[fessenheim-fr] Info-Serie Atomenergie - Folge 11
klausjschramm at t-online.de
klausjschramm at t-online.de
Di Aug 25 20:19:52 CEST 2009
Info-Serie Atomenergie
Folge 11
Atomenergie in Frankreich
Die Atomkraftwerke
Leider wird es in Deutschland häufig so dargestellt, als habe
Frankreich 58 Atomkraftwerke - eine schier unüberwindlich hohe
Zahl.[1] Tatsächlich handelt es sich dabei aber um die Zahl der
Reaktoren. Die Zahl der französischen AKWs beträgt tatsächlich nur
19, da in einigen französischen AKWs bis zu sechs Reaktoren vorhanden
sind. In Deutschland sind immerhin noch 17 Atomkraftwerke in Betrieb -
allerdings ist deren Anteil an der Stromversorgung weniger als halb
so hoch wie in Frankreich. Hinzu kommt, daß der Atom-Ausstieg in
Frankreich dadurch erschwert wird, daß neben der Atomindustrie das
Militär einen großen Einfluß auf die Politik ausübt. Bekanntlich
dient die Plutoniumfabrik in La Hague - die sogenannte Wiederauf-
arbeitungsanlage - vorrangig militärischen Zwecken.
Das AKW Fessenheim[2]
Das älteste französische Atomkraftwerk im elsässischen Fessenheim am
Oberrhein - nur 24 Kilometer Luftlinie von Freiburg entfernt - hatte
am 7. März 2007 30-jähriges Betriebsjubiläum. Von den Konstrukteuren
war es ursprünglich nur für eine Betriebsdauer von 20 bis 25 Jahren
vorgesehen, das AKW hätte also spätestens im Jahr 2002 stillgelegt
werden müssen. Statt dessen wurde 2003 die Betriebserlaubnis von der
französischen Regierung auf 40 Jahre verlängert. Trotz der angeblich
so rentablen Atomenergie hatte der EdF, dem französischen Strom-
Monopolisten, in der ersten Halbjahresbilanz 2003 noch ein Defizit
von 6 Milliarden Euro gedroht. Allein durch die Laufzeitverlängerung
gewannen die 58 französischen Reaktoren auf dem Papier enorm an Wert
und der Konzern konnte einen Gewinn von 728 Millionen Euro ausweisen.
Schon in den ersten Jahren nach dem Betriebsbeginn 1977 machte das
AKW Fessenheim durch sogenannte Störfälle und bauliche Mängel
Schlagzeilen. So wurde bereits im Herbst 1979 durch die Aussage eines
vormaligen Sicherheitsingenieurs der EdF bekannt, daß sich in den
Stutzen des Reaktordruckbehälters Risse befinden. Beim
Reaktordruckbehälter handelt es sich quasi um das Herz des
Atomkraftwerks, in dem die mit Uran gefüllten Brennstäbe die
Kettenreaktion in Gang setzen.
Im Juni 1991 werden auch Risse im Deckel des Reaktordruckbehälters
von Block 1, später auch im Deckel von Block 2 entdeckt. Im November
1996 stand eines von drei Sicherheitsventilen über einen Monat lang
offen, ohne daß es bemerkt wurde. Dies gelangte erst einen Monat
verspätet an die Öffentlichkeit. Im November 1998 wurde eine defekte
Schweißnaht im Noteinspeisekreislauf publik. Im August 2000 mußte die
EdF eingestehen, daß die Wasserbecken des Notkühlsystems und das
Abklingbecken für verbrauchte Brennelemente nicht erdbebensicher
sind. Fessenheim liegt im Rheingraben zwischen Schwarzwald und
Vogesen, bei dem es sich um ein ausgesprochenes Erdbebengebiet
handelt. 2004 werden bei Reparaturarbeiten am Primärkreislauf des AKW
Fessenheim insgesamt 12 ArbeiterInnen verstrahlt. Auch dies wird -
wie so oft - erst nach einer Verspätung von mehreren Tagen publik -
offenbar erst, wenn die EdF realisiert, daß sie einen Unfall nicht
länger verheimlichen kann.
Die Betonhülle des Containments besteht lediglich aus 80 Zentimeter
Spannbeton und könnte dem gezielten Absturz eines Cessna-
Kleinflugzeugs nicht standhalten, geschweige denn dem eines
gekaperten Linienflugzeugs nach Vorbild des 11. September 2001.
