[FoME] Medienhilfe-Debatte
Nils Brock
galapagos at gmx.net
Di Jan 15 00:47:23 CET 2013
Zur Debatte Plural Media Services
zunächst möchte ich allen Beteiligten für die spannende Debatte auf der FOME-Liste danken, die ich in den letzten Tagen ein Stück weit für meine brasilianischen KollegInnen vom Weltverband der Community Radios (AMARC) aufgerollt habe. Der Grund für diese Mühe ist naheliegend, seit Jahren vertritt AMARC, so wie viele weitere Verbände in der Region die Auffassung, dass auch nicht-kommerzielle Radios sich anteilig durch Werbung finanzieren dürfen sollten. Erlaubt ist in Lateinamerika, nicht zuletzt wegen des Lobbyings „grosser Medienhäuser“, bisher oft nur die Nennung von lokalen SpenderInnen und UnterstützerInnen im Radio. Verstöße dagegen haben die Schliessung der Radios oder den Verlust der Lizenz zur Folge. Soviel vorab nur zur Info, um kurz den Kontext zu umreissen, in dem wir uns hier bewegen.
Sicher, „Medienhäuser“ und Community Radios haben auf den ersten Blick nicht viel gemein. Finanzieren müssen sich in ihren Fix- und (oder) Personalkosten jedoch alle Medien irgendwie. Und genau in diesem Punkt führt die Debatte auf der Liste zu drei wichtigen Fragen, die wir uns bei Gesprächen gestellt haben und die ich für Euch zusammenfassen möchte.
1. Warum ist der Fokus der Schulungen ausschließlich auf „große Medienhäuser“ ausgerichtet, anstatt alle interessierten Medien gleichermaßen anzusprechen? Falls die weiterhin verwendete Formulierung „neu entstehende Medienmärkte“ mehr als eine allgemeine Metapher seien sollte, dann findet an dieser Stelle außerdem eine problematische Vorauswahl statt, die alle weiteren Medien (gemeinnützig, nicht-kommerziell, frei, alternativ, etc.) zu nicht-merkantilen „kleinen“ Anhängseln degradiert.
Keine Frage, unterschiedliche Reichweiten, Verbreitungswege, Publika, Arbeitsweisen und Organisationsformen einzelner Medien gilt es zu beachten. Die Konzeption allgemeiner „Schulungsprogramme“ für „Fundraising & Marketing“ wird dadurch sicherlich erschwert. Dennoch, in Lateinamerika wird in letzter Zeit verstärkt krisitiert, dass nahezu alle bestehenden Monopole und Oligopole im Mediensektor in ihrer Entstehung staatlich subventioniert und gefördert wurden. Historisch betrachtet steht diese Ungleichbehandlung bis heute einer Demokratisierung der Medien im Weg. Vielleicht sollten EZ-Organisationen aufpassen, dass sie sich wegen der Auswahl ihrer PartnerInnen nicht zehn Jahre nach dem Arabischen Frühling mit der gleichen Kritik herumschlagen müssen...
2. „Sollen die Medien ewig von Entwicklungshilfegeldern abhängig bleiben?“ - tun sie ja gar nicht, denn zumindest in Lateinamerika, kommen die meisten existierenden Community Media nicht in diesen Genuss, weil das intensiv geförderte media building gerade anderswo stattfindet. Ist aber verständlich und nicht so schlimm. Das Problem ist vielmehr, dass viele Community Radios (um zum Beispiel zurückzukommen) vor der ungelösten Frage stehen, wie sie sich als Medien finanziell überhaupt nachhaltig organisieren können? Nicht zuletzt ihre prekäre ökonomische Situation verführt eine Reihe von Sendern beispielsweise dazu, alle Wahljahre wieder (oder auch häufiger) ihre politische Unabhängigkeit zu opfern, um durch diese Art von Patenschaften auch bei leeren Kassen den Sendebetrieb zu gewährleisten. Ein hoher Preis.
Doch die Alternativen dazu? Sicherlich gibt es strahlende Beispiele, wie den Unterstützungsfonds der „radios associatives“ in Frankreich, der die jährlichen steuerlichen Abgaben kommerzieller Radio- und TV-Sender an nicht-kommerzielle (nicht-staatliche) Projekte umverteilt. Doch dass ist politisch auf die Schnelle oft ein schwer umsetzbares Ziel. Zyklische Projektfinanzierung durch Stiftungen, etc. allein, führt in der Praxis ebenfalls zu Diskontinuitäten: kurz vor Ablauf der Projekte versuchen viele MitarbeiterInnen schnell irgendwo anders unterzukommen, wenn das eigene Radio keine Anschlussförderung bekommt. Und Sender allein durch den Verkauf von T-Shirt und die Organisation von Soli-Parties zu erhalten, ist ebenfalls kein tragendes Universalrezept und erfordert einen hohen personellen Aufwand ausserhalb der Sendekabine.
