[fessenheim-fr] Castortransport 1998

klausjschramm at t-online.de klausjschramm at t-online.de
Mi Aug 26 22:20:13 CEST 2009


Hallo Leute!

Hier mal ein bißchen "Geschichte" von vor elf
Jahren aus der anderen Warte...

Ciao
   Klaus Schramm


Quelle / Author:
http://tilery.blogspot.com/2009/08/bei-strahlendem-wetter-am-
kernkraftwerk
.html

Deutschland,  25.08.2009

Castortransport 1998 - Bei strahlendem Wetter am  Kernkraftwerk

Mehr als zehn Jahre sind vergangen. Zeit für einen  Rückblick auf die
Anti-Castor-Demonstration am 19. März 1998 in  Neckarwestheim

Völlig unerwartet klingelt am Mittwoch, den 18. März 1998,  zu später
Stunde das Telefon. Die Nachricht, daß der Castor-Transport um 24  
Stunden
vorgezogen wird, erreicht mich. Die Gruppe, mit der ich zur  
Demonstration
nach Neckarwestheim fahren wollte, trifft sich also schon heute um  
halb
zwölf, in genau einer Stunde. Leider muß ich mich damit abfinden, 
erst 
morgen, mit der ersten S-Bahn, Richtung Kernkraftwerk zu reisen, da 
mir
meine  Eltern einen Strich durch die Rechnung machen. Schließlich 
sollte
man  ausgeschlafen, mit voller Kraft demonstrieren können. Ich suche 
nun
alle  wichtigen Dinge wie Regencape, Wollpulli, Ersatzkleidung und
Personalausweis  zusammen und stelle den Wecker auf 4:40 Uhr. Bevor 
ich
mich schlafen lege, rufe  ich noch kurz einen Klassenkameraden über 
sein
Handy an, der sich bereits am  Platz der Blockade befindet. Später 
stellt
sich heraus, daß das mobile Telefon  eines der wichtigsten
Gebrauchsgegenstände für solche Veranstaltungen ist. Noch  ist alles 
ruhig
in der Umgebung des Kernkraftwerks, die ankommenden  Atomkraftgegner
werden von der Polizei nur an markanten Stellen wie der  Neckarbrücke 
bei
Kirchheim/Neckar kontrolliert. Es ist die Ruhe vor dem  Sturm.

Pünktlich um 4:40 Uhr holt mich mein Radiowecker aus dem Schlaf.  
Sofort
bin ich wach und greife zum Telefon. Wieder informiert mich mein 
handybesitzender Mitschüler über die aktuelle Lage. Es muß wohl kalt
gewesen sein für alle, die die Nacht ohne Schlafsack verbracht haben. 
Die
Stimmung sei  aber noch entspannt, auch wenn die Zahl der Polizisten
ständig steige. Beruhigt,  noch nichts verpaßt zu haben, packe ich 
meinen
Rucksack mit dem Nötigsten und  begebe mich zur S-Bahnstation. Es ist 
kurz
nach Fünf, trotzdem sind mehr  Menschen auf dem Bahnsteig, als ich
vermutet hätte. Wer von ihnen wohl vom  bevorstehenden 
Castortransport
weiß? Am Hauptbahnhof steige ich in den Zug  Richtung Heilbronn. Ganz 
in
weißes Segelzeug gekleidet mache ich wohl einen
 seltsamen Eindruck auf die Zugführerin, die der einzige Mensch 
bleibt,
 der
mir  während der Fahrt begegnet. Am Kirchheimer Bahnhof treffe ich 
die
ersten  Gleichgesinnten, die jedoch erstmal den Weg zum nächsten 
Bäcker
einschlagen. Im  Morgengrauen laufe ich die etwa drei Kilometer lange
Strecke, vorbei an  Polizeiwagen und Bundesgrenzschutzbeamten. 
Niemand
kontrolliert mich, keiner  fragt mich, nichts. Auf dem Weg kommt mir 
eine
Kolonne von 26 Polizeiwagen  entgegen, auf denen, zu meiner 
Verwunderung,
das Kennzeichen von Freiburg  prangt. Was für ein Überaufgebot 
erwartet
mich wohl am Tor 2? Wer von Kirchheim  kommend zum Kraftwerk will, 
muß
zuerst über die extra für die Atommülltransporte  erbaute 
Neckarbrücke und
dann am einem Weinberg hinaufgehen. Sobald man den  Hügel überwunden 
hat,
liegt einem ein Tal zu Füßen, in dem die Sonne nur sehr  selten 
scheinen
kann, da der Wasserdampf des Kühlturms alles in grauweißen Nebel  
hüllt.
Ein Mann mit Fahrrad nimmt mich den letzten Kilometer auf seinem 
Gepäckträger mit. Es geht nur bergab, vorbei am Personaleingang und 
der
tristen  Betonmauer mit Stacheldraht, die das gesamte Areal umgibt.

