Wir wurden tatsächlich subventioniert."
Eine Sojasorte für die Pampa
Auch externe Faktoren trugen zum raschen Aufschwung des Anbaus von transgener
Soja bei, allen voran die besorgniserregende Bodenerosion im fruchtbarsten
Landesteil, in der Pampa. Monsanto-Soja kann ohne Umgraben des Ackerlands
angebaut werden, sodass das Problem kurzfristig gelöst scheint. Ein weiterer
Faktor war, dass wegen des Rinderwahnsinns das Tiermehl vielfach durch
Sojakuchen ersetzt wurde. Die Sojapreise stiegen, das Interesse der
argentinischen Landwirte war geweckt. Schließlich verwandelte die 70-prozentige
Abwertung des Pesos im Januar 2002 in Verbindung mit starken Preissteigerungen
auf dem Weltmarkt - aufgrund der wachsenden Nachfrage aus China - die Ölfrucht
in ein Huhn, das goldene Eier legt.
Dies alles trug dazu bei, dass sich das Gesicht der argentinischen
Landwirtschaft innerhalb weniger Jahre von Grund auf veränderte. Der Run aufs
"grüne Gold" machte die Soja zur häufigsten Anbaupflanze des Landes. Wurden zu
Beginn des Booms 1996 6 Millionen Hektar mit Soja bestellt, so sind es heute
bereits 15,2 Millionen Hektar, mehr als die Hälfte der Gesamtanbaufläche.(1)
Heute, zehn Jahre nach Einführung der transgenen Varietät, kann man eine erste
Zwischenbilanz ziehen.
Die fällt bei weitem nicht so positiv aus, wie man in Argentinien gerne glauben
möchte. Eines der Hauptprobleme heißt Entwaldung. "Die transgene Soja ist zwar
nur ein weiteres Kapitel in der Expansion der industriellen Landwirtschaft, in
ihren Folgen aber am verheerendsten", meint Emiliano Ezcurra, Leiter der
Greenpeace-Kampagne. "Die Entwaldung schreitet heute weit schneller voran als
während des ,Baumwollfiebers' oder des ,Zuckerrohrfiebers'. Die Bulldozer machen
ganze Waldgebiete buchstäblich platt."
Das gravierendste Problem liegt jedoch darin, dass beim Anbau von transgener
Soja die Landwirte sinnvollerweise nur ein spezielles Herbizid einsetzen, eben
jenes Glyphosat, das Monsanto unter dem Markennamen "Roundup" vermarktet. Die
US-Umweltschutzbehörde EPA nennt in ihrem Datenblatt detailliert die bei hoher
Belastung zu erwartenden Gesundheitsschäden: auf kurze Sicht "Lungenstauung und
Beschleunigung der Atmung", auf lange Sicht "Nierenschäden und Auswirkungen auf
die Fortpflanzung"(2).
Der in Buenos Aires praktizierende Arzt Jorge Kaczewer wertet seit mehreren
Jahren wissenschaftliche Arbeiten über die gesundheitsschädliche Wirkung von
Glyphosat aus. Fürseine Patienten hält er ein Informationsblatt über die
Symptome einer Herbizidvergiftung bereit: "Haut- und Augenjucken, Übelkeit und
Schwindelgefühl, Lungenödeme, sinkender Blutdruck, allergische Reaktionen,
Unterleibsschmerzen, massiver Flüssigkeitsverlust im Magen-Darm-Bereich,
Erbrechen, Ohnmacht, Zerstörung der roten Blutkörperchen, anormale
Elektrokardiogramme, Nierenschäden und Nierenversagen"(3).
Eine wichtige Kleinigkeit: Glyphosat wird den Landwirten nicht in Reinform
verkauft. "Den handelsüblichen Produkten sind inerte Inhaltsstoffe zugesetzt,
die dafür sorgen, dass der Wirkstoff von den Pflanzen besser aufgenommen wird",
erklärt Kaczewer. Auch diese Beigaben wirken sich unter Umständen negativ auf
die Gesundheit aus. Die größten Sorgen bereitet dem Mediziner aber ihre
Vermischung mit Glyphosat: "Durch das Zusammenwirken der beiden Stoffe
entwickeln sich ganz andere Symptome, die sich aus der jeweiligen Symptomatik
der einzelnen Produkte nicht erklären lassen."