Als Folge eines Super-GAUs im AKW Fessenheim - entsprechend der
Reaktorkatastrophe von Tschernobyl - würde bei der meist
vorherrschenden Windrichtung nicht nur Freiburg, sondern ein
Territorium bis in den Raum Nürnberg-Würzburg für Jahrzehnte
unbewohnbar machen.
Das AKW Cattenom
Im August 1986 - knapp vier Monate nach der Reaktorkatastrophe von
Tschernobyl - wurde das AKW Cattenom an der französisch-
saarländischen Grenze bei einem Hochwasser der Mosel überflutet.
Wasser drang in die Keller des AKW ein, in denen sich die
sensibelsten Teile der Reaktoren befinden, unter anderem die
Hochleistungspumpen des Primärkreislaufs. Aber auch in den
überfluteten Verbindungsgängen drohte Gefahr. Hier laufen die Kabel
entlang, die die Schaltanlagen und Pumpen der Reaktoren versorgen.
Das AKW Cattenom mit seinen vier Reaktorblöcken ist besonders von
Flugzeugabstürzen gefährdet. Nach nicht-offiziellen Informationen ist
sein Containment nicht besser als das des AKW Fessenheim mit seiner
80-Zentimeter-Betonschale. Über Cattenom hinweg verlaufen gleich
mehrere Flugrouten. Das AKW liegt umgeben von sieben Flughäfen. Nur
einige Kilometer entfernt befindet sich das französiche Übungsgebiet
für Tiefflieger. Im Juli 1981 raste ein Mirage-Kampfflugzeug in einen
Sendemast - nur einige Kilometer vom AKW Cattenom entfernt.
Das AKW Blayais
Ein Unfall, bei dem nur äußerst knapp ein GAU hatte vermieden werden
können, ereignete sich in Folge des Sturms 'Lothar' in der Nacht zum
28. Dezember 1999 im AKW Blayais in der Nähe von Bordeaux. Das
Hochwasser der Gironde, das in diesem Ausmaß bei der Planung des AKW
Blayais nicht vorgesehen war, hatte dazu geführt, daß Wasser ins
Reaktorgebäude eindrang und zentrale Anlagen-Teile überflutete.
Spätere Analysen des Unfall-Hergangs zeigten, daß ein Zusammenbruch
der Stromversorgung kurz bevor stand und damit die Notabschaltung
unmöglich geworden wäre. Die Pumpen der Kühlkreisläufe wären
ausgefallen, der Reaktorkern wäre durchgebrannt und eine Explosion
des Reaktordruckbehälters unvermeidbar geworden. Entgegen der
sonstigen Verschwiegenheit der französischen Presse in Fragen der
"nuklearen Sicherheit" berichtete die Zeitung 'Sud Ouest', daß das
AKW Blayais nahe Bordeaux nur knapp einem schweren Unglück entgangen
sei.
Weitere Informationen zu den französischen Atomkraftwerken
Durch einen Report der Internationalen Atomenergie-Agentur, IAEO,
wurde bekannt, daß bei sieben französischen Reaktoren die
Reaktorschnellabschaltung versagte - die wichtigste
Sicherheitseinrichtung überhaupt. Das AKW Chooz A an der französisch-
belgischen Grenze wies Defekte an allen Kontrollstäben auf - an allen
waren Risse, Abnutzungen und gebrochene Schweißnähte zu erkennen.
Auch die vielen Brände in der sogenannten Wiederaufarbeitungsanlage
La Hague - wie der von 1981, der 20 Menschen "nennenswert bestrahlte"
- wurde zunächst einfach verschwiegen. Alle Mängel behandelt die
französische Nuklearindustrie wie Staatsgeheimnisse. So werden viele
Unfälle nie bekannt.
Im Oktober 2002 war durchgesickert, daß bei 34 der französischen
Reaktoren, insbesondere denen der 900-MW- und der 1300-MW-Klasse,
erhebliche Mängel in der Auslegung gegen Erdbeben festgestellt worden
waren. Insbesondere war der EdF bekannt, daß bei diesen Reaktor-Typen
sicherheitsrelevante Ventile im Falle eines Erdbebens in ihrer
Funktionsfähigkeit gefährdet sind. All dies erregte jedoch erst durch
Veröffentlichungen des französischen 'Netzwerks für Atom-Ausstieg'
und das heftige Erdbeben in Italien im Jahr 2003 öffentliche
Aufmerksamkeit.
