[FoME] E + Z 12/09: Unabhängiger Journalismus im Senegal
Christoph Dietz
christoph.dietz at CAMECO.ORG
Mi Dez 9 15:04:35 CET 2009
aus: Entwicklung und Zusammenarbeit 12/2009, S. 480-481
download: http://www.inwent.org/ez/articles/163987/index.de.shtml
„Kluge Konditionalität“
Le Quotidien ist eine senegalesische Tageszeitung, die 2003 auf den
Markt gekommen ist und sich seither als eine der führenden
Tageszeitungen Westafrikas etabliert hat. Gründer und Herausgeber
Madiambal Diagne erläuterte Hans Dembowski, was seine Zeitung von
anderen unterscheidet, und welche Rolle die Medien seiner Ansicht nach
für Entwicklung spielen.
[ Interview mit Madiambal Diagne ]
Kann man sagen, dass Le Quotidien die erste Zeitung mit
Qualitätsanspruch im Senegal ist?
Nein, das wäre übertrieben. Aber wir legen Wert auf kompetente
Mitarbeiter. Unsere starken Human Ressources sind sicherlich ein
Wettbewerbsvorteil. Ich will, dass jemand für die
Wirtschaftsberichterstattung verantwortlich ist, der das Fach studiert
hat oder die Praxis kennt. Über Rechtsthemen berichtet jemand, der sich
damit wirklich auskennt. Bildung ist eine wichtige Voraussetzung für
akkurate Berichterstattung. Wir brauchen außergewöhnliche Leute für
unsere Publikationen – Le Quotidien und das wöchentliche Magazin
Weekend. Und da Spitzenqulität ihren Preis hat, zahlen wir
konkurrenzfähige Gehälter.
Ist das der Preis für Unabhängigkeit?
In gewisser Weise ja. Ich brauche Journaᆳlisten, die Themen beurteilen
können, und ich will nicht, dass sie versucht sind, irgendwelchen
anderen Interessen zu dienen. Egal, wen Sie im Senegal fragen, man wird
Ihnen sagen, dass wir die Dinge so darstellen, wie sie sind. Wir haben
uns diesen Ruf durch professionelle journaᆳlistische Prinzipien
erarbeitet, durch Ethik, Faktenrecherche und Einbeziehung aller
relevanten Quellen. Unsere Gehaltsstruktur muss für Mitarbeiter
attraktiv sein, die auch andere gut bezahlte Arbeit machen könnten –
nicht nur als Journalisten.
Sie folgen also keiner parteipolitischen Ideologie?
(Lacht.) In meinen Zeitungen lese ich manchmal Meinungen, die ich nicht
teile, und so muss es auch sein. Wichtig ist, dass sich Journalisten
ihre Meinung auf der Basis einer ausführlichen Recherche bilden. So
können wir unsere Leser davon überzeugen, dass wir unser Bestes tun,
um zu verstehen, was vor sich geht.
Aber gibt es keinen Druck von Anzeigenkunden? In Deutschland stammt
grob geschätzt ein Drittel der Erlöse einer Zeitung aus dem Verkauf und
zwei Drittel aus dem Anzeigenverkauf.
Bei uns ist das Verhältnis umgekehrt. 60 Prozent der Einnahmen bringt
der Verkauf und nur 40 Prozent kommen über Anzeigen. Wenn wir uns dem
Druck der Anzeigenkunden beugen würden, könnten wir wahrscheinlich mehr
Werbung platzieren. Die Regierung und Firmen des öffentlichen Sektors
inserieren bisher nicht bei uns, weil ihnen unsere Unabhängigkeit nicht
passt. Aber wenn wir dem Druck nachgeben würden, würde die Auflage
zurückgehen. Das Verhältnis zu unseren Lesern ist die langfristige
Basis unseres Geschäfts und daher wichtiger als die Maximierung der
Anzeigeneinnahmen.
Haben Sie genug Anzeigen?
