[FoME] Mediaagenturen und Werbemärkte in Entwicklungsländern

Christoph Dietz Christoph.Dietz at CAMECO.ORG
Fr Jan 25 11:42:58 CET 2013


Liebe Kolleginnen und Kollegen,
 
ich freue mich über den aktiven Diskussionsprozess zur
"medienökonomischen EZ". 
 
Intensiv diskutiert haben wir das Thema auch schon 2006 beim
FoME-Symposium "Money Matters: How Independent Media Manage to Survive".
Die Dokumentation dazu
http://www.cameco.org/files/money_matters_documentation_colour_1.pdf ist
m.E. immer noch lesenswert. Unter anderem beschreiben der serbische
Radio-/Fernsehsender B92, die malaysische Online-Zeitung Malaysiakini
und das indonesische Radionetzwerk 68H ihren - nicht einfachen - Weg zur
finanziellen Unabhängigkeit. Die drei genannten Initiativen entstanden
als Oppositionsstimmen in autoritäten Regimen und waren Vorreiter des
unabhängigen Journalismus in ihren jeweiligen Ländern.
 
Das Thema "Mediaagenturen", der Auslöser unserer Debatte, wurde meines
Wissens bisher in der MEZ kaum diskutiert. Zumindest bei der
Literaturübersicht zur Paxis der MEZ, die ich letztes Jahr
zusammengestellt habe [bisher nur als korrekturbedürftige "draft
version" unter
http://www.cameco.org/files/media-development-literature-guide-preliminary-2012.pdf],
taucht das Thema nicht auf.
 
Was ist eigentlich eine Mediaagentur, und warum sollte uns das Thema
auch in der MEZ interessieren?
 
Dazu ein Ausschnitt aus http://de.wikipedia.org/wiki/Mediaagentur:
"Mediaagenturen beraten Unternehmen bei der Streuung eines Werbeetats in
verschiedenen Massenmedien ... sie sprechen Empfehlungen über notwendige
Werbeinvestmenthöhen aus sowie über die zeitlich und geographisch
optimale Platzierung von Anzeigen, Funk- und Fernsehspots und anderer
Werbeformate. Je nach Projekt steht dabei zu Beginn eine Zielgruppen-
und Wettbewerbsanalyse, um das optimale Werbeumfeld zu ermitteln. Weiter
wird der Mediamix, die Aufteilung der Werbemaßnahmen auf verschiedene
Werbeträger ermittelt. Mediaagenturen wickeln auch die Anzeigenbuchung
ab. Sie verhandeln mit Werbeträgern über Preise, Leistungen, Rabatte,
Sonderkonditionen und buchen – meist auf eigene Rechnung – für den
Kunden bei den Medien ein. Traditionell steht den Mediaagenturen 15 %
vom Anzeigenpreis zu, diese werden heute allerdings fast immer an den
Kunden weitergegeben. Stattdessen wird ein Honorar auf die Medialeistung
vereinbart ... Media-Agenturen erwirtschaften ihre Erlöse über Honorare,
aber auch über das sogenannte Kick-back. Dabei nutzen die Agenturen ihre
gebündelte Einkaufsmacht, um ein zusätzliches Honorar von dem
Dienstleister, bei dem sie im Auftrag des werbetreibenden Kunden
Werbeplätze einkaufen, zu erhalten. Dieses Kick-back ist in der Regel
die Differenz zwischen dem Preis des Anbieters von Werbeleistung
(Fernsehen, Print, Radio, Außenwerbung, online etc.), der dem Kunden
mitgeteilt wird und dem Preis, zu dem die Media-Agentur tatsächlich die
Leistung beim Anbieter einkauft. Aufgrund der Wettbewerbssituation unter
den Mediaagenturen, werden diese Ersparnisse jedoch vermehrt an den
Kunden weitergegeben."
 