Bekannt wurde dann auch, daß die Mängel bereits im November 2000 beim
Reaktor 1 in Cattenom entdeckt worden waren. Anschließende interne
Untersuchungen ergaben zunächst, daß fünf weitere Reaktoren, Cattenom
3, Flamanville 2, Saint-Alban 2 sowie Golfech 1 und 2 ebenfalls
betroffen sind.
Ende Oktober 2002 wurde dann bekannt, daß bei weiteren sieben
Reaktoren die Kühlung ebenso wie die Notkühlung im Falle eines
starken Erdbebens nicht gewährleistet sei. Auch diese Mängel seien
bereits im Jahr 2000 entdeckt worden - in den AKWs Bugey und
Fessenheim. Auf Weisung der Aufsichtsbehörde habe die EdF daraufhin
weiter Reaktoren überprüft. Ebenfalls im Oktober 2002 wurde dann
bekannt, daß diese Mängel auch bei Reaktoren in den AKWs Chinon,
Blayais, Tricastin, Dampierre und Saint-Laurent festgestellt worden
seien.
2003 wurde dem französischen 'Netzwerk für Atom-Ausstieg' (Réseau
Sortir du nucléaire) ein internes Dokument der EdFzugespielt. Dieses
Dokument vom Dezember 2002 beweist: Nachdem die französische
Kontrollbehörde IRSN Mängel an französischen Atomkraftwerken in
Hinblick auf die Erdbebensicherheit aufgezeigt hatte, war es der EdF
wichtiger, Druck auf die IRSN auszuüben, als die von dieser Behörde
aufgezeigten Mängel umgehend zu beseitigen. Die renommierte
französische Tageszeitung 'Figaro' schrieb am 10. Juni 2003 von einer
"großen Vertrauenskrise". Als besonders erdbebengefährdet wurden die
Atomkraftwerke Bugey und Fessenheim genannt. Als "bedrohlich" sah die
EdF in ihren internen Schreiben allerdings nur die "Gefahr", für die
Beseitigung der Mängel zwischen 200 und 400 Millionen aufbringen zu
müssen.
Bereits im Jahr 2002 hatte sich die IRSN bei der französischen Atom-
Mafia unbeliebt gemacht. Die sogenannte Tschernobyl-Affaire spaltete
die französischen Atomenergie-Gemeinde in zwei Lager. Hintergrund
ist, daß im Jahr 1986 die radioaktive Verseuchung infolge der
Tschernobyl-Wolke in Frankreich offiziell geleugnet wurde.
Kabarettisten sprachen damals davon, die Wolke habe an der deutsch-
französischen Grenze Halt gemacht.
Diese Affaire begann am 24. April 2002. An diesem Tag organisierte
die IRSN aus Anlaß des bevorstehenden 16. Jahrestags der Katastrophe
von Tschernobyl eine Pressekonferenz, bei der sie eine neue Karte von
Frankreich mit der radioaktiven Verseuchung durch Cäsium 137 aus
Tschernobyl präsentierten wollte. Das wurde zunächst mit
Nichtbeachtung oder Kommentaren, daß es sich dabei um nichts Neues
handle, aus weiten Kreisen der Atom-Gemeinde beantwortet. Doch die
Affaire verschärfte sich derart, daß eine Vielzahl von Personen sich
nur noch anonym dazu äußern wollte. Von oben hieß es, die
Veranstaltung sei "nicht opportun". Die lebhafteste Reaktion kam
zweifellos vom einschlägig bekannten Medizin-Professor Aurengo, der
in einem Schreiben ans französische Umwelt- und
Gesundheitsministerium seine Autorität in die Waagschale werfen
wollte, um jegliche Veröffentlichung als "methodisch fragwürdig"
unterdrücken zu lassen. 2001 war Prof. Aurengo selbst von der
Regierung Jospin beauftragt worden, eine Kartographie der
Kontaminierung des französischen Bodens zu erstellen, die jedoch
offensichtlich der Verharmlosung dienen sollte und deren
Veröffentlichung sich bis dato hinausgezögert hatte.
Im Jahr 2004 wurde bekannt, daß sämtliche französischen
Druckwassereaktoren und darüber hinaus alle vom Bauprinzip her
entsprechenden Reaktoren weltweit eklatante Fehler im Notkühlsystem
aufweisen.