3. Warum also nicht Werbung und Anzeigen?
Das Erstaunliche an der Pro-Kontra-Debatte der Liste darüber, welche Finanzierungsmöglichkeiten nun politisch legitim oder nicht sind, erschienen uns weniger die Argumente der Beteiligten (auch wenn diese durchweg spannend und gut informiert sind) sondern eher die oftmals erhobenen Zeigefinger zwischen den Zeilen. Hier in Brasilien überlässt es AMARC den Community Radios zu entscheiden, wie sie es mit der Werbung halten. Da es ein Anliegen und eine Forderung vieler Radios ist, Werbung senden zu dürfen, um ihren nicht-kommerziellen Sendebetrieb dauerhaft zu gewährleisten, ist es jedoch ein wichtiges Thema bei der Diskussion über eine neue Mediengesetzgebung. Sicherlich gibt es Vorbehalte, was eine drohende Kommerzialisierung der Programmstruktur und -inhalte angeht, aber anstatt die antikapitalistische Keule zu schwingen, hat sich AMARC hier für eine pro-aktive Position entschieden. Die besteht zum Beispiel im Verweis auf die (in Irland) erfolgreiche Beschränkung der Werbefinanzierung eines Radios auf 50% der Gesamteinnahmen, in der Forderung, staatliche Anzeigen nach einem transparenten Schlüssel auf alle Medien zu verteilen (und nicht wie bisher, damit defizitäre „große Medienhäuser“ am Überleben zu halten) und eben auch dem Aufbau öffentlicher Fonds, die einer zu starken Abhängigkeit von Werbeeinnahmen entgegenwirken.
Darin liegt ein Versuch begründet "gemeinsam vor Ort [zu] entwickeln", kritisch aber ohne ideologische Scheuklappen. Die können sich die Radios, wenn sie wollen, ja auch selber überziehen...
Leider werde ich zum jour fix nich in Berlin sein, beteilige mich jedoch gern weiter online an der Debatte, auch gern in puncto konkrete Finanzierungsmodelle.
Beste Grüße,
Nils Brock
On Jan 14, 2013, at 10:41 AM, Radiobridge at aol.com wrote:
>
> Zur Debatte:
> Medienhilfe in "neuen, entstehenden Märkten"
>
> Vor mir liegt ein vorweihnachtlicher Rundbrief der Berliner taz-Aboabteilung mit folgender Bestandsaufnahme:
> "... nun ist sie da, die Medienkrise, und hat den deutschen Zeitungsmarkt voll erwischt. Sie haben davon gehört und gelesen, dass die Printprodukte kaum noch zahlende LeserInnen finden, weil immer mehr Menschen die Online-Angebote umsonst nutzen."
>
> Mit einem Appell zur Unterstützung gibt die unterzeichnende Ines Pohl folgende Erkenntnis preis:
> "Als taz-Chefredakteurin spreche ich sehr oft mit meinen Kollegen und den wenigen Kolleginnen - es sind ja nach wie vor fast ausschliesslich Männer -, die die Geschicke der Zeitungen in ihren Händen halten. Und ich bin zunehmend überrascht, nein, das ist zu vorweihnachtlich versöhnlich. Eigentlich bin ich verärgert, wie unsere Branche die existenzbedrohenden Probleme analysiert.
> Es ist schon bemerkenswert, dass bei Medientagen nicht mehr über die inhaltliche Arbeit der Journalisten diskutiert wird - sondern dass es auch dort vor allem um Erlösmodelle und Bezahlschranken, um Marketing und Vermarktung geht. Dies verdrängt die Frage, warum es Journalismus überhaupt geben muss und was unsere Verantwortung, aber auch unsere Existenzberechtigung ist. Journalistische Inhalte und Konzepte, inklusive die KollegInnen, werden in erster Linie als Kostenverursacher verhandelt. Viel zu wenig sprechen wir darüber, warum die derzeitige Medienkrise so gefährlich ist und warum viel mehr auf dem Spiel steht als das Überleben einzelner Medienhäuser und die Sicherung der Arbeitsplätze."
>
> Für mich ist die Konsequenz aus der Erkenntnis von Ines Pohl, dass die Medienhäuser des Südens nicht die selben Fehler machen sollten wie wir hier, wo sich gelegentlich auch die taz gezwungen sah, sich z.B. an "Schnäppchenmärkten" zu beteiligen: www.radiobridge.net/corner.html#schnaeppchen).
>
> Medienhäuser des Südens brauchen Rat, der sie wegführt von versagenden ökonomischen Strukturen!
>
> Wie kann das gehen?
>
> Um die Debatte weiter zu befördern, habe ich eine eigene Website eingerichtet, auf der mit einem Beispiel gleich zu Beginn geklärt wird, was gelegentlich unter "neuen, entstehenden Märkten" verstanden wird.
>
> Es gibt dort auch einen Link zur Anmeldung bei der FOME-Liste.
>
> Klaus Jürgen Schmidt
> http://www.radiobridge.net/mediendebatteA.html
>
>
> _______________________________________________
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> FoME at listi.jpberlin.de
> https://listi.jpberlin.de/mailman/listinfo/fome
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