[Gen-Info] Machtpolitische und oekonomische Hintergruende

Klaus Schramm 078222664-0001 at t-online.de
Fr Apr 14 21:28:56 CEST 2006


Hallo Leute!

Hier noch ein Artikel - aus derselben Ausgabe der 'Le Monde 
diplomatique' - , der mehr auf die machtpolitischen und ökonomischen 
Hintergründe eingeht.

Ciao
   Klaus Schramm
   klaus.schramm at bund.net


Unerwünschte Hauptwirkungen
Die Verbraucher mögen keine Anti-Matsch-Tomaten und keine Erdbeeren mit 
Fischgen, das Agrobusiness setzt dennoch auf gentechnisch veränderte Pflanzen 
von Jacques Testart und Arnaud Apoteker*

Der Begriff "gentechnisch veränderte Organismen" (GVO) bezeichnet Pflanzen, 
Tiere oder Einzeller, deren Genom um mindestens ein artfremdes Gen angereichert 
worden ist. Der Zweck solcher Eingriffe besteht darin, der modifizierten Art 
Eigenschaften zu verleihen, die sie weder mit Hilfe konventioneller Techniken 
noch durch evolutionäre Mutation hätte erlangen können. Wie sollte ein Fischgen 
auf natürlichem Wege ins Genom einer Erdbeere gelangen? Wir unterscheiden drei 
Gruppen von GVO, deren jeweilige Risiken und Vorteile nicht miteinander 
vergleichbar sind.

Zunächst die einzelligen GVO, die im Fermenter kultiviert werden und meist 
Substanzen wie Impfstoffe oder Hormone für den medizinischen Gebrauch 
produzieren. Niemand stellt sie in Frage, da das System funktioniert 
(nachweislicher Nutzen) und unter Kontrolle ist (hinnehmbares Risiko). Unter den 
kommerziellen GVO sind diese am ehesten "salonfähig", weshalb die Propaganda für 
transgene Pflanzen sie auch gern als Aushängeschild benutzt.

Die zweite Gruppe sind die als lebendige Forschungsinstrumente eingesetzten 
genveränderten Pflanzen oder Tiere. Diese zu wissenschaftlichen Zwecken 
hergestellten GVO werden in streng reglementierten Spezialeinrichtungen 
gehalten. Auch sie sind, außer bei Tierversuchsgegnern, relativ breit 
akzeptiert.

Die dritte Gruppe schließlich sorgt seit langem für Kontroversen: jene 
gentechnisch veränderten Pflanzen (GVP), die für die Agrar- oder die 
Nahrungsmittelindustrie von Interesse sind, auf Freiland angebaut und in der 
Regel von Zuchttieren oder Menschen verzehrt werden. Die GVP werfen zahlreiche 
Probleme auf, die sich bei den anderen GVO nicht stellen: Gefahren für die 
Umwelt, für die Biodiversität, die Gesundheit und die Landwirtschaft. Ähnliche 
Probleme werden sich im Zusammenhang mit genveränderten Zuchttieren (Fischen 
oder Säugetieren) ergeben, sobald diese in die Natur entlassen werden. Bei dem 
seit zehn Jahren andauernden Streit geht es ausschließlich um diese dritte 
Gruppe, die genmodifizierten Pflanzen.

Die Transgenese - angeblich der Beweis dafür, dass der Mensch per Genübertragung 
das Leben beherrschen kann - ist eine gewagte Manipulation und eine unsichere 
Technik.(1) Die Gentherapie ist immer noch nicht in der Lage, Kranke zu heilen, 
und transgene Tiere weisen häufig Behinderungen auf (Sterilität, Diabetes, 
Missbildungen), die in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem in ihr Erbgut 
eingeschleusten Gen stehen. Allen optimistischen Behauptungen zum Trotz 
offenbart sich hier die Unzulänglichkeit unseres Wissens. Die große Täuschung 
und die größten Risiken der angeblich beherrschten Techniken bestehen gerade in 
der Nichtbeherrschung der in die Wege geleiteten Vorgänge.