In vielen Ländern läuft dieses Geschäft intransparent und zum Nachteil
unabhängiger Medien ab. Dazu als konkretes Beispiel Peru (leider nur mit
Daten von 2006): Ein Drittel der peruanischen Bevölkerung lebt in der
Hauptstadt Lima, aber 80% der Werbung wird in Lima investiert -
kanalisiert durch die ebenfalls in Lima sitzenden Mediaagenturen.
Lokalmedien außerhalb von Lima haben Schwierigkeiten, überhaupt von
Mediaagenturen in ihr Portfolio einbezogen zu werden. Weil die
"werberelevante" Ober- und Mittelschicht in Lima und einigen wenigen
anderen Städten wohnt. Aber auch, weil Einschaltquoten nur in den 12
größten Städten ermittelt werden. Und weil die Mediaagentur mit
vielen einzelnen Medien weniger Geschäft macht (und/oder mehr Arbeit
hat) als mit einem Medium mit nationaler Verbreitung. Falls ein
Lokalmedium doch in den Genuss kommt, von der Mediaagentur
berücksichtigt zu werden, sind die Konditionen oft schlecht (15-30%
Kommission). 
 
Der Dachverband der peruanischen Bürgerradios, Coordinadora Nacional de
Radio (CNR), hat daher eine eigene Mediaagentur aufgebaut, sodass auch
kleinere Sender, die sonst keinen Zugang zu nationalen Werbeaufträgen
hätten, ein - bescheidenes - Zusatzeinkommen haben. Die ganze Story
dazu auf Seite 67-71 von
http://www.cameco.org/files/money_matters_documentation_colour_1.pdf.
 
Die Idee, mit "Plural" unabhängigen Medien im Sudan und anderen
(Post-)Konfliktländern Zugang zu internationalen Werbegeldern zu
verschaffen, die sie aller Wahrscheinlichkeit nach sonst nicht hätten,
ist sicherlich richtig. Und welche andere Mediaagentur investiert ihren
Gewinn in Schulungsmaßnahmen für lokale Medien? So sie denn einen Gewinn
haben sollte. Der taz-Bericht
http://www.plural-mediaservices.com/wp-content/uploads/2012/02/taz.pdf
klingt ja eher nach Idealismus als nach business.
 
Die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit unabhängiger Medien wird
natürlich noch durch viele weitere Faktoren erschwert. Einige wurden
in unserer Diskussion schon genannt, andere noch nicht. Zum Beispiel,
dass
- in vielen Ländern der Staat der größte (oder einer der größten)
Werbetreibende(n) ist und die Werbeaufträge oft nicht nach transparenten
Regeln, sondern politischen Vorlieben vergeben werden. Am Beispiel
Lateinamerika wird diese "soft censorship" ausführlich dargestellt in
http://www.opensocietyfoundations.org/sites/default/files/silence_20080811.pdf.
- es keine nationale Medienpolitik zur Förderung der Medien(vielfalt)
gibt. Immerhin wurden erste Ansätze dazu entwickelt, lesenswert ist zum
Beispiel die Studie von Domitille Duplat und Marie-Soleil Frère über
Ansätze öffentlicher Medienförderung in Zentralafrika
http://web.archive.org/web/20051104004831/http://www.panosparis.org/fr/doc/Aides_publiques_textes.pdf.
- die MEZ-Förderung nicht immer nachhaltig ist. So kommt BBC Media
Action im neuesten Bericht (2012) zu Afghanistan zum Schluss: "The
sustainability of the newly established commercial media is widely
questioned. With the total annual advertising market in the country
estimated by some at little more than $20 million, there are real
concerns that if donor support declines much of the media will wither or
fall prey to factional, religious or extreme forces. There is no
shortage of such forces. A number of media outlets already play upon
ethnic and sectarian tensions." (executive summary in
http://downloads.bbc.co.uk/mediaaction/policybriefing/bbc_media_action_afghanistan_is_in_transition.pdf).
- es an verlässlicher Mediennutzungsforschung mangelt.
 
Auch ich fände es gut, wenn wir das Thema "medienökonomische EZ" bei
einer FoME-Veranstaltung vertiefen könnten.
 
Beste Grüße
 
Christoph Dietz

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