Der Schnelle Brüter von Malville
Zu Beginn ein Zeitsprung um 30 Jahre ins Jahr 1977 und ein
persönlicher Bericht:
"Ende Juli 1977 trafen sich AtomkraftgegnerInnen aus vielen
westeuropäischen Staaten in Malville. Wir wollten am Bauplatz des
französischen schnellen Brüters "Superphénix" demonstrieren.
Französische Staatsorgane und einige französische Medien denunzierten
die deutschen AtomkraftgegnerInnen als "Nachfolger Hitlers", die
Frankreich erneut besetzen wollten und gegen die alle Gewaltmaßnahmen
erlaubt seien.
Es war ein strahlend schöner, heißer Sommer. Wir reinigten unsere
klapprigen Gebrauchtwagen von Anti-Atom-Aufklebern und sonstigen
Symbolen unserer Aufsässigkeit und überquerten in der
Hauptferienzeit, getarnt als UrlauberInnen, an vielen Grenzorten,
nirgends geballt, die deutsch-französische Grenze. In einer
hügeligen, naßgeregneten Landschaft erlebten wir unser Waterloo.
Paramilitärische Sondereinheiten der französischen Polizei, die CRS,
schossen mit scharfen Sprenggranaten in die Demonstrationszüge. Dem
Franzosen Vital Michalon zerriß der Druck einer Polizeigranate die
Lunge. Er starb. Ich begegnete dem Hamburger Fotografen Günter Zint
zum ersten Mal, als er kreidebleich über ein Feld lief. Er hatte
soeben einen Demonstranten fotografiert, dem eine Granate einen Fuß
abgerissen hatte. Wir flohen in unsere Camps, die bald darauf von der
CRS überfallen wurden. Sie schlugen unsere Zelte nieder und
verprügelten alle AKW-GegnerInnen, die sie fanden. Wer im Auto
fliehen wollte, mußte durch das Spalier einer Knüppelgarde, die ohne
Rücksicht auf die InsassInnen die Autofenster mit Knüppeln zerschlug.
Viele ließen ihre PKWs stehen und rannten in die Kornfelder oder
versteckten sich auf Bauernhöfen. Nie zuvor hatten französische
Nonnen AKW-GegnerInnen in einem Kloster vor der Polizei versteckt.
Das Entsetzen über die Ereignisse in Malville mündete rund zwei
Monate später im nordrhein-westfälischen Kalkar in eine besondere
deutsche Erfahrung."
Soviel aus Jutta Ditfurths Buch 'Das waren die Grünen' - ein sehr
lesenswertes Buch, das leider vom Verlag aus dem Programm genommen
wurde. Es ist aber in Antiquariaten erhältlich oder kann in
Universitätsbibliotheken ausgeliehen werden. Der Titel 'Das waren die
Grünen' mag manche heute verwirren - ihnen könnte das Buch recht
anschaulich Auskunft darüber geben, warum es diese Partei nur von
1979 bis 1990 gab.
1977 waren über 50.000 DemonstrantInnen nach Malville gekommen - eine
heute aus deutscher Sicht fast utopisch anmutende Zahl. Der Schnelle
Brüter "Superphénix" lief wegen vieler sogenannter
"Betriebsstörungen" insgesamt nur sechs Monate.
Fünfzehn Jahre später:
Dreihundert WissenschaftlerInnen und VertreterInnen des öffentlichen
Lebens fordern die französische Regierung im Februar 1992 dazu auf,
den Weiterbetrieb des derzeit stillgelegten Schnellen Brüters
"Superphénix" zu untersagen. Nach dem Verzicht der Bundesrepublik auf
den Brutreaktor in Kalkar bleibe der "Superphénix" das einzige
derartige Industrieprojekt in Europa, hieß es in dem Appell. Das
Abenteuer der deutschen Atom-Mafia in Kalkar hatte die deutschen
SteuerzahlerInnnen mehrere Milliarden Euro gekostet.
Erst 1997 wurde der Plutonium-Reaktor in Malville, der nie richtig
funktioniert hatte, endgültig stillgelegt. Seit 1996 hatte er keinen
Strom mehr produziert. 1997 wurde dabei ein heftiges politisches
Spektakel veranstaltet. Bis Juni 1997 hatte der rechte
Premierminister Alain Juppé unter Jacques Chirac die
Regierungsgeschäfte geführt. Damit die ab Juni regierende pseudo-
sozialistische Regierung Jospin - weiterhin unter dem rechten
Präsidenten Chirac - die Abschaltung der "Superphénix" als ihren Sieg
verkaufen konnte, wurde folgendes Hin- und Her inszeniert:
Bereits am 1. März 1997 hatte Frankreichs oberstes Verwaltungsgericht
die Erlaubnis für die Wiederinbetriebnahme aus dem Jahr 1994
annulliert. Am 14. März gab der Industrieminister erneut die
Genehmigung, um den "Superphénix" anfahren zu lassen.
