[FoME] Konstruktive Konfliktberichterstattung - Besprechung
Martin Zint
m.zint at zintweb.de
Di Jan 23 16:09:56 CET 2007
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
zu dem gerade von Christoph Dietz angekündigten Buch habe ich eine
Besprechung geschrieben.
Hier ist sie:
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Die in Buchform veröffentlichte Dissertation von Burkhard Bläsi befasst
sich mit der Frage, inwieweit sich Modelle konstruktiver
Konfliktberichterstattung mit der Wirklichkeit deutschsprachiger
Nachrichtenmedien vereinbaren lassen.
Aus einer konstruktivistischen Perspektive setzt sich der Autor mit der
Rolle von Medien in internationalen Konflikten auseinander, um dann auf
der Grundlage eigener empirischer Befunde und der Analyse vorliegender
Literatur ein Modell der Einflussfaktoren auf die
Konfliktberichterstattung zu entwickeln. Die Einflussgrößen werden zu
sechs Faktoren zusammengefasst und daraufhin untersucht, inwieweit sie
Hindernisse für eine konstruktive Konfliktberichterstattung darstellen
und welche Strategien geeignet sein könnten, diese Hindernisse zu
überwinden. Abschließend werden die Befunde in Bezug auf
unterschiedliche Konfliktphasen differenziert und es werden notwendige
Maßnahmen für eine breitere Anwendung solcher friedensjournalistischer
Konzepte beschrieben.
Der Autor nutzt die Methode der grounded theory. Ziel dieses
sozialwissenschaftlichen Verfahrens ist es realitätsnahe Theorien zu
entwickeln und diese für die Praxis anwendbar zu machen. Dazu wird hier
der Produktionsprozess von Konfliktberichterstattung einer planvollen
Untersuchung unterzogen.
Journalistische Arbeit unterliegt zahlreichen Einflüssen. In der
Literatur wird dabei zwischen akteursbedingten und systembedingten
Faktoren unterschieden. Diese werden oft als gegensätzlich verstanden.
Hier werden diese Faktoren als komplementär betrachtet. Auch innerhalb
struktureller Vorgaben gibt es individuelle Freiräume und Verantwortung.
Deshalb steht hier die Person des Journalisten im Mittelpunkt und die
Frage, wie er diese Freiräume für eine konstruktive
Konfliktberichterstattung nutzen kann.
Die Datenerhebung erfolgte durch Interviews. Zwischen 1996 und 2003
entstanden 30 Interviews und fünf schriftliche Befragungen
deutschsprachiger Journalisten, die Erfahrungen in der Krisen- und
Konfliktberichterstattung haben. Sie repräsentieren ein breites Spektrum
der deutschen Medienlandschaft, von FAZ bis taz, von ARD bis n-tv. Über
die Analyse der Interviews wird versucht, individuellen Merkmalen von
Konfliktberichterstattern auf die Spur zu kommen. Ihr Verständnis der
eigenen Rolle, ihr Verhältnis zu den Themen Objektivität, Neutralität,
Parteilichkeit und anderes wird bestimmt. Und es wird erhoben, ob sie
mit ihrer Arbeit ein bestimmtes Anliegen verfolgen. Die Befunde werden
dann im Hinblick auf konstruktive Konfliktberichterstattung diskutiert.
Das ergibt Hinweise auf die Probleme einer konstruktiven
Konfliktberichterstattung die im journalistischen Rollenverständnis
begründet sind.
Leider erfährt der Leser nur Häppchenweise in kurzen Zitaten, was die
Befragten sagen als Beleg für einzelne Befunde. Ein Anhang mit etwas
umfangreicheren Passagen der Interviews wäre sicher eine interessante
Lektüre, nicht nur wegen der Prominenz einzelner Gesprächspartner,
darunter Renate Flottau (Spiegel), Sonia Mikich und Christoph Maria
Fröhder (beide ARD). Das würde dann auch dem Leser eine genauere
Differenzierung erlauben, als die vom Autor vorgenommene Klassifizierung
in Journalisten „mit (explizitem) Anliegen und solche „ohne (explizites)
Anliegen“.
Neu ist das Modell der „Klimazonen“, das der Autor einführt um die
Einflussfaktoren auf Journalisten zu verdeutlichen und zu
kategorisieren. Die Faktoren „Menge politischer Aktivitäten, Menge an
Berichterstattung und die Art des politische Diskurses (emotional,
polarisiert, sachorientiert, rational) werden in Beziehung gesetzt zur
Wahrscheinlichkeit negativer Konsequenzen für Abweichler. In Klimazone I
ist der politische Diskurs zu einem bestimmten Thema hoch emotional und
polarisiert, es gibt ein enormes Maß an politischen Aktivitäten und an
Berichterstattung. In diesem Klima ist die Wahrscheinlichkeit negativer
Sanktionen für abweichendes Verhalten sehr hoch. In Klimazone VII wird
zu einem Thema im politischen Raum mäßig agiert, es gibt so gut wie
keine Berichterstattung und auch keinen politischen Diskurs. Dann müssen
Journalisten nach diesem Modell keine Sanktionen für abweichendes
Verhalten fürchten. Irgendwo dazwischen öffnen sich die Fenster des
individuellen Handelns. Die Klimazonen folgen klassischen
Eskalationsschemata aus der Konfliktforschung und entsprechen dem auch
in den festgestellten Sanktionen, die als Marginalisierung beschrieben
werden. Durch Diffamierung kann sie bis zur totalen Ausgrenzung führen.