Nun ja, wir müssen kreativ sein. Wir haben im Senegal Kleinanzeigen
eingeführt, was Einnahmen schafft. Das Ganze ist nicht einfach,
insbesondere angesichts der schwachen Konjunktur wegen der globalen
Finanzkrise. Wir müssen nach neuen Möglichkeiten suchen. Wenn ein
Produkt nicht profitabel ist, können wir es uns nicht leisten, daran
festzuhalten. Daher haben wir auch vor kurzem beschließen müssen, unser
UKW-Radioprogramm einzustellen.
Was ist mit Le Quotidiens Internetseite, lohnt die sich finanziell?
Sie bringt keine großen Einnahmen, obwohl wir ein paar Anzeigen haben.
Dennoch ist sie nützlich, etwa, um Leser außerhalb des Landes zu
erreichen. Zudem ist sie nicht sehr teuer, da wir Inhalte nutzen, die
wir sowieso für die Zeitung produzieren. Es geht also nur um die Kosten
für die Einstellung ins Internet. Die Internetseite exisᆳtiert seit
Gründung der Zeitung 2003.
Denken Sie strategisch über den Senegal hinaus? Ist das frankophone
Afrika ihr potentieller Markt?
Gute Frage. Wir denken tatsächlich über Ausgaben des Quotidien in Mali
und der Elfenbeinküste nach. Wir verhandeln mit Verlegern dort und ich
denke, es könnte funktionieren.
Im Gegensatz zum Senegal oder Mali ist die Elfenbeinküste politisch
fragil. Macht das soliden Journalismus nicht unmöglich? In
Konfliktsituationen kann es doch schwierig werden, Quellen auf allen
Seiten zu kontaktieren.
Ich kenne das Land ziemlich gut. Ich bin sicher, dass wir dort arbeiten
könnten. Und L’Olymp, das Unternehmen, mit dem wir über das Joint
Venture verhandeln, ist dort sehr erfolgreich.
Haben die Medien in Ländern, die von Gewalt oder gar Bürgerkrieg
geplagt sind, eine besondere Verantwortung?
Gute Berichterstattung kann – und sollte – dazu beitragen, gewaltfreie
Lösungen zu finden. Die Medien müssen erklären, wo die Probleme liegen,
und welche Interessen die verschiedenen Parteien verfolgen. Wird das
verantwortungsvoll getan, kann es helfen, Kompromisse oder gar einen
Konsens zu finden. Ja, ich denke, die Medien sind relevant für das
Selbstverständnis einer Nation und ihre politische Kultur. Stellen Sie
sich Frankreich vor ohne Le Figaro, Le Monde und La Libération. Es wäre
nicht das gleiche Land.
Aber verstärken die Medien nicht Konflikte, wenn sie Stimmungen
anheizen?
Ja, das Risiko besteht. Über Missstände zu berichten, ist eine
Möglichkeit, Leser zu gewinnen. Und Medien müssen sich für Dinge
interessieren, die nicht gut laufen. Sie sind Wachhunde, es ist ihr Job,
die Unzufriedenheit der Öffentlichkeit auszudrücken. Aber das alles muss
verantwortungsbewusst geschehen, die Optionen sollten abgewogen werden,
sonst können die Medien sehr destruktiv wirken.
In vielen Ländern sind die Zeitungen in der Krise. Sogar die USA
diskutieren über Subventionen für die Presse. Was sagen Sie dazu?
Die Sarkozy-Regierung in Frankreich erwägt, jungen Leuten in der
Oberschule ein Gratisabonnement der Zeitung ihrer Wahl anzubieten, damit
sie sich angewöhnen, diese Informationsquelle zu nutzen. Das ist eine
gute Idee, gerade auch, weil sie Zeitungen, die nicht auf
Regierungslinie liegen, nicht benachteiligt. Das ist sinnvoll. Westliche
Regierungen haben viel Geld ausgegeben, um Banken und der Autoindustrie
aus der Patsche zu helfen. Es gibt keinen Grund, warum sie nicht auch
das Überleben der freien Medien sichern sollten. Dies ist nicht
irgendeinen Wirtschaftzweig. Unsere Branche ist für demokratische
Politik und die nationale Kultur von Bedeutung. Bei Zeitungen geht es
nie nur um Profitmaximierung.