Tatsächlich ging er aber nicht in Betrieb.
Im Juni 1997 kündigte Lionel Jospin als eine seiner ersten Taten als
Premierminister die Schließung des "Superphénix" an.
Zugleich versuchte dessen pseudo-grüne Umwelt-Ministerin Dominique
Voynet das Ende des "Superphénix" als eigene Tat und als Preis für
ihren Eintritt in die Regierung Jospin zu vermarkten. Tatsächlich
hatte 1997 nicht nur in Deutschland eine Partei, sondern längst auch
in Frankreich die "Les verts" ihre Ursprünge verraten.
Auch in Frankreich kann nicht - weder damals noch heute - als bekannt
vorausgesetzt werden, daß vor 1997 zwei Faktoren für das Ende des
"Superphénix" ausschlaggebend waren: Zum einen die technischen
Probleme und die damit verbundene Funktion als Milliarden-Grab, zum
anderen der Prozeß gegen den "Superphénix", in dem die Vorgängerin
Voynets als Umwelt-Ministerin - unter Premierminister Alain Juppé -
Corinne Lepage als Rechtsanwältin engagiert war, bevor sie ins
Kabinett Juppé eintrat. Wie schon erwähnt markierte das Urteil vom 1.
März 1997 eine Weichenstellung.
Ob sich nun Voynet oder Lepage das Ende des "Superphénix" als Sieg
auf die eigene Fahne schreiben darf, interessiert heute kaum mehr
jemanden - außer die beiden Damen, die sich spinnefeind sind. Lepage
hatte sich während ihrer gesamten Amtszeit als Umwelt-Ministerin für
das Ende des "Superphénix" ausgesprochen. Für Juppé war dies ein
gerne geduldetes Aushängeschild, während er als Premierminister alles
dafür tat, den "Superphénix" wieder in Gang zu bringen. Weder Lepage
noch Voynet haben außer einer solchen Funktion als Aushängeschild
real eine positive Bilanz - etwa im Umweltschutz - vorzuweisen.
Lepage führt eine der inzwischen drei pseudo-grünen Parteien in
Frankreich an.
Eine weitere kleine Kuriosität am Rande: 1997 hatte die
Kommunistische Partei Frankreichs, die KPF, mit dem Untergang des
Ostblocks ihre ideologische Orientierung verloren. Immerhin war sie
im Laufe der Jahre soweit fortgeschritten, daß sie eine
innerparteiliche Diskussion über Pro oder Contra "Superphénix" dulden
wollte. Die kommunistische Richtungsgewerkschaft CGT jedoch schlug
melodramatische Töne an, um die schlimmen Folgen eines Abschieds von
einer "erfolgreichen Technologie" auszumalten. CGT-Chef Louis Viannet
führte im Oktober eine Demonstration gegen die Abschaltung des
"Superphénix" an.
Nach einem Bericht des Cour des Comptes - vergleichbar mit dem
deutschen Bundesrechnungshof - von 1996 belaufen sich die Kosten für
den "Superphénix" auf umgerechnet über 9 Milliarden Euro.
Die letzten der 650 Brennstäbe wurden am 18. März 2003 entfernt und
befinden sich seitdem in Kühlbecken. Ähnlich wie nach der Schließung
des Dounreay Fast Reactor in Großbritannien wurde 2004 in Erwägung
gezogen, eine Anlage zu bauen, die die 5.500 Tonnen Natrium aus dem
ehemaligen Kühlsystem in 70.000 Tonnen Beton einschließt.
