[fessenheim-fr] Uralt-AKW Fessenheim im Elsass abgeschaltet – was ist mit Cattenom? / Die Atompolitik in Frankreich ist vor die Wand gefahren

Markus Pflüger mail at markus-pflueger.de
Sa Jul 4 22:00:40 CEST 2020


2 Artikel aus dem Trierischer Volksfreund zur Kenntnis
Markus, antiatomnetz-trier.de

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https://www.volksfreund.de/region/uralt-akw-fessenheim-im-elsass-abgeschaltet-was-ist-mit-cattenom_aid-51951679


*Uralt-AKW Fessenheim im Elsass abgeschaltet – was ist mit Cattenom?**
*
Trierischer Volksfreund 1. Juli 2020 von Bernd Wientjes, Chefreporter

*Trier/Cattenom Trotz häufiger Pannen soll das französische
Atomkraftwerk an der Mosel noch jahrelang weiterlaufen. Und das, obwohl
Experten eindringlich davor warnen. *

Das dienstältestes Kernkraftwerk Frankreichs im elsässischen Fessenheim
ist endgültig abgeschaltet. Am Montagabend ging die 1977 in Betrieb
genommene Anlage vom Netz – vier Jahre später als zunächst geplant. Es
sei vor allem der Druck aus Deutschland und der Schweiz gewesen, der die
französische Regierung trotz des Widerstands der Industrie und der
Atomlobby dazu gebracht habe, das Kraftwerk stillzulegen, sagt
Atomexperte Dieter Majer. Hinzugekommen seien „erhebliche Defizite“ der
Anlage wie etwa die Gefahr einer Überflutung durch den Rhein und
mangelnde Erdbebensicherheit.

Defizite, die der ehemalige  Abteilungsleiter im
Bundesumweltministerium, auch für das Kernkraftwerk im lothringischen
Cattenom sieht. Doch habe der Druck seitens der rheinland-pfälzischen
und saarländischen Landesregierung für eine Abschaltung des 1986 ans
Netz gegangenen Kraftwerks deutlich nachgelassen. Beide Länder haben
eine geplante Klage gegen den Weiterbetrieb der pannenanfälligen Anlage
vor zwei Jahren wegen angeblicher Erfolglosigkeit fallengelassen. Majer
sieht das kritisch. Seiner Ansicht nach hätte eine Klage durchaus Erfolg
haben können. Zumal es immer wieder sicherheitsrelevante Störfälle in
Cattenom gibt.

Über 50 Zwischenfälle wurden vom Betreiber, dem französischen
Energiekonzern EDF, im vergangenen Jahr der Atomaufsicht des
Nachbarlandes gemeldet. Trotzdem stuft dieses die Sicherheitslage des in
die Jahre gekommenen Kraftwerks als zufriedenstellend ein. Allerdings
hat die Aufsichtsbehörde nach einer Routine-Inspektion in diesem Jahr
Nachlässigkeiten bei der Wartung der Anlage festgestellt.

Doch der Direktor von Cattenom, Thierry Rosso, betont immer wieder, dass
das Kraftwerk deutlich über die geplante Laufzeit von 40 Jahren am Netz
bleiben könne. Das Alter einer Anlage sei kein Abschaltkriterium. Der
Zustand der Druckbehälter erlaube eine Laufzeit über 60 Jahre hinaus,
sagte er kürzlich im Interview mit der Saarbrücker Zeitung.

Frankreich habe zwar den langfristigen Plan, bis zu zwölf weitere
Atomkraftwerke bis 2035 stillzulegen, sagt der Atomexperte Mycle Schneider.

Allerdings gebe es weder einen genauen Zeitplan noch eine Wahl der
Reaktoren, die abgeschaltet werden sollen. Immer wieder hat Schneider,
der 1997 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde, auf die
Gefährlichkeit von Cattenom hingewiesen. „Kein anderer AKW-Standort in
Frankreich hat eine höhere Bevölkerungsdichte in der Umgebung“, sagt er
im Gespräch mit unserer Zeitung. Außerdem sei Cattenom der einzige
Standort in der Welt, der im Falle eines schweren Unfalls ein ganzes
Land, nämlich Luxemburg, komplett unbewohnbar machen könnte.

Im Gegensatz zu Frankreich habe Belgien eine klare Perspektive, um aus
der Atomkraft auszusteigen. Demnach sollen dort alle sieben
Atomkraftwerke, darunter auch die grenznahe, störanfällige Anlage in
Tihange, bis 2025 vom Netz genommen werden.  Eine Verlängerung der
Laufzeit der belgischen Reaktoren werde es nur geben, falls die
Energieversorgung ohne diese gefährdet sei, sagt Schneider.
Mehr zu Uralt-AKW Fessenheim im Elsass abgeschaltet – was ist mit Cattenom?

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https://www.volksfreund.de/nachrichten/die-situation-der-akw-anlagen-im-dreilaendereck_aid-51950945


Trierischer Volksfreund 30. Juni 2020*

„Die Atompolitik in Frankreich ist vor die Wand gefahren“*

Trier/Cattenom :  Die beiden Reaktorgebäude des Kernkraftwerk (AKW)
Fessenheim und eine anliegende Halle sind aus der Entfernung im Rheintal
zu sehen. Mit der Abschaltung des zweiten Reaktors wird das umstrittene
Kraftwerk an der Grenze zu Deutschland endgültig stillgelegt.