Anfangs wurde das Herbizid vom Flugzeug aus versprüht, sodass es sich über die
Grenzen der Felder hinaus verbreitete und noch in einem Umkreis von Dutzenden,
mitunter hunderten von Metern nachweisbar war. Resultat: Die gegen Glyphosat
nicht resistenten Pflanzen auf den benachbarten Feldern gingen ein, und die oft
nur wenige Meter von den Feldern entfernten Wohnhäuser und Gärten wurden in
Mitleidenschaft gezogen. Zwar sind heute Bodenmaschinen an die Stelle der
Flugzeuge getreten, doch die Landarbeiter, die sich in ihrer Armut weder Schuhe
noch Handschuhe leisten können, sind dem Herbizid weiterhin schutzlos
ausgesetzt. "Einer meiner Patienten bildet noch nach einmonatiger Behandlung
keine neue Haut an den Füßen", berichtet Darío Gianfelici, der in der von
Sojaplantagen umgebenen Kleinstadt Cerrito praktiziert. "Niemand schützt sich.
Die Leute kapieren es einfach nicht."
So freimütig wie Gianfelici, früher Krankenhausdirektor, sprechen seine Kollegen
lieber nicht über dieses Thema. Vielleicht liegt seine Offenheit daran, dass er
schon pensioniert ist. "Vor einigen Jahren", so Gianfelici, "erhielt ich
wiederholt Anrufe vom Gesundheitsamt der Provinz. Ich würde große Probleme
bekommen, wenn ich weiter so reden würde." Der Arzt ließ sich nicht beirren und
hielt weiter Vorträge auf Tagungen. Allerdings weiß er, dass Monsanto ihm
manchmal nachreist. "Einmal hielt ich einen Vortrag in einer Stadt im Süden der
Provinz und erfuhr kurz darauf, dass Monsanto zwei oder drei Monate danach am
gleichen Ort einen Informationstag organisierte. Mit entgegengesetzter Botschaft
natürlich, entworfen von einem Kommunikationsexperten und einem Grafikdesigner
und mit eigens aus Europa angereisten Ingenieuren. Sie verteilten Buntstifte,
T-Shirts und Fähnchen in Monsanto-Farben. Dagegen müssen wir dann antreten."
Die Landwirte haben andere Sorgen: zum Beispiel die Konzentration des
Grundbesitzes, die sich seit der Ankunft der gentechnisch veränderten Sorten
stark beschleunigt hat. "Während die Sojaproduktion zunimmt, geht die Zahl der
landwirtschaftlichen Betriebe zusehends zurück", kommentiert Alfredo Bel,
Agraringenieur beim Argentinischen Agrarverband FAA. "Die Soja schließt die
kleinen und mittleren Erzeuger aus." Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe
ist von 1988 bis 2002 von 422 000 auf 318 000 gesunken, ein Rückgang um 25
Prozent.
Der Einsatz von Herbiziden ist sogar gestiegen
Auch die Bodenerosion macht erneut Probleme. Walter Pengue, Agraringenieur an
der Universität Buenos Aires, und Miguel Altieri von der Berkeley University
beschrieben die katastrophalen Folgen des Anbaus von transgener Soja in
Lateinamerika folgendermaßen: "In Argentinien führte der Anbau zu einer massiven
Auslaugung des Bodens. Nach Schätzungen entzog der fortgesetzte Sojaanbau dem
Boden allein im Jahr 2003 rund eine Million Tonnen Stickstoff und 227 000 Tonnen
Phosphor. Ein Ersatz durch Düngemittel würde laut verschiedenen Evaluierungen
910 Millionen Dollar kosten."(4)
Darüber hinaus zerpflücken die beiden Forscher das Argument der Firma Monsato,
transgene Soja benötige geringere Herbizidmengen. "Während die Fürsprecher der
Biotechnologien behaupten, eine einmalige Anwendung von Roundup pro Saison sei
ausreichend, zeigen verschiedene Untersuchungen, dass der Herbizideinsatz in
Regionen mit transgener Soja insgesamt gestiegen ist."(5)
Der fehlende Fruchtwechsel und die ständige Verwendung desselben Herbizids bei
immer höherer Dosierung machen das Unkraut über kurz oder lang resistent gegen
das Pflanzengift. "In der Pampa sind bereits acht Unkrautsorten gegen Glyphosat
resistent." Das ist das Forschungsergebnis von Walter Pengue. Damit beginnt der
bekannte Teufelskreis: Um die natürliche Anpassungsfähigkeit der Schadpflanzen
zu bekämpfen, muss die Herbizidmenge so lange ständig erhöht werden, bis
Monsanto oder ein Mitbewerber irgendwann ein neues, stärkeres und wohl auch noch
giftigeres Produkt auf den Markt bringt.