Sollten die Geber Zeitungen in Entwicklungsländern unterstützen?
Ja, und dafür gibt es viele Möglichkeiten. Sie können uns etwa bei der
Aus- und Fortbildung helfen, auch für Manager von Medienfirmen. Zudem
können sie uns technisch unterstützen, etwa indem sie Kontakte mit
Verlegern in ihrem Land herstellen, die uns ihre alten Rechner geben,
die wir noch gebrauchen können. Aber am wichtigsten wäre, dass die Geber
darauf bestehen, dass die Empfängerregierungen unabhängigen und
kritischen Journalismus zulassen. So könnten sie leicht herausfinden, ob
ein Präsident wirklich, wie versprochen, ein Krankenhaus finanziert oder
stattdessen ein Flugzeug für seine eigenen Bedürfnisse kauft. Demokratie
braucht Öffentlichkeit, die groß genug ist, um die Regierung zu
überwachen.
Aber wäre das nicht eine Art von neo-kolonialem Imperialismus, wenn
Geberregierungen sich in innenpolitische Fragen einmischen?
Entwicklungshilfe und internationale Zusammenarbeit generell sind immer
an Bedingungen geknüpft. Wichtig ist, dass diese Bedingungen zu einer
besseren Zukunft führen. Es ist sinnlos, Konditionalität per se zu
bekämpfen. Wenn die Geberregierungen wirklich an Good Governance in
Afrika interessiert sind, dann sind unabhängige Medien ihre natürlichen
Verbündeten. Es wäre daher eine kluge Konditionalität, sie zu
unterstützen, und das würde auch der betroffenen Gesellschaft zugute
kommen. Man darf das Thema nicht unterschätzen: Die Presse ist in Afrika
wirklich noch ziemlich schwach.
Inwiefern?
Zunächst kämpfen wir immer noch mit Analphabetismus, viele Menschen
können gar keine Zeitung lesen. Zweitens ist der Vertrieb schwierig.
Wir drucken in den großen Städten, aber es ist mühsam, das Produkt in
die kleineren Städte zu bekommen – vom ländlichen Raum ganz abgesehen.
Laster und Züge sind langsam, es gibt keine Fluglinien. An vielen Orten
im Senegal hätten Sie großes Glück, den heutigen Quotidien abends zu
erhalten, oft bekommt man ihn erst am nächsten Morgen. All das führt zu
einer begrenzten Verbreitung und einer schwachen ökonomischen Basis.
Niedrige Umsätze aber machen es schwer, Spitzenleute zu bekommen.
Aber sind die Zeitungen in den letzten Jahren nicht stark gewachsen?
Afrika hat einen ökonomischen Auftrieb erlebt, was man immer noch an den
vielen Baustellen überall in Dakar sehen kann. Auch die
Alphabetisierungsrate ist gestiegen. Ich habe gehört, dass so etwas wie
der Quotidien vor 20 oder sogar noch vor 15 Jahren undenkbar gewesen
wäre.
Ja, die Zeitungsbranche ist gewachsen und wir sind stärker geworden.
Aber man darf nicht vergessen, dass wir auf sehr niedrigem Niveau
begonnen haben. Unser Land entwickelt sich und da tut auch unsere
Branche. Und je besser unsere Branche sich entwickelt, desto besser kann
sich das Land entwickeln. Das ist ein sich selbst verstärkender
positiver Kreislauf.
Könnte nicht das Radio die Aufgaben der Presse übernehmen?
Radio ist sicher wichtig. Aber Zeitungen liefern tiefgehende
Informationen. Gibt es beispielsweise einen offiziellen Bericht zu einem
Regierungsskandal, würden wir ihn abdrucken, damit die Leute ihn lesen
können. Diese Art der Information ist stärker als jede
Radiodiskussion es je sein kann.
Madiambal Diagne ist der Gründer von Le Quotidien und Geschäftsführer
seines Verlags, der Groupe Avenir Communications, in Dakar.
www.lequotidien.sn
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