[FoME] Pressefreiheit Indonesien: Bombiger Ausverkauf

Anett Keller anett.keller at times-media.de
Mo Jul 12 16:39:57 CEST 2010


taz, 07.07.2010
http://www.taz.de/1/leben/medien/artikel/1/bombiger-ausverkauf/


Pressefreiheit Indonesien
Bombiger Ausverkauf

Nach Enthüllungen über Korruption bei der Polizei verschwindet die
Gesamtauflage des indonesischen Nachrichtenmagazins "Tempo" - und die
Redaktion wird mit Molotowcocktails bombardiert. VON ANETT KELLER

Die Journalisten von Tempo, Indonesiens einflussreichstem
Nachrichtenmagazin, lassen sich nicht so schnell einschüchtern. Nachdem
Unbekannte am Dienstag zwei Molotowcocktails in den Hof des
Verlagsgebäudes warfen, lief der Redaktionsalltag wie gewohnt. "Wir
haben keine Angst", sagte die Redakteurin Purwani Diyah Prabandari der
taz. "Das Feuer wurde schnell gelöscht, und es gab keine Verletzten.
Außerdem sind wir es gewohnt, uns Feinde zu machen."

Erst in der Vorwoche hatte Tempo seinen Ruf als "Speerspitze der
Demokratie" bekräftigt. Mit einer Investigativgeschichte über Korruption
in höchsten Polizeikreisen hatte das Magazin eine publizistische Bombe
platzen lassen. Sechs führende Polizisten fanden ihre Namen in der
Coverstory: "Die fetten Konten der Polizeigeneräle".

Dass das Interesse der Leser an der Story groß sein würde, war gewiss.
Doch nach Erscheinen des Magazins geschah etwas Erstaunliches: Das Heft
war binnen wenigen Stunden vergriffen - landesweit. Vertriebsfirmen
berichteten, dass ihre gesamte Tempo-Lieferung, gedacht zur Weitergabe
an Kioske und Austräger, von zum Teil uniformierten Einzelpersonen
gekauft wurde, die bis zu 30 Prozent über dem Verkaufspreis zahlten. In
Bandung, so Tempo in seiner aktuellen Ausgabe, hätten Polizisten einen
Zeitungsvertrieb aufgefordert, die Adressen aller Kioske preiszugeben,
die er beliefere. Auf Bali habe ein Kiosk Drohanrufe erhalten.

Kein Wunder, dass sich die Leser an die dunklen Jahre der Diktatur in
Indonesien erinnern. Damals konnten Ordnungshüter nach Gutdünken
Medienberichte verhindern. Auch Tempo hat Erfahrungen mit der Zensur
unter Diktator Suharto gemacht: 1994 verboten, operierte es bis zu
Suhartos Sturz 1998 per Internet aus dem Untergrund.

Selbst wenn der jüngste Massenkauf durch Neugier einzelner Polizisten zu
erklären wäre, die ersten offiziellen Reaktionen zeugten nicht von einem
demokratischen Medienverständnis: Das Cover beschmutze den Namen der
Polizei, beschwerte sich der Nationale Polizeichef, General Bambang
Hendarso Danuri. Gleichzeitig drohte die Behörde dem Magazin mit einer
Verleumdungsklage: In einem "Ermahnungsschreiben", das Tempo zwei Tage
nach Erscheinen des umstrittenen Titels vom Polizeihauptquartier in
Jakarta erhielt, hieß es: "Wir sprechen eine ernsthafte Ermahnung an die
Redaktion aus und werden rechtliche Schritte einleiten." Die Polizei
versuche, vom eigentlichen Problem abzulenken, sagt Ignatius Haryanto,
Direktor des Instituts für Presse- und Entwicklungsstudien in Jakarta,
zur taz. "Tempo hat nur seinen Job gemacht und die Öffentlichkeit
informiert. Nun erwarten wir von der Polizei, dass sie gegen die Täter
in den eigenen Reihen ermittelt." Das wäre dringend geboten, stellt sich
in der Praxis aber als schwierig dar. Gerade stufte die Hongkonger
Political & Economic Risk Consultancy Indonesien als korruptestes Land
im asiatisch-pazifischen Raum ein. Und Indonesiens Polizei ist laut
Transparency International die korrupteste Instanz im Staat.

Bei Tempo zeigt man sich gelassen: "Wir haben professionell recherchiert
und uns an geltendes Recht gehalten", sagt Tempo-Chefredakteur Wahyu
Muryadi zur taz. Der Druck, dem sich die Polizei nun ausgesetzt sieht,
wächst: Andere Medien zogen mit Berichten über korrupte Polizisten nach,
eine Facebook-Unterstützergruppe für Tempo zählt bereits tausende
Mitglieder, Intellektuelle und NGO-Vertreter signalisierten öffentlich
Solidarität. Eine Lektion in Sachen Pressefreiheit scheinen die
Ordnungshüter gelernt zu haben. Anstatt vor Gericht treffen sich Polizei
und Tempo am Donnerstag vor dem Presserat, um ihre Standpunkte darzulegen.




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