[FoME] "Gute Medien - böser Krieg?

Martin Zint m.zint at zintweb.de
Mi Jul 19 16:06:12 CEST 2006


23. Internationale Sommerakademie des Österreichischen Studienzentrum
für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK), Burg Schlaining vom 9. bis 14.
Juli 2006.

 

„Gute Medien – böser Krieg? Medien am schmalen Grat zwischen
Cheerleadern des Militärs und Friedensjournalismus.

 

„Wie wird die Welt regiert und in den Krieg geführt? Diplomaten belügen
Journalisten und glauben es, wenn sie es lesen“ (Karl Kraus). Diese
Kostprobe des „Wiener Schmäh“ in der Einladung zur 23. Internationalen
Sommerakademie des österreichischen Studienzentrum für Frieden und
Konfliktlösung, Burg Schlaining, gab den Ton an.

 

Über 300 Besucher der Sommerakademie stellen einen Besucherrekord dar.
Wissenschaftler, Journalisten, und Interessierte aus vielen Bereichen
des gesellschaftlichen Lebens bildeten ein sehr qualifiziertes Publikum.
Sie diskutieren kontrovers, humorvoll und manchmal auch aggressiv.

 

Seine Sprache sei völlig unangemessen musste sich Thomas Seifert, als
Reporter für das Magazin News u.a. im Irak tätig, nach seinem Vortrag
sagen lassen. In launiger Sprache hatte er einen sehr offenen Einblick
in die Arbeitsbedingungen und die persönlichen Verarbeitungsstrategien
eines Journalisten im Bagdad der Kriegstage gegeben. Dazu gehöre eben
eine Sprache, wie sie auch bei Chirurgen zu beobachten sei wenn sie über
ihre Arbeit reden, erwiderte Seifert.

 

Die entscheidende Frage lautet, so Thomas Seifert, wo recherchiere ich?
Beim UN-Sicherheitsrat? Oder nehme ich die Einladung auf einen
US-Flugzeugträger an? Dass die Entscheidung für den Flugzeugträger
falle, sei den Erwartungen der Rezipienten geschuldet, so Seifert. Die
seien „Storyfixiert“, wollten Geschichten hören.

 

Die Hauptverantwortung für die Berichterstattung liegt beim Journalisten
und den Medien hielt Andreas Zumach, UN-Korrespondent der taz, dagegen.
Und stellte die Frage, warum die ARD neun Hörfunkkorrespondenten in
Washington beschäftigt. Einige davon könnten doch auch flexibel an
aktuellen Brennpunkten eingesetzt werden. In Teheran, z.B., herrsche
derzeit ein klarer Mangel an deutschsprachigen Korrespondenten. Das sei
es nicht allein, ergänzte der Nahost-Korrespondent des ZDF, Ulrich
Tilgner. „Wenn ein Flugzeug abstürzt, fliegt mein Bericht aus Teheran
aus dem Programm“.

 

Der Berliner Korrespondent von Al Jazeera, Aktham Suliman, erinnerte
daran, dass sein Sender nach seiner Gründung 1995 bis zum 11.9.01 als
Hoffnungsträger galt. Viele Kollegen kamen von der BBC, er selber von
der Deutschen Welle. Seit dem 11.9.01 sind wir Beschuldigte. „Ihr sendet
Bin Laden Videos“ werfen mir Kollegen vor, um dann zu fragen: „Können
wir das Band haben? Was kostet die Minute?“

 