Trier/Cattenom Experte sieht eine Wende in der Energiepolitik des
Nachbarlandes. Corona, billiger Ökostrom und hohe Kosten für
Kernkraftwerke machen Staatskonzern zu schaffen.

Von Bernd Wientjes, Chefreporter

Knapp zwölf Stunden bevor das Atomkraftwerk Fessenheim am Montagabend
endgültig vom Netz gegangen ist, ist es im rund 270 Kilometer entfernten
Cattenom erneut zu einem Zwischenfall gekommen. Mitarbeiter bemerkten,
dass der Wasserzulauf der Reaktoren 3 und 4 durch Pflanzen behindert
wurde. Daraufhin wurden die beiden Reaktoren vorsorglich abgeschaltet.
Bereits in der Woche zuvor ist es nach Mitteilung des Betreibers der
seit 1986 laufenden Anlage in Lothringen, dem Energiekonzern EDF, zu
drei weiteren „bedeutenden“ Ereignissen gekommen, die der französischen
Atomaufsicht ASN gemeldet wurden. 50 solcher Störungen hat der Betreiber
im vergangenen Jahr der ASN gemeldet. Trotzdem hält die Aufsichtsbehörde
die Sicherheit der Anlage an der lothringischen Mosel unweit der Grenze
zu Deutschland und Luxemburg für „zufriedenstellend“.

Das sieht der Atomexperte Dieter Majer anders. Er hat im Auftrag von
Rheinland-Pfalz den sogenannten Stresstest, dem das lothringische
Atomkraftwerk nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im
Jahr 2011 unterzogen wurde, ausgewertet. In seinem Gutachten hat Majer
damals bereits erhebliche Sicherheitsmängel in Cattenom ausgemacht.
Mängel, die seiner Ansicht nach weiter bestehen. Etwa was die
Erdbebensicherheit oder den Schutz vor Überflutung angeht. Ähnliche
Mängel haben dazu geführt, dass das deutlich ältere Kernkraftwerk
Fessenheim nun – acht Jahre nach der ersten Ankündigung durch den
damaligen französischen Staatspräsidenten François Hollande – nun
endgültig stillgelegt worden ist. Allerdings sei das 1977 ans Netz
gegangene Kraftwerk im Elsass deutlich kleiner und leistungsschwächer
als die vier Blöcke in Cattenom, sagt Majer. Doch genau wie der
Atomexperte Mycle Schneider sieht er in der pannenträchtigen Anlage an
der Mosel ein Sicherheitsrisiko. An keinem anderen Standort eines
Atomkraftwerks in Frankreich gebe es eine höhere Bevölkerungsdichte als
rund um Cattenom. Und es sei der einzige Standort in der Welt, „der im
Falle eines schweren Unfalls, etwa ein Brand bestrahlten Brennstoffes in
einem beschädigten Abklingbecken, ein ganzes Land, nämlich Luxemburg,
komplett unbewohnbar machen könnte“, sagt Schneider.

Doch es ist still geworden, was Forderungen nach einer Abschaltung von
Cattenom angeht. Zwar weisen die zuständigen Minister aus
Rheinland-Pfalz und dem Saarland hin und wieder darauf hin, dass der
Pannenreaktor vom Netz gehen soll. Doch mit wirklichem Nachdruck wird
diese Forderung nicht mehr vorgebracht. Im Gegensatz zum luxemburgischen
Energieminister Claude Turmes, der in einem Interview ankündigte, alles
in seiner Macht stehende zu tun, um Cattenom „loszuwerden“. Der
Grünen-Politiker will sein Land unabhängig machen von der exportierten
Kernenergie. Atomstrom soll nicht mehr zum Energiemix Luxemburgs gehören.

Schneider sieht auch Frankreich vor einer Energiewende. „Die
herkömmliche Atompolitik ist vor die Wand gefahren“, sagt er im Gespräch
mit unserer Zeitung. Der Energiekonzern EDF habe einen Schuldenberg von
41 Milliarden Euro angehäuft und verliert seit zwei Jahren rund 100 000
Kunden pro Monat. Hinzu käme, dass der Konzern mit seinen „maroden
Atomkraftwerken“ erheblich höhere Nachrüstausgaben als geplant habe.
Außerdem seien die sich im Bau befindlichen neuen Anlagen im englischen
Hinkley Point und in Flamanville eine „technische und finanzielle
Katastrophe“. Letztere werde nicht nur viermal so teuer wie geplant,
sondern hinke auch mindestens zehn Jahre hinter dem Zeitplan hinterher.
Eigentlich sollte die Abschaltung von Fessenheim mit der Inbetriebnahme
der neuen Reaktoren in Flamanville einhergehen. Doch die EDF habe sich
entschlossen, den 43 Jahre alten „Steinzeitmeiler“ im Elsass stillzulegen.

Zudem mache dem Energiekonzern zu schaffen, dass Strom aus alternativen
Quellen deutlich günstiger geworden sei, Solarstrom um 90 und
Windenergie um 70 Prozent. Und dann sei auch noch Covid-19 gekommen.
„Der Stromverbrauch brach um 20 Prozent ein, EDF verlor in 14 Tagen die
Häl fte des bereits mageren Börsenwertes“, sagt Schneider. Für EDF gehe
es daher in den kommenden Jahren ans Existenzielle. Zumal auch der
Abriss der Atomkraftwerke bezahlt werden müsse. Immerhin kassiere EDF
für die Stilllegung von Fessenheim eine Entschädigung von 400 Millionen
Euro vom Staat. „Ein Skandal“, wie Schneider findet.



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