[fessenheim-fr] Ein guter Artikel von Franz Alt
Redaktion Umwelt RDL
umwelt at rdl.de
Mi Okt 28 20:30:28 CET 2020
Hallo Leute!
Hier ein guter aktueller Artikel von
Franz Alt (den all jene mal lesen
solte, die meinen, Platzbesetzungen
und Blockaden seien Gewalt) - s.u.
Ciao
Klaus Schramm
Als der Protest über die Politik siegte
Von Franz Alt
Datum: 28.10.2020
Wyhl, Wackersdorf, Gorleben. Drei Atom-Großprojekte, die Milliarden
Steuergelder verschlangen, ohne je fertiggebaut zu werden – der
Anti-Atomkraft-Bewegung sei Dank. Unser Autor gehörte damals noch nicht
dazu, er ist erst 1986 nach dem Super-GAU von Tschernobyl aufgewacht.
Schon 1973 wurde des Atomkraftwerk Wyhl am Kaiserstuhl geplant. Die
"Kraftwerks Union" wollte zwei Druckwasser-Reaktoren mit einer Leistung
von 1.200 und 1.300 Megawatt bauen. Kurz nach der Ankündigung begannen
27 Bürgerinnen und Bürger aus Wyhl gegen den Bau zu protestieren. Bald
darauf gründeten sich in der Umgebung bei Freiburg und im angrenzenden
Elsass Anti-AKW-Initiativen. Ihre ersten Gründe für die Ablehnung: Das
Kühlwasser des AKW könne den Rhein aufheizen und sein biologisches
Gleichgewicht gefährden. Vor allem aber sollte das Rheintal kein
"zweites Ruhrgebiet" werden. 1974 erhoben bereits 89.000 Menschen
Einwendungen gegen die Atom-Pläne. Der damalige CDU-Ministerpräsident
Hans Filbinger schwadronierte: "Ohne Wyhl gehen noch in diesem Jahrzehnt
in Baden-Württemberg die Lichter aus". Ich lebe schon immer im Ländle
und kann versichern, dass mir hier noch immer ein Licht aufgegangen ist.
Ähnlich sah das Problem Filbingers Nachfolger Lothar Späth, der mir in
einem Interview in "Report Baden-Baden" sagte: "Wir brauchen Wyhl gar
nicht". Er hatte klugerweise von der Protest-Bewegung gelernt. Also
wurde der Bauplan erst auf 1993 verschoben, danach auf das Jahr 2000 und
acht Jahre nach Tschernobyl ganz begraben.
"Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv"
Damit ist das AKW Wyhl das erste geplante Atomkraftwerk, das in
Deutschland von der Anti-AKW-Bewegung verhindert wurde. Deren Motto
hieß: "Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv". Der Erfolg der
Bewegung bestand vor allem in ihrer Überparteilichkeit. Darin vereint
waren die Landbevölkerung, Studenten aus Freiburg, der lokale Klerus,
Landwirte, Künstler und Akademiker. Der Prostest war total friedlich.
Hingegen kam es beim Kampf gegen die Errichtung des AKW Brokdorf zu
bürgerkriegsähnlichen Schlachten zwischen Polizei und Demonstranten.
Im Jahr 1977 war unter der SPD-Bundesregierung von Helmut Schmidt und
der CDU-Landesregierung von Ernst Albrecht in Niedersachsen die
Standort-Entscheidung für das atomare Endlager-Projekt Gorleben
gefallen. Gegen dieses atomare Entsorgungslager wurde damals nicht nur
im Wendland Protest laut. Die "Grüne Liste Umweltschutz" errang bei der
Landtagswahl 1978 als Vorläufer der Grünen Partei 3,9 Prozent der
Stimmen. Kurz zuvor war ich mit Ernst Albrecht zu einem
Fernseh-Interview in seinem Privathaus verabredet. Er kam eine Stunde zu
spät, stieg kreidebleich und verstört aus dem Hubschrauber, aus dem er
zuvor 100.000 Demonstranten beobachtet hatte. Fix und fertig sagte er in
die Kamera: "Mir wurde jetzt klar, dass ich schießen lassen muss, wenn
ich an den Endlagerplänen festhalte. Aber als Christ kann ich das nicht
verantworten." Im März 1979 verkündete dann Albrecht, dass "zu diesem
Zeitpunkt in Gorleben ein Endlager politisch nicht durchzusetzen ist".