Auch bei der Stilllegung des Superphénix trug die französische Atom-
Mafia einen kleinen Sieg davon: Denn mit Milliardenaufwand wurde der
zwei Jahre zuvor abgeschaltete Vorgänger Phénix als sogenanntes
Versuchslabor zur Atommüllverbrennung wieder angeschaltet. Dort
sollten langlebige Isotope mit Neutronen beschossen werden, um sie in
Spaltprodukte mit kürzerer Halbwertszeit oder sogar in stabile
Nuklide umzuwandeln. Kritische WissenschaftlerInnen bezeichneten dies
als pures Blendwerk, um so den französischen SteuerzahlerInnen erneut
Millionen abknöpfen zu können. Die 'Zeit' schrieb hierzu am
5.02.1998: "Viele Experten halten diese Art der Abfallentsorgung
jedoch für utopisch und mutmaßen bereits, Phénix solle letztendlich
nur die skeptische Bevölkerung von der Notwendigkeit überzeugen, den
nuklearen Schrott endzulagern." Seit Jahren ist von der sogenannten
Atommüllverbrennung nichts mehr zu hören.
Die Plutonium-Fabrik in La Hague
Politisch stellte Frau Voynet das ökologische Alibi für die offiziell
als Wiederaufbereitungsanlage (WAA) bezeichnete Fabik in La Hague
dar. In dieser werden auch die abgebrannten Brennstäbe aus anderen
Ländern - darunter Deutschland und Japan - zerlegt und der begehrte
Spalt- und Bomben-Stoff Plutonium gewonnen. Die ursprüngliche Idee
war, das Plutonium zum Bau von Atombomben und als Brennstoff für
"Schnelle Brüter" zu verwenden. Heute gibt es dafür keinen Bedarf
mehr, weil die Technologie der Brüter gescheitert und Plutonium im
Übermaß vorhanden ist. Die Anlage wird jedoch nach wie vor für den
militärischen Bedarf der französischen force de frappe benötigt, da
die atomaren Sprengköpfe der Raketen und Atombomben regelmäßig
ausgetauscht und erneuert werden müssen. Allein durch die Separierung
abgebrannter Brennstäbe deutscher AKWs fielen in La Hague bisher rund
40 Tonnen Plutonium an. Eingeatmet genügt ein Mikrogramm Plutonium,
um Lungenkrebs auszulösen.
Genau betrachtet arbeiten in La Hague die zwei Fabriken UP 2 und UP
3. Die Abkürzung UP bedeutet Usine Plutonium (übersetzt:
Plutoniumfabrik). Die gesamte Kapazität beträgt 1.600 Tonnen pro
Jahr, soll aber auf 1.700 Tonnen pro Jahr ausgedehnt werden. Die
Betreiberfirma der Wiederaufarbeitungsanlage COGEMA (Compagnie
Générale des Matières Nucléaires) befindet sich zu 89 Prozent im
Besitz des staatlich kontrollierten Commissariat à l'Energie Atomique
(CEA). Dieses Kommisariat ist für die französische
Atomwaffenproduktion und das gesamte Atomwaffentestprogramm
verantwortlich. Die übrigen 11 Prozent sind im Besitz des
französischen Ölmultis TotalElfFina.
Wie die Geschichte der "Wiederaufarbeitungsanlagen" La Hague in
Frankreich und Sellafield in Großbritannien zeigt, führt schon der
"Normalbetrieb" zu radioaktiver Verseuchung. Aus beiden Anlagen wurde
über Jahre rund 500 Millionen Liter flüssiger radioaktiver Abfall
routinemäßig ins Meer geleitet. Für La Hague wurde errechnet, daß 20-
mal mehr Müll entsteht, als mit den abgebrannten Brennelemente
angeliefert wird. Die radioaktiven Nuklide, die von Sellafield ins
Meer gepumpt werden (z.B. Technetium-99) sind noch an der
norwegischen und grönländischen Küste nachweisbar.
Die Debatte über die von La Hague ausgehenden gesundheitlichen
Risiken haben seit der im Januar 1997 im British Medical Journal
erschienenen Studie des Mediziners Jean-François Viel und den
Greenpeace-Messungen im März 1997 eine nicht abreißende Diskussion in
den französischen Medien in Gang gesetzt. Nach den Analysen sind die
inneren Ablagerungen der Pipeline so hoch verstrahlt, daß sie nach
dem derzeitigen deutschen Recht in Zement verpackt und endgelagert
werden müßten. Proben von Meeressediment und Rohrablagerungen
enthielten derart viel Plutonium, daß diese Proben nach deutschem
Recht als kernbrennstoffhaltig einzustufen sind. Auch Proben von
Krebsen zeigen, daß die Meeresverseuchung bei La Hague Ausmaße
angenommen hat, die mit Kontaminationen nach nuklearen Großunfällen
vergleichbar sind.