Die Utopien der Genforscher erwiesen sich als Illusion

Der demiurgische, von der Hoffnung auf gigantische Gewinne für die 
Biotechindustrie angestachelte Wille, durch die Vermischung von Genomen hybride 
Arten zu schaffen, beruht auf groben Vereinfachungen: Das Genom sei das "Buch 
des Lebens", es enthalte das gesamte "Lebensprogramm", jedes Gen entspreche 
automatisch einem Protein usw. All diese Simplifizierungen sind nicht nur von 
der Grundlagenforschung, sondern auch durch die Überraschungseffekte der 
Innovationen widerlegt worden: Mehrere Gene können zur Synthese eines Proteins 
beitragen; die Beschaffenheit eines Proteins hängt von Faktoren ab, die dem 
Genom äußerlich sind; jeder gentechnisch veränderte Organismus kann durch das 
Zusammenspiel zwischen dem Transgen und dem eigenen Genom unvorhergesehene 
Eigenschaften entwickeln. 

Obwohl all diese Phänomene festzustellen sind, können sie noch lange nicht 
erklärt und erst recht nicht kontrolliert werden.(2) So zeigt das in einer GVP 
vorhandene Transgen oft andere Eigenschaften als das Gen, das man hatte 
einsetzen wollen. Daher die falsche Sicherheit der Anbaugenehmigungen. Im 
Übrigen haben neuere australische Untersuchungen(3) gezeigt, dass ein 
eingebautes Gen in der Wirtspflanze - hier der Erbse - allergene Stoffe(4) 
erzeugen kann, die es in der Ursprungspflanze - der Bohne - nicht erzeugt hatte. 
Diese giftig gewordene Erbse indes hätte den Ansprüchen der europäischen 
Zulassungsverfahren durchaus genügt. 

Ehe wir mit der Aussaat transgener Pflanzen beginnen und damit einen 
unwiderruflichen Schritt tun, brauchen wir also nichts Geringeres als 
wissenschaftliche Forschung. Und diese Forschung darf nicht auf Freiland 
erfolgen, es sei denn, wir wollen die Natur in ein gigantisches Laboratorium 
verwandeln!

Im Jahr 1964 kündigte Professor Bienlein in einem legendären "Tim und 
Struppi"-Band an: "Mir scheint es nicht zu hoch gegriffen, wenn ich sage, in 
zehn Jahren werden wir im Sand nicht nur blaue Orangen wachsen lassen, ... 
sondern alle großen Feldfrüchte, die für das menschliche Leben unerlässlich 
sind, [] Getreide [] und Kartoffeln."(5) 

Vierzig Jahre später verbreiten die Bienleins, die unterdessen zur Tat 
geschritten sind, immer noch die gleichen Utopien. Dennoch existieren die von 
den Fürsprechern der Gentechnik am häufigsten genannten GVP in der Realität gar 
nicht. Die Anti-Matsch-Tomate, die 1994 als erste genveränderte Pflanze in den 
Handel kam, wurde schnell wieder aufgegeben: Die Verbraucher in den USA fanden 
ihren Geschmack eklig, und bei der Zulassung war es zu Unregelmäßigkeiten 
gekommen.(6) Der Provitamin A produzierende "Goldene Reis" erwies sich als 
Illusion: Man müsste mehrere Kilo davon essen, um den Tagesbedarf an diesem 
Vitamin zu decken. Bislang ist es bloß ein Versprechen, dass eines Tages 
Pflanzen auf sehr salzhaltigen Böden oder in Wüstengebieten gedeihen werden. Und 
die "Arzneimittelpflanzen", die der Pharmaindustrie dank Genveränderung 
bestimmte Stoffe liefern sollen, haben diese Moleküle - genau wie die 
genveränderten Tiere - nie in ausreichenden Mengen produziert, um vermarktet 
werden zu können.

Wehrlos gegen neue Schädlinge 

Und was ist mit den GVP, die - hauptsächlich auf dem amerikanischen Kontinent - 
auf fast 100 Millionen Hektar Land angebaut werden? Zu 98 Prozent handelt es 
sich hierbei um Pflanzen, die entweder in die Lage versetzt wurden, selbst ein 
Insektizid zu produzieren, oder (als einzige in ihrer Umgebung) ein 
verabreichtes Herbizid vertragen. In beiden Fällen droht die anfängliche 
Nutzwirkung nach einigen Jahren zu schwinden, da die Schädlinge anpassungsfähig 
sind: Mutierende Insekten entwickeln Resistenzen gegen das Insektizid; durch den 
Prozess der Selbstselektion oder durch Genfluss nehmen herbizidresistente 
Unkrautpflanzen überhand. Es besteht die Gefahr, dass wir neuen 
Schädlingskonstellationen wehrlos gegenüberstehen.