Große Teile seiner Partei waren entsetzt über diese "Feigheit".
Später wurde Gorleben ein "Zwischenlager" und am 28. September 2020 ganz
aufgegeben. Gorleben kann leben.
Auch die WAA Wackersdorf scheitert
Nachdem sich die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von
Kernbrennstoffen am 4. Februar 1985 für das bayerische Wackersdorf als
Standort entschieden hatte, demonstrierten schon am 16. Februar rund
35.000 Menschen bei eisiger Kälte friedlich gegen die
Wiederaufarbeitungsanlage (WAA). Prominent an ihrer Seite der
SPD-Landrat von Schwandorf und viele bayerische Pfarrer beider
Konfessionen. Die Polizei beschwerte sich über die wachsende
Solidarisierung der Einheimischen mit den auswärtigen Atomkraftgegnern.
Bayerns Ministerpräsident Franz-Josef Strauß wollte die WAA unbedingt.
Er musste sogar den Bundesgrenzschutz zu Hilfe rufen, weil die
bayerische Polizei allein mit den immer mehr Demonstranten – darunter
auch viele CSU-Wähler – nicht fertig wurde.
Im Juni 1986 kam es bei einer Demonstration von 30.000 Menschen zu
harten Auseinandersetzungen mit 3.000 Polizisten. Die Landesregierung
warf ihrer Polizei "zu liberales und halbherziges Verhalten" vor. 400
Menschen auf beiden Seiten waren verletzt worden. Für den
mitdemonstrierenden Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter war der
Kampf um die WAA ein "Symbol technokratischer Hybris". Im Juli 1986
organisierten zahlreiche Musikstars ein "WAAhnsinnsfestival", auch
"deutsches Woodstock" genannt. Auch die bayerischen Bischöfe lehnten die
WAA und die Atomenergie ab. Doch Strauß behauptete unverdrossen, die WAA
sei "kaum gefährlicher als eine Fahrradspeichen-Fabrik". Die Gegner
seien "Gspinnerte". Er starb im Oktober 1988. Am 31. Mai 1989 wurden die
Bauarbeiten eingestellt, nachdem der Energiekonzern VEBA die Bauarbeiten
als "zu langwierig und zu teuer" bezeichnet hatte.
Inzwischen ist Wackersdorf zu einem attraktiven Innovationspark
geworden. 2004 behauptete der damalige CSU-Bürgermeister Thomas Faller,
dieser Park habe mehr Jobs geschaffen als die WAA je gebraucht hätte.
Was können die Fridays for Future und andere heutige Protestbewegungen
von den Alten lernen?
1. Wir brauchen einen langen Atem.
2. Friedlich bleiben, auch wenn's juckt.
3. Jung und Alt sind solidarisch.
4. Es lohnt sich zu kämpfen.
Die heutigen Aktionsformen wie Bäume besetzen, Bahngleise oder Straßen
blockieren, oder das sich Abseilen an Autobahnbrücken sind vielfältiger
und phantasievoller als früher und deshalb wirkmächtig. Ich bin in
Deutschland und Österreich mehrmals bei FFF-Aktionen dabei gewesen und
freue mich jedes Mal über die Aktionsfreude der jungen Generation. Dass
die UNO soeben den Atomwaffen-Verbotsvertrag in Kraft gesetzt hat,
zeigt, dass unser gemeinsamer Protest für eine bessere und friedlichere
Welt über alle Generationen hinweg langfristig Erfolg haben wird.
Der Journalist Franz Alt, 82, moderierte 20 Jahre lang das Politmagazin
"Report" und leitete die Zukunftsredaktion des SWR. Er schrieb mehrere
Bestseller über die solare Energiewende, zuletzt mit dem Dalai Lama
"Schützt die Umwelt".
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