Ebenfalls 1997 wiesen zwei französische Wissenschaftler in einer
Studie den Zusammenhang zwischen den radioaktiven Einleitungen in La
Hague und einer erhöhten Blutkrebsrate bei Kindern und Jugendlichen
nach. Danach wurde eine im Vergleich zum Landesdurchschnitt um den
Faktor drei höhere Blutkrebsrate innerhalb eines Umkreises von 10
Kilometern um die Anlage ermittelt.
Die Regierung ließ den "Souleau-Report" in Auftrag geben, eine
Studie, die, so faßte Le Monde zusammen, "den Streit zwischen
Greenpeace und der COGEMA", der staatlichen Betreiberfirma, über die
Gefahren der Anlage "nicht entscheidet". So konnte Ministerin Voynet
den Untersuchungsbericht der Öffentlichkeit auch vorstellen und die
Ungefährlichkeit der Atomfabrik behaupten: "Es gibt Radioaktivität in
La Hague. Das ist keine Überraschung, wir wußten, daß es Strahlung
gibt. Es besteht keine Gefahr für die Bevölkerung..."
Einige Monate später forderte Voynet schließlich, unter öffentlichem
Druck durch weitere Greenpeace-Aktivitäten, von der COGEMA, diese
müsse sich als Ziel die "Null Einleitung flüssiger radioaktiver
Abfälle (in den Ärmelkanal)" setzen. Die COGEMA wies dies als
Aufforderung zur Stilllegung von La Hague zurück. In einem Interview
mit Charlie Hebdo betonte Voynet kurz darauf, für La Hague würden
keine neuen Wiederaufbereitungsverträge abgeschlossen - was bedeuten
würde, daß die WAA in zehn bis 15 Jahren leerliefe. So schön diese
Ankündigung klingt, zwei Wochen zuvor hatte Voynet nichts dagegen
unternommen, als der Staatssekretär für Industrie die Beladung der
vier AKW-Blöcke von Chinon mit MOX-Brennstäben erlaubte, die neben
dem "normalen" Spaltstoff Uran zusätzlich mit Plutonium aus La Hague
gefüllt sind, was ihre Gefährlichkeit erhöht.
Es wurde berechnet, wie hoch die Strahlenbelastung wäre, wenn nur bei
einem Becken in einer solchen Anlage Radioaktivität freigesetzt
würde. Beim einem derartigen Unfall in La Hague würde in 100
Kilometer Entfernung eine Strahlenbelastung auftreten die 30 bis 230
mal höher wäre als die sofort tödliche Dosis von 600 rem. Je nach
Windlage wären große Gebiete Europas nach einer solchen Katastrophe
nicht mehr bewohnbar. Millionen Menschen würden sterben.
Ein Beinahe-GAU im Atom-Forschungslabor
Am 10. Januar 2007 war in der Zeitung 'Le Monde' zu lesen:
In einem Plutonium-Forschungslabor im südfranzösischen Cadarache war
auf Grund menschlichen Versagens versehentlich die doppelte Menge von
Brennstäben in den Versuchsreaktor eingeführt worden und man war
dadurch nicht mehr all zu weit von der kritischen Masse entfernt. Das
Ganze passierte zwei Monate zuvor im November 2006. Erst im Januar
wurde der "Vorfall" auf einer nuklearen Störfallskala, die von 1 bis
7 reicht, nachträglich auf 2 hoch gestuft.
Der Vorfall erinnert an die japanische Nuklearkatastrophe von
Tokaimura am 30. September 1999.
Schwerer Atomunfall in Forschungsanlage
Bei dem nach offiziellen Angaben bis dato schwersten Atomunfall in
Frankreich werden im Nobember 1992 drei Arbeiter verstrahlt, als sie
einen atomaren Teilchenbeschleuniger in Forbach ohne Schutzkleidung
betreten. Mitglieder der Geschäftsführung wurden 1993 zu
Gefängnisstrafen verurteilt, weil sie nicht für ausreichende
Sicherheitsmaßnahmen gesorgt hatten.
Doch bereits am 17. Oktober 1969 hatte ein Fehler beim Einführen der
Brennstäbe im französischen Saint-Laurent zum teilweisen Abschmelzen
eines gasgekühlten Atomkraftwerks geführt. Ein Super-GAU wie in
Tschernobyl mit der Freisetzung großer Mengen an Radioaktivität hatte
gerade noch vermieden werden können.