Besonders spannend wird es, wenn der Autor Gegenstrategien entwirft.
Dabei wird unterschieden zwischen „Coping Strategien“, also der Umgang
mit nicht veränderbaren Rahmenbedingungen, oder „Changing Strategies„,
die auf Veränderung intervenierender Rahmenbedingungen zielen. Dazu
werden die relevanten Akteure identifiziert (Change Agents). Als solche
werden neben den Journalisten auch Verleger, Ausbildungsinstitutionen,
Rezipienten und relevante gesellschaftliche Gruppen benannt.
Beispielsweise kann das Problem des Zeit- und Platzmangels von den
Verantwortlichen durch mehr Sendezeit oder Druckseiten gelöst werden
(Changing). Wo das nicht geht, sind kreative Strategien gefragt, um
Interesse zu wecken und Darstellungsraum zu gewinnen („Coping“).
Die journalistischen Auswahl- und Verarbeitungsprozesse können auf
Deeskalation und kreative Konfliktbearbeitung ausgerichtet werden, z.B.
durch Neubestimmung von Nachrichtenfaktoren (changing). Oder die
klassischen Nachrichtenfaktoren werden für konstruktive
Konfliktberichterstattung instrumentalisiert (coping). Damit kommt man
allerdings in bedenkliche Nähe zur PR, die sich genau dieser Methode
bedient.
Ausbildungsstätten sollten ihre Curricula auf die spezielle Kompetenz
der Konfliktberichterstattung ausrichten. Niemand käme auf die Idee,
jemanden von einem Baseballspiel berichten zu lassen, der die
Spielregeln nicht kennt. Mit diesem Beispiel verdeutlicht der Autor wie
wichtig es für eine konstruktive Konfliktberichterstattung ist,
Grundlagen der Konfliktforschung zu beherrschen. Außerdem zeigt er auf,
welches sozialpsychologische Grundlagenwissen, z.B. zur Kommunikation in
Konflikten, für Journalisten bedeutsam ist.
Rezipienten haben Einfluss auf die Gestaltung des „Klimas“. Das oft
unterschätzte Medium „Leserbrief“ spielt dabei eine große Rolle.
Positive Rückmeldungen zählen zu den wichtigen immateriellen Anreizen,
die eine konstruktive Konfliktberichterstattung attraktiver machen
können, genau wie attraktive Recherchereisen oder spezifische
friedensjournalistische Preise und Auszeichnungen.
Detailliert ist im Anhang das methodische Vorgehen dokumentiert. Dabei
werden die Probleme des gewählten Vorgehens nicht ausgespart. Besonders
relevant scheint mir dabei das Wissen um die soziale Erwünschtheit von
Antworten in solchen Interviews. Es wäre ausgesprochen interessant zu
erfahren, ob sich das in den Interviews offenbarte Reflexionsniveau der
Journalisten in ihren Publikationen spiegelt. Dass es einen erheblichen
Widerspruch zwischen den Angaben von Journalisten über die Wirkung von
PR und der Realität gibt, hat etwa zeitgleich eine Studie der Uni
Leipzig aufgedeckt.
Die vorliegende Studie gibt auf unterschiedlichen Ebenen wertvolle
Hinweise aus sozialpsychologischer Sicht, wie konfliktsensitiver
Journalismus gefördert werden kann. Umfangreiche Tabellen, die sich die
Leser allerdings weitgehend selber erarbeiten müssen, bieten ein gutes
Handwerkzeug für alle, die Interesse an konstruktiver
Konfliktberichterstattung haben und die mehr Zeit investieren möchten.
Dass sie damit allerdings Geld verdienen können, das bleibt auch nach
dieser Studie eine ferne Hoffnung.
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Keine Zeit, kein Geld, kein Interesse …?
Konstruktive Konfliktberichterstattung zwischen Anspruch und medialer
Wirklichkeit.
„Friedens- und Demokratiepsychologie“, Band 3
Burkhard Bläsi, 325 Seiten, verlag irena regener Berlin, 2006,
ISBN 3-936014-07-8
Martin Zint, Alleestrasse 37, D 64367 Mühltal, 0049 6154 53302,
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