Unter der Überschrift „Friedensjournalismus als Beitrag zur
Gewaltprävention?“ entwickelte Nadine Bilke, Medienwissenschaftlerin und
Online-Redakteurin beim ZDF, Perspektiven einer konfliktsensitiven
Berichterstattung. Die schillernde Bandbreite des Begriffes
„Friedensjournalismus“ war in den Debatten bereits deutlich geworden.
Nadine Bilke buchstabierte ihn als einen werteorientierten
Qualitätsjournalismus. Sie wies darauf hin, dass Aktualität nicht allein
eine Frage der Reaktionszeit sei, sondern der Begriff „Aktualität“ auch
eine inhaltliche Dimension habe: welche Themen sind aktuell? Dazu dürfen
Journalisten Vorschläge machen, fügte Andreas Zumach hinzu. Sie tragen
Verantwortung dafür, dass bestimmte Themen Eingang in den
gesellschaftlichen Diskurs finden. Dazu sei in manchen Fällen eine
Medienveröffentlichung nötig, auf die sich Politiker in ihrer
Argumentation beziehen können.

 

Auch die Rezipienten sollten ihren Einfluss nutzen. Er rufe manchmal 8-9
mal die Hotline eines Senders unter verschiedenen Namen an, um sich zu
beschweren, sagte Omar Al-Rawi (Initiative muslimischer Österreicher).
Sobald eine kritische Menge solcher Beschwerden vorliege, befassen sich
die Redaktionen und ggf. vorgesetzte Gremien mit dem Thema, ist seine
Erfahrung.

 

Jürgen Rose, Oberstleutnant und Publizist, schilderte sehr faktenreich
die Versuche des US-Militärs, Medien als „Kampfkraftverstärker“
einzusetzen. Den weitgehenden Verpflichtungen, die „embedded
journalists“ eingehen, steht nur ein sehr begrenzter Erkenntnisgewinn
entgegen. 700 „embedded journalists“ haben nur ca. 50 Berichte von
Kampfhandlungen geliefert.

 

Nicht eingebettete Journalisten gehen im Zeitalter des „embedded“ ein
besonders hohes Risiko ein. Zivile Fahrzeuge im Umfeld von
Kampfhandlungen gelten rasch als feindlich und werden beschossen.
Siegesmund von Ilsemann, Redakteur beim Spiegel, wies darauf hin, dass
so ein hoher Druck auf die Verantwortlichen für die
Kriegsberichterstattung entsteht, ihre Korrespondenten einbetten zu
lassen. Auch wenn sie das unter journalistischen Gesichtspunkten
ablehnen.

 

Mehrfach wurde auf die Bedeutung von Weblogs hingewiesen. Sie sind eine
alternative Form der Informationsübermittlung, die gleichzeitig sehr
authentisch, aber auch fälschungsanfällig ist.

 

Auch am Schluss der 23. Sommerakademie stand wieder ein Aphorismus,
diesmal eines deutschen Autors: „Es ist fast unmöglich, die Fackel der
Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu
sengen“, Georg Christoph Lichtenberg.

 

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Anstelle eines Abschlussstatement bei der Podiumsdiskussion ’„Kampf der
Kulturen“ – medial inszeniert oder Realität?’ erzählte von Omar Al-Rawi
(Initiative muslimischer Österreicher) den folgenden Witz:

 

George W. Bush hatte die Koalition der Willigen eingeladen, um die
Fortführung des Kampfes gegen den Terror zu beraten. Am Ende des
Treffens treten George W. Bush und Tony Blair vor die Presse. George W.
Bush berichtet, man habe weitreichende Maßnahmen beschlossen, zu denen
er aber zu diesem Zeitpunkt keine Einzelheiten bekannt geben könne. Nur
so viel: die Aktionen werden Opfer fordern. Ca. vier Millionen Muslime
werden ums Leben kommen und ein Zahnarzt. Unter den Journalisten
entsteht großer Tumult. „Warum ein Zahnarzt?“ „Wo lebt er?“ „Wie heißt
er?“ Tony Blair beugt sich zum amerikanischen Präsidenten und sagt:
„Hab’ ich es nicht gleich gesagt? Nach den Muslimen fragt kein Schwein!“

 

© Martin Zint, m.zint at zintweb.de, 07/2006

 

Martin Zint, Alleestrasse 37, D 64367 Mühltal, 0049 6154 53302

 

 
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