Das geplante Atommüll-Endlager in Bure
In wenigen Jahren wird Frankreich vor einem Atommüllberg von fast 5
Millionen Kubikmetern stehen. Deshalb wurde ein Standort für ein
sogenanntes Labor für die Endlagerung hochradioaktiven Mülls in Bure
im dünn besiedelten Lothringen ausgesucht. Dort soll der Müll in
einer Lehmschicht eingelagert werden. Doch mittlerweile regt sich
auch in Bure massiver Protest und mit der Einlagerung konnte bislang
nicht begonnen werden. Der französischen Regierung wird dann nichts
anderes übrigbleiben als die AKWs abzuschalten oder ein atomares
Endlager mit Waffengewalt durchzusetzen. Jedes Jahr im Sommer
veranstaltet die französische Anti-Atom-Bewegung ein Festival gegen
die Endlagerpläne in Bure.
Neubaupläne
Bereits Ende der 1990er Jahre waren in Frankreich AKW-Neubaupläne
ventiliert worden. Es scheint jedoch fraglich, ob solche Pläne
ernstlich erwogen wurden oder ob sie nur dazu dienten, um die
aktuelle Stärke der französischen Anti-Atom-Bewegung zu ermitteln.
Als einziger Neubau wurde ein Reaktor in Carnet an der Loire-Mündung,
in einem Naturschutzgebiet, ins Spiel gebracht. Am 1. Juni 1997 - am
Tag der Parlamentswahl - demonstrierten 25.000 Menschen gegen einen
solchen AKW-Neubau.
Immer wieder hieß es, die französische Anti-Atom-Bewegung sei
eingeschlafen. Entsprechendes wird auch in deutschen Medien immer
wieder - mit bedauerndem Unterton - verbreitet. Die französische Anti-
Atom-Bewegung hat jedoch im Gegensatz zur deutschen das Handicap, daß
laut Meinungsumfragen seit Jahren ein ungefähres Patt in der
Einstellung der französischen Bevölkerung zur Atomenergie besteht.
Mit der 2004 bekannt gewordenen Entscheidung der damaligen Regierung,
im Auftrag der EdF eine neue Generation von Atomreaktoren auf den Weg
zu bringen, hat das französische Netzwerk für den Atom-Ausstieg,
Réseau Sortir du Nucléaire, einen mächtigen Aufschwung erlebt. Am 15.
April 2006 demonstrierten über 30.000 Menschen in Cherbourg gegen
diese Pläne. Am 17. März 2007 demonstrierten über 60.000 zugleich in
fünf französischen Städten für den französischen Atom-Ausstieg und
für erneuerbare Energien.
NETZWERK REGENBOGEN
Anmerkungen
[1] Eine Liste der 58 Reaktoren an 19 Standorten:
AKW Belleville 1 und 2
AKW Blayais 1 bis 4
AKW Bugey 2, 3, 4 und 5
AKW Cattenom 1 bis 4
AKW Chinon B 1 bis B 4
AKW Chooz B 1 und B 2
AKW Civaux 1 und 2
AKW Cruas 1 bis 4
AKW Dampierre 1 bis 4
AKW Fessenheim 1 und 2
AKW Flamanville 1 und 2
(Neubau eines dritten Reaktors vom Typ EPR begonnen.)
AKW Gravelines B 1 bis B 4, C5 und C 6
AKW Golfech 1 und 2
AKW Nogent 1 und 2
AKW Penly 1 und 2
AKW Paluel 1 bis 4
AKW St. Alban 1 und 2
AKW St. Laurent B 1 und B2
AKW Tricastin 1 bis 4
[2] Siehe auch unseren ausführlicheren Artikel:
AKW Fessenheim
30 Jahre tödliche Gefahr (7.03.07)
Die übrigen Folgen der Info-Serie:
1 Grundlagenwissen
2 Der deutsche "Atom-Ausstieg"
3 Die Subventionierung der Atomenergie
4 Der siamesische Zwilling: Atombombe
5 Umweltverbrechen Uran-Abbau
6 Uran-Ressourcen und die Zukunft der Atomenergie
7 Die Geschichte der Atom-Unfälle
8 Die stille Katastrophe
9 Der italienische Atom-Ausstieg
10 Schwedens "Atom-Ausstieg"
12 Das ungelöste Problem der Endlagerung
Mehr Informationen über die Mailingliste fessenheim-fr