So gibt es bereits Wildpflanzen, die gegen alle üblichen Herbizide resistent 
sind. GVP, die Insektizide produzieren, tun dies permanent und in allen 
Bestandteilen der Pflanze. Sie setzen daher viel größere Mengen dieser 
Giftstoffe frei als konventionelle Verfahren und bergen die Gefahr verheerender 
Umweltschäden, vor allem für Insekten oder Vögel. Beim Anbau herbizidtoleranter 
GV-Kulturen wird das entsprechende Herbizid oft zur Einsparung von Arbeitskraft 
in einem einzigen Schub und in hoher Menge verabreicht, ohne Rücksicht auf das 
Ökosystem des Bodens und die darin lebenden Mikroorganismen, Würmer usw.

Durch die starke Belastung der GVP mit selbst erzeugten Insektiziden bzw. 
ausgebrachten Herbiziden treten spezifische Risiken bei der Ernährung von Tieren 
oder Menschen auf.(7) Lebensmittel mit über 0,9 Prozent GVO-Anteil unterliegen 
in Europa einer Kennzeichnungspflicht. Die französische Regierung lehnt eine 
Kennzeichnung für tierische Produkte wie Fleisch, Eier oder Milch ab, wenn die 
Tiere GVP-Futter bekommen haben. Sie unterschlägt auch die Verpflichtung, die 
Öffentlichkeit über die Ergebnisse von Toxizitätstests bei GVP zu informieren. 
Hinzu kommt, dass sich von Transgenen hervorgerufene Eigenschaften wie 
Antibiotikaresistenz auf die Bakterienstämme übertragen können, die unseren 
Verdauungsapparat besiedeln.

Keines der mit den GVP verbundenen Risiken ist ernsthaft untersucht worden. Man 
begnügt sich mit der Behauptung, die transgenen Pflanzen seien nur eine 
Weiterentwicklung der klassischen, auf Optimierung von Eigenschaften 
ausgerichteten Züchtungsmethoden, die ausreichend Beweise für ihre 
Unschädlichkeit erbracht hätten. So werden die herkömmlichen Methoden der 
Auslese oder Kreuzung in einen Topf geworfen mit der Erzeugung von Chimären, bei 
denen unterschiedliche Arten oder gar Tierisches und Pflanzliches vermischt 
werden.

Entsprechend dem Paradigma der intensiven, produktivitätsorientierten und 
chemischen Landwirtschaft besteht der utopische Auftrag der GVP in der 
Ausrottung von Unkraut und Schädlingen. Das bedeutet einen Bruch mit der 
traditionellen Einstellung des Bauern, der seine Ernte durch einen "bewaffneten 
Pakt" mit der Natur und nicht durch Ausrottung bewahrt. Denn der Bauer weiß, 
dass die Lebensgemeinschaft, der er angehört, viel zu komplex und unser Wissen 
viel zu ungenau ist, um radikale Eingriffe zu erlauben, ohne eine Katastrophe zu 
riskieren. 

Wenn Landwirte sich dennoch auf den Anbau genveränderter Kulturen einlassen, so 
tun sie dies, weil sie mit der Einsparung von Arbeitskräften rechnen: Das 
wiederholte Sprühen mit Insektiziden entfällt, Herbizide werden hoch dosiert und 
möglichst auf einen Schlag ausgebracht - ein höchst zweifelhafter Vorteil in 
Ländern wie China, wo die Landbevölkerung unter dramatischer Arbeitslosigkeit 
leidet. Oder die Bauern werden von der Industrie mit Vergünstigungen für 
Einsteiger gelockt. So sollen die "Pioniere des Fortschritts" in Techniken 
eingebunden werden, die kaum noch reversibel sind. Man verspricht ihnen das 
Blaue vom Himmel - wir haben es in Argentinien und in Brasilien erlebt -, um den 
Anbau von Gensoja durchzusetzen.

Insgesamt sind die GVP, wie wir sie derzeit kennen, ein ungeheurer 
technologischer Bluff. Es geht um einen gewinnträchtigen Markt: den des 
patentierten GV-Saatguts, das die Bauern jedes Jahr kaufen müssen, weil die 
Wiederaussaat verboten ist. Die Biotechmultis, die ihren ursprünglichen 
Geschäftsbereich, die Chemie, um den der pflanzlichen Ressourcen erweitert 
haben, versuchen, sich eine marktbeherrschende Stellung zu verschaffen und alle 
Aspekte der Welternährung ihren Interessen unterzuordnen: das Sortenangebot, 
Maßnahmen zur Pflanzenpflege, die Anbautechniken und die Vermarktung. Darüber 
hinaus sichern sie sich den Verkauf von Pestiziden, die für den Anbau ihrer 
genetischen Chimären notwendig sind.