Sonnenaufgang  zwischen Flötenspiel und Übertragungswagen

Endlich bin ich am Ziel, am  Horizont wird es heller, der 
Sonnenaufgang
kündigt sich langsam an. Auf der  Zufahrtsstraße sitzen und liegen 
etwa 80
Demonstranten, die sich keineswegs von  der anwesenden Hundertschaft
beeindrucken lassen, die in einer Reihe stehend den  Zugang 
versperrt. Ein
Übertragungswagen des Fernsehsenders RTL steht mitten im  Geschehen; 
vor
ihm sind Scheinwerfer aufgebaut, um jede Minute aufnehmen zu  können. 
Aus
meiner Schule sind zirka 30 Leute seit 1 Uhr hier, die Müdigkeit  
steht
ihnen im Gesicht geschrieben. Man hört Gitarren- und Flötenspiel, bis 

jetzt ist alles friedlich. Kein einziger gewaltbereiter Autonomer ist 
zu
sehen,  die meisten Anwesenden hoffen, daß das auch so bleibt. Sobald 
die
Sonne zum  Vorschein kommt, wird es spürbar wärmer. Die Polizisten, 
die
die Grenze zwischen  Gut und Böse bilden, werden regelmäßig abgelöst. 
Nach
einigen Stunden sind die  Gesichter der einzelnen Gesetzeshüter 
vertraut.
Es kommt sogar zu ausführlichen  Wortwechseln zwischen Demonstranten 
und
der Polizei. Es gibt da Männer in Grün  aus Karlsruhe, Mannheim, 
Freiburg
und vom Bodensee. Man hat den Eindruck, als ob  das gesamte
Polizeiaufgebot Baden-Württembergs in Neckarwestheim eingetroffen  
ist.
Die Frage nach den dadurch anfallenden Kosten traut man sich gar 
nicht
erst  zu stellen. Beantworten kann sie so oder so niemand, da keiner
wirklich Bescheid  weiß. Jeder Polizist, mit dem man spricht, sagt, 
daß er
halt hier sei, weil er´s  müßte. Es scheint fast so, daß manche gar 
nicht
wüßten, weshalb sie eigentlich  hier sind. Auch auf die Frage nach 
dem
Zeitpunkt des Transportbeginns werden nur  Vermutungen ausgesprochen. 
Uns
soll´s nicht stören. Der momentan bekannte Termin  ist 16 Uhr.

Bei Musik Daumen drücken für die Tunnelgräber

Gegen  halb elf Uhr trifft ein mit Rapsöl-Diesel betriebener Kleinbus 
ein,
der einen  sehr interessanten Anhänger zieht: eine solarbetriebene
Musikanlage. Die Musik  läßt das während des Wartens leicht gesunkene
Stimmungsbarometer schlagartig  steigen. Um halb zwölf erreicht uns 
die
Nachricht, daß sich zwei Atomkraftgegner  unter der B27 zwischen 
Kirchheim
und Walheim in einem selbstgegrabenen Tunnel  festbetoniert haben. 
Diese
Meldung ruft Verwunderung, aber gleichzeitig auch  Begeisterung 
hervor.
Man hört Stimmen, die von einer List der Polizei sprechen.  Um mich 
von
der Wahrheit zu überzeugen, mache ich mich mit drei Schulkameraden  
per
Anhalter auf den Weg Richtung Walheim. Tatsächlich stehen schon 
einige 
Einsatzfahrzeuge der Polizei am Straßenrand. Der Tunnel ist etwa fünf
Meter lang  und hat einen Durchmesser von ungefähr 80 Zentimetern. 
Ratlose
Polizisten und  wißbegierige Reporter stehen vor dem Eingang des 
Erdlochs.
Mit Hilfe einer  Taschenlampe lassen sich deutlich zwei Paar Schuhe
erkennen, ein Rohr für  Frischluft ragt aus der Überraschungstat der
beiden Maulwürfe. Nachdem wir alles  gesehen haben, trampen wir 
wieder
zurück zum Kernkraftwerk. Ein Mitglied des  Aktionsbündnisses nimmt 
uns
mit und trägt uns auf, allen Blockierern  mitzuteilen, daß die
Neckarbrücke ab 13 Uhr für Fußgänger geschlossen wird.  Diese 
Nachricht
deutet auf die aufkommende Nervosität der Einsatzleitung hin.  Der 
Tunnel
hat wohl das Konzept ziemlich durcheinander gebracht. Als wir den 
Blockierern vor Tor 2, deren Zahl auf etwa 200 gestiegen ist, vom 
Tunnel 
berichten, erntet die Untertunnelungsaktion lauten Beifall.