Ohne einen radikalen Kurswechsel wird die transgene Soja ihren Siegeszug im
ganzen Land fortsetzen. Jüngste Zahlen deuten darauf hin, dass die Anbaufläche
für transgene Soja im laufenden Jahr um 5,6 Prozent zunehmen wird. Die
Fürsprecher reiben sich die Hände. So auch Clive James, Vorsitzender des
International Service for the Acquisition of Agri-Biotech Applications (ISAAA),
im letzten Jahresbericht des Verbands: "Der wachsende Einfluss der fünf
wichtigsten Entwicklungsländer (China, Indien, Argentinien, Brasilien und
Südafrika) wirkt sich weltweit positiv auf die Übernahme und Akzeptanz der
biotechnologischen Landwirtschaft aus." Die Botschaft ist klar: Der Anbau
transgener Sorten ist in Ländern, in denen sie genehmigt sind, mit Hochdruck
voranzutreiben, um die genfeindlichen Länder unter Druck zu setzen.
Die Entwicklung neuer Technologien auf der Grundlage genetischer Erkenntnisse
folgt dem Imperativ des Profits. Sogar die UN-Landwirtschafts- und
Ernährungsorganisation (FAO), deren erklärtes Ziel die weltweite Ausrottung des
Hungers ist, unterstreicht diesen Zusammenhang in ihren Veröffentlichungen. Zwar
räumt die Organisation ein, dass gentechnisch veränderte Sorten auch zur
Bekämpfung des Hungers in der Welt eingesetzt werden könnten, beklagt jedoch,
dass dies zehn Jahre nach Einführung dieser Sorten noch immer nicht der Fall
sei. In ihrem Jahresbericht 2003/2004, der sich an zentraler Stelle mit
Biotechnologien in der Landwirtschaft beschäftigt, kritisiert die FAO, dass
gentechnisch veränderte Varietäten allein mit kommerzieller Zielsetzung
entwickelt werden. "Die Forschung über transgene Anbaupflanzen erfolgt
überwiegend im Rahmen transnationaler Privatkonzerne. Dieser Sachverhalt hat
schwerwiegende Konsequenzen für die Ausrichtung der Forschungsarbeiten und die
entwickelten Produkte. [...] Pflanzen und Eigenschaften, die für die Armen von
Interesse wären, werden vernachlässigt."(6)
Die argentinischen Landwirte scheinen diese Profitlogik allmählich zu begreifen.
Jetzt, wo die transgenen Sorten das Land erobert haben, verlangt der US-Konzern
von den Argentiniern plötzlich Lizenzgebühren für das Saatgut und ist in einigen
Fällen bereits vor Gericht gegangen, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen.
Fußnoten:
(1) Offizielle Angaben über das Landwirtschaftsjahr 2005/2006, Secretaría de
Agricultura, Ganaderíe, Pesca y Alimentos de la República Argentina, 16. Januar
2006.
(2) www.epa.gov/safewater/dwh/c-soc/glyphosa.html.
(3) Dieselben Symptome zeigen kolumbiansche Bauern, die Opfer der
Glyphosat-Ausbringung auf Kokaplantagen wurden.
(4) Miguel A. Altieri u. Walter A. Pengue, "GM Soya Disaster in Latin America:
Hunger, Deforestation and Socio-Ecological Devastation", Institute of Science in
Society, London, 6. September 2005.
(5) Dazu die Arbeiten von Charles Benbrook, namentlich seine bahnbrechende
Studie "Troubled Times Amid Commercial Success for Roundup Ready Soybeans.
Glyphosate Efficacy is Slipping and Unstable Transgene Expression Erodes Plant
Defenses and Yields", Northwest Science and Environmental Policy Center,
Sandpoint, Idaho, 3. Mai 2001.
(6) FAO, La Situation mondiale de l'alimentation et de l'agriculture. Les
biotechnologies agricoles: une réponse aux besoins des plus démunis?, Rom 2004.
Aus dem Französischen von Lilian-Astrid Geese
* Pierre-Ludovic Viollat ist Journalist.
Le Monde diplomatique vom 13.4.2006, S. 23
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