Neuerdings rückt das so genannte Molecular Farming in den Vordergrund. Hier geht 
es um den Anbau von GVP, die nicht als Nahrungsmittel dienen, sondern 
Arzneimittelpflanzen sind, Treibstoff produzieren oder für die industrielle 
Verwendung vorgesehen sind. Diese "sympathischen", aber noch ineffizienten GVP 
scheinen vor allem die Rolle eines trojanischen Pferds zu spielen, um eine 
Technologie schmackhaft zu machen, die den Konsumenten keinerlei Vorteile 
bietet. Die Produktion der fraglichen Medikamente kann durchaus mit Hilfe 
gentechnisch veränderter Zellen im abgeschlossenen Milieu erfolgen.

Um die ablehnende Haltung der Öffentlichkeit ignorieren zu können, organisiert 
die französische Regierung gelegentlich pseudodemokratische Scheinabstimmungen - 
manche auch per E-Mail.(8 )Selbst wenn es in Zukunft gelingen sollte, mittels 
genveränderter Pflanzen die versprochenen Resultate zu erbringen, bleibt die 
Tatsache, dass wir im Begriff sind, die Erde in ein riesiges Versuchsfeld zu 
verwandeln. Das müssen wir in Kauf nehmen für die Innovationen, die uns die 
neoliberale, wettbewerbsorientierte und auf archaische Weise 
wissenschaftsgläubige Fortschrittsvision auferlegt.

Dampfmaschinen mochten bei ihrer Erfindung noch so beunruhigend sein, sie 
brachten die Züge ins Rollen. Hier jedoch werden Milliarden Dollar in eine 
zweifelhafte Strategie investiert, weil sich die agrarindustriellen Interessen 
einer Utopie verschrieben haben: der Beherrschung der Welternährung, vom Samen 
über eine neue Form bäuerlicher Sklavenschaft bis hin zum Supermarkt. Die 
vielseitigen Aspekte der gentechnisch bedingten Risken - Aufnahme von 
Schadstoffen und Allergenen, Antibiotikaresistenzen, Übergreifen der Transgene 
auf andere Arten, Verringerung der Artenvielfalt, weltweite Vorherrschaft 
einiger Multis über die Landwirtschaft und die Ernährung, Industrialisierung der 
Landarbeit, um nur die wichtigsten zu nennen - legen einen Schluss nahe: Wir 
dürfen uns in Sachen GVP nicht mehr mit einem Berg von wissenschaftlichen 
Gutachten zufrieden geben. In solchen Situationen scheint es angebracht, eine 
kollektive Expertise einzuholen, nach dem Muster der "Bürgerkonferenz", gestützt 
auf Informationen von Fachleuten verschiedenster Herkunft, die unterschiedliche 
Sichtweisen vertreten.(9)

Fußnoten: 
(1) Parlamentarischer Bericht Nr. 2254, "Les OGM, une technologie à maîtriser", 
April 2005, S. 15 f. 
(2) Vgl. Frédéric Prat (Hg.), "Société civile contre OGM. Arguments pur ouvrir 
un débat public", Barret-sur-Méouge (Editions Yves Michel) 2004. 
(3) Vgl. Hervé Kempf, "Nouveaux soupçons sur le OGM", in Le Monde, 8. Februar 
2006. 
(4) Allergene sind Allergien auslösende Antigene. 
(5) Vgl. Hergé, "Tintin et les oranges bleues" (dt. "Tim und die blauen 
Orangen"), Paris (Casterman) 1964. 
(6) Vgl. Eric Meunier, "OGM aux Etats-Unis: quand l'administration ignore ses 
experts (le cas de la tomate Flavr/Savr)", in Inf'OGM 51, März 2004. 
(7) Vgl. Frédéric Pratt, siehe Fn. 2. 
(8) Vgl. Jacques Testart, "L'intelligence scientifique en partage", in Le Monde 
diplomatique, Februar 2005. 
(9) Ebd. 

Aus dem Französischen von Grete Osterwald 

* Jacques Testart und Arnaud Apoteker sind Biologen. Testart ist Präsident von 
Inf'OGM, Apoteker leitet die Anti-GVO-Kampagne von Greenpeace Frankreich.

Le Monde diplomatique vom 13.4.2006, S. 18-19




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