Unterdessen  befindet sich ein sogenannter Betreuer und eine
Polizeipsychologin als  Vermittler zwischen Demonstranten und Polizei 
vor
Ort. Die beiden suchen das  Gespräch, vor allem mit Schülern. Nach 
einigen
Sätzen hat man den Eindruck, sie  wollen einem nur ins Gewissen 
reden,
damit einige Zuhörer den nächsten Zug nach  Hause nehmen und sich das
Abenteuer im Fernsehen anschauen statt hier weiter zu  demonstrieren.
Glücklicherweise machen die beiden ihren Job so schlecht, daß  selbst 
der
ängstlichste Blockierer merkt, was hier wirklich gespielt  wird.

Plötzlich fahren etwa zehn Wannen, das sind größere Polizeibusse,  an 
der
blockierten Einfahrt vorbei. Die bis dahin friedlich wartende Menge 
fühlt 
sich provoziert, und manche beginnen mit ´Haut ab, haut ab!´-Rufen. 
Im
Gelände
 des Kraftwerkes sammeln sich zusehends mehr Polizisten, ein Zeichen, 
daß
der  Beginn des Transportes immer näher rückt. Es ist gerade mal halb
drei, die Zahl  der anwesenden Reportern und Fernsehteams wächst, der
Tunnel unter der  Bundesstraße ist noch lange nicht geräumt. Kein 
Grund
zur Panik also!

Wer  jetzt ein Gespräch mit dem Demonstrationsbetreuer der Polizei 
beginnt
und den  Tunnel erwähnt, muß sich wundern: ´Die Schwertransporter 
fahren
da trotzdem  drüber!´ Wie bitte? 130 Tonnen schwere Castoren über 
eine
untergrabene Straße,  bei der niemand genau weiß, wieviel Untergrund
weggeschaufelt wurde? ´Wir halten  den Zeitplan ein!´ meint er jetzt. 
Doch
um 16 Uhr tut sich nichts, was auf den  Beginn des Transportes 
hinweisen
könnte. Die Ablösung der Wach-Hundertschaft ist  das einzige Zeichen 
für
die sich zuspitzende Lage: erstmals am heutigen Tag  tragen die 
Beamten
Schlagstöcke, noch lächeln sie freundlich wie ihre  Vorgänger.

Hinsetzen bevor es ernst wird

Trotzdem hat sich was  verändert. Langsam aber sicher rücken die 
Sitzenden
näher zusammen,  drumrumstehende Demonstranten setzen sich dazu. Im 
Innern
des Kraftwerkgeländes  sammeln sich unzählige Hundertschaften, 
teilweise
mit Schlagstöcken,  Schutzschilden und Helmen ausgerüstet.

Die Spannung steigt noch mehr, als  ein Polizeiwagen mit Megaphon in
sicherem Abstand vor der Sitzblockade hält. Es  wird still. Da ertönt 
eine
quäkende Stimme: ´Achtung, Achtung. Hier spricht die  Polizei. Das
Landratsamt Heilbronn...´ Der Rest geht im Geschrei und unter den  
Pfiffen
der Demonstranten unter. Das war also die erste Aufforderung, die 
Fahrbahn zu räumen. Keiner verläßt seinen Platz. Die demonstrierende 
Menge
 wächst zusammen, verschwörende Worte werden gewechselt, jemand 
beginnt
einen  monotonen Gesang, in den alle einstimmen. Die Fernsehteams 
kämpfen
um die besten  Plätze, während niemand die zweite Aufforderung des 
Herrn
im Polizeiwagen hört.  Die Stimmung ist unbeschreiblich, alles ist so
unvorhersehbar spannend. Auch die  dritte Aufforderung geht im Getöse
unter. Nach einer kurzen Pause hört man die  Worte: ´Die Polizei wird
keine weiteren Anweisungen mehr aussprechen!´ Es kann  losgehen. 
Hinter
der in Reihe stehenden Hundertschaft haben sich Polizisten in  einer
Zweierreihe aufgestellt, das kann ja nichts Gutes heißen. Mit 
Plexiglasschilden bewaffnete Beamte stellen sich seitlich der 
Sitzblockade
 entlang auf. Einkesseln, schießt es mir durch den Kopf. Doch dann 
kommt
alles  anders.

