[FoME] Arabisches Ramadan-Fernsehen

Christoph Dietz christoph.dietz at CAMECO.ORG
Fr Okt 17 09:54:06 CEST 2008


17. Oktober 2008
Neue Zürcher Zeitung

«Frevelhafte Programme»
Arabisches Ramadan-Fernsehen testet gesellschaftliche Schranken
Von Usahma Felix Darrah 

Auch die Araber finden Gefallen an Fernsehserien, die einen modernen
Lebensstil inszenieren. Sie laufen mit Erfolg selbst während der
Fastenzeit. Das erzürnt die Sittenwächter.

Während des islamischen Fastenmonats Ramadan, der kürzlich endete, galt
im arabischen Raum dem Fernsehen besondere Aufmerksamkeit, da in dieser
Zeit arabische Fernsehsender mit speziell zugeschnittenen Programmen
enorme Zuschauerquoten erzielen. Aus Rücksicht auf den Fastenmonat
behandelt zwar das Gros der Sendungen religiöse oder traditionelle
Themen, doch widmet sich die Masse der Zuschauer offenbar lieber
weltlicher Unterhaltung. Das Ramadan-Fernsehen ist heuer ein stark
umkämpftes Terrain. 

Der Zorn eines prominenten Klerikers
Zu Beginn dieses Ramadans waren viele Araber schockiert, als ein
prominenter Kleriker in Saudiarabien erklärte, angesichts der
«frevelhaften» Sendungen mancher Satellitenkanäle sei es zulässig,
die Eigentümer der TV-Netzwerke zu töten. Der Kommentar des Vorsitzenden
der höchsten Justizbehörde Saudiarabiens, Scheich Saleh al-Luhaidan, war
der vorläufige Gipfel einer anhaltenden Kontroverse über das arabische
Ramadan-Fernsehen. Al-Luhaidan verurteilte besonders die populäre
Seifenoper «Noor» als «voller moralischer Abgründe und als Krieg gegen
die Tugend» und untersagte Muslimen, die Serie anzuschauen. Indem deren
muslimische Figuren verliebt Wein trinken, sich vorehelich lieben und
eine Hauptfigur eine Abtreibung vornehmen lässt, verletzt die Sendung
religiöse Tabus. Obendrein behandelt die männliche Hauptfigur, in der
arabischen Version Muhannad genannt, seine Frau Noor als
gleichberechtigte Partnerin und unterstützt ihre Karriere als
Modedesignerin. Hardliner aus der gesamten arabischen Welt verwünschten
die Sendung heftig. Dessen ungeachtet scheint «Noor» das erfolgreichste
TV-Drama zu sein, das jemals in der arabischen Welt ausgestrahlt wurde.
Nach Angaben der Middle East Broadcasting Corporation wurde das Finale
von über 85 Millionen Personen verfolgt. Hierbei sollen etwa 51
Millionen Frauen im Alter von über 15 Jahren zugesehen haben, mehr als
die Hälfte aller erwachsenen Frauen in der arabischen Welt. Der
attraktive Protagonist wurde zum Frauenschwarm, und der respektvolle
Umgang mit seiner Frau verursachte nach Zeitungsmeldungen in mehreren
Ländern erheblichen Ehestreit und sogar Scheidungen. Als türkische
Produktion floppte «Noor» erst im Ursprungsland und wurde dann für ein
arabisches Publikum mit syrischem Dialektarabisch synchronisiert, was
eher selten in einer Medienlandschaft vorkommt, in der Fernsehimporte
entweder auf Hocharabisch oder mit Untertiteln gesendet werden. «Die
normale Umgangssprache machte die Show viel lebendiger», sagt Ramez
Maluf, Professor für Kommunikation an der Libanesisch-Amerikanischen
Universität. «Viele Zuschauer waren davon wie gefesselt, manche
empfanden dies als bedrohlich.» 
Gewissermassen spiegelt der gegenwärtige Streit eine kulturelle Lücke
zwischen Produzenten und Konsumenten des Ramadan-Fernsehens wider.
Während die meisten arabischen TV-Dramen in Syrien und Ägypten
produziert werden, ist der grösste arabische Markt – Saudiarabien –
religiös und kulturell weitaus konservativer. Sendungen, welche Grenzen
in Bezug auf Sex und Geschlechterrollen testen, «setzen kulturell
isolierte Menschen schneller der Modernität aus, als es ihnen recht
ist», sagt Maluf. 
Doch die Kontroverse über Musalsalat, wie die Seifenopern genannt
werden, zeigt auch, wie beunruhigt arabische Behörden sind angesichts
der gewaltigen Reichweite der Serien und angesichts von deren Potenzial,
Traditionen zu hinterfragen. Die gesteigerte Aufmerksamkeit während des
Fastenmonats verleiht dem Ramadan-Fernsehen Explosivität. Dieses Jahr
wurden vier für den Ramadan vorgesehene Hauptserien kurzfristig
abgesetzt, nicht aber aus Gründen der Sittlichkeit. Zwei Geschichtsfilme
über Beduinen wurden gestrichen, weil sie offenbar die Befindlichkeiten
von saudiarabischen Stammesführern verletzten. Zwei
gesellschaftskritische Produktionen wurden aufgrund ihrer negativen
Darstellung von Mitgliedern der syrischen Regierung verboten.

Wildwuchs auf dem Fernsehmarkt
Schon lange versuchen arabische Regierungen, den Wildwuchs im
Fernsehmarkt zu kontrollieren. Im Februar dieses Jahres unterzeichneten
alle arabischen Staaten ausser Katar und Libanon ein Abkommen, um
Restriktionen gegen jene Satellitenkanäle zu verhängen, die in den
letzten zehn Jahren am meisten für die Entwicklung der Pressefreiheit
getan haben. «Man kann die Zuschauer nicht mehr einfach zurück in die
Kiste sperren, und die Behörden finden das beängstigend», sagt ein
arabischer Fernsehdirektor, der anonym bleiben wollte. «Es wächst eine
Generation auf, die kritische Sendungen schaut und dies sehr gern tut.
Sie identifiziert sich mit den Figuren und möchte auch so sein wie sie.»
 Auch der scharfe Kommentar von Scheich al-Luhaidan zum
Ramadan-Fernsehen zog eine rasche Reaktion nach sich. Stimmen des
gesamten ideologischen Spektrums, einschliesslich saudischer Hardliner,
fanden, er sei zu weit gegangen. Einige der von al-Luhaidan
angegriffenen Fernsehsender befinden sich schliesslich im Besitz von
Mitgliedern der saudischen Königsfamilie. Nach wenigen Tagen erklärte
der Scheich im staatlichen Fernsehen, er habe nicht zum Mord an
Fernsehunternehmern aufrufen wollen. Vielmehr sollten diese vor Gericht
gebracht, zum Tode verurteilt und anschliessend exekutiert werden. 

Der Autor unterrichtet an der Arab International University in
Damaskus.



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