Je zwei Polizeimeister packen einen Sitzenden und führen oder  tragen 
ihn
weg. Da ich in der zweiten Reihe sitze, bin ich einer der Ersten, die 

abgeführt werden. Langsam gehe ich zwischen meinen beiden 
Abschleppern ins
 Ungewisse. Denn was jetzt kommt hätte niemand vermutet. Unsere
Personalien  werden aufgenommen, Taschen und Rucksack durchsucht, 
jeder
von uns bekommt  Handfesseln, besser gesagt dicke Kabelbinder um die
Handgelenke.

Eine  Busfahrt hinter Gittern

Mit Händen auf dem Rücken werden wir gruppenweise  zu Gefängniswagen
geführt und reingesetzt. In meinem Wagen, einem total  vergitterten
VW-Bus, sitzen bereits ein Freund von mir sowie zwei Studentinnen  
aus
Würzburg. Ein Kripobeamter aus Heidenheim betreut uns. Er muß den Job 
des 
Aufsehers zum Glück nur einmal im Jahr machen, erzählt er uns. Immer 
noch 
gefesselt fahren wir los. Quer durchs Kernkraftwerk zum 
Personalausgang
hinaus.  Vor uns wie hinter uns Busse mit Gefangenen, die vor kurzem 
noch
friedlich  demonstrierten. Von der Neckarbrücke bis zum Abzweig nach
Walheim stehen grüne  Männer und Frauen Schulter an Schulter am
Straßenrand. Man fühlt sich so wichtig  und bewacht wie ein
Schwerverbrecher. Lange dauert die Fahrt, erstaunlich weit  weg vom 
Ort
des Geschehens werden wir Demonstranten gebracht. Von unserem  
betreuenden
Kripobeamten erfahren wir unser Ziel: ein Sammellager in einer  
Turnhalle
in Talheim. Auf dem Parkplatz dieser Sporthalle stehen schon einige 
Polizeifahrzeuge. Jetzt zeigt sich, was für Glück wir mit unserem 
Betreuer
 haben, denn wir sind die einzigen Gefangenen, die ihre Rucksäcke 
öffnen
und  vespern dürfen. Sogar das Telefonieren mit dem Handy meines 
Freundes
wird uns  gestattet, während sich die Insassen eines anderen Busses 
durch
gemeinsames Hin-  und Herschaukeln bemerkbar machen, damit wenigstens 
die
Fahrzeugtür für  Frischluft geöffnet wird. Obwohl wir der vierte Bus 
sind,
müssen wir fast drei  Stunden im ungeheizten Auto warten. Wer in 
dieser
Zeit auf die Toilette muß,  wird von zwei Polizisten vom Wagen 
abgeholt
und bis in die Kabinen begleitet.  Jeder rechnet damit, die Nacht in
Gefangenschaft zu verbringen, da wir warten  müssen, bis die Castoren 
auf
dem Schienenweg Baden-Württemberg verlassen  haben.

Endlich sind wir an der Reihe. Erneut werden wir durchsucht, alle  
Gegenstände müssen wir abgeben, auch das Geld wird gezählt - bei mir 
waren
es genau 72 Pfennige - und eingesackt. Nach den bürokratischen
Formalitäten wird  unsere Sünderkartei im Computer begutachtet. 
Leider
wird bei keinem unserer  Gruppe ein einschlägiger Gesetzesbruch 
gefunden.
Mein ständiger Bewacher freut  sich auf den lang ersehnten Feierabend 
- es
ist mittlerweile 21:12 Uhr - und  führt mich in die mir riesig
erscheinende Turnhalle. Ein wirklich seltsames  Gefühl, ohne Fesseln 
oder
Bewacher zu laufen.

Die Stimmung unter den  jugendlichen Castorgegnern ist recht gut, 
wenn man
bedenkt, daß manche schon  seit knapp 40 Stunden ohne Schlaf 
ausharren. Es
gibt trockenes Brot und  Landjäger, die selbe Nahrung für Polizisten 
und
Gefangene. Wahrscheinlich die  einzige Gemeinsamkeit an diesem Tag.


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Aktionsbuendnis CASTOR-Widerstand Neckarwestheim
Info-tel 07141 / 903363 
http://neckarwestheim.